Gebrauchsanweisung für Island (eBook)

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2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60569-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gebrauchsanweisung für Island -  Kristof Magnusson
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Im Land der Trolle und der atemberaubenden Natur Island ist schon lange kein Geheimtipp mehr, sondern hat sich zu einem wahren Touristenmagneten entwickelt. Was macht den Reiz des Landes und seine schroffe Exotik aus?  »Eine sehr gelungene Analyse der isländischen Mentalität und ein idealer Einstieg für Island-Neulinge« ARD Druckfrisch Gletscher, Geysire und schräge Charaktere: Doch wie ticken die Isländer:innen wirklich? Wie passen boomender (Luxus-)Tourismus und Naturschutz zusammen? Wo geht Island kulinarisch neue Wege? Was hat es mit der »Kochtopfrevolution« auf sich? Und wie wurde Fußball zum Nationalsport? Schriftsteller und Insider Kristof Magnusson zeigt uns, worin die einzigartige Faszination der Insel liegt - von typischen Schwimmbadbesuchen und Hot Springs bis zu Sommerfestivals, von erfolgreichen isländischen Filmen und Serien bis zum Umgang mit Immigration und Diversity, von Reykjavíks Nachtleben bis zu spektakulären Vulkanen, die neuerdings sogar in Sichtweite der Hauptstadt ausbrechen. 

Kristof Magnusson, 1976 als Sohn deutsch-isländischer Eltern geboren, studierte in Leipzig und Reykjavík und lebt als Autor und Übersetzer in Berlin. Seine Komödie »Männerhort« lief an über 100 Bühnen im In- und Ausland, unter anderem in Berlin mit Christoph Maria Herbst und Bastian Pastewka. Kristof Magnusson schreibt Romane und Theaterstücke, übersetzt aus dem Isländischen, engagiert sich für Literatur in Einfacher Sprache, unterrichtet gelegentlich an Unis und kuratiert Literaturveranstaltungen. Von ihm erschienen u. a. der von Kritik und Publikum gefeierte SPIEGEL-Bestseller »Das war ich nicht« sowie zuletzt der Roman »Ein Mann der Kunst«. Seine erfolgreiche »Gebrauchsanweisung für Island« erschien erstmals 2011 und seitdem in vielen Auflagen. 

Kristof Magnusson, 1976 als Sohn deutsch-isländischer Eltern geboren, studierte in Leipzig und Reykjavík und lebt als Autor und Übersetzer in Berlin. Seine Komödie »Männerhort« lief an über 100 Bühnen im In- und Ausland, unter anderem in Berlin mit Christoph Maria Herbst und Bastian Pastewka. Kristof Magnusson schreibt Romane und Theaterstücke, übersetzt aus dem Isländischen, engagiert sich für Literatur in Einfacher Sprache, unterrichtet gelegentlich an Unis und kuratiert Literaturveranstaltungen. Von ihm erschienen u. a. der von Kritik und Publikum gefeierte SPIEGEL-Bestseller »Das war ich nicht« sowie zuletzt der Roman »Ein Mann der Kunst«. Seine erfolgreiche »Gebrauchsanweisung für Island« erschien erstmals 2011 und seitdem in vielen Auflagen. 

Das unmögliche Land


Vor zwanzig Millionen Jahren sah die Welt bereits so aus, wie wir sie heute kennen. Die Kontinente hatten sich zurechtgeschüttelt, die Ozeane hatten ebenso ihren Platz eingenommen wie die Gebirge – nur dort, wo heute Island ist, war nichts als Meer. Dann brachen einige Tausend Meter unter diesem Meer ein paar Vulkane aus und beruhigten sich erst wieder, als die Lava sich bis über die Wasseroberfläche aufgetürmt hatte. Gleich einer Feuer spuckenden Operndiva betrat ein neues Land die Bühne der eigentlich schon fertigen Welt: Island.

Bis heute kann die Geologie nicht mit Sicherheit sagen, wie es in diesem erdgeschichtlich späten Stadium zu einer derartig riesigen Eruption kommen konnte – eigentlich ist Island ein Ding der Unmöglichkeit.

 

Nicht weniger verwundert es, dass auf dieser Insel seit fast 1200 Jahren Menschen leben. Den Anfang machten einige norwegische Siedlerinnen und Siedler, die sich in offenen Booten auf den Atlantik wagten, zu dieser obskuren Insel segelten und dort Kälte, Dunkelheit und Vulkanausbrüchen trotzten, nur weil sie fern ihrer norwegischen Feudalherren in Freiheit leben wollten. Oder, unpathetischer gesagt, weil sie in Norwegen so viele obrigkeitstreue Bauern erschlagen hatten, dass König Harald Schönhaar ihnen nach dem Leben trachtete. Die Daheimgebliebenen werden diesem Unterfangen jedenfalls keine großen Chancen eingeräumt haben. Diejenigen Siedler, die nicht gleich an Island vorbeisegelten und irgendwo untergingen, hatten nur einen kurzen Sommer Zeit, um Weiden für ihr Vieh zu finden, Häuser zu bauen und Vorräte anzulegen; dann galt es, einen langen Winter zu überleben. Es gab nicht einmal Bäume, die groß genug waren, um Planken zu zimmern und damit die Schiffe zu reparieren, die im Winter verwittert waren. Die Isländerinnen und Isländer waren im Frühling regelmäßig von der Außenwelt abgeschlossen und mussten darauf hoffen, dass die norwegischen Verwandten sie nicht vergessen hatten und sich mit den dringend benötigten Waren auf den Weg zu ihnen machten.

Im Laufe der Jahrhunderte brachte jede Missernte, jede Pestepidemie oder Viehseuche die Bevölkerung an den Rand der Auslöschung – vor zweihundert Jahren schien es endgültig so weit zu sein: Die Lakagígar-Spalte platzte auf 25 Kilometer Länge auf, über 130 Vulkane spuckten Lava, giftige Asche legte sich über das ganze Land. Mehr als die Hälfte des Viehs und ein Viertel der isländischen Bevölkerung (die gerade erst eine Pockenepidemie überstanden hatte) starben, der Rest wurde so bitterarm, dass die dänischen Kolonialherren noch Jahre später überlegten, Menschen und Vieh komplett nach Westjütland zu evakuieren. Die von manchen Isländer:innen vertretene Theorie, dieser Ausbruch habe Missernten in Europa und damit die Französische Revolution ausgelöst, sagt wiederum einiges über das isländische Selbstbewusstsein aus, doch davon später mehr.

 

Island ist also ein Land, das es eigentlich nicht geben dürfte, besiedelt von einem Volk, das längst hätte evakuiert werden sollen. Und ein Land der gelebten Unmöglichkeiten ist Island auch bis heute geblieben. Die Natur greift so unmittelbar in das Alltagsleben ein, wie wir Mitteleuropäer es nur selten erleben. Das fängt bei Sandstürmen an, die den kompletten Lack vom Auto schmirgeln, und hört bei Vulkanen auf, die unterhalb von Gletschern ausbrechen, Flutwellen katastrophenfilmischen Ausmaßes auslösen, Straßen und Brücken fortreißen und das Gesicht ganzer Landkreise innerhalb weniger Tage völlig verändern.

Auch das Gefühl, dass es zu wenig Leute gibt, um ein komplettes Gemeinwesen am Laufen zu halten, kennen die Isländer bis heute. Das Land muss mit nur 390 000 Menschen alle Funktionen einer arbeitsteiligen Gesellschaft besetzen, vom Geigenbauer über die Kindernephrologin bis zum Fluglotsen. Nebenbei muss es einen kompletten Nationalstaat am Laufen halten, Diplomaten nach Japan und China, Beamte zur NATO und UNO schicken, eine Oper, ein Sinfonieorchester und ein Ballett finanzieren und ein dauernd von Unwettern fortgespültes Straßennetz flicken.

»Wie machen die das?« Diese Frage höre ich, seit ich klein bin, immer wieder. Deutsche Freundinnen und Bekannte haben sie meinem Vater gestellt, und ich erinnere mich genau an die mit Stolz vermischte Ratlosigkeit, mit der mein Vater auf diese Frage reagierte, denn richtig beantworten konnte er sie nicht. Er wusste nicht, wie die das machen, was meine kindliche Überzeugung verstärkte, dass Island weniger ein Land, sondern vielmehr ein Wunder sei.

Natürlich war auch ich stolz darauf, dass meine Familie väterlicherseits aus diesem Wunder namens Island stammte. Was sicher an den Gletschern und Geysiren lag, aber noch mehr daran, dass mein Großvater dort eine – nach der altnordischen Fruchtbarkeitsgöttin Freyja benannte – Schokoladenfabrik besessen hatte. Und an den Geschichten, die mein Vater mir erzählte, von Orkanen, gegen die man sich lehnen konnte, ohne umzufallen, von Seeskorpionen, die er mit seinen Freunden im Reykjavíker Hafen fing, oder dem Busausflug, den er mit seinem Vater 1947 zu den Lavaströmen der ausbrechenden Hekla machte – Geschichten, die sich in meiner Erinnerung mit den Fotos auf der Titelseite des Morgunblaðið mischten, das jeden Tag in unserem Hamburger Briefkasten lag und wenig anderes als Bilder von Vulkanausbrüchen oder Anglern mit besonders großen Fischen zeigte. Unser Haus in Hamburg war voll von diesen Islandgeschichten. Sie erzählten sich mir durch den großen Bildkalender der Reederei Eimskip, den ein alter Freund meinem Vater jedes Jahr zu Weihnachten schickte, den scharfkantigen Aschenbecher aus Basaltgestein auf dem Wohnzimmertisch, das Modell des Icelandair-Flugzeugs auf dem Schreibtisch, die mit Wikingerschiffen bedruckten Wandteller mit der Aufschrift landnám 874–1974, die seit dem 1100. Jahrestag der Besiedlung fast in jedem isländischen Haushalt zu finden sind. In jedem Zimmer stand, hing oder lag etwas herum, das an Island erinnerte, vielleicht weil mein Vater schon so lange in Deutschland war.

Ohnehin war Hamburg in meiner Erinnerung ein ziemlich isländischer Ort. Es gab viele Isländerinnen und Isländer, die dort bei Fischimporteuren arbeiteten oder an der Uni promovierten. Der Verein der Isländer in Hamburg veranstaltete gefühlte vierzig Grillfeste pro Jahr sowie das für das Nationalbewusstsein immens wichtige kollektive Grand-Prix-Gucken. Ein Freund meines Vaters wohnte mit seiner Familie erst bei uns, dann ganz in unserer Nähe, ich spielte mit seinem Sohn und versuchte, mich auf Isländisch zu unterhalten, was mal besser, mal schlechter gelang.

Obwohl, oder vielleicht gerade weil ich in Deutschland geboren war und aufwuchs, habe ich Island als Kind immer für ein einzigartiges Land gehalten, und eigentlich denke ich das auch heute noch: Island ist einzigartig.

Egal, wie oft man nach Island fährt, dieses Gefühl lässt niemals nach. Ich bin inzwischen wohl dreißigmal dort gewesen, manchmal für ein paar Tage, manchmal für Monate, einmal für mehr als ein Jahr. Und doch erfüllt es mich noch jetzt jedes Mal mit Freude, wenn ich auf dem Leif-Eriksson-Flughafen lande und höre, wie die Stewardess auf Englisch »Willkommen in Island« sagt und dann die Landsleute mit »Willkommen zu Hause« begrüßt. Noch immer fasziniert mich die Fahrt von Keflavík in Richtung Reykjavík auf der in das Gestein gefrästen Landstraße, die durch ein Lavafeld aus bizarren Basaltstrukturen führt. Hier hat die NASA ihre Mondlandefahrzeuge ausprobiert. Kuhlen, Senken, Spalten, Löcher, Kanten, Wülste, ein ständiges Rauf und Runter, dahinter Kieshalden, an den Hängen seltsam mineralisch wirkende Berge, ein Kegelvulkan in der Ferne, irgendwo dampft es aus dem Boden. Das vom Meer in Tausende Teile gebrochene Licht bringt selbst das bröselige Moos zum Leuchten; da ist es also wieder, dieses typisch isländische, durch nichts aufgehaltene Licht, das alle Urlaubsfotos zwangsläufig kitschig erscheinen lässt. Als hätte das isländische Fremdenverkehrsamt den Flughafen hier bauen lassen, um allen von Anfang an klarzumachen: Dies ist eine andere Welt.

 

Fast jedes Land ähnelt einem anderen. Wer sich in Mitteleuropa bewegt, merkt an der Landschaft nicht, wann er die Grenze von Deutschland nach Tschechien oder von Belgien nach Holland überquert hat. Island hat keine Nachbarländer, und auch mit anderen...

Erscheint lt. Verlag 3.5.2024
Zusatzinfo Mit einer farbigen Karte
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Europa
Reisen Reiseführer Europa
Schlagworte Buch Island • Buch Skandinavien • Elfen • Geysir • Gletscher • Island • Island 20. Jahrhundert • Island-Buch • Isländische Literatur • isländische Natur • Island-Kenner • Islandpferd • Island-Reise • Island-Saga • Nordlichter • Reykjavík • Sagen • Trolle • Vulkan • Vulkanausbruch • Wetter
ISBN-10 3-492-60569-9 / 3492605699
ISBN-13 978-3-492-60569-4 / 9783492605694
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