Das Mädchen, das zu den Büffeln sang (eBook)

Ein Kind, ein Ältester und das Licht eines alten Himmels

(Autor)

Bernd Wollsperger (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
526 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-8446-2 (ISBN)

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Ein eindringlicher Traum, der nicht nachlassen will, entführt den Autor Kent Nerburn zurück in die verborgene Welt der amerikanischen Ureinwohner, wo Träume eine Bedeutung haben, Tiere Lehrer sind und 'die Alten' immer noch über Kräfte verfügen, die unser Verständnis übersteigen. In dieser bewegenden Erzählung reisen wir durch die Länder der Lakota und der Ojibwe, wo wir auf ein seltsames kleines Mädchen mit einer beunruhigenden Verbindung zur Vergangenheit treffen, auf eine vergessene Anstalt, die die Geschichte zu verbergen versucht hat und auf die komplexen, unvergesslichen Charaktere, die wir in 'Weder Wolf noch Hund' und 'Der Wolf in der Dämmerung' kennengelernt haben. Teils Geschichte, teils Mysterium, teils spirituelle Reise und Lehrgeschichte: 'The Girl Who Sang to the Buffalo' steckt voller tiefgreifender Einblicke in die Menschheit und die Kultur der amerikanischen Ureinwohner, die wir von Nerburns Reisen erwarten. Wie der American Indian College Fund festgestellt hat, kann man 'die Welt oder die Menschen nie wieder mit den gleichen Augen betrachten', wenn man einmal Nerburns mitreißende Erinnerungen an die Hochebenen Amerikas und seine prägnanten Einblicke in das menschliche Herz kennengelernt hat.

Kent Nerburn, Ethnologe und Theologe, arbeitete zunächst als Bildhauer, bevor er durch ein Oral-History-Projekt in der Red Lake Ojibwe Reservation zum Schreiben kam. Inzwischen hat er 16 Bücher veröffentlicht, vor allem über die Kultur der amerikanischen Ureinwohner, und hat u.a. zweimal den Minnesota Book Award erhalten. 'Nicht Wolf nicht Hund' wurde 2017 mit großem Erfolg verfilmt. Nerburn lebt heute mit seiner Frau in der Nähe von Portland, Oregon.

ERSTER TEIL
VERGESSENE GEHEIMNISSE


KAPITEL 1 - EIN SCHREI IN DER NACHT


Es war Frühlingsanfang, als die Träume begannen.

Es waren keine gewöhnlichen Träume. Sie hatten nichts von jener Unwirklichkeit, die die Nacht vom Tag trennt. Ihre Farben hatten die Farben des Sonnenlichts, ihre Geräusche klangen so real wie das tägliche Leben. Ich erwachte aus ihnen mit klopfendem Herzen und schwitzenden Handflächen und wusste nicht, wo der Traum aufhörte und die wache Welt begann.

Aber da war noch etwas anderes. Es waren immer dieselben: Dans Schwester Yellow Bird mit ihrem kleinen Topfhaarschnitt, die in einem verblichenen weißen Kleid vor einem monolithischen roten Backsteingebäude stand; an ihrer Seite Mary, die alte Frau, die ich besucht hatte, als ich auf der Suche nach ihr war.

Mary lächelt mich an. Ich sehe die Falten in ihrem Gesicht und die gelben Flecken auf ihren Zähnen. Sie beginnt zu sprechen, aber es kommen keine Worte aus ihrem Mund. Yellow Bird starrt mich mit stummen, ausdruckslosen Augen an. Sie dreht sich um und geht auf ein Feld zu, das mit großen Felsbrocken oder Heuballen bedeckt ist. Von ihnen steigt Dampf in die Nacht auf. Ein Gefühl des Grauens überkommt mich. Ich rufe sie, aber sie antwortet nicht.

Mary lächelt weiter. Sie zeigt auf Yellow Bird, die in dem nebelverhangenen Feld verschwindet. Ich rufe weiter, aber Yellow Bird hört mich nicht. Mary streckt ihre knochige Hand nach mir aus. Sie gestikuliert immer wieder in Richtung Yellow Bird und nickt. Ich will ihr nachrennen, um sie zu fangen, aber ich kann nicht. Yellow Bird dreht sich zu mir um und sieht mir direkt in die Augen. Sie winkt mir und bedeutet mir, ihr zu folgen, während sie im Feld verschwindet.

Dann wache ich auf.

Mary und Yellow Bird waren Teil einer traurigen und ergreifenden Episode in meinem Leben gewesen.

Zwanzig Jahre zuvor hatte ich mit Schülern des Red Lake Ojibwe Indianerreservats in den Kiefernwäldern von Nord-Minnesota zwei Bücher über mündliche Überlieferungen verfasst. Diese Bücher, To Walk the Red Road und We Choose to Remember, waren auf den Powwow-Zirkeln durch das Land gereist und in den Händen vieler Menschen gelandet. Einer dieser Menschen war ein Lakota-Ältester namens Dan, der in einem Reservat weit draußen in den Hochebenen der westlichen Dakotas lebte.

Dan hatte mich gebeten, ihn zu besuchen. Ich kam der Bitte nach und das Ergebnis unserer Begegnung war ein Buch mit dem Titel Nicht Wolf nicht Hund, in dem Dan seine Gedanken über Themen von seinem Verständnis der Geschichte bis zu den Gefühlen der Indianer im Zusammenhang mit dieser Redewendung offenbart. Im Laufe der Jahre hatte sich zwischen ihm und mir eine Freundschaft entwickelt, die zuletzt darin gipfelte, dass er mich um Hilfe bat, um herauszufinden, was mit seiner kleinen Schwester Yellow Bird geschehen war, die aus einem staatlichen Internat verschwunden war, als sie beide noch Kinder waren.

Mary, die andere Person in meinem Traum, war eine ältere Frau, die zum Teil Ojibwe und zum Teil Cree war und in meinem Heimatstaat Minnesota in dem dichten Kiefern- und Seengebiet nahe der kanadischen Grenze lebte. Meine Suche nach Yellow Bird hatte mich zu ihrem Haus und schließlich zu Informationen geführt, die zur Lösung des Rätsels um Yellow Birds Verschwinden beigetragen hatten. Obwohl ich sie nur ein einziges Mal besucht hatte, waren mir ihre freundliche Art und ihr markantes Gesicht im Gedächtnis geblieben.

Jetzt kehrten beide in meinen Träumen zurück, und ich konnte nicht herausfinden, weshalb.

"Aber irgendetwas ist anders an ihnen", sage ich zu Louise. "Sie sind wie ein Echo, als ob etwas Reales dahintersteckt und ich kann es einfach nicht zuordnen. Es ist, als ob sie mich rufen würden."

Sie nimmt einen Schluck von ihrem Morgenkaffee. "Vielleicht sind es nur Schuldgefühle", sagt sie.

"Schuldgefühle? Schuldgefühle weswegen? Ich habe getan, was ich konnte. Ich fand das mit Yellow Bird heraus. Ich gab Dan am Ende seines Lebens so viel Frieden, wie ich konnte."

"Ich weiß es nicht. Vielleicht, nicht genug getan zu haben? Zu spät gekommen zu sein?"

Die Antwort war mir zu simpel, zu sehr von moderner Psychologie geprägt. Dies ist einer jener Träume, die an eine der Grundwurzeln des Schreckens rühren, wie die Angst vor der Tiefe, wenn man in dunklen Gewässern schwimmt. Er reagiert nicht auf eine rationale Analyse und lässt sich nicht einfach abtun.

"Das ist nicht irgendein billiges psychologisches Ding", sage ich.

"Ich habe nicht gesagt, dass das so ist", antwortet sie. "Ich weiß nur nicht, was ich sagen soll."

Ich stütze meinen Kopf in die Hände und reibe mir mit den Fingerknöcheln die Augen. "Sie sind einfach nicht normal. Sie scheinen zu real zu sein. Und sie begleiten mich den ganzen Tag, als würden sie mich heimsuchen oder verfolgen. Manchmal denke ich, dass ich an einen Ort gegangen bin, an den ich nicht gehöre."

Sie legt ihre Hand auf meine Schulter. Ich weiß sie denkt, ich sei übertrieben dramatisch. "Du hast getan, wozu Du gerufen wurdest. Du hast einem alten Mann geholfen, etwas über seine Schwester herauszufinden. Du hast eine Geschichte erzählt, die er erzählt haben wollte und Du hast seine Welt für viele Menschen geöffnet, die hören mussten, was er zu sagen hatte."

"Ich weiß", sage ich. "Aber vielleicht bin ich zu weit gegangen. Vielleicht habe ich einige Türen geöffnet, die eigentlich geschlossen bleiben sollten."

Der Raum füllt sich mit Stille. Wir sind beide ratlos. Sie geht zum Fenster und blickt hinaus in die Morgensonne.

"Erinnerst Du dich an die Frau, mit der Du am Red Lake gearbeitet hast?", sagt sie. "Die, die die Brötchen für unsere Hochzeit gebacken hat?"

"Lurene?"

"Weißt Du noch, was sie Dir gesagt hat, als dein Vater krank war?"

Lurene war eine sanftmütige Ojibwe-Frau, die im Red Lake Indianerreservat Mahlzeiten für ältere und ans Bett gefesselte Menschen zubereitet hatte. Sie war auf traditionelle Weise erzogen worden und praktizierte noch viele der alten Bräuche. Sie und ich hatten uns angefreundet, als ich meine Schüler dazu brachte, bei der Essensausgabe an die älteren Menschen zu helfen.

Einmal, als mein Vater krank war, hatte ich einen beunruhigenden Traum von ihm, der mir fast real erschien. Ich machte Lurene gegenüber eine beiläufige Bemerkung, wie sehr er mich beunruhigt hatte.

"Du solltest ihn anrufen", sagte sie leise. "Er streckt wahrscheinlich die Hand nach Dir aus."

Als ich an diesem Abend nach Hause kam, nahm ich den Hörer ab und wählte die Nummer meines Vaters. Obwohl mein Vater ein Mensch war, der seine Gefühle gerne für sich selbst behielt, konnte ich die Erleichterung in seiner Stimme hören. "Ich hatte gehofft, Du würdest anrufen", sagte er. "Ich habe in den letzten Tagen viel an dich gedacht."

Am nächsten Morgen ging ich zu Lurene, um mich bei ihr zu bedanken, dass sie mich zu dem Anruf gedrängt hatte. Ich fand sie bei der Zubereitung von Sandwiches für die älteren Bettlägerigen.

"Danke, dass Du mir gesagt hast, ich soll meinen Vater anrufen", sagte ich. "Es war gut, dass ich das getan habe."

Sie hielt ihren Blick gesenkt, aber ich konnte sehen, wie sich ein kleines Lächeln auf ihre Lippen schlich.

"Du musst Träumen mehr Aufmerksamkeit schenken", sagte sie. "Sie sind keine Spielzeuge. Sie enthalten Botschaften."

Je weiter der Sommer voranschritt, desto intensiver wurden die Träume. Ich kämpfte mit ihnen, ärgerte mich über sie und tat alles, um sie zu vermeiden. Ich wollte die Möglichkeit nicht wahrhaben, dass sie mir eine Botschaft übermitteln wollten.

Dann, eines Abends Ende August, änderte sich alles.

Ich war kurz vor Mitternacht zu Bett gegangen, in der Hoffnung, dass dies eine der seltenen Nächte sein würde, in denen mich der Traum in Ruhe lassen würde. Ich lag in der Dunkelheit und versuchte ein paar Stunden Ruhe zu genießen. Ich weiß nicht mehr, ob ich eingeschlafen war oder einfach nur in diesem flüssigen Zustand zwischen Schlaf und Bewusstsein trieb. Ich erinnere mich nur an ein Geräusch, das wie ein Schrei oder ein Donnerschlag klang und mich mit einer Heftigkeit erschütterte, die mich nach Atem ringen ließ.

Es war laut, fast menschlich. Ich konnte seine Quelle nicht identifizieren. Ich war mir nicht sicher, ob es außerhalb des Hauses oder in meinem Kopf stattgefunden hatte. Ich setzte mich auf und versuchte, mich zu beruhigen. Mein Herz raste und mein Puls schlug heftig.

Ich sah zu Louise hinüber. Sie lag ruhig neben mir; ihr Atem war tief und regelmäßig. Unser Hund Lucie schlief immer noch am Fußende des Bettes. Keiner der beiden schien etwas gehört zu haben.

Ich saß eine Minute lang da, bis sich mein Herzschlag verlangsamte, dann zog ich mir etwas an, schnappte mir eine Taschenlampe und ging auf den Hof hinaus, Lucie dicht an meinen Fersen. Ich dachte, vielleicht sei ein Baum umgestürzt oder ein Teil des Hauses eingestürzt.

Es war eine dunkle Nacht mit nur einem Hauch von Mond und hohen, rasenden Wolken....

Erscheint lt. Verlag 21.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Reisen Reiseberichte Nord- / Mittelamerika
Schlagworte Indianer • Mysterium • native indian • Nerburn • Spiritualität
ISBN-10 3-7583-8446-X / 375838446X
ISBN-13 978-3-7583-8446-2 / 9783758384462
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