Lesereise Obere Adria -  Stefanie Bisping

Lesereise Obere Adria (eBook)

Das Spiel des Lichts in der Lagune
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
132 Seiten
Picus (Verlag)
978-3-7117-5512-4 (ISBN)
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An den Ufern der italienischen Oberen Adria liegt die Geschichte Europas ausgebreitet wie in einem begehbaren Bilderbuch. Zugleich befinden sich hier einige der schönsten Landschaften Europas. Uralte Fischerdörfer, traditionsreiche Städte, Inselwelten, Lagunen und feinsandige Strände wechseln einander ab und locken seit jeher Literaten, Künstler, Regisseure und Erholungssuchende an die seit der Antike besiedelte Küste. Heute wird die Liebe zu ihren Landschaften von Generation zu Generation weitergegeben. Denn unzählige Deutsche und Österreicher erlebten hier mit dem ersten Blick aufs Mittelmeer den Beginn einer lebenslangen Liebe.

Stefanie Bisping ist Reisejournalistin und hat die Welt von Spitzbergen bis nach Tasmanien vermessen. Ihr besonderes Interesse gilt Küsten und Inseln. Im Picus Verlag erschienen ihre Lesereisen Apulien, Australien, Bretagne, Emilia Romagna, England, Estland, Malediven, Nordirland und die Normandie. Stefanie Bisping ist seit 2018 unter den Top Ten »Reisejournalisten des Jahres« und schaffte es mehrfach, zuletzt 2023, auf Platz eins des Rankings.

Stefanie Bisping ist Reisejournalistin und hat die Welt von Spitzbergen bis nach Tasmanien vermessen. Ihr besonderes Interesse gilt Küsten und Inseln. Im Picus Verlag erschienen ihre Lesereisen Apulien, Australien, Bretagne, Emilia Romagna, England, Estland, Malediven, Nordirland und die Normandie. Stefanie Bisping ist seit 2018 unter den Top Ten »Reisejournalisten des Jahres« und schaffte es mehrfach, zuletzt 2023, auf Platz eins des Rankings.

Zwischen den Inseln steht die Zeit


Einst führten Fischer in der Lagune von Grado ein karges Leben. Heute ist sie Naturschutzgebiet und Standort eines Museums für Pier Paolo Pasolini

Nie erklang der Sopran der Sängerin in der Lagune von Grado. Dabei verbrachte Maria Callas während der Dreharbeiten zu »Medea« im Sommer 1969 mehrere Wochen in der Inselwelt im äußersten Nordosten der Adria. Vierzehn Leinwandminuten entstanden, während die Crew in Grado im Hotel Argentina logierte und morgens das Städtchen in Richtung der winzigen Mota Safon verließ – Inseln werden hier mota genannt, barene die flachen Streifen Land, die aus dem Wasser ragen. Die Mota Safon spielte im Film, der recht frei der Tragödie des Euripides folgt, die Heimat des Zentauren Cheiron. Regisseur Pier Paolo Pasolini hatte das Inselchen beim Segeln mit einem Freund entdeckt, dem Maler und Autor Giuseppe Zigaina. Sofort identifizierte er es als ideale Kulisse nicht für einen Ort, sondern eine Epoche: die Antike.

Abends schwelgten die Ensemblemitglieder in Boreto al graisana, einer lokalen Spezialität, für die Fischer einst weniger edle Teile ihres Fanges verwendeten, dessen Geschmack Essig, Knoblauch und reichlich Pfeffer gnädig ummantelten. Dazu gab es Polenta. Für die verwöhnten Filmleute durften es auch Aal, Seeteufel oder Taschenkrebse sein. So nahm ein weiterer Arbeitstag, in dessen Verlauf man zumeist mit Fruchtbarkeitsriten, Zerstückelung und Rache zu tun hatte, ein versöhnliches Ende.

Dem Produzenten Franco Rossellini und Pasolini war gelungen, was andere vergeblich versucht hatten – Maria Callas zu ihrem Leinwanddebüt zu bewegen. Zuvor hatte sie mit dem Werk des Regisseurs so wenig anfangen können wie mit seinen politischen Überzeugungen. Doch trotz Hitze, Mücken und eines kolportierten Zusammenbruchs der Diva an einem drückenden Julitag war das Einvernehmen immerhin so groß, dass Pasolini seinem Star einen Ring schenkte. Dies sollte indessen keine eherechtlichen Folgen zeitigen.

Auf Mota Safon sind die Erinnerungen an diese Sommertage auch mehr als fünfzig Jahre später noch frisch. »Dies ist die Insel, auf der Pier Paolo Pasolini den Film ›Medea‹ drehte«, sagt Giorgetto Guzzon, Präsident des Gradeser Kulturvereins Graisani de Palù mit stillem Stolz. Vor ihm liegt Wasser, hinter ihm ein cason, ein Häuschen mit Schilfdach. Kaum ragt es über die Baumkronen. Kurz hinter dem cason funkelt wiederum Wasser. Mota Safon ist nur ein Flecken in der von rund dreißig Inseln und noch viel mehr Sandbänken gespickten Lagune von Grado im äußersten Nordosten Italiens. Sie ist Schutzgebiet und eines der am besten erhaltenen Feuchtgebiete im Mittelmeerraum. Neunzig Quadratkilometer misst es, zusammen mit der anschließenden Lagune von Marano umfasst das Gebiet sogar hundertsechzig Quadratkilometer Lebensraum für Fauna und Flora. Menschen hingegen müssen sich anpassen: Hochwasser schwappt in der Landschaft aus Wasserflächen, Kanälen, Sumpf und Land leicht bis an die Fensterbretter der casoni.

Guzzon öffnet die Tür zum Ein-Zimmer-Museum. Auf Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden sind Pasolini, Callas und Kollegen bei den Dreharbeiten auf dem Inselchen und bei abendlichen Gelagen zu sehen. Auf einem Tisch in der Ecke ist ein Pasolini-Schrein entstanden. Ein Album bewahrt Fotos und Zeitungsausschnitte, darüber hängen Porträts des Regisseurs. Alles, was noch mit den Drehtagen von einst verbindet, ist in diesem Fünfzig-Quadratmeter-Museum zusammengetragen – und dazu Angelutensilien, Öllampen, ein aus Treibholz gefertigtes Kruzifix mit einer Muschel als Heiligenschein des Gekreuzigten, ein ausgestopfter Fasan, Grappaflaschen und eine Amphore, die bei niedrigem Wasser zutage trat. Fotos aus den zwanziger Jahren dokumentieren das Leben der Lagunenfischer, die ihre Hütten nach jedem schweren Sturm neu bauen mussten. An Weihnachten, Ostern und zur Wallfahrt nach Barbano tauschten sie die Fischerkleidung gegen einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd, Krawatte und Hut.

»Wir wollen das Erbe bewahren und die Lagune als Lebens- und Kulturraum bekannter machen«, erklärt Giorgetto Guzzon. Lange schon hatten sie die Reste der Schilfhütten in solide Häuschen verwandelt und das größere mit Tischen, Bänken, Erinnerungsstücken und Fotos an den Wänden liebevoll ausstaffiert, halb Vereinsheim, halb Heimat- und Filmmuseum. Schließlich entstand die Idee, es der Öffentlichkeit mittels organisierter Bootstouren zugänglich zu machen. 2019, fünfzig Jahre nach der Premiere von »Medea«, kamen die ersten Gäste. Dann kam die Covid-19-Pandemie, und die eben ins Leben gerufenen Touren mussten erst einmal ausgesetzt werden. Doch schon im zweiten Corona-Sommer wurden sie unter gewissenhaften Sicherheitsvorkehrungen wieder aufgenommen.

Ein Gast war indessen schon vorher erschienen, und es war nicht sein erster Besuch: Ninetto Davoli, ein Lieblingsdarsteller Pasolinis, kehrte an den Drehort zurück. »Er war ziemlich beeindruckt«, so Guzzon. »Damals waren die Hütten ja ganz einfach.« Die Vereinsmitglieder hatten das Material einer alten Brücke hergebracht, um die Häuschen zu bauen. Alles andere aber sei kaum verändert gewesen. »Die Ruhe, das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein, das ist ja alles noch da«, so Guzzon. Ninetto Davoli, Star vieler Pasolini-Filme, hatte seinerzeit einen Teil seiner Militärzeit im nahen Triest verbracht und daher keine Rolle übernehmen können. Doch er stahl sich oft genug an den Set, um als lokaler Assistent Pasolinis in die Geschichte von »Medea« einzugehen.

Zu Lebzeiten wurde der 1922 geborene Pasolini, der im friaulischen Dorf Casarsa unvergessliche Kindheitsferien bei den Großeltern und weitere prägende Jahre als junger Lehrer verbrachte, nicht von allen verehrt. Ein kritischer Geist, kommunistische Gesinnung und offen gelebte Homosexualität bedeuteten in den sechziger und siebziger Jahren nicht nur in Italien schweres Gepäck. Als Publizist behandelte Pasolini dazu heikle Themen wie illegale Machenschaften von Unternehmen und organisiertes Verbrechen. Am 2. November 1975 wurde er in Ostia ermordet aufgefunden. Sein mutmaßlicher Mörder wurde verurteilt, doch Umstände, Motiv und Täterschaft nie wirklich geklärt – zumal der Verurteilte später sein Geständnis erst neu formulierte und im Auftrag gehandelt haben wollte, es später komplett zurückzog und sich im Jahr 2017 durch Ableben weiteren Nachforschungen entzog.

Auf Mota Safon und in Grado steht Pier Paolo Pasolini bis heute in höchstem Ansehen. Der Mittsiebziger Guzzon, der bis zu seiner Pensionierung als Stadtgärtner tätig war, und seine Vorstandskollegen treffen sich regelmäßig, um die Insel in Ordnung zu halten, nach Hochwasser aufzuräumen und immer wieder auch ein Festmahl zuzubereiten, wie es auch Ninetto Davoli mit den sehr rüstigen Herren einnahm. Dann gibt es Salami und Schinken, Muscheln, Spaghetti Fasolari mit in Knoblauch marinierten Muscheln und zum Abschluss einen Santonego, einen Grappa auf Basis von Strandbeifuß. Die meisten von ihnen waren um die zwanzig, als Pasolini die Lagune zum Drehort erkor. Seither mag viel Wasser in die Adria geflossen sein, doch einiges ist geblieben, wie es war: das Funkeln des Meeres im Morgenlicht, die Stimmen der Wasservögel, das vernehmliche Summen der Mücken.

Anderes muss erzählt werden, um zu überdauern. Dafür sind die Herren aus dem Vorstand da. Meist stehen zwei Schilfhütten auf einer Insel; in einer wohnte man, die andere diente als Werkstatt und Materialschuppen, erklärt Oscar, der als Kraftfahrer häufig in Deutschland unterwegs war und sein Deutsch nicht vergessen hat. Eine Hütte ist so erhalten, wie sie die letzten Bewohner, eine Familie mit drei Kindern, zurückließen: eine winzige Wohnung, wenige Schritte vom Wasser entfernt.

Nur eine Handvoll der Inseln in der Lagune ist noch bewohnt. Auch die Inselschule, die einst auf Anfora im Westen der Lagune auf Geheiß der Kaiserin Maria Theresia für die Kinder der Fischer eingerichtet wurde, ist längst zur Pension umfunktioniert worden. Die meisten Inselchen befinden sich heute im Besitz der Gemeinde Grado, ihre Nutzung wird über Ausschreibungen vergeben. Fischerfamilien und ihre Nachkommen haben dabei Vorrang. Denn die casoni sind heute als Wochenendsitze äußerst begehrt. »In der Lagune steht die Zeit still«, weiß Thomas Soyer, Hotelier in Grado und langjähriger Präsident des örtlichen Tourismusverbands. Nach über dreißig Jahren auf der Insel fühlt und lebt der gebürtige Kärntner eher adriatisch als alpin. Oft nehme er sich vor, nach einer Spritztour mit dem Boot am Nachmittag zurück in der Stadt zu sein, doch dann vergesse er in der Ruhe auf dem Wasser die Zeit.

Pasolini irrte nicht, als er die Landschaft im Altertum verortete. Grado begann seine Existenz in der Antike als...

Erscheint lt. Verlag 21.2.2024
Reihe/Serie Picus Lesereisen
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte
Reisen Reiseführer Europa
Schlagworte Meer • Rimini • Venedig
ISBN-10 3-7117-5512-7 / 3711755127
ISBN-13 978-3-7117-5512-4 / 9783711755124
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