Elementarwellen (eBook)

»Rau und stürmisch trifft einen das Buch ins Mark.« Raynor Winn, Autorin des SPIEGEL-Bestsellers »Der Salzpfad«

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
352 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0599-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Elementarwellen - Tamsin Calidas
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»Rau und stürmisch trifft einen das Buch ins Mark.«

Raynor Winn, Autorin des Bestsellers »Der Salzpfad«

Zusammen mit ihrem Freund zieht Tamsin auf eine Insel der Äußeren Hebriden. Sie hat genug von der hektischen Großstadt London, sehnt sich nach Ruhe und wünscht sich eine Familie. Doch die Inselbewohner stehen den Neuankömmlingen feindlich gegenüber, vor allem Tamsin. Auch die ersehnte Schwangerschaft klappt nicht, ihr Freund betrügt sie und lässt sie allein und mittelos auf der Insel zurück.

Schritt für Schritt kämpft sich Tamsin zurück in ihr Leben und beginnt, aus der rauen Landschaft Kraft zu schöpfen. Sie schwimmt täglich im kalten Atlantik, renoviert ihr Haus und ernährt sich aus dem eigenen Garten. Der Feindseligkeit der Inselbewohner begegnet sie mit erodierender Widerstandskraft. Nie wieder möchte sie fort, die Insel wird zu ihrem existenziellen Zuhause.


»Eine mutige und kraftspendende Lektüre.«

Amy Liptrot, Autorin von »Nachtlichter«

»Eindrucksvoll und fühlbar. Eine Geschichte, die nach Meersalz schmeckt.«

The Sunday Times

»Eine Hymne auf die wilde Schönheit der Hebriden.«

Vogue UK



Tamsin Calidas ist eine britische Autorin und Fotografin. Sie hat in der Werbung, im Verlagswesen und für die BBC in London gearbeitet, bevor sie 2004 alles aufgab, um auf eine kleine, abgeschiedene Insel der Äußeren Hebriden zu ziehen. Dort lebt sie auf einem Croft und betreibt eine Pferde- und Schafzucht.

1


Möwen

Wer in Oban ankommt, sieht als Allererstes das graue Meer

und eine schmale Bucht, die sich in den schützenden Arm des tief liegenden Hafens schmiegt. Aus der Ferne wirkt die See merkwürdig zäh, eine unförmige Wassermasse, rastlos und schwerfällig. Ein Schritt in Richtung der Fischerboote und der mächtig aufragenden Schiffe, und man riecht den gewellten, dunkel metallischen Ölfilm und den Diesel, der in sich kräuselnden Kanälen abfließt, die entstehen, wenn die Boote anlegen, an die Kais gezogen und dort sicher vertäut werden.

Das Geräusch der Wellen unterscheidet sich kaum vom Verkehrsrauschen in der City. Doch sobald man den Blick hebt und das Salz der frischen Luft schmeckt, wird einem klar, dass dieser Himmel anders als alles ist, was man zurückgelassen hat, schillernd und unbeständig. Wer darauf horcht, kann das Lachen der Möwen hören. Und jenseits davon den eindringlichen Ruf der Wildgänse, die sich in tiefer V-Formation auf ihren Weg machen.

Sich neu auszurichten und den richtigen Ort für sich zu finden ist ein außergewöhnlicher Moment. Seit Jahren hatte ich davon geträumt, auf einen rauen, weiten Horizont zu schauen – seit ich im Flur meiner Wohnung eine alte Karte von Schottland aufgehängt hatte. Sie erstreckte sich über eine komplette schmale Wand. Immer wenn ich an ihr vorüberging, streifte sie mein Blick und wurde aufgrund des Winkels jedes Mal in die Lücke zwischen den Landmassen geleitet. Es geschieht immer in diesem Transit, im Übergang von einem Ort zum nächsten, dass sich das Herz öffnet und alle Träume ihren Anfang nehmen. Ich drückte meine Nase gegen das dicke Papier, atmete seinen dumpfen Geruch ein, während mein Finger die zerklüfteten Küstenlinien der vielen verstreuten Hebrideninseln nachzeichnete, die sich im Minch, der Nordsee und dem Little Minch gegen die kräftigen Gezeiten des Atlantiks stemmten, bis hinauf zu den gewundenen Fjorden des Nordmeers. In diesen Momenten, mit geschlossenen Augen, verschwanden der lärmende Verkehr, die auf der Straße hallenden Rufe und meine türenknallenden Nachbarn in einer Böe kalter Gischt in den dicken, wirbelnden Kronen der Sturzwellen, die die salzige Luft durchnässten, während die Möwen mit ihrem klagenden Schrei den Himmel zerschnitten.

Forderten mich diese imposanten Vögel heraus, zumindest von einem wilderen Leben zu träumen, wenn ich ihnen schon nicht folgen konnte? Ich weiß nicht, was Möwen an sich haben, dass sie unseren Blick dazu einladen, sich vom Horizont zu lösen und nach einem Himmel dahinter Ausschau zu halten, der sich jenseits unserer unmittelbaren Umgebung erstreckt. Immer wenn ich ihre wehklagenden Schreie höre, verfängt sich mein Herz und wagt es, sich treiben zu lassen. Es ist, als würde sich etwas in meinem Innern losmachen, die feinen Bande und engmaschigen Netze entwirren, die einen an ein Leben binden, von dem man weiß, dass es zu eng ist. Manchmal erschrak ich, wenn ich die Augen öffnete und das zerknitterte Papier wahrnahm, fest an die Haut meiner Wange gepresst. Dann ging ich schnell zur Tür, riss sie auf und stand da, mit erhobenem Blick und angespannten Schultern, und schaute in den dünnen, blassblauen Himmel über den Autos und Bussen. Ich hörte die Möwen und sah sie weit in der Ferne schweben, versprengte weiße Lichtverwehungen, die hoch über der City kreisten. Mein Kompass, inmitten eines blauen Orbits, der sämtliche Kontinente und Orte umfasste, zog mich und führte mich geradewegs von Londons Zentrum nach Oban und zu ebendiesen wellenumtosten Inseln, die von ihrem rastlosen Meer umspült wurden.

Auf Obans regennasser Promenade zittert die Nadel.

»Also, was meinst du?«

»Hmm?«, frage ich und schlage den Jackenkragen hoch bis unter die Ohren.

»Hier.«

Als ich zu meinem Mann Rab schaue, wedelt er mit einer aufgeweichten Zeitung. Wir drängen uns in einem schmalen Hauseingang aneinander wie Frischvermählte, nur ist die Umklammerung eher der Not als unserem Verlangen geschuldet. Atemlos versuchen wir, Wind und Regen zu entkommen. Wir zittern in unseren viel zu dünnen Jacken, bis auf die Haut durchnässt, das kalte Gemäuer bietet kaum Schutz vor einem dieser sintflutartigen Wolkenbrüche, wie ihn das Obaner Wetterrepertoire, das werden wir schon bald lernen, regelmäßig zu bieten hat. Der Regen kommt wie aus dem Nichts, als hätte der Himmel mit einem Mal seine Schleusen geöffnet. Die ganze graue Promenade ist beherrscht von den Wassermassen, sie klatschen auf die schimmernden Gehsteige und spritzen von dort wieder hoch auf alles, was sich in ihrem Umkreis befindet. Ein beeindruckender Schauer und ein unerbittlicher Guss. Ich fühle, wie meine Zehen schrumpelig werden, blutleer und durchgefroren in meinen Schuhen.

Als der Wind Rab beinahe die Zeitung aus der Hand weht, rennen wir los, quer über die Straße in ein verrauchtes Gasthaus, in dem es durch und durch nach Torf riecht, wir lachen, unsere Jeans klatschnass. Als wir die Tür öffnen, stolpern wir in eine andere Zeit, eine andere Welt. Alles ist aus Holz, kuschelig warm, von kleinen Petroleumlampen erleuchtet. Als ich aus dem Fenster auf die Boote sehe, kommt mir plötzlich der Gedanke, dass mich keine Familie, Verwandte oder Freunde an diesen Ort binden. Ein ungewohntes, seltsam befreiendes Gefühl. Der Himmel verdunkelt sich bereits, wird an seinen Rändern tiefblau, und so halten sich die Augen an das Licht und blinzeln, überrascht über die Erkenntnis, dass sie weit weg von zu Hause sind. Doch trotz der langen ermüdenden Fahrt bin ich aufgeregt, denn mir wird plötzlich klar, dass Schottland ein anderes, lebendiges Land ist, dass uns nun eine ganze Welt von den Zwängen unseres Londoner Daseins trennt. Manchmal kann sich das Leben beengt anfühlen, als trüge man einen Pullover, der im Laufe der Zeit zu klein geworden ist, in dem man sich nicht bewegen kann. Man will sich strecken und ihn abstreifen. Jahrelang hatte ich mir insgeheim gewünscht, den letzten Faden abzureißen. Und jetzt, noch immer kribbelig von dem kalten Wind, der sich draußen um mich gelegt hatte, fühle ich mich unerwartet wach und aufgekratzt. Veränderung ist frisch, messerscharf und vitalisierend. Man zittert vor Aufregung und Kälte.

»Also, was meinst du?«, fragt Rab noch einmal, eine halbe Stunde später, als uns an der Theke zwei Dram Whisky eingegossen werden, die im sanften Licht bernsteinfarben funkeln. Er legt die Hand um das stumpfe Glas.

»Ich glaube, ich könnte mich an das hier gewöhnen«, antworte ich mit glänzenden Augen. Nervös nehme ich einen Schluck von dem Whisky und spüre, wie mich seine Wärme durchflutet. Mit einem Mal kommt es mir gleichzeitig traumgleich und Furcht einflößend real vor, dass wir uns getraut haben, uns in ein anderes Leben aufzumachen. Mir ist immer noch kalt, die Jeans klebt mir an den Beinen, meine Haare sind nass, Wasser tropft in meine Augen.

»Hier, wirf da mal einen Blick drauf.« Rab reicht mir das Stück Zeitung. Es ist so dünn und feucht, dass es am Rand schon einreißt. Ich lege es hin und streiche die Seite vorsichtig glatt. An manchen Stellen ist die Druckerschwärze verlaufen. Und dann sehe ich es.

Die Annonce ist klein, darin ein briefmarkengroßes Foto von einem verfallenen, verwahrlosten Grundstück auf einer Insel. Seit Jahren träume ich von den Wellen und dem wilden Horizont, und da sind sie nun.

Sämtliche Details waren verschwommen, doch ich wusste, dass es eine dieser glücklichen Fügungen war, die ein Leben für immer verändern können. Dieser offene Himmel und das Cottage, die Anbauten und die darbenden Felder sprachen zu mir. Vielleicht war es die Aura stiller Verlassenheit, die mich augenblicklich anzog. Ich stellte mein Glas ab und spürte, wie sich etwas in mir löste.

Sag noch nichts, dachte ich und wünschte mir Rabs Schweigen. Mit angehaltenem Atem ballte ich meine Finger zu Fäusten. In meinem Herzen hatte ich keinen Zweifel. In meinem Kopf wusste ich, dass es perfekt war. Abgesehen von einem Haken: Es lag auf einer Insel. Und auf einer Insel zu leben, so hatten wir uns geschworen, war das eine, was wir niemals tun würden.

»Tja, das wäre perfekt, was?«, bricht Rab schließlich das Schweigen. Wir sehen einander an. Dann wenden wir den Blick ab. Wir beide wissen, was wir nicht aussprechen. Ich sage es zuerst, wiederhole unseren Schwur.

»Nicht auf einer Insel.« Ich verziehe das Gesicht. »Das ist zu abgeschieden. Unpraktisch, macht alles komplizierter, unmöglich, Arbeit zu finden. Und wie sollen wir uns dort integrieren? Kannst du dir vorstellen, auf einer Insel zu leben?« Mein Blick wandert zur Decke, und ich schüttle den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Eine Insel ist zu einsam.«

»Okay, also das Nächste.« Rab zuckt mit den Achseln und blättert um. Doch es gibt kein Nächstes, nichts, was unsere Neugier weckt.

Wir bleiben noch eine Weile in der Kneipe, ins Gespräch vertieft, schmieden Ideen. Als ich aus dem Fenster sehe, klart der Himmel auf. Dort draußen, in diesem Meer, liegen all diese Inseln. Und auf einer, ein wenig abseits von allen anderen, steht ein kleines verfallenes Gehöft leer, das nur darauf wartet, von jemandem geliebt zu werden, von jemandem gefunden zu werden, damit es endlich ein Zuhause werden kann. Ich versuche, nicht daran zu denken, doch es bahnt sich immer wieder den Weg zurück in meine Gedanken, wie um mich zu finden. Während ich die dunklen Wogen betrachte, weiß ich, dass irgendeine neue Richtung uns erwartet. Und auch wenn es keinen Sinn ergibt, fühlt es sich so an, als würden wir, genau wie die Gänse, einem wilderen Anblick oder dem Ruf unseres Herzens folgen, um irgendwie den Weg nach Hause...

Erscheint lt. Verlag 25.7.2023
Übersetzer Dietlind Falk
Sprache deutsch
Original-Titel I am an Island
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Reisen Reiseführer Europa
Schlagworte alleine glücklich sein • atemberaubende Natur • Auf eine Insel ziehen • Äußere Hebriden • Benjamin Myers • einsame Inseln in Europa • Einsamkeit • Elementarkräfte der Natur • Geschichte einer Trennung • Leben auf einer Insel • Naturerlebnis • Nature writing • Offene See • Rauheit der Natur • Raynor Winn • Schottlands Inseln • stürmische See • Widerstandkraft der Natur • Wilder Atlantik
ISBN-10 3-7499-0599-1 / 3749905991
ISBN-13 978-3-7499-0599-7 / 9783749905997
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