Lesereise Dublin -  Nicole Quint

Lesereise Dublin (eBook)

Die Stadt der Städte

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
132 Seiten
Picus (Verlag)
978-3-7117-5513-1 (ISBN)
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Vor lauter Pubs die Stadt nicht gesehen? Kann passieren, aber an Dublin hat das dann nicht gelegen, wohl eher am Klischee der Guinness-City, das an ihr haftet wie Seepocken am Schiffsrumpf. Wirklich nahe kommt man Irlands Hauptstadt aber nicht an den Tresen der Temple Bar, sondern bei Bloomsday-Feiern und Parkbank-Poeten. Mit dem Ziel, Neues, Verstecktes und Vergessenes zu finden, wählt Nicole Quint sich Heinrich Böll als Kirchenführer, testet das Grusel-Potenzial von Mumien, erkundet das alte jüdische Viertel und leistet Robben beim Sonnenbaden Gesellschaft. Eine der am schönsten gelegenen Metropolen Europas hat nämlich Strände und sogar Naturreservate zu bieten. Wenn Dublin einem jedoch das Blaue von Harry verspricht, geht es nicht an die Irische See oder den Liffey-Fluss. Stattdessen warten geniale Glasmalerei und Geschichten, die einen fortan ebenso durch das Leben begleiten werden wie all die mitreißende Musik, die jedem Dublin-Besucher den Soundtrack seiner Reise schenkt.

Nicole Quint lebt meist auf Reisen und manchmal an der Mecklenburgischen Ostsee. Hätte sie ein Wörtchen mitreden dürfen, wäre sie an der irischen Westküste geboren. Ersatzweise kam sie im Ruhrgebiet zur Welt. Deshalb musste sie unbedingt Reisejournalistin werden, um die Grüne Insel so oft wie möglich besuchen zu können. Im Picus Verlag erschienen ihre Lesereisen Irland, Westirland und Peloponnes.

Nicole Quint lebt meist auf Reisen und manchmal an der Mecklenburgischen Ostsee. Hätte sie ein Wörtchen mitreden dürfen, wäre sie an der irischen Westküste geboren. Ersatzweise kam sie im Ruhrgebiet zur Welt. Deshalb musste sie unbedingt Reisejournalistin werden, um die Grüne Insel so oft wie möglich besuchen zu können. Im Picus Verlag erschienen ihre Lesereisen Irland, Westirland und Peloponnes.

Kevin, Böll und ich


Unsterbliche Stadt- und Seelenführer

Dublin ist nie mein Dublin gewesen. Ich bin nicht berechtigt, Besitzansprüche zu erheben, denn abgesehen davon, dass ich weiß, wo es das garantiert ruhigste Hotelzimmer der Stadt gibt, verfüge ich über keinerlei Insiderwissen. Ich werde in der altehrwürdigen Bibliothek des Trinity College nostalgisch, höre im O’Donoghues Pub irischen Folk, lasse mich bei einem Bootsausflug über die Wellen der Dublin Bay schaukeln und grusle mich vor den Moorleichen im National Museum, wie alle anderen Besucher der Stadt auch. Intime Kennerschaft wäre aber nötig, um von meinem Dublin sprechen zu dürfen. Ich darf also nicht, so richtig wollen will aber anscheinend auch sonst niemand. Wenn schon Ansprüche erhoben werden, dann nämlich nicht nur auf die Stadt, sondern gleich auf das ganze Land. Von meinem Irland schwärmt, wer erlebt hat, was keinem sonst vergönnt war. Hat man den authentischsten pub gefunden, vertraute die B & B-Besitzerin einem das geheime Sodabrotrezept der Urgroßmutter an oder ist einem ein alter Kauz begegnet, der noch ganz ohne Strom in seinem alten reetgedeckten cottage haust, dann gestatten einem diese Erlebnisse, Irland aus einer einzigartigen Perspektive heraus zu sehen und, für den Fall, dass man Autor ist, auch zu beschreiben. Das fing schon mit Heinrich Böll und seinem »Irischen Tagebuch« an. Fast siebzig Jahre sind seit der Erstveröffentlichung seines meistgelesenen Werkes vergangen, und noch immer geht die Saat der Geschichten über fabulierende Lebenskünstler und mystisch schöne Landschaften im Herzen der Leser als zeitlos blühende Irlandliebe auf. Mit Bölls Tagebuch als Baedecker-Ersatz kommen noch immer viele Reisende auf die Grüne Insel, um den beschriebenen Dreiklang aus Bier, Torf und Frömmigkeit zu suchen. Vom Wunsch getrieben, originale Schauplätze zu finden, landen sie auf Achill Island. Eine Insel in der nordwestlichen Ecke Irlands, die dem Kölner Schriftsteller zu einer zweiten Heimat wurde.

Ich aber bleibe in Dublin, um mir aus den Böll’schen Erinnerungen an die Stadt ein Bild zusammenzusetzen und mit dem zu vergleichen, was ich heute dort finde. Einen einsamen Schornstein aus rotem Backstein zum Beispiel, der vor dem Abriss bewahrt und als markanter Fremdkörper in einen gläsernen Bürokomplex integriert wurde. Der Schlot ist das Einzige, was übrig blieb von der Swastika Laundry, einer Wäscherei, die rund fünfundsiebzig Jahre im Stadtviertel Ballsbridge in Betrieb war. Böll wäre sie fast zum Verhängnis geworden. Kurz nach seiner Ankunft in Dublin im Jahr 1955 wollte er eilig eine Straße nahe der heutigen Heuston Station überqueren und wäre um ein Haar von einem Lieferwagen der Swastika Laundry überfahren worden – ausgerechnet. Als Soldat mehrfach verwundet und kurz vor Kriegsende desertiert, glaubte Böll beim Anblick des Hakenkreuzes auf dem Transporter, der dicht vor ihm zum Stehen kam, beinahe unter die Räder eines ausgemusterten Wagens des Völkischen Beobachters geraten zu sein. Die Inhaber der Wäscherei hatten sich die Swastika, ein uraltes indisches Glückssymbol, jedoch lange vor den Nationalsozialisten als Logo für ihre 1912 gegründete Firma ausgesucht und es damit immerhin zu einer Fußnote in der Literaturgeschichte gebracht, nachzulesen im »Irischen Tagebuch«. Was nicht dort steht, ist, dass Böll den heranfahrenden Wagen nicht hören konnte, weil dieser mit einer Batterie betrieben wurde. Wäschereiinhaber John W. Brittain war seiner Zeit weit voraus. Hohe Geschwindigkeiten konnten die kleinen roten Elektroautos allerdings nicht erreichen, ein Glück für Böll, der später erleichtert notierte: »… der Fahrer bekreuzigte sich, als er mir lächelnd signalisierte, dass ich weitergehen sollte.«

Daraufhin wäre eigentlich ein Guinness fällig gewesen. Sich an Bölls Fersen zu heften, um ihm nach diesem Beinahe-Unfall weiter durch Dublin zu folgen, heißt jedoch nicht pubs, sondern Gotteshäuser zu sammeln, denn kaum einer hat die katholische Kirche so kritisiert, das katholische Irland aber so geliebt wie er. St. Patrick’s Cathedral, Irlands größtes Gotteshaus, bereitete Böll allerdings eine herbe Enttäuschung. Wo er damals auf einen armlosen Bettler traf, dem er die Zigarette »angezündet zwischen die Lippen, Geld ihm in die Rocktaschen stecken« musste, kassiert heute eine adrette Empfangsdame von mir das Eintrittsgeld ab. Böll würde sein Irland, wo der Kapitalismus den Katholizismus längst als neues Idol abgelöst hat, vermutlich nicht mehr verstehen. Der Kreuzzug des Konsums war hier so gnadenlos erfolgreich, dass die Kommerzialisierung selbst vor dem kulturellen Erbe keinen Halt gemacht hat, und so ist auch St. Patrick’s Cathedral zu einem gewöhnlichen Kassenschlager Dublins geworden.

Ein besonderer Ort bleibt die Kirche dennoch. Hier soll der heilige Patrick Gläubige mit dem Wasser einer geweihten Quelle getauft haben, und hier liegt auch Jonathan Swift, Schriftsteller und langjähriger Dekan der Kathedrale, gemeinsam mit seiner Gefährtin Esther Johnson unter blank geputzten Messingplatten begraben. Für Bölls Empfinden viel zu blank. »An Swifts Grab hatte ich mir das Herz erkältet, so sauber war St. Patrick’s Cathedral, so menschenleer und so voll patriotischer Marmorfiguren«, beklagte er sich über die fast keimfreie Kirche. Gedanken eines Autors, die sieben Jahrzehnte später zu einem eigenen Gefühl des Wiedererkennens werden, während ich fröstelnd im porentief reinen Schauraum der Religion stehe. St. Patrick’s ist nicht zum Benutzen da, so scheint es noch immer, sondern bloß zum Betrachten. Niemand, der niederkniet, betet oder sich bekreuzigt. Die glänzend geputzten Requisiten des Glaubens sind da. Die Gläubigen fehlen. Über diesen Mangel täuscht auch die Masse der Touristen nicht hinweg, die zu kleinen Haufen zusammengekehrt um ihre Reiseleiter stehen, in der Souvenirecke stöbern oder achtlos an einer Vitrine vorbeigehen, in der neben Erstausgaben von Swifts Werken auch eine Totenmaske des Schriftstellers gezeigt wird. Deren außerordentliche Spitznasigkeit lenkt von der eigentlichen Attraktion im Glasschrank ab: einem eisernen Kienspanhalter. Vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert hinein fertigten Schmiede solche Gestelle an, in die harzreiche Hölzer geklemmt und angezündet werden konnten. Arme-Leute-Lampen wurden sie auch genannt, weil sie weit günstiger waren als teure Wachskerzen. Den ausgestellten Kienspanhalter sollen einst Jonathan Swift und seine Esther, von ihm liebevoll Stella genannt, abwechselnd in den Händen gehalten haben, um in der düsteren Kathedrale eng beieinander sitzen und gemeinsam in einem Buch lesen zu können. Welche Art Beziehung sie genau zueinander pflegten, blieb ein großes Geheimnis. Einige Historiker glauben, Swift hätte Stella 1716 heimlich geheiratet, andere behaupten eine zwar innige, aber rein platonische Bindung zwischen den beiden. Sicher ist, dass in St. Patrick’s Cathedral nichts so romantisch und berührend ist wie diese kleine Lampe. An der hätte auch Böll seine verschnupfte Seele wärmen können. Heilung für sein erkältetes Herz fand er aber erst in einer anderen Kirche – der St. Nicholas of Myra, in der Böll glaubte, einen ganz besonderen Ort gefunden zu haben: »Schön war St. Patrick, hässlich ist diese Kirche, aber sie wird benutzt«, freute er sich, als er kurz nach dem enttäuschenden Besuch der Kathedrale in ein Gotteshaus voller Gläubiger trat, in der »Religion bis zur Neige ausgekostet« wurde. Die cremeweiße Eleganz im Inneren von St. Nicholas lässt mich allerdings an Bölls Gedächtnis zweifeln. Unmöglich, dass er keinen Blick für das monumentale Erscheinungsbild der neoklassizistischen Architektur hatte. Schwer vorstellbar, dass er die leuchtend helle Kassettendecke, reich dekoriert mit Gemälden und Ornamenten, tatsächlich hässlich fand. Das von Leonardo da Vincis »Abendmahl« inspirierte Gipsrelief erwähnt Böll ebenso wenig wie das markanteste Merkmal dieser Kirche – eine marmorne Pietà zwischen den Granitsäulen eines griechischen Tempels, von dem das allsehende Dreiecksauge Gottes hinunter auf den Hauptaltar schaut. Es gab seit den fünfziger Jahren keine großen baulichen Veränderungen mehr, die Bölls eigentümlichen Eindruck von St. Nicholas erklären könnten. Vermutlich haben ihm die Gläubigen mehr imponiert als das Interieur: »Voller Menschen, voller Kitsch war diese Kirche, und sie war nicht gerade schmutzig, aber schusselig; so sehen in kinderreichen Familien die Wohnzimmer aus.« Auf St. Nicholas trifft Bölls Schilderung bei meinem Besuch ganz und gar nicht zu, wohl aber auf die...

Erscheint lt. Verlag 21.2.2024
Reihe/Serie Picus Lesereisen
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte
Reisen Reiseführer Europa
Schlagworte Böll • Ha'penny Bridge • Joyce • Kartoffel • Liffey
ISBN-10 3-7117-5513-5 / 3711755135
ISBN-13 978-3-7117-5513-1 / 9783711755131
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