Tirana430.000 Einwohner
Albaniens Hauptstadt erscheint heute jung, bunt und dynamisch. Mal gibt sie sich italienisch-mediterran, mal amerikanisch-international, kaum aber orientalisch. Modisch gekleidetes Volk flaniert im Park und auf dem Boulevard, abends strahlen die Leuchtreklamen.
Ein Denkmal an der Kreuzung Rruga Luigj Gurakuqi und Rruga Barrikadave feiert den osmanischen Offizier Sulejman Pascha Bargjini als Stadtgründer. Er stiftete hier im Jahre 1614 eine Moschee, eine Herberge, ein Badehaus und eine Bäckerei - so berichtet es der osmanische Reiseschriftsteller Evliya Çelebi. Doch schon 1418, also knapp zwei Jahrhunderte früher, erwähnt eine venezianische Urkunde ein Dorf namens Tirana. Geht man noch weiter zurück, belegen bei Bauarbeiten zufällig als Licht gekommene Bodenmosaiken, dass sich auf dem Stadtgebiet bereits in römischer Zeit eine Siedlung befand. Antike Quellen bezeichnen die Landschaft rund um die heutige Stadt als Theranda, wovon sich der Name Tirana abgeleitet haben mag.
Die unter Molla Beg, dem Enkel des Stadtgründers, und seinem Sohn Et’hem errichtete Et’hem-Bey-Moschee und der Uhrturm stehen für die wachsende Bedeutung Tiranas im 19. Jahrhundert. Mit den Toptanis zog damals eines der führenden albanischen Adelsgeschlechter in die Stadt und stritt fortan mit den Bargjinis um die Vorherrschaft. Auch einige Konsuln der europäischen Mächte verbrachten den Sommer lieber hier als im feuchtheißen, malariaverseuchten Durrës.
Mutter-Teresa-Airport, Tirana
Dank der zentralen Lage etwa in der Mitte des Landes wurde Tirana 1920 zur Hauptstadt des unabhängigen Albaniens bestimmt. Allerdings fehlte der Kleinstadt die notwenige Infrastruktur. Parlament und Ministerien mussten sich in den wenigen größeren Wohnhäusern einrichten, es gab keine Kanalisation, kaum befestigte Straßen und eine unzureichende Stromversorgung. Den ersten Entwurf eines hauptstadtgemäßen Stadtbilds lieferte der Italiener Armando Brasini, ein Zeitgenosse und Geistesverwandter des Hitler-Architekten Albert Speer. Brasini sah davon ab, das alte, „orientalische“ Tirana umzubauen, was ja den weitgehenden Kahlschlag bedeutet hätte, sondern plante auf dem freien Feld südlich der Altstadt einen monumentalen „Platz der Ministerien“ (heute Skanderbeg-Platz) samt südwärts führendem Boulevard zum „Platz der Präsidentschaftskanzlei“ (Mutter-Teresa-Platz), allesamt bebaut in neoklassischer und imperialer Grandeur.
Zwischen Blutrache und Völkerbund: Tirana im Jahre 1927
Diese verschleierten Frauen, diese hunderte herrenloser Hunde, die der Wind an der Leine führt, diese Fese auf den fetten Köpfen und die Turbane über bärtigen Gesichtern, diese farbigen Ansichtskarten-Bluträcher mit dem Trommelrevolver statt des Bauches, mit dem Gewehr statt des Regenschirms - alle diese Geld verdienenden, Geschäfte machenden, in den Ämtern Bestechungen vermittelnden exotischen Philister sind überzählig und jenseits der Zeit. Es gibt nichts Langweiligeres als sogenannte Volkssitten, die schon in den Leichenkammern der Ethnologie, in den Büchern und Seminarien seit dreißig Jahren seziert und immer noch spazieren geführt werden, als wären sie lebendig. Schon gibt es im Parlament eine Präsidentenloge, mit einer Glocke, mit Papier für Interpellationen, mit einer Pressetribüne; schon gibt es eine Bank mit italienischen, langsamen Beamten, mit Kursen, aufgespießt auf Tafeln wie Schmetterlinge, mit einem Direktor, der Transaktionen hingegeben ist. Schon trägt der Wirt meines Hotels in der ledernen Pistolentasche Kleingeld, auf seinem Büfett sammeln sich die ersten Schwalben der Zivilisation, Gießhübler, Whisky, Wermut, Fernet Branca. Zusammen mit den Goldplomben und dem New Yorker Slang, der Halbbildung und den Mandolinen der aus Amerika Zurückgekehrten, zusammen mit den Ford-Autos, die an zertrümmerte Leierkästen gemahnen, bilden sie den Übergang von der nationalen Kultur zur Forderung auf staatliche Selbstständigkeit. Albanien ist just auf dem Weg von der Blutrache zum Völkerbund.
Joseph Roth, Frankfurter Zeitung vom 29. 5. 1927
Auch wenn Brasinis grandioser Plan allein aus Geldmangel nie umgesetzt wurde, folgte die Stadtentwicklung doch seiner Grundidee. Italienische Architekten gestalteten den Skanderbeg-Platz, den Mutter-Teresa-Platz und den die beiden Plätze verbindenden Boulevard. In Ismail Kadares Roman Der General der toten Armee vergleicht der Protagonist den Grundriss mit einem Liktorenbündel, dem Symbol des italienischen Faschismus: Der Boulevard als Griff, das Stadion als Schneide und die Kunsthochschule als scharfer, hinterer Teil des Beils. Die an sowjetischen Vorbildern orientierte Architektur des Hoxha-Regimes fügt sich dann gut in das von den Faschisten hinterlassene Ensemble. Die Architektur der Gegenwart, soweit sie über Zweck- und Protzbauten hinaus einen ästhetischen Anspruch erhebt, ist im Zentrum nur mit solitären Hochhaustürmen präsent, verlängert den Boulevard aber ganz im Norden der Innenstadt, wo sich früher der Bahnhof befand, mit einem Ensemble noch im Bau befindlicher Stahl- und Glaspaläste.
Die Einwohnerzahl wuchs von 1938 nur 25.000 bis 1990 auf 250.000 Menschen. Der nach dem Ende der Diktatur ungebremste Zuzug aus den ländlichen Regionen ließ die Bevölkerung weiter anschwellen, so dass heute, rechnet man die Vorstädte dazu, etwa 600.000 Menschen in Tirana leben; viele davon in informellen, den türkischen Gecekondus vergleichbaren Quartieren, schnell und billig gebaut auf früherem Ackerland, das mit dem Ende des Kommunismus herrenlos geworden war. Hier, abseits des properen Stadtzentrums, fehlt es an Schulen und Busverbindungen, fließt das Trinkwasser nur stundenweise.
Die Innenstadt indes hat sich von der in den Jahren nach der politischen Wende herrschenden Anarchie und Gesetzlosigkeit gut erholt - und verdankt dies maßgeblich dem Bürgermeister (2000-2011) und späteren Ministerpräsidenten Edi Rama. Unter seiner Ägide ersetzten Neupflanzungen die illegal abgeholzten und verfeuerten Bäume. Die auf den Freiflächen errichten Buden und Hütten wurden beseitigt. Die Müllabfuhr funktioniert wieder und statt der nicht immer verkehrssicheren Kleinbusse privater Chauffeure transportieren heute städtische Busse die Menschen nach Fahrplan durch Tirana. Noch immer augenfällig sind die poppig-bunten Fassadenanstriche, mit denen der gelernte Kunstmaler Rama seine Stadt aufhübschen ließ. Leider ist mancherorts die frische Farbe bereits wieder verblasst.
Skanderbeg-Platz (Sheshi Skanderbeg)
Mit der ich-weiß-nicht-wievielten Umgestaltung wurde der Skanderbeg-Platz nun wieder den Fußgängern zurückgegeben, denen er bereits unter der Hoxha-Diktatur gehörte - damals gab es ja kaum Autos. Der Platz besteht aus einer weiten, von Bäumen eingefassten Freifläche im Norden, die sich zum abendlichen Xhiro mit prallem Leben füllt, und einem ovalen, innen als Rasenfläche angelegten Südteil zwischen Skanderbeg-Denkmal und den von Florestano di Fausto 1926-36 im Stil italienischer Renaissancepalazzi geplanten Regierungsgebäuden. Die Freifläche, unter der sich eine Tiefgarage befindet, ist zur Mitte hin leicht pyramidenartig aufgefaltet und wird im Sommer mit aus Schlitzen quellendem, über den Plattenbelag strömendem Wasser gekühlt. Im Bereich vor der Nationalbank (Banka e Shqipërisë, errichtet 1938) und dem im Ersten Weltkrieg als Casino für die österreichisch-ungarischen Offiziere gebauten Kindertheater (Teatri Kombëtar i Fëmijevë) stehen noch ein paar ältere Baumriesen. In ihrem Schatten planschen Kinder zwischen wechselnd aus dem Boden sprudelnden und abends bunt beleuchteten Wasserspielen. Im Zentrum des Platzes trabt die von Odhise Paskali 1968 zum 500. Geburtstag Skanderbegs geschaffene Reiterstatue. Vor Skanderbeg wachte ein Standbild von Josef Stalin im Zentrum des Geschehens, das dann an den weniger prominenten Platz vor der Nationalgalerie umgesetzt wurde.
Vier Epochen am Skanderbeg-Platz
Das Nationalmuseumerkennt man leicht an seinem übergroßen Mosaik an der Eingangsfront. Davor, wo heute ein Park im Wachsen ist, schritt Enver Hoxha im wehenden Mantel voran. Der Sturz seiner goldglänzenden Monumentalstatue, gut ein Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer von einer aufgebrachten Menge vollzogen, symbolisierte das Ende des kommunistischen Albanien. Der in den 1960ern an der Stelle des alten Basarviertels gebaute Kulturpalast (Pallati i Kulturës) mit seinem mächtigen Portikus war ein Geschenk der Sowjetunion. Einen Akzent der sozialistischen Moderne setzt der 1979 vollendete Plattenbau des Hotel Tirana International. Entworfen von Valentina Pistoli, Albaniens erster Architektin, war es das erste und lange einzige Hochhaus der Stadt.
Hinter dem Hotel steht an der Ecke Dibra- und Bardhok-Biba-Straße ein anderes Architekturdenkmal der sozialistischen Moderne: Der Kubistische Palast (Pallati me Kuba), ein fünfgeschossiges Wohngebäude mit Ladenzeile und den markanten, vorkragenden Balkonen und Erkern, wurde 1975 fertiggestellt - und brachte den Architekten Maks...