Lesereise Cornwall und Devon -  Anna-Maria Bauer

Lesereise Cornwall und Devon (eBook)

Zerklüftete Küsten und vergessene Moore
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
132 Seiten
Picus (Verlag)
978-3-7117-5525-4 (ISBN)
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Feine Sandbuchten, steile Küstendörfer, mystische Moorlandschaften. Der Südwesten Englands ist verspielt und rau zugleich;man verirrt sich in entlegene Landschaften und findet sich dann auf einmal in wuseligen, engen Gassen wieder. Man kommt bis in Teufels Kessel und entdeckt vielleicht den Heiligen Gral. Das endlose Meer, mal kristallklar gluckernd, mal heftig tosend, lockt und der frische Wind verdreht einem den Kopf. Anna-Maria Bauer sucht in Devon und Cornwall das Verborgene: Sie klettert durch Untergrundpassagen und moosige Schluchten, ist ungeheuren Schmugglern und berühmten Detektiven auf der Spur. Sie genießt den einzig tatsächlich englischen Tee, besucht eine Insel, die manchmal gar keine ist, und ein Herrenhaus, das Filmstar wurde. All das geht nicht ohne die passende Stärkung: dampfende Cornish Pasty und ofenwarme Scones. Und diese führen zur obligatorischen Frage: Wie gehört Cream Tea richtig: Mit Clotted Cream oder Marmelade zuerst?

Anna-Maria Bauer, geboren 1988 in Wien, ist Journalistin, Lehrerin und Sachbuchautorin in Österreich und England. Nach acht Jahren bei der Tageszeitung Kurier hat sie 2021 den Sprung über den Ärmelkanal gewagt und lebt seitdem als freie Journalistin in Südengland. Hier erkundet sie aristokratische Landsitze, mutmachende Gemeinschaftsprojekte, abgelegene Fischerdörfer, neblige Naturschutz­gebiete und mitunter die hektische Hauptstadt.

Land der Kontraste


Von den abenteuerlichen Passagen Exeters in den weiten Südwesten

Man muss wissen, was man sucht. Obwohl ich mir zuvor genau angesehen hatte, wo sie sich befindet, zieht der suchende Blick auf der High Street nun so schnell an der kleinen Öffnung zwischen den Häusermauern vorbei, dass ich mich zweimal im Kreis drehen musste, bis ich – ha! – den Spalt zwischen Patisserie Valerie und Bäckerei Greggs auf der Hauptstraße ausmachen kann. Ich trete zwischen die zwei Häuserfronten und kann meine abgewinkelten Arme nur ein paar Zentimeter anheben, dann kratzen die Ellbogen bereits am rauen Stein, an den wettergegerbten Mauerziegeln auf beiden Seiten. Ganz schön eng, hier in der Parliament Street, der engsten Gasse Großbritanniens, die an ihrer schmalsten Stelle bloß dreiundsechzig Zentimeter misst und einst als Small Lane bekannt war. Bis ein Stadtrat im 19. Jahrhundert angeblich seinen Unmut über das Inkrafttreten eines parlamentarischen Gesetzes zum Ausdruck bringen wollte, in dem (wie konnte es das Parlament wagen!) das Wahlrecht der Bürger gestärkt wurde.

Ganz schön eng, das ist aber doch auch typisch englisch. Und noch viel mehr: typisch für den englischen Südwesten. Wie oft werde ich auf dieser Reise innerlich fluchen, wenn ich den Koffer über die schmale Teppichtreppe in den oberen Stock des charmanten, aber platzsparenden b & b-Cottage hieve. Werde bei den Autofahrten immer wieder den Hals so weit wie möglich nach vorne strecken, um ein bisschen mehr von der kurvigen Landstraße erhaschen zu können, weil die Hecken direkt an den Asphaltrand gerückt sind. Werde manchmal, wenn ich in einer ganz engen Kurve stecke, sicherheitshalber hupen oder das Licht betätigen, um etwaige Entgegenkommende zu warnen. Muss mich mitunter seitwärts drehen, um voranzukommen, in engen Räumen, kleinen Booten, auf steilen Treppen oder in schmalen Durchgängen, wie in jenen hier in Exeter.

Und so beginnt unsere Entdeckungstour in der Hauptstadt Devons, die für so viele Reisende Eintrittstor in den englischen Südwesten ist. Wer mit dem Zug fährt, kommt meist hier an; wer mit dem Auto anreist, wählt diese Stadt oft für einen ersten Zwischenstopp; eine kurze Verschnaufpause in dieser antiken, lebhaften Stadt, die Sinnbild für vieles ist, auf das wir stoßen werden. Die rauen Wände um mich, die steil in den Himmel ragen, erinnern an die mystischen, monolithischen Gesteinsformationen, die einem in der unberührten Landschaft Cornwalls begegnen. Und an die Skulpturen der britischen Künstlerin Barbara Hepworth, auf die wir in St. Ives stoßen werden. Ich lege den Kopf in den Nacken und kann am Ende der hohen Backsteinwände einen dünnen Streifen grauen Himmels ausmachen – wie durch einen Schmugglertunnel. Geschützt oder eingesperrt? Und auf dem Weg zurück zur High Street bleibe ich einen Moment lang in der dunklen Straßenöffnung stehen, beobachte das Treiben der Einkaufsstraße, ohne bemerkt zu werden. Sehe den Vater, der den bunten Rucksack seiner Tochter schultert; die Frau, die energisch telefonierend aus dem Einkaufszentrum tritt; die lachende Teenagergruppe. Welche Geheimnisse kann man auf diesem Weg erkennen, beim Herausspähen, Beobachten, Wahrnehmen; welche Ideen stibitzen? Denn ewige Streitereien zwischen Devon und Cornwall gibt es so einige. Wer hat die berühmte Cornish pasty eigentlich erfunden? Und wie gehört der cream tea richtig serviert: mit clotted cream oder mit Erdbeermarmelade zuerst? Doch noch ist es nicht Zeit für diese Antworten, sondern für die Frage: Wo geht es hier denn zum quay?

Wir treten also aus der Parliament Street, biegen rechts auf die High Street ab, die dann zur Fore Street wird, und folgen links der West Street bergab. Auf halber Höhe fällt der Blick auf ein robustes Tudor House mit schwarzen Holzbalken, dessen Obergeschosse gefährlich über die Straße ragen und das zwischen den verputzten anderen Häusern ein bisschen fehl am Platz wirkt – weil es das tatsächlich ist. Das Merchant House wurde nicht für diese Straße gebaut. Es stand ursprünglich ein paar Dutzend Meter weiter an der Edmund Street und ist im Dezember 1961 als komplettes Haus verlegt worden. Damals hätte das Haus abgerissen werden sollen, um Platz für eine Umgehungsstraße von der Brücke über den Fluss Exe zu schaffen. Doch nach heftigem Kampf mit der Stadtverwaltung gelang es Aktivisten, das Haus zu retten – indem sie es umsiedelten. Ein Unterfangen, das von zahlreichen Reportern und Schaulustigen verfolgt wurde. Bis auf den Rahmen wurde das Fachwerkhaus dafür entkernt und auf Metallräder gestellt. Die Fenster wurden zur Sicherheit herausgenommen, und damit beim Transport nichts verrutschen konnte, wurde das Haus in ein Holzgerüst gepackt. Sechs Tage dauerte es dann, bis das Haus siebenundsechzig Meter weiter an seiner neuen Adresse in der West Street ankam.

Heute schneidert Emma Healey im Erdgeschoss Brautkleider und betreibt damit ein passendes Geschäft in dem ikonischen Haus einer Stadt, die durch den Wollhandel kurzzeitig zur vielleicht reichsten und angesehensten Stadt Englands wurde. Denn Schafe finden in den sanften Hügeln und weiten Ebenen des Südwestens ideale Bedingungen und ihre Wolle wurde im 16. und im 18. Jahrhundert von Exeter in die Welt gebracht. Hektisch muss es damals zugegangen sein an dem quay, den wir über Lower Coombe Street erreicht haben. Lastkähne und Seeschiffe wurden hier mit den Wollprodukten beladen, um sie nach Frankreich oder Spanien zu schiffen. An dem milden Frühlingstag, an dem wir die Stadt besuchen, ist es ruhig. Touristen inspizieren die kleinen Verkaufsstände und wir genehmigen uns im Mango’s einen Cappuccino, setzen uns an das Quay-Ufer und lassen die Beine schlenkern. Der Asphalt ist von der Sonne bereits so gewärmt, dass man sich kurz zurücklegen und den Wolken beim Ziehen zusehen kann.

Doch zu lange können wir hier nicht verweilen: Wir haben noch einen Termin. Über die South Street geht es also wieder bergauf, bis wir zu einem der eindrucksvollsten Kirchenhäuser Europas kommen. Exeter Cathedral zählt mit vierhunderttausend jährlichen Besucherinnen und Besuchern zu den drei bestbesuchten Attraktionen im englischen Westen. Eindrucksvoll sticht sie am Cathedral Green in den Himmel und heißt einen beim Betreten mit eindrucksvoller Weite willkommen. Unbedingt sollte man beim Besuch nach oben sehen: Das gerippte Steingewölbe aus dem 14. Jahrhundert sieht aus wie eine Allee aus Palmzweigen. Aber noch eine andere Meisterleistung hat die Kathedrale initiiert; eine in entgegengesetzter Richtung. Bereits im Mittelalter wurde mit dem vielleicht ausgeklügeltsten Wassersystem des Landes sauberes Trinkwasser von St. Sidwell außerhalb der Stadtmauer nach Exeter geholt. Und um undichte Stellen an den Bleirohren (damals wusste man noch nicht, dass diese gesundheitliche Schäden verursachen könnten) einfach beheben zu können, wurden die Rohre in schmale Tunnel gelegt. Diese Untergrundpassagen sind heute die einzigen Passagen in ganz Großbritannien, die für Besucherinnen und Besucher offen sind und die wir nun erkunden werden.

»Right«, sagt Gruppenleiterin Gail Smith, die achtzig Jahre alt ist, früher Historikerin war und heute mehrmals die Woche Gruppen durch die Passagen führt. »Jacken in die Spinde und Helme auf.« Es riecht modrig, warm, aber nicht stickig, als ich Gail in den viel zu schmalen Gang folge. Sie hat uns vorgewarnt, dass der Anfang am schwierigsten ist. Und tatsächlich: Es wird immer enger, die Wände scheinen ja nicht nur auf uns zuzukommen, sie tun es tatsächlich. Wir müssen den Kopf einziehen und uns, als Gail uns ein paar Informationen gibt, mit dem Rücken gegen die Mauer lehnen. Zwei jüngere Teilnehmerinnen verabschieden sich an dieser Stelle wieder; ihnen ist es zu eng. Meine Hände sind auch leicht zittrig, aber die Neugier siegt. Wir stapfen weiter, der Boden wird schlammig und dann öffnet sich der Gang seitlich sowie nach oben; wir sind in einem moderneren Abschnitt angekommen, direkt unter der Hauptstraße. Merkwürdig, sich vorzustellen, dass über unsere Köpfe hinweggehetzt wird. Gail führt uns weiter an jene Stelle, über der einst der Great Conduit Pavillon stand, an dem sich die Bevölkerung Frischwasser holen konnte und an dem große Neuigkeiten wie etwa ein neuer König ausgerufen wurden.

Auf dem Rückweg ende ich als Letzte in der Gruppe. Das Herz hämmert heftiger. Wie war das noch einmal mit den Ratten, die hier leben? Und wie müssen sich erst Minenarbeiter gefühlt haben, die nicht nur für eine halbe Stunde, sondern den ganzen Arbeitstag unter Tage verbrachten? Oder jene Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs die Gänge als Luftschutzbunker nützten? Es ist beklemmend genug, ohne dass die Wände vibrieren. Ich lasse mein Ausatmen länger als mein Einatmen werden. Die Ankündigung, dass wir wieder zurück sind, kommt mit der Welle der...

Erscheint lt. Verlag 26.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseführer Europa
ISBN-10 3-7117-5525-9 / 3711755259
ISBN-13 978-3-7117-5525-4 / 9783711755254
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