Der Fahrtenschreiber
| Dieser Krieg darf sich nie wiederholen | Ein paar Jahre – wohl eher ein paar Jahrzehnte – muss man wohl schon hinter sich gebracht haben, um zu erkennen, dass tatsächlich die Eltern Spuren hinterlassen haben, die in die eigene Lebensmelodie hineinwirken. „Script“ nennt Eric Berne solche vorbewussten Lebenspläne, die jeder und jede (nach Berne) in sich trägt. Wer die Chance im Leben geschenkt bekommt, sich intensiv mit seinem Werde-„gang“ zu beschäftigen, erahnt nach und nach diese Lebensthemen und wo sie vermutlich entstanden sind. Mein Vater Gert (Jahrgang 1927) musste als Siebzehnjähriger noch in den letzten Kriegswochen Soldat werden. Ein gütiger Himmel und weise Vorgesetzte haben gemeinschaftlich verfügt, dass die jungen Leute – in Norddeutschland eingesetzt – nicht in eine Schlacht mit ihren Gegnern aus Schottland gehen sollten. Eine Vereinbarung mit den Offizieren der Gegenseite verhinderte dies und obendrein verminderte sie die Gefahr einer Anklage vor dem Kriegsgericht für die Deutschen: Die vorhandene Munition wurde verbraucht, indem sie – ohne irgendetwas und vor allem irgendjemanden zu treffen – in einer Nacht verschossen wurde. Danach erfolgte die Gefangennahme durch die Schotten. Die jungen Deutschen verbrachten die kurze Gefangenschaft nutzbringend auf den umliegenden Bauernhöfen bei der im Frühjahr notwendigen Feldarbeit. Am 8. Mai war der zweite Weltkrieg zu Ende, am 10. Mai stand mein Vater bei seinen Eltern in Bochum vor der Tür, unversehrt und wohlgenährt. Aus diesen „Kriegserfahrungen“ und natürlich dem, was andere Quellen und Menschen berichteten, hat mein Vater für sich festgestellt: So einen Krieg darf es nie wieder in Europa geben. Verhindern kann man das nur, indem die Menschen sich weit über Ländergrenzen hinweg kennen, schätzen, Kontakt haben und halten. Und wir – so sagte er zur Familie, meinen beiden Schwestern und mir – fangen damit jetzt schon mal an. Und zu Zeiten, als das noch nicht so selbstverständlich war wie heute, fuhren wir mit Auto und Wohnwagen nach Frankreich, nach Schottland, in die DDR, was eben so ging. Ich war gerade 21 und im Studium führte mich ein Zufall – aber Zufälle gibt es ja nicht, es gibt nur die Unkenntnis über die Zusammenhänge – nämlich der Ausfall eines Studienfreundes als Begleiter einer Jugendgruppe nach Polen. 1977 war das noch außergewöhnlich, aber meine Heimatstadt Bochum hatte ein Jugendcamp in Masuren mitorganisiert, bei dem Jugendliche aus Frankreich, England, Polen und Deutschland Zeit miteinander verbrachten. Seither sind Jahrzehnte ins Land gegangen und meine Freude an Reisen in aller Herren Länder, an Begegnungen, am Lernen, am Erkennen von Zusammenhängen ist kaum kleiner geworden. Soweit meine einführenden Gedanken, niedergeschrieben im Juni 2021. Dann kam der 24. Februar 2022, auf den ich nicht vorbereitet war, besser: Ich wollte es wohl nicht sein. Russische Truppen haben an diesem Tag erneut die Ukraine angegriffen und der Krieg, der bei genauerer Betrachtung mit der Besetzung der Krim im Jahr 2014 begonnen hat, tobt auch zur Stunde noch mit grausamer Härte. Also doch wieder Krieg in Europa. Ein ganzes Stück meiner oben beschriebenen Ansätze ist damit hinfällig, ein wichtiger Teil meiner Lebensmelodie damit am Ende? Tatsächlich gehen meine Gedanken immer wieder in diese traurige Richtung und das Gefühl von Hilflosigkeit hat sich sehr breit gemacht. Es war mein Sohn Simon (32), der mich wieder erdete: „Ja, Vatter“, so ungefähr waren seine Worte, „was da geschieht, ist schlimm, sehr schlimm, und wirft uns um Jahrzehnte in den Bemühungen um Frieden, Völkerverständigung, Zusammenarbeit und Zusammenleben zurück. Aber dann müssen wir eben wieder von vorn anfangen. Eine neue Generation und neuer Wille, Globalität gut werden zu lassen.“ Ich kann nur hoffen, dass es so werden wird. Paul Blätgen, Juli 2022
Erscheinungsdatum | 27.11.2022 |
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Verlagsort | Werne an der Lippe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Europa |
Schlagworte | Anekdoten • Bildungsreisen • Europa • Reisebericht • Reisen |
ISBN-10 | 3-940853-84-4 / 3940853844 |
ISBN-13 | 978-3-940853-84-4 / 9783940853844 |
Zustand | Neuware |
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