Mein Leben als Ziege (eBook)

'Ein tierisch witziges und kluges Buch!' Wigald Boning
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
320 Seiten
Polyglott, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag
978-3-8464-0981-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein Leben als Ziege -  Thomas Thwaites
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 Thomas Thwaites, freier Designer und fest angestellter Dogsitter, ist Anfang Dreißig und steckt in der Krise. Seine Freunde benehmen sich zunehmend wie Erwachsene, während Thwaites immer noch zu Hause seinem Vater auf der Tasche sitzt. Glücklicherweise bietet ein Forschungsstipendium den perfekten Ausweg: die Chance, sich von den Komplikationen des Menschseins zu erholen. Alles was er dafür tun muss: sich in eine Ziege verwandeln. Was folgt, ist eine urkomische und surreale Reise durch Technik, Design und Psychologie, bei der Thwaites Neurowissenschaftler, Tierverhaltensforscher, Prothetiker, Mitarbeiter von Ziegenheimen und Ziegenhirten interviewt. Auf dieser Grundlage baut er sein perfektes Ziegenkostüm - künstliche Beine, einen Helm, einen Brustschutz, einen Regenmantel von seiner Mutter und einen prothetischen Ziegenmagen, um Gras zu verdauen (mit Hilfe eines Schnellkochtopfs und eines Lagerfeuers) - bevor er sich mit einer Herde seiner Artgenossen auf vier Beinen auf den Weg über die Alpen macht. Wird er es schaffen? Werden Thwaites und seine Leser entdecken, was es wirklich bedeutet, ein Mensch zu sein? 

Thomas Thwaites bezeichnet sich selbst als 'Designer (einer eher spekulativen Art)'. Seine Projekte befassen sich mit der Natur des Menschen und den Grundlagen der Technologie. Sein Toaster-Projekt, bei dem er die Produktion eines Toasters von den Rohstoffen bis zum fertigen Produkt umsetzte, hat als TedTalk mehr als 10 Mio. Aufrufe erreicht. Derzeit entwickelt er künstliche Wurzelsysteme für Pflanzen am  Forschungszentrum Opencell in London.

Thomas Thwaites bezeichnet sich selbst als "Designer (einer eher spekulativen Art)". Seine Projekte befassen sich mit der Natur des Menschen und den Grundlagen der Technologie. Sein Toaster-Projekt, bei dem er die Produktion eines Toasters von den Rohstoffen bis zum fertigen Produkt umsetzte, hat als TedTalk mehr als 10 Mio. Aufrufe erreicht. Derzeit entwickelt er künstliche Wurzelsysteme für Pflanzen am  Forschungszentrum Opencell in London.

Hinweis zur Optimierung
Impressum
1 Seele
2 Geist
3 Körper
4 Eingeweide
5 Ziegenleben
Epilog
Danksagung
Endnoten
Ausgewählte Bibliografie

Einleitung


WATERLOO, LONDON (sonnig, aber kalt)


Die Erde dreht sich, der morgendliche Berufsverkehr ist in vollem Gange. Tripp-trapp, hasten die Menschen vorüber, klipp-klapp, die Treppe hoch, auf die Brücke, über die Themse, in die Londoner City zur Arbeit. Männer und Frauen streben entschlossen in dieselbe Richtung. Leute aus der Finanzbranche in Anzug und Krawatte, Kreative in Jackett und Jeans, IT-Typen und all jene, die nicht den kompetenten Powertypen herauskehren wollen, in Jeans und T-Shirt. Mit dem beruflichen Dresscode bei Frauen bin ich nicht so vertraut, aber ich denke, dass es etwas Ähnliches gibt, vielleicht feinere Unterscheidungsmerkmale, die mir nicht auffallen, jedenfalls nicht bewusst (eine Freundin, die mal in einem Louis-Vuitton-Geschäft gearbeitet hat, hat mir erzählt, dass die Verkäuferinnen darauf trainiert waren, eine Frau, die den Laden betrat, nach ihren Haaren zu beurteilen, nicht nach ihrem Outfit. Tadellos sitzende Frisur mit abgerissener Kleidung = exzentrische Aristokratin. Nur abgerissene Kleidung = Obdachlose).

Wie dem auch sei, ich jedenfalls gehöre nicht zu denen, die sich fröhlich auf den Weg ins Büro machen, in Jeans und T-Shirt (oder in meinem Fall eher Jackett und Jeans). Warum nicht? Weil ich eine Woche lang auf den Hund meiner Nichte aufpasse. Weil ich es zeitlich einrichten kann. Weil ich keinen (richtigen) Job habe. Und somit auch kein Büro, in das ich gehen könnte. Meine Freundin hat einen richtigen Job und steigt gerade mit klappernden Absätzen die Treppe hoch, um über die Brücke zur Arbeit zu gehen, aber ich bin vorher abgebogen, sitze vor der Filiale einer Café-Kette, den Hund zu meinen Füßen, und sehe zu, wie der Rest der Welt an mir vorbeiströmt.

Diese Szene fasst mein derzeitiges Dasein ganz gut zusammen. Andere marschieren zielstrebig vorbei, kommen weiter auf dem Weg zu ihrem Job, ihrer Karriere und was sonst noch zu ihrem Erwachsenenleben gehört, während ich vor meinem Kaffee sitze und die wichtigste Aufgabe meines Tages darin besteht, Noggin (den Hund) davon abzuhalten, dass er etwas Ekelerregendes vom Gehweg frisst. Ich bin jetzt dreiunddreißig Jahre alt, und allmählich macht es mir ein bisschen Sorgen, dass ich keinen (richtigen) Job habe – naja, wegen der Zukunft. Klar, von meiner Arbeit als freiberuflicher Designer kann ich im Moment leben, doch vielleicht muss ich ja in absehbarer Zeit eine Familie ernähren. Ich bin ein erwachsener Mann, lebe aber (de facto) noch bei meinem Vater (mein Einstieg in den hochpreisigen Londoner Immobilienmarkt steht aus). Gestern wurde mein Antrag auf Eröffnung eines Bankkontos abgelehnt (heute Morgen in einem Brief bestätigt). Und ich warte weiter auf die Antwort von diesem Personalvermittler, dem ich vor zwei Wochen meine Bewerbung geschickt habe.

Okay, okay – schon klar, verglichen mit vielen anderen bin ich ein reiches Söhnchen mit einem weitgespannten Sicherungsnetz (schließlich könnte ich ja auch für immer und ewig bei meinem Vater wohnen bleiben), was mir meine Freundin in unserem Streit gestern Abend ausführlich dargelegt hat. Allerdings hilft es mir in meiner derzeitigen Misere auch nicht weiter, als Scheckbuchhippie bezeichnet zu werden. Auf einem Sicherungsnetz kann man zwar wunderbar ein Weilchen herumhüpfen, aber wenn man im großen Zirkuszelt des Lebens ein sicheres Podest erreichen will, führt nur eine Leiter zum Ziel. Ich sollte inzwischen viel weiter oben sein, wenn ich jemals ein aufstrebender Mann mittleren Alters in komfortablen, gesicherten Verhältnissen sein will. Zumindest sollte ich das Nest verlassen haben und über eine Art geregeltes Einkommen verfügen. Ich bin dreiunddreißig, Mann! Stattdessen … nichts. Und von nichts kommt nichts. Meine Selbstachtung ist auf dem Tiefpunkt.

Ach komm, Thomas, hattest du nicht bereits Erfolg? Eines deiner Projekte (das Toaster-Projekt) wurde vom Victoria and Albert Museum erworben – für unser Land, für die Nachwelt. Um Himmels willen, das ist doch ein Plus! Und für dein Buch über das Toaster-Projekt hast du positives Feedback aus aller Welt erhalten. Noch ein Plus! Du hast eine darauf basierende, vierteilige Fernsehserie moderiert. Ein Plus mehr! Aber: Die Serie war total peinlich und wurde (zum Glück) nur in Vietnam, Australien und Korea (Südkorea, glaube ich) ausgestrahlt. Ein Minus. Das Buch muss ein Glückstreffer, ein Ausreißer gewesen sein, und du bist eine Eintagsfliege (5 × minus). Zudem ist das Toaster-Projekt vier Jahre her! Und jetzt? Du warst oben, jetzt bist du auf dem absteigenden Ast. Während du dich im Erfolg deiner Toastergeschichte gesonnt hast, haben deine Altersgenossen promoviert, Provisionen kassiert, Karriere gemacht, es nach oben geschafft. Dein ältester Freund ist inzwischen (richtiger) Doktor! Neulich musste er beim heldenhaften Versuch, einem Mann das Leben zu retten, mit bloßen Händen in dessen Brustkorb greifen und sein Herz massieren. Leider ist der Mann gestorben, aber trotzdem. Und was machst du, Thomas? Du trinkst Kaffee, wirst alt (1 × minus) und grau (10 × minus) und rettest niemandem das Leben. Es ist, als wäre ich vorn dabei gewesen, dann aber vom Gas gegangen, um anzuhalten und am Begleitgrün zu schnuppern. Nun schaue ich mich um und stelle fest: Jeder, den ich kenne, ist mit irgendwas beschäftigt, mit irgendwas Wichtigem, ist mir weit voraus, und mein Auto springt nicht mehr an. Ich stecke fest. Ich stecke fest in einem großen schwarzen Loch.

Ach Thomas, du Armer. Ich merke, wie selbstbezogen solche Gedanken sind und wie bedeutungslos angesichts der Probleme, mit denen andere kämpfen. Gott sei Dank muss ich mir nicht den Kopf darüber zerbrechen, wo meine nächste Mahlzeit herkommt. Aber das sind nun mal meine Sorgen, und sie machen mir gerade zu schaffen.

Haben eigentlich alle Menschen auf der Welt ihre eigene Konstellation von Sorgen, die wie Ebbe und Flut kommen und gehen, die davontreiben, nur um mit aller Macht zurückzukehren? Mein Neffe ist vierdreiviertel Jahre alt und macht sich Sorgen über das Sterben – nicht nur darüber, dass er sterben wird, sondern dass der Tod überhaupt existiert. Dass eines Tages seine Mutter, sein Vater, er und alle anderen unweigerlich sterben werden (eine schockierende Tatsache, wenn man es gerade erst herausgefunden hat). Ja, selbst die Queen hatte zu Lebzeiten Sorgen. Sie wurde in ein äußerst privilegiertes Leben hineingeboren. Was bereitete ihr Unbehagen? Die Bürde der Tradition? Oder die Aussichten ihres Thronerben? Mensch zu sein bedeutet Sorgen zu haben.

Noggin dagegen. Ich vermute mal, dass er Vorlieben (Essensreste auf dem Boden), Abneigungen (allein gelassen zu werden) und vielleicht sogar Wünsche für die unmittelbare Zukunft hat (könnte ich doch diesen Essensrest da drüben fressen), glaube jedoch nicht, dass er sich Sorgen macht. In allen anderen wesentlichen Aspekten gleichen sich Noggin und die inzwischen verstorbene Queen: Essen, Schlafen, Verdauung, Kommunikation, Benutzen von Werkzeugen (Noggin kann das zwar nicht, dazu ist er nicht schlau genug, aber man hat einen Verwandten von ihm, einen Dingo, beobachtet, wie er einen Tisch herumschob, um ihn als Trittleiter zu benutzen). Doch Sorgen?

Um sich über etwas Sorgen zu machen, muss man sich vorstellen können, dass es passieren wird oder nicht. Man muss einen Begriff von der Zukunft haben. Im Moment beschäftige ich mich viel mit der Zukunft und empfinde es als schwierig, mir meine eigene vorzustellen. Aber nicht nur meine mangelnden Aussichten sind bedrückend – dasselbe gilt für die Zukunft der Welt an sich. Wenn man die Nachrichten liest, wird klar, dass wir alle ziemlich in der Scheiße stecken. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird sich zu einer gähnenden Schlucht ausweiten (wobei ich hoffentlich auf Seite der Reichen lande), wir befinden uns mitten im sechsten großen Massenaussterben der Arten (verursacht von uns allen), Ökosysteme werden bis an die Belastungsgrenze strapaziert, dazu noch die Terroristen – grausame Verbrecher, die trotzdem immer mehr Zulauf haben! Der Klimawandel wird die Probleme verschlimmern, sodass wir alle dem Untergang geweiht sind. Dem Untergang! Oh ja, es gibt genug Grund zur Sorge.

Queen: besorgt

 

Noggin: ohne Sorgen

Wäre es nicht schön, diese speziell menschliche Fähigkeit mal zu vergessen? Ganz im Augenblick zu leben, ohne Gedanken daran, was man getan hat, gerade tut oder tun sollte? Wäre es nicht schön, den Zwängen und Erwartungen nicht nur der Gesellschaft, Kultur und Herkunft, sondern der eigenen Biologie zu entkommen? Den Sorgen zu entfliehen, die mit dem Menschsein verbunden sind? Die komplexe Welt hinter sich zu lassen und Urlaub zu machen, nicht nur von Alltag und Job (wenn man einen hat), sondern vom eigenen Selbst? Eine Auszeit vom Menschsein zu nehmen? Den Ballast abzuwerfen und nur die absoluten Grundbedürfnisse zu befriedigen? Ohne die Annehmlichkeiten der Zivilisation, aber auch ohne alles, was das Leben so kompliziert macht. Leichtfüßig auf der Erde zu wandeln, kein blutiges Leiden zu verursachen, zufrieden von Pflanzen zu leben. Von der unmittelbaren Umgebung völlig in Anspruch genommen zu grasen, auf dem Boden zu schlafen – mehr nicht? Frei und ungebunden durch die Landschaft zu streifen! Wäre es nicht schön, eine Weile lang ein Tier zu sein?

Ach herrje. Erwartungsfroh hatte ich die Betreffzeile gelesen, nach den üblichen Floskeln einer Absage gesucht – wie »nach sorgfältiger Prüfung« –, kurz ein Hochgefühl gehabt, ehe ich mir die Bewerbung, die ich einige Wochen zuvor als Ausweg aus...

Erscheint lt. Verlag 5.6.2023
Reihe/Serie POLYGLOTT Abenteuer und Reiseberichte
Übersetzer Heide Horn, Christa Prummer-Lehmair
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Deutschland
Reisen Reiseführer Europa
Schlagworte Aussteiger • Britischer Humor • Englischer Humor • goat man • Humor • humorvolle Reise • Krise • Lebenskrise ausbrechen • Reise • Reisebericht • Reisebuch • Reiseinspiration • Satire • Tierverhalten • Veränderungen • Veränderungen wagen • Verhaltensforscher • wie ein Tier leben
ISBN-10 3-8464-0981-2 / 3846409812
ISBN-13 978-3-8464-0981-7 / 9783846409817
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