Das Blockhaus am Denali (eBook)
320 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60293-8 (ISBN)
Dieter Kreutzkamp, Jahrgang 1946, ist als Abenteurer, Autor und Fotograf eine feste Größe in der Globetrotter-Szene. Seit den Siebzigerjahren hat er unzählige Reisen in alle Welt unternommen, vor allem nach Kanada und Alaska. Über seine Reiseerfahrungen schrieb der fundierte Kenner vieler Länder bereits zahlreiche Erfolgstitel. Bei MALIK NATIONAL GEOGRAPHIC erschienen zuletzt »Auf dem Dach Afrikas« und »Mitternachtssonne über Alaska«.
Dieter Kreutzkamp, Jahrgang 1946, ist als Abenteurer, Autor und Fotograf eine feste Größe in der Globetrotter-Szene. Seit den Siebzigerjahren hat er unzählige Reisen in alle Welt unternommen, vor allem nach Kanada und Alaska. Über seine Reiseerfahrungen schrieb der fundierte Kenner vieler Länder bereits zahlreiche Erfolgstitel. Bei MALIK NATIONAL GEOGRAPHIC erschienen zuletzt »Auf dem Dach Afrikas« und »Mitternachtssonne über Alaska«.
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Trappertreff am Lake Minchumina
Von alters her lebten die Athabasca-Indianer am Denali vom Land. Fleisch und Fisch gab es reichlich für die Familien. Im Spätsommer bedeckt ein Meer saftiger Blaubeeren die Tundra.
»Unser Leben in dieser Welt ist ein besonderes Leben. Es bedeutet, mit dem Land zu leben, mit den Säugetieren, den Vögeln und Fischen, als wären sie Brüder und Schwestern. Wir betrachten das Land als einen alten Freund, einen Freund deines Vaters und deines Großvaters … als einen Freund, den dein Volk seit Anbeginn kennt.« So zitiert eine Broschüre des National Park Service den Ureinwohner Richard Nerysoo. Während Alaskas Bevölkerung Mitte des 20. Jahrhunderts wuchs, wurden die Verteilungsprobleme bei dem, was zu verteilen war, immer deutlicher. Noch immer ist das vergleichsweise viel.
Mit dem Alaska National Interest Lands Conservation Act (ANILCA) kam es 1980 zur so genannten grünen Revolution in der Arktis: 100 Millionen acres, also 405.000 Quadratkilometer der schönsten Landschaften Alaskas, wurden durch die Unterschrift von Präsident Jimmy Carter für alle Zeiten geschützt. Vier Millionen acres (zirka 16.200 Quadratkilometer) wurden dem bereits existierenden Mount McKinley National Park zugeschlagen, das Gebiet heißt seither Denali National Park & Preserve. Den auf Rohstoffe spekulierenden Konzernen waren nun ein für alle Male die Hände gebunden, und das Gesetz regelte, dass die Menschen in dem neuen Schutzgebiet, und zwar auch in den Regionen, die nun zum Denali National Park gehörten, ihren Lebensunterhalt in traditioneller Weise erwirtschaften dürfen, ungeachtet ihrer Hautfarbe, Rasse und Herkunft.
Fundstücke lassen den Schluss zu, dass Menschen seit mindestens 11.000 Jahren im Denali-Gebiet leben. Man unterscheidet fünf Athabasca-Sprachgruppen: die Denaìna im Süden, Koyukon im Norden, die Ahtna im Osten, die Tanana im Nordosten und die Kuskokwim im Westen. Das wechselnde Nahrungsangebot bestimmte den Rhythmus ihres Lebens. Im Sommer jagten sie in den Bergen der Alaska Range Elche, Karibus und Bären. Bevor der Winter kam, suchten sie in den Tälern Schutz. Ihre Abhängigkeit vom Land führte zu einer engen Verwobenheit damit. Auch im Spirituellen.
»Für uns ist das Land mehr, viel mehr als das, was es für andere ist. Land ist Leben. Ohne unser Land und ohne den way of life, den es uns geschenkt hat, könnten wir nicht länger als Volk existieren. Ist erst diese Beziehung zerstört, sind auch wir zerstört«, fasst Nerysoo zusammen. Die traditionelle Lebensform der Athabascans kannte keine Verschwendung von Ressourcen.
Man hätte also Probleme erwarten können, als in den vergangenen 50 Jahren immer mehr Weiße mit einem völlig anderen kulturellen Hintergrund in die stille Welt am Denali drangen, Menschen aus Kalifornien, Ohio oder New York, deren Wurzellosigkeit als Flexibilität oder Anpassungfähigkeit gerühmt wird. Menschen, die sich blitzschnell zwischen den Betonburgen New Yorks, den Bergen Montanas und den Stränden Hawaiis umorientieren.
Aber auch diesen neuen rural residents stand das Recht auf subsistence zu, auf ein Leben vom Fleisch der Elche, vom Pelz der Biber und Marder sowie von dem sagenhaften Reichtum an Lachsen in den Flüssen. Man hätte Probleme erwarten können, aber erstaunlicherweise blieben die Probleme weit gehend aus.
Ich brannte darauf, diesen Menschen wieder zu begegnen.
Carol, die in diesem Moment mit mir das post office von Lake Minchumina betritt, gehört dazu. An einem Schreibtisch, zwischen Paketen, Briefen und ein paar Büchern sitzt Stella Wildrick, die postmistress.
»Hi Stella, das ist Dieter. Er wird dir noch jede Menge Arbeit bescheren …« Carol schmunzelt. »Während der Wochen der Yukon-Quest- und Iditarod-Schlittenhunderennen wird er Zeitungen aus allen Ecken Alaskas beziehen.«
Seit 30 Jahren leben Stella und ihr Mann Ray in Alaska. Seit 1992 leitet sie das winzige Postamt. Sie hat die 60 lange überschritten.
»Welcome to Alaska!« Stella reicht mir die Hand. »Willkommen in Lake Minchumina.«
Vermutlich weiß bereits jeder im Ort, dass ein Neuer eingetroffen ist. Vermutlich sind sie so neugierig auf den Fremden wie ich auf sie.
Ray, Stellas Mann, war früher Trapper. Das klingt romantisch, aber man muss bedenken, dass die Einkünfte vom Verkauf der Pelze und Felle weit unter denen eines Sozialhilfeempfängers liegen. Und doch blieben die Wildricks …
»Wir leben seit 1975 in Lake Minchumina.« Stella lehnt sich in ihrem alten Stuhl zurück, schließt die Augen und erzählt.
Ihre Geschichte ist die Geschichte Hunderter anderer alaskanischer Buschfamilien, eine Geschichte, an deren Anfang Abenteuerlust und Unrast stehen.
»Wir pendelten damals in den 60ern in den Lower 48th zwischen Idaho und Indiana. Eines Tages schlug ich vor: ›Lass uns die 48 südlichen Bundesstaaten verlassen und nach Alaska fahren. Mal sehen, wie’s da ausschaut.‹ Als wir ankamen, sagten wir: ›Prächtig, wir bleiben den ganzen Sommer, und im Herbst jagen wir einen Elch‹. Gesagt, getan. Im nächsten Sommer waren wir wieder da. Und irgendwann stellte sich die Frage, wie wohl der Winter nach dem tollen Sommer sei … Wir beantworteten sie, indem wir blieben.«
1967 zogen Stella und Ray endgültig mit ihren Kindern nach Eagle River, unweit von Anchorage. 1975 kehrten sie dem Stadtgebiet den Rücken, und Ray wurde Trapper am Lake Minchumina.
»Unsere Kinder paukten sich in jenen Jahren durch die corre spondence school. Lehrstoff, Hausaufgaben und Schularbeiten gingen per Post zwischen dem Lehrer und den Kindern hin und her. Der erste Lehrer saß in Tanana am Yukon River, der zweite weit entfernt in Südost-Alaska in Juneau. In den Sommermonaten, wenn die fire fighter, die Feuerbekämpfungstrupps, kamen, jobbte Ray für das Bureau of Land Management, tankte die Fahrzeuge und be- und entlud sie.
Ende der 80er beschlossen die Wildricks, ihr Haus an einen anderen Standort zu verlegen. Umzüge mitsamt Haus sind nichts Aufregendes in Amerika, doch diesmal wäre es fast schief gegangen.
»Unser Nachbar Tom Green half uns. Tom und Ray stemmten das Haus vorsichtig mit einer Art großem Wagenheber hoch, was ungefähr eine Woche dauerte. Der Umzug selbst hingegen ging in zwei Stunden über die Bühne … Ray hatte einen Bulldozer, mit dem er das Haus auf Kufen zog. Aber das verrückte Ding machte sich plötzlich selbstständig und rutschte viel zu schnell den Hang runter. Um ein Haar hätte es Ray begraben. Aber jetzt hatten wir das Haus am richtigen Fleck. Die Männer hoben mit dem Wagenheber das Vorderteil an, Tom Green fuhr mit seinem Bobcat darunter und hob, wo mal unser Erdgeschoss sein würde, den Boden aus. Wenig später zogen wir ein.«
Stella und Carol vor dem Postamt in der Wildnis
In Alaskas post offices tauscht man gern Neuigkeiten aus und tratscht.
Noch lange hätte ich Stella zuhören können. Die Müdigkeit, die sich nach meiner Reise um die Welt hätte einstellen müssen, schien durch kräftige Adrenalinschübe ausgebremst zu sein.
Doch Carol drängte zum Aufbruch: »Ihr seht euch heute Abend schon wieder. Wir treffen uns bei Penny und Tom Green zum Potluck.«
Vom post office zur Bücherei von Lake Minchumina sind es weniger als 100 Meter. Dahinter steht jene Hand voll Häuser, die ich bereits aus der Luft erkannt hatte.
»Alle leer und unbewohnt, seitdem die Regierung an allen Ecken und Enden kürzt«, sagt Carol. »Früher lebten dort die fire fighter und Flughafenangestellte. Aber seit die abgezogen wurden … .« Wir gehen die Stufen zur Bücherei hoch.
»Unser ganzer Stolz!« Sie drückt die Tür auf.
An Alaska verblüfft mich immer aufs Neue, wie viel Geld auch in entlegenster Wildnis in die Bildung und damit in die Zukunft investiert wird. Das gilt für Schulen ebenso wie für diese kleine Bücherei mit ihrem umfangreichen Schatz an Alaska-Literatur.
»Vergiss nicht, dich ins Gästebuch einzutragen! Falls es doch mal zu Budgetkürzungen kommt, wollen wir beweisen können, dass die Bücherei für Lake Minchumina unverzichtbar ...
Erscheint lt. Verlag | 28.7.2022 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Nord- / Mittelamerika |
Schlagworte | Abenteuer • Alaska • Auszeit • Blockhaus • Blockhütte • Mount Denali |
ISBN-10 | 3-492-60293-2 / 3492602932 |
ISBN-13 | 978-3-492-60293-8 / 9783492602938 |
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