Am Anfang war der Fjord (eBook)

Meine Reise im Ruderboot durch Norwegens längsten Fjord
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
192 Seiten
Polyglott, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag
978-3-8464-1005-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Am Anfang war der Fjord -  Sigri Sandberg
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'Ein tiefgründiges Abenteuer auf dem längsten Fjord Norwegens' CARMEN ROHRBACH 'Je mehr die Welt und ich am seidenen Faden zu hängen scheinen, desto wichtiger erscheint es mir, in einer Landschaft zu atmen, die ich einst kannte, den Wind zu spüren, den Blick auf das endlose Wasser zu richten, die Ruder zu heben und den Rest des Fjords kennenzulernen, nach Hause zu finden, bevor mir die Zeit davonläuft.'  Am Anfang ihrer 200 Kilometer langen Reise stellt Sigri Sandberg sich die Frage, was Heimat ist und was es eigentlich bedeutet, irgendwo hinzugehören. Auf ihrer Suche nach Antworten rudert sie in einem alten traditionellen Holzboot den Sognefjord entlang, mit unterschiedlichen Begleitern, von der Mündung, wo sie als Kind zu Hause war, bis zu dem Apfelgut im Landesinneren, auf dem sie die meiste Zeit im Jahr arbeitet. Eine wunderschöne Reisegeschichte, die uns tief in die Natur und Geschichten des Fjords eintauchen lässt und mit jedem Ruderschlag näher ans Herz rückt.

Sigri Sandberg ist norwegische Journalistin und Sachbuchautorin, die vor allem über Polarregionen, das Leben in der Natur und das Klima schreibt. Sie hat Journalismus an der Universität Oslo studiert und lebt in Svalbard. Ihr letztes Buch 'An Ode to Darkness' (2019) wurde in 10 Sprachen übersetzt und erschien im August 2022 unter dem Titel 'Dunkelheit' bei Goldmann.

Sigri Sandberg ist norwegische Journalistin und Sachbuchautorin, die vor allem über Polarregionen, das Leben in der Natur und das Klima schreibt. Sie hat Journalismus an der Universität Oslo studiert und lebt in Svalbard. Ihr letztes Buch "An Ode to Darkness" (2019) wurde in 10 Sprachen übersetzt und erschien im August 2022 unter dem Titel "Dunkelheit" bei Goldmann.

Hinweis zur Optimierung
Impressum
Der Sognefjord
Vorwort
1 Vor der Reise – eine Winternotiz
2 Frühling am Meer
3 Zwischenspiel – Frühling in Luster
4 Eine Nacht im Nordwesten
5 Sommer in der Fjordmitte
6 Zwischenspiel – Sommer in Luster
7 Herbst und Ende des Fjords
Quellen
Dank
Über die Autorin
Leseprobe
Neugierig geworden?

2 Frühling am Meer


Stimmt es, dass wir alle ständig Sehnsucht haben? Vielleicht nicht ständig, aber hin und wieder? Kann man sich nach einer Stadt, einem Dorf oder Land sehnen, das man nicht kennt, egal ob im Norden oder Süden, Osten oder Westen?

Vielleicht sind wir oder unsere Eltern dort aufgewachsen oder haben dort Urlaub gemacht, jedenfalls sind uns diese Berge, Straßen, Wälder, Inseln oder Strände ans Herz gewachsen. Vielleicht können wir nicht mehr an diesen Ort, weshalb auch immer, doch verbinden wir mit den Felsen und Klippen Erinnerungen, sodass sie – natürlich ganz objektiv gesehen und jeder Vernunft trotzend – für uns die allerschönsten Plätze der Welt bedeuten.

Wird dieser Sog stärker, wenn wir altern und unser Körper mehr Raum für Nostalgie bietet – oder eher schwächer? Vielleicht kehren wir nie mehr an diesen Ort zurück, nicht mal für ein paar Tage Urlaub.

Mit neun zog ich mit meiner Familie von Bergen nach Eivindvik, neun Jahre später wieder zurück nach Bergen. Unsere Verwandtschaft hat nie dort gelebt, und auch meine Kumpels von damals sind weggezogen, also war ich seit unserem Umzug 1993 nur wenige Male in der Stadt; mal für eine Lesung, ein andermal auf Kurzurlaub mit meinem Mann. Wir unternahmen eine Sommerwanderung von einer Lichtung namens Krossteigen hinauf, vorbei an Vassverket in Richtung Høgefjell. Wir passierten bucklige Bergrücken, und es fühlte sich an, als ob die Wege und Blicke etwas ganz Authentisches, etwas Ursprüngliches ausstrahlten. So ist alles, so soll alles bleiben, dies ist der Ausgangspunkt, der nicht verändert werden darf, alles soll bleiben wie in unserer Kindheit.

Doch als mein Mann später fragte, ob wir hierherziehen sollten, lehnte ich ab. Ob es wohl am Regen oder dem Mangel an Familie in der Nähe liegt oder daran, dass sich doch so einiges verändert hat, oder daran, dass ich jetzt eine andere bin, nicht mehr die kleine Pastorinnentochter?

Fast alle Zellen und Gedanken meines Körpers wurden ersetzt, seit wir damals mit Papa diese Wege hinaufrannten, auf Felsen saßen, in die Berge gingen, bei Regen, Wind und Hitze unsere Namen in die kleinen Gipfelbücher kritzelten, die in Einmachgläsern neben Gipfelkreuzen aufbewahrt wurden. Sammelten wir 50 Punkte, bekamen wir im Herbst einen Pokal vom Leichtathletikverein verliehen.

Wegen der niedrigen Baumgrenze konnten wir im Norden bis Solund und östlich landeinwärts den Sognefjord sehen. Nordöstlich lagen glatte Felshänge an der Küste, zu denen wir im Sommer gern mit dem Boot fuhren. Manchmal schickte Mutter uns zu einem der Höfe hinter der Schule, und ich musste beim Kuhmelken und Stallausmisten helfen; wir sollten nicht die Art von Stadtkindern sein, die bei Mistgeruch die Nase rümpfen. Einmal erzählte ich meinem Mann von meinem ersten Schultag: Es war Frühling, und sieben Kinder standen in Reih und Glied vor dem Klassenzimmer, bis die Lehrerin mit ihrem riesigen Schlüsselbund ankam. Sie trug einen gestreiften Rock und hatte kurze, graue Haare, stellte alle vor und erklärte, dass Monika mit dem Boot zur Schule kam, Anita mit dem Bus fuhr und Lena in Eivindvik wohnte. Dann wuschelte sie einem der Jungen durchs Haar und sagte: »Und dieser Lockenkopf hier heißt ›Pitte‹ Daniel.«

Petter Daniel war mein Nachbar, Heges Bruder, mit der ich viel Zeit verbrachte. Sie war ein Jahr älter als ich und Torhüterin in der hiesigen Fußballmannschaft.

Ich war von der Stadt Bergen zu meinen Großeltern und Geschwistern weggezogen. Ich fragte meinen Norwegischlehrer, ob ich in Bokmål schreiben könnte, das ich in Bergen gesprochen und geschrieben hatte. Bokmål ist die größere der beiden offiziellen norwegischen Sprachen. Die zweite heißt Nynorsk, »Neues Norwegisch«, und basiert auf den vielen Dialekten, die auf dem Land gesprochen werden.

»Nein. Hier schreiben wir Nynorsk«, lautete seine Antwort.

Also tat ich das. Ich hörte zu, wie die anderen sprachen, und versuchte, es beim Schreiben nachzuahmen. Ich fing an, affektiert zu sprechen und auf die Stadtbewohner herabzusehen, wenn sie im Sommer in unser Dorf eindrangen.

Der Berg Høgefjell liegt 396 Meter über dem Meeresspiegel und ermöglicht den Blick über all die kleinen Inseln bis zum offenen Meer. Sobald ich den Ozean erblicke, spüre ich, wie stark meine Sehnsucht nach ihm gewesen ist. So ist es immer: Ich nehme das Gefühl nicht ernst, bis es mir in den Allerwertesten beißt und durch Mark und Bein fährt.

»Vielleicht könnten wir morgen vor dem Aufbruch eine kleine Wanderung unternehmen?«, frage ich im Zug gen Westen.

»Vielleicht sollten wir uns lieber auf das Rudern und unsere Reise konzentrieren«, antwortet mein Mann.

Damit hat er natürlich recht. Es regnet ohne Unterlass, auch als wir die alte Kreisgrenze überqueren, an der früher Sogn und Fjordane begann. Die Gemeinde Gulen besteht aus Bergen, Inselchen, Schären und einigen kleinen, schmalen Fjorden und liegt an der Mündung des Sognefjords zwischen dem Fensfjord und der Meerenge Sognesjøen. Es regnet im Dorf Instefjord, in Brekke, in Takle und Bålen und hört erst in Ruledal auf.

Die Straße, auf der wir fahren, ist noch schmaler geworden, als sie es damals war, als wir auf ihr querfeldein liefen, um zum Geländelauf oder Fußballtraining zu kommen. In der gesamten Gemeinde konnten wir nur neun Spielerinnen aufstellen, doch das Team hielt sich recht passabel. Diese Straße nahmen wir auch zur Kirche in Brekke, zum 4H-Camp oder auf Ausflügen mit der Blaskapelle.

All dies erzähle ich meinem Mann, ich rede und rede und merke selbst, dass nicht alle diese Details mitteilenswert sind … oder sind sie es, sollten aber noch mehr als Geschichte erzählt werden?

IN DER KINDHEIT ANGEKOMMEN

Wir fahren entlang der Meerenge Sognesjøen, an der Stadt Dingja vorbei, auf einer Straße, die nach meinem Wegzug gebaut wurde. Der Himmel zeigt sich im Nordwesten gelb, das Meer – auf dem wir morgen hoffentlich losrudern – liegt friedlich vor uns. Früher nahmen wir das Motorboot hierher, schwammen bei Sonne, fischten bei Regen Makrelen und Kabeljau oder nur winzige Köhler, Vater legte Krabbennetze aus. Wir erreichen Grønevika und Solleibotn, passieren eine neue Siedlung und kommen an. In Eivindvik.

Norwegens Nationalpoet Henrik Wergeland reiste im Sommer 1832 über die Küstenstraße nach Eivindvik und schrieb ein Gedicht mit dem Titel »Eivindvig«, mit dem ich aufwuchs und das ich auswendig lernen musste. Ich zitiere ein paar mir noch erinnerliche Zeilen:

Nieder mit dem Segel! Rein, wo Fels säumt!

Weiter hinein, wo sich unter Korn aufbäumt,

wo Eivindvig leis‘ träumt!

Rein, um Hafer und Roggen zu blicken,

trocken hängend an steilen Bergrücken,

bleib gesund, mein Freund!

[…]

Da färbt sich das schwarze Moor goldgelb,

der Tempel wird vom Klang der Töne erhellt

dem süßen Klang von Engelsflügeln,

unter deren Trachten Zauber,

Brot aus Stein und viel Gebrauer,

Leid in Eivindvigen zügeln

Damals tat es Henrik, heute erzähle ich vom Fjord, seinen Menschen und allem, was ist und war. Denn wir fahren durch das Dorf, vorbei an Krossteigen, benannt nach einem alten Steinkreuz, das der heilige Olaf dort während der christlichen Missionierung Norwegens aufgestellt haben soll. Einige behaupten, dass sich hier das alte Gulating befand, die erste gesetzgebende Versammlung Norwegens, während andere meinen, es habe mehrere Kilometer weit weg in Flolid stattgefunden.

Auf der Karte erkennst du, welch sicherer Hafen das Küstenkreuzungsdorf Eivindvik ist. Als der Fjord und das Meer eine Durchzugsstraße bildeten, galt diese Umgebung als Knotenpunkt für die, die von Osten und vom Fjord kamen, aber auch für die, die gen Norden nach Bergen reisten.

Aus diesem Grund kamen bewaffnete, freie Männer zum Gulating zusammen, um Streitigkeiten beizulegen, Gesetze zu beschließen und darüber zu diskutieren, wie die Nation am besten verteidigt und aufgebaut werden könne. Aus allen Richtungen segelten und ruderten sie herbei, wobei das Festland Menschen trennte und das Meer sie verband.

Es gibt Hinweise darauf, dass sich hier schon lange vor dem Jahr 900 und bis ins 14. Jahrhundert, als das Gulating nach Bergen verlegt wurde, Menschen versammelten. Das Gesetz des Gulating gilt als ältestes erhaltenes Gesetzeswerk Skandinaviens, sodass Island es 930 n. Chr. als Vorlage für sein Althing nutzte – das älteste noch erhaltene Parlament der Welt.

Wir fahren an der ehemaligen Pfarrgemeinde meiner Mutter vorbei, in der sie im Frühjahr meiner Konfirmation unter ihrem strahlend weißen Pastorinnenkleid ihren Babybauch mit meinem Bruder darin versteckte. Ich hatte eine frische Dauerwelle und sah aus wie ein Schaf. Die Kirche und die Berge rundherum stehen weiterhin da, obwohl sich seit meinem Weggang viel verändert hat. Meine ehemaligen Schulkameradinnen zogen allesamt weg, zumeist in weit entfernte Internate, um die Oberstufe zu besuchen. Manche kehrten zurück, andere starben. Ganz schön überwältigend, was sich alles getan hat; die neue Wohnsiedlung, dass der Junge, der mich in der achten Klasse geküsst hat, mittlerweile Großvater ist, dass einer, der mit mir ins Sommercamp fuhr, inzwischen unsere Lehrerin geheiratet hat, dass ein Weggezogener Schauspieler und ein anderer Popstar wurde. Und all diese Menschen existieren mit ihren alten und neuen Ichs weiter, kaum zu fassen, aber ich war nicht hier, also nehme ich an, dass mein Körper nichts davon verinnerlichen konnte. Hier existiert also ein 28 Jahre altes Loch, das ich nicht wirklich zu füllen weiß. Was mache ich eigentlich hier? Suche ich nach erhellenden Zeichen, warum mein Leben nicht lief wie...

Erscheint lt. Verlag 4.9.2023
Reihe/Serie POLYGLOTT Abenteuer und Reiseberichte
Übersetzer Daniela Syczek
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Europa
Reisen Reiseführer Europa
Schlagworte Abenteuerurlaub • an die Grenzen gehen • Bootsreise • Bootstrip • Erlebnisbericht • Extremsport • Natur erleben • Nordische Länder • Norwegen Reiseabenteuer • Outdoor • Paddelboot • Reisebericht • Reiseinspiration • Reiseliteratur • Reisen in Skandinavien • Ruderboot • Rudern • Sognefjord
ISBN-10 3-8464-1005-5 / 3846410055
ISBN-13 978-3-8464-1005-9 / 9783846410059
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