Hungrig auf Berlin (eBook)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
288 Seiten
Merian / Holiday, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag
978-3-8342-3332-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hungrig auf  Berlin -  Denis Scheck,  Anne-Dore Krohn
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Denis Scheck erkundet mit seiner Co-Autorin Anne-Dore Krohn Berlin, neuerdings das Mekka des Genusses. Sie lassen sich von Sterne-Koch Tim Raue in dessen Restaurant mit einem asiatisch-europäischem Menü verköstigen und verbringen einen champagnerlaunigen Abend in der Charlottenburger Paris Bar. Sie nehmen Leserinnen und Leser mit zum Streetfood-Markt in der Markthalle Neun und ins Hinterhofrestaurant Cookies Cream, das es mit Seetangkaviar und anderen innovativen pflanzlichen Gerichten zu großem Renommee gebracht hat. Eine kulinarische Entdeckungsreise und Liebeserklärung gleichermaßen an die deutsche Hauptstadt - Sehnsuchtsort für Foodies und Gourmets aus aller Welt.

Hinweis zur Optimierung
Impressum
Wichtiger Hinweis
Vorbemerkung
Asiatisch cool
Fleischlos glücklich
Ösi
Kaffeekultur
Zu den Sternen
Einkaufen
Szenen einer Hauptstadt
Reich der Mitte
Futterkrippe
Innovatoren
Politisch essen
Dose & Korb
Lebensmittel Kultur
Griechen & Römer
Im Flow
Himmel und Erde
Epilog
Dank
Die Autoren

Das Märchen von Berlin


Wenn Nebel über den Ku’damm zieht und unsere Gegenwart mit ihren Schriftzügen, Werbeplakaten und Schaufensterdekorationen auslöscht, sodass nur die Silhouetten der Passanten im matten Lichtschein der Laternen übrig bleiben, kann man sich manchmal ins Berlin der 1920er-Jahre versetzt fühlen. Dann scheinen Fetzen von Charleston aus Tanzkneipen zu dringen. Die Comedian Harmonists singen »Mein kleiner grüner Kaktus«, Anita Berber, die wildeste Frau der Weimarer Republik, wirbelt nackt über die Bühnen, und Blandine Ebinger webt aus »Ach, er haßt, daß ich ihn liebe« melancholische Schleier. Wer die kulinarische Gegenwart Berlins vermessen möchte, beginnt am besten mit einem Bummel durch die gastronomische Vergangenheit der Stadt in den 20er-Jahren. Auf diesem wird schnell klar, in welchem Maß Berlin heute an eine Geschichte anknüpft, die die Stadt zum Sehnsuchtsziel der Amüsierlustigen und Feierwütigen weltweit machte – aber auch zum Zentrum der Geschundenen und Ausgebeuteten. Hungrig waren sie alle, sehr unterschied sich jedoch, wonach sie Appetit hatten. Die Dämonen der Vergangenheit sind im heutigen Berlin allgegenwärtig – und man begegnet ihnen auch in der Küche. Diese Stadt besitzt einen eisernen Magen.

Die Gastronomie Berlins steckt voller packender Geschichten, die wir während unserer Recherche für dieses Buch kaum glauben konnten. Zum Beispiel der Fall des legendären Restaurants Horcher, das während der Nazizeit nach Madrid umzog – mitsamt einer Maschine zur Herstellung einer der urdeutschesten Spezialitäten überhaupt: dem Baumkuchen. Bis heute hat das Madrider Horcher zwei Michelinsterne. In seinem amüsanten Buch »Berlin. Was nicht im Bädeker steht« von 1927 liefert der Journalist Eugen Szatmari eine sehr anschauliche Beschreibung des Horcher, das 1904 in Schöneberg in der Lutherstraße 21 eröffnete: »Horcher gehört zu den sehr wenigen Berliner Restaurants, die man mit den berühmtesten Gaststätten von Paris durchaus vergleichen kann. Was Ciro für Paris bedeutet, bedeutet etwa Horcher für Berlin. Ein kleines, vornehmes Restaurant, ohne Musik, wo man nicht nur gut essen kann, sondern – was in Berlin so selten ist – auch völlig individuell bedient wird. Bei Horcher stehen auf der Speisekarte keine Preise, er ist aber kaum teurer als die großen Hotels und bietet ausgezeichnete Küche. Dafür verkehrt bei ihm denn auch eine ausgewählt gute Gesellschaft. Während Peltzer ein Lokal ist, wo man vor allem zu Mittag speist, geht man zu Horcher meist abends. Dann kann man dort den früheren Minister Kühlmann sehen, Industriekapitäne aus dem Westen, berühmte Schauspieler, und es wird gewiss Leute geben, denen der Braten besser schmeckt, wenn sie sehen, dass am Nebentisch Elisabeth Bergner sitzt, oder Richard Tauber seine Austern schlürft. Auch Fritzi Massary und Pallenberg sind bei Horcher Stammgäste, ebenso wie Mia May, die als berühmte Köchin der Horcher’schen Küche sachverständige Anerkennung zollt. Hier verkehrt auch die Prinzessin von Sachsen-Altenburg, die Deutschlands schönste Perlen besitzen soll, Maler wie Arthur Kampff und Orlik, der Operettenkönig Oscar Straus, Dichter wie Werfel und Hans Heinz Evers, und viele, viele andere Leute, die in einem Restaurant weder Jazzmusik noch Charleston suchen wollen. Sie werden von Horcher alle sehr freundlich begrüßt, denn Horcher kennt alle seine Stammgäste persönlich, er kennt auch ihren Geschmack, und der Koch Poncini bekommt dann von dem Oberkellner Martius – dem einzigen Berliner Kellner, der ein eigenes Auto hat – besondere Weisungen für einen jeden Gast, denn es gibt Leute, die den Salat mit Senf angemacht haben wollen, während andere Gäste Zitrone und Zucker bevorzugen. Bei Horcher wird jedes Gericht sozusagen mit Liebe serviert.«

 Zu den Spezialitäten des intimen, weniger als zehn Tische umfassenden Horcher zählte ein Fasan, dessen Knochen ähnlich wie die seit Jahrhunderten nummerierten Enten im weltbekannten Pariser Restaurant La Tour d’Argent in einer Presse ausgedrückt wurden und die Basis für eine anschließend flambierte Sauce bildeten. Wie aber kommt ein noch zur Kaiserzeit von einem badischen Weinhändler gegründetes Berliner Promi-Restaurant der Weimarer Republik in die Hauptstadt Spaniens?  Es lag, wie so oft, an der »Liebe«. An der Liebe, mit der Otto Horcher, der Sohn des Gründers Gustav Horcher, auch einige Stammgäste des Horcher nach 1933 bewirtete. Hermann Göring und Albert Speer zum Beispiel. Seine Verbindungen zur NSDAP-Spitze trug ihm die Lizenz zur Bewirtung des Deutschen Pavillons bei der Weltausstellung 1937 in Paris ein. Bereits 1933 hatte Otto Horcher durch Zukauf des legendären Restaurants Zu den drei Husaren nach Wien expandiert. Nach der Kapitulation Frankreichs 1940 übernahm Otto Horcher sogar das gefeierte Maxim’s in Paris. Sein opportunistisches Meisterstück gelang Horcher aber 1944, als er seine Nazi-Förderer bequatschte, ihn mitsamt dem ganzen Kücheninventar, den Gläsern, der Tischwäsche, dem Porzellan und dem Tafelsilber und der Baumkuchenmaschine in verplombten Eisenbahnwaggons von Berlin nach Francos Spanien ausreisen zu lassen. Wir konnten es kaum fassen: Dieser ebenso unwahrscheinliche wie spektakuläre kulinarische Exodus soll im Berlin des Jahres 1944 möglich gewesen sein? Da hätte sich doch noch den verbohrtesten Endsieggläubigen der Verstand für die wahre Lage öffnen müssen! Angeblich erteilte Hermann Göring persönlich die Genehmigung für den Umzug des Horcher; wir fanden für dieses Gerücht jedoch keinen Beleg. 

Der Franzose Jean-Claude Bourgueil kocht seit vielen Jahren im mal mit drei, mal mit zwei Sternen bewerteten Schiffchen in Düsseldorf-Kaiserswerth. Er hat im Horcher in Madrid in den 60er-Jahren gelernt und uns damit verblüfft, dass er nach seiner Lehrzeit die Herstellung von Baumkuchen beherrschte, den wir immer für eine deutsche Angelegenheit schlechthin gehalten hatten – quasi das kulinarische Pendant zu Weihnachtsbaum, Waldsterben und Peter Wohlleben. Noch Ende der 60er-Jahre, so erzählte es uns Jean-Claude Bourgueil persönlich, konnte man im Horcher in Madrid ein Hakenkreuz auf der Porzellanmarke erkennen, wenn man den Platzteller umdrehte. Manches brennt sich eben für immer ein. 

SCHWIMMER ODER NICHTSCHWIMMER?

Von solch bizarren historischen Kontinuitäten und Brüchen erzählt auch die extrem beliebte TV-Serie »Babylon Berlin«.  Nicht erst durch den internationalen Erfolg dieser Serie, die auf den Romanen von Volker Kutscher basiert, erlebt die Ausgehkultur der 20er-Jahre ein keineswegs nur auf Berlin beschränktes Comeback in Gestalt von »Roaring Twenties«-Kostümbällen. In den 20er-Jahren existieren in Berlin über 300 Kinos, eines von ihnen war das Theater im Delphi in der Gustav-Adolf-Straße 2 in Weißensee. Das Delphi gibt es noch heute. Für »Babylon Berlin« wurde es selbst zur Kulisse. Hier spielt eine der mitreißendsten choreografierten Szenen, die je in Deutschland gedreht wurde: einmal so tanzen wie die Bubikopf-Kokotten und Halbwelt-Dandys im Moka Efti zum Song »Zu Asche, zu Staub / Dem Licht geraubt / Doch noch nicht jetzt / Wunder warten bis zuletzt / Ozean der Zeit / Ewiges Gesetz / Zu Asche, zu Staub / Zu Asche / Doch noch nicht jetzt …« Gesungen hat das mit hypnotischer Melancholie die litauische Schauspielerin Severija Janušauskaitė. Extra für die Serie komponiert haben den Song Nikko Weidemann, der Schweizer Mario Kamien und Regisseur Tom Tykwer. Ein Welthit – die ganze Tragik der Weimarer Republik blitzt in ihm auf.

Wo wir die Zeitmaschine zurück in die 20er-Jahre nun schon mal in Gang gesetzt haben, statten wir doch den berühmten Künstlerlokalen und Kaffeehäusern Berlins gleich einmal einen Besuch ab. Dem für seine schwäbische Küche bekannten Schlichter, Luther-/Ecke Ansbacher Straße. Oder dem Josty am Potsdamer Platz. Der Bierstube von Änne Maenz in der Augsburger-/Ecke Joachimsthaler Straße, wo wir Ernst Lubitsch, Fritzi Massary oder Billy Wilder antreffen. Oder dem für seine Premierenfeiern bekannten Schwanneke in der Rankestraße 4, das der Schauspieler Viktor Schwanneke 1921 eröffnet hat und das eigentlich nach seiner Frau Weinstube Stephanie heißt, doch so nennen es nur Uneingeweihte. Unbedingt wollen wir natürlich auch ins Romanische Café mit seiner berühmten Unterteilung: in den kleinen »Schwimmerbereich«, der prominenten Gästen wie Ruth Landshoff, Bertolt Brecht, Mascha Kaléko, Erich Maria Remarque oder Alfred Döblin vorbehalten ist, und dem bedeutend größeren »Bassin für Nichtschwimmer«, in den Worten Erich Kästners der Platz für »jene Leute, die hier seit zwanzig Jahren, Tag für Tag, aufs Talent warten«. Doch wehe dem, der sich am ersten Tisch nach der Drehtür im Nichtschwimmerbereich hinsetzte, dem für Granden wie Max Slevogt, Alfred Flechtheim, Emil Orlik, Bruno Cassirer oder Max Liebermann vorbehaltenen Künstlerstammtisch. Gabriele Tergit beschreibt in ihrem Bestseller »Käsebier erobert den Kurfürstendamm« von 1931 die Atmosphäre in diesem Künstlercafé, in dem Karrieren gemacht und beendet wurden: »Das Romanische Café befindet sich gegenüber der Gedächtniskirche und besteht aus einer Schwimmer- und Nichtschwimmerabteilung. Die Schwimmer sitzen links von der Drehtür. Die Nichtschwimmer rechts. Das Romanische Café ist sehr schmutzig. Erstens ist es trotz seiner großen Fensterscheiben so angeräuchert, wie es für eine Stätte des Geistes notwendig ist,...

Erscheint lt. Verlag 3.5.2022
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Deutschland
Reisen Reiseführer Europa
Schlagworte Berlin • Deutschland • Einkaufen • Empfehlungen • Kulinarik • Kulinarische Reise • Kulinarischer Reiseführer • Markt • Reise • Restautanttipps • Stadt
ISBN-10 3-8342-3332-3 / 3834233323
ISBN-13 978-3-8342-3332-5 / 9783834233325
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