Allein und zu Fuss durch Deutschland

(Autor)

Buch | Softcover
192 Seiten
2006 | 1., Aufl.
Fischer Taschenbuch (Verlag)
978-3-596-16093-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

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An einem Morgen Ende Februar, genauer gesagt an einem Aschermittwoch, bricht Axel Braig auf, um sich seinen Traum zu erfüllen: eines Tages loszuwandern und für eine gewisse Zeit frei und unabhängig zu sein. Er will sich allein und mit leichtem Gepäck durch das Land treiben lassen. Doch die Realität holt ihn schnell ein. Als Erstes muss er feststellen, dass so ein Rucksack die Angewohnheit hat, in den ersten Tagen immer schwerer zu werden, dassdas Alleinsein wieder gelernt werden muss und die Nächte empfindlich kalt werden können. Axel Braig ist ingesamt vier Monate unterwegs, und was er in dieser Zeit in den alten und neuen Bundesländern erlebt, hält er tagebuchartig in einer wunderbar bildhaften Sprache fest.
Folgen Sie Axel Braig auf seiner Wanderung durch Deutschland. Entdecken Sie mit ihm die Schönheiten der Landschaften jenseits der Städte und Autobahnen.

Axel Braig, Jahrgang 1951, im Erstberuf Orchestermusiker, dann Medizinstudium und Tätigkeit als Krankenhausarzt. Von 1986 bis 2001 niedergelassener Hausarzt. Seither ist er ohne regelmäßige Erwerbstätigkeit und lebt mit Frau und drei Töchtern in Tübingen.

Seit vielen Jahren hatte ich davon geträumt, einmal loszuwandern und für eine Zeit frei und unabhängig zu sein. Zumindest für eine Weile wollte ich die Bequemlichkeiten meines notorisch sesshaften Lebens hinter mir lassen und die Welt aus der ungewohnten Sicht des Fußgängers betrachten. Statt eingebunden zu sein in einen geregelten Alltag und ein Netz von Familie, Freunden und Bekannten, möchte ich mich ab heute allein und mit leichtem Gepäck durch das Land treiben lassen. Trotz meines Geizens um jedes Gramm ist das Gepäck schwerer als geplant geworden. Denn obwohl ich sogar den Stiel meiner Zahnbürste um ein paar Zentimeter gekürzt habe um Gewicht zu sparen, wiegt der Rucksack 14 Kilo. Aber immerhin habe ich es geschafft, mich loszureißen. Alle Bedenken, eigene und die der anderen, sind überwunden. Ich bin endlich unterwegs. Von der Fassade der Unibibliothek blickt der dem Reisen selbst wenig zugeneigte Immanuel Kant streng auf mich herab. In den vergangenen Jahren habe ich mich intensiv mit philosophischen Schriften beschäftigt und mich gerade in den letzten Monaten redlich bemüht, Kants »Kritik der reinen Vernunft« zu verstehen. Nun werde ich vorläufig keine Weisheit mehr aus Büchern saugen. Die Seiten des einzigen Buches, das ich bei mir trage sind noch weiß. Ich möchte sie mit Notizen darüber füllen, was ich auf meiner Wanderung sehen und erfahren werde. Der Hang des Österbergs, an dem wir mit den Kindern zum Drachensteigen und Schlittenfahren waren, glitzert schneebedeckt in der Sonne. Von einer Anhöhe schaue ich noch ein letztes Mal auf das Schloss, dann bin ich im Wald. Der Schnee dämpft jedes Geräusch, und das alltägliche Rauschen der Stadt liegt hinter mir. Nur mein gleichmäßiger Schritt klingt wie ein leiser, beruhigender Trommelschlag. In den nächsten Stunden treffe ich keinen Menschen. Beim Gehen wird mir trotz der winterlichen Temperaturen angenehm warm. Der Beginn meiner Wanderung ist genau so, wie ich ihn mir erträumt hatte. Ganz bewusst hatte ich mich dafür entschieden, im Februar loszugehen. Wahrscheinlich hat mich die Schubertsche »Winterreise« auf diese Idee gebracht, denn mit diesen Liedern habe ich mich seit meiner Jugend immer wieder identifiziert. In vergangenen Krisenzeiten spiegelten Schuberts Beschreibungen der kalten Winterlandschaft meine Gefühle von Verlassensein und Trauer wider und vermittelten mir gleichzeitig Trost. Jetzt folge ich den Spuren dieser sentimentalen Erinnerungen nach. Ein wenig schaudert es mich, gleichzeitig kann ich mich nicht satt sehen an den Schwarz-Weiß-Schattierungen, den klaren Konturen und der Weite des verschneiten und unbelaubten Waldes. Ich laufe fast den ganzen Tag, ohne in die Nähe einer Ortschaft zu kommen. Obwohl ich für die heutige Strecke keine Karte dabei habe, kann ich mich mit Kompass und ungefährer Ortskenntnis in den Wäldern des Schönbuchs gut orientieren. Nur der Rucksack wird mir mit der Zeit immer schwerer. Habe ich doch zu viel mitgenommen? Was trage ich an Überflüssigem mit mir herum? Andererseits muss ich bei der ersten Rast mit Tee, Käse und Wurst feststellen, dass ich ausgerechnet Brot vergessen habe. Als ich nach sieben Stunden den ersten Vorort von Stuttgart erreiche, bin ich ziemlich erschöpft und noch fast 20 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Immer häufiger muss ich den Rucksack absetzen. In meiner Begeisterung hatte ich mir für den ersten Wandertag zu viel vorgenommen. Einen Augenblicklang überlege ich, die letzten Kilometer mit der S-Bahn zu fahren. Aber ich würde mir wahrscheinlich nicht verzeihen, meinen eigenen Vorsätzen schon jetzt untreu geworden zu sein. Also gehe ich zu Fuß weiter. Nach mehr als zehn Stunden komme ich in unserem mittlerweile von meinem Bruder bewohnten Elternhaus an. Vor 30 Jahren bin ich, allerdings ohne Gepäck, von hier aus zu meinem Studienort Tübingen gewandert. Der erste Tag meiner Wanderung war auch ein Weg zurück zu meinem alten Zuhause.

Reihe/Serie Fischer Sachbücher ; 16093
Sprache deutsch
Gewicht 173 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Reisen Reiseberichte Deutschland
Schlagworte Deutschland; Reisebericht/Erlebnisbericht • Deutschland; Reise-/Erlebnisberichte
ISBN-10 3-596-16093-6 / 3596160936
ISBN-13 978-3-596-16093-8 / 9783596160938
Zustand Neuware
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