Zum Glück gelaufen – Meine Reise auf dem Jakobsweg (eBook)
336 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-365-00023-6 (ISBN)
Über ein Leben in Schrittgeschwindigkeit und die Stolpersteine der Liebe - eine etwas andere Hommage an den bekanntesten aller Pilgerwege, den Jakobsweg
»Ich hingegen möchte die Sonne aufgehen sehen, denn mit dem Ende eines Kapitels, fängt doch erst ein neues an - und meins soll hier beginnen.«
Nach einer Beziehungskrise muss Andrea sich entscheiden: Gehen oder bleiben? Entschlossen, eine Antwort zu finden, lässt sie Berlin, ihre Freunde und Familie hinter sich und begibt sich auf das große Abenteuer Pilgerreise.
Immer wieder stößt die unerfahrene Wanderin dabei an ihre körperlichen Grenzen. Auch die erhofften Erkenntnisse bleiben aus. Doch Andrea läuft weiter, und erkennt, dass es vor allem die Begegnungen mit anderen Pilgern sind, die sie weiterbringen.
Mit jedem Schritt durch die beeindruckende, wunderschöne und mitunter herausfordernde Landschaft lässt sie die Vergangenheit hinter sich. Sie erkennt, dass es kein Zurück in ihr altes Leben gibt, doch eine wirkliche Entscheidung zu treffen, fällt ihr schwer. Dann trifft sie auf Benny. Und alles nimmt einen ganz anderen Lauf ...
»Mit der Zunge fahre ich mir immer wieder vergnügt über die salzigen Lippen. Dieser Ort, hier draußen am Ende der Welt, wo es nicht mehr weitergeht, bringt eine ganz besondere Melancholie mit sich. Er ist mystisch. Ganz anders als Santiago. Santiagos Mystik liegt in der besonderen Bedeutung des Ankommens, Finisterres hingegen in der Tatsache, dass es nichts Endlicheres zu geben scheint, als diesen Ort.«
»Ich sitze sicher eine gute Stunde oder länger hier auf meinem schroffen Felsen und blicke auf das graue, dunkle Meer unter mir. Gelegentlich schaffen es ein paar Sonnenstrahlen durch die dichte Wolkendecke und färben das Meer an der Stelle, wo sie auf seine Oberfläche treffen, in ein leuchtendes Türkis. Es ist unbeschreiblich, wie glücklich ich in diesem Moment bin. Ich sitze mit nichts hier am Meer, aber mich erfüllt ein ganz warmes Gefühl, ein Gefühl und eine Überzeugung, dass alles, was bis hierhin passiert ist, richtig war. Nie hätte auch nur irgendetwas davon nicht passieren sollen.«
800 Kilometer in ein neues Leben
Andrea Marie Eisele, geboren 1986, lebt in Hamburg und arbeitet dort als TV- und Online-Redakteurin. Sie studierte Medienwissenschaft mit den Schwerpunkten politische Kommunikation und Medienwirkung in Marburg und Berlin und volontierte anschließend in einer Hamburger Fernsehproduktion. Redaktionell arbeitete sie u.a. für den Rundfunk Berlin Brandenburg, die ZDF Talkshow Markus Lanz sowie TV-Koch Christian Rach. Mit Benny, den sie auf dem Camino kennen- und lieben gelernt hat, ist sie mittlerweile verheiratet.
BEGINN EINER REISE
»Das Wichtigste ist,
dass du ehrlich zu dir selbst bist.
Stehe zu dem, was du denkst,
und stehe auch dafür ein, denn das macht dich aus.«
Saint-Jean-Pied-de-Port (9. September)
»Die Passagiere des Flugs AF4357 nach Toulouse werden gebeten, zum Gate B37 zu kommen.« Klick! Es ist, als hätte die Flughafenmitarbeiterin einen Telefonhörer aufgelegt und wir alle hätten am anderen Ende der Leitung gewartet. Die Stimme wiederholt die Ansage noch einmal auf Französisch. Klick! Wieder aufgelegt. »Ich glaube, ich muss gehen«, sage ich zu Daniel, der mir erwartungsvoll gegenübersteht. Meinen Rucksack habe ich bereits am Gepäckschalter aufgegeben. Nur mit meiner alten blauen Gürteltasche aus den Neunzigern in der Hand fühle ich mich nackt – als würde etwas fehlen. Zum Beispiel eine große Handtasche, wie ich sie üblicherweise trage. Statt dieser hänge ich mir nun das Eastpak-Täschchen über die rechte Schulter und trete auf Daniel zu, nehme ihn in den Arm. Er steht einfach da und lässt es über sich ergehen. Ich löse die Umarmung. Dicht an dicht stehen wir voreinander. Ich kann seinen warmen Atem auf meinem Gesicht spüren. Die Mundwinkel verziehe ich zu dem Versuch eines Lächelns. Als ich mich zum Gehen wende, wirft Daniel beide Arme um meine Schultern: »Ach, komm her«, sagt er, wie er es zu einem alten Kumpel sagen würde, und drückt mich zum Abschied. Einige Minuten lang hält er mich so, drückt mich fester und fester. Ich streiche ihm über den Rücken und dann, obwohl ich das eigentlich gar nicht will, küssen wir uns – seit Langem mal wieder und zum letzten Mal vor meiner Reise. Seine Lippen sind ganz weich, genauso wie seine Hamsterbäckchen. Der Kuss hat nichts Leidenschaftliches, nichts Inniges, aber etwas Vertrautes. Er lockert die Umarmung, und ich trete ein paar Schritte zurück: »Mach’s gut«, sage ich. »Pass auf dich auf«, antwortet Daniel. Als ich mich schon umgedreht habe und einige Meter weit gegangen bin, ruft er mir ganz untypisch für sich hinterher: »Ich liebe dich!« Ich gehe weiter, als hätte ich es nicht gehört. Will mich nicht umdrehen, will ihm keine Regung zeigen. Die Worte aber lassen mich innerlich erstarren. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er sie in der gesamten Zeit unserer Beziehung je laut gesagt hätte. Sie wurden höchstens auf Geburtstags- oder Weihnachtskarten geschrieben – doch meist stand dort »Hab dich lieb!« oder, wenn große Gefühle im Spiel waren, »Lieb dich!« Und nun sagt er diese Worte. Nun, da wir kein Paar mehr sind, will er mich nicht verlieren. Jetzt nicht mehr.
Im Minibus vom Flughafen Toulouse zum Bahnhof Matabiau fahren wir an vielen kleinen das Stadtbild schmückenden Boutiquen, Brasserien und Cafés vorbei und kreuzen zweimal die Garonne. Es ist Anfang September, und der Fluss trägt nur sehr wenig Wasser. Ob es wohl ein heißer Sommer war? Die Stadt selbst aber ist üppig grün, überall sehe ich kleine Garten- und Parkanlagen. Die Menschen auf den Straßen stammen anscheinend aus allen Ecken und Enden dieser Welt. Als wir an einer Ampel warten, überquert eine Gruppe indischer oder pakistanischer Geschäftsmänner vor uns die Straße. Sie tragen dunkle Anzüge und Krawatten und auf dem Kopf bunte Turbane in den prächtigsten Farben. Der zähe Verkehr führt uns dann weiter an einem kleinen bemoosten Kanal entlang, der gut ein Nebenarm der Garonne sein könnte. Er sieht romantisch aus.
Wie ich so auf dem Boden des Toulouser Bahnhofs an eine Schaufensterscheibe gelehnt sitze, mit meinem immer noch viel zu heißen Kaffee in der Hand, sichte ich meinen ersten Pilger. Mein Herz macht vor Aufregung einen Hüpfer. Der alte Mann mit seinem weißen langen Bart, einem Tirolerhut und braunen Lederhosen erinnert mich an Heidis Großvater, den Alm-Öhi. Ich hätte ihn nicht in Südfrankreich, sondern eher in den Alpen vermutet. Er steht, die Augen geschlossen und den Kopf auf die Hände gestützt, die seinen riesigen Wanderstab umklammern, leicht vor- und zurückschwankend in einer Ecke des Bahnhofs. Ob er wohl schläft?
Eine Stunde später bin ich endlich im Zug. Es geht mit dem TGV 8510 nach Bordeaux, von dort nach Bayonne und anschließend mit einem Bummelzug durch die Berge weiter bis Saint-Jean-Pied-de-Port, meinem heutigen Ziel und dem morgigen Startpunkt meiner Wanderung. Es tut gut, jetzt weiterzukommen. Ich warte nicht gerne, erst recht nicht an einem Bahnhof, an dem ich nicht viel machen kann. Die Fahrt aber genieße ich sehr, schaue mir die am Fenster schnell vorbeifliegende Gegend an. Nie zuvor war ich in diesem Teil Frankreichs. Hier stehen Palmen direkt neben Nadelbäumen. Die Häuser sehen aus wie in Spanien. Allerdings sind die Frauen eleganter gekleidet, sehr adrett, in feinen Stoffen und hochhackigen Schuhen. Die Haare sind locker zusammengebunden. Perfektion in casual, unnatürlich natürlich. Gerade hier in Frankreich, dem Land der Mode und des Stils, komme ich mir in meinem bunt karierten Wanderhemd, der braunen Wanderhose, an der man die untere Hälfte der Hosenbeine mittels Reißverschluss abtrennen kann, um schnell und einfach statt langer eben kurze Hosen zu tragen, und der ziemlich lächerlichen, aber doch unglaublich praktischen blauen Eastpak-Gürteltasche auf meinem Schoß albern und modisch absolut deplatziert vor. So oder so ähnlich stelle ich mir einen Bauerntrampel vor. Ja, ich glaube, ich entspreche momentan genau meiner Vorstellung eines Trampels.
Beim Einstieg in den Zug in Bayonne erkenne ich schon an den vielen Pilgern auf den Sitzplätzen, dass ich hier richtig bin. Einer von ihnen ist definitiv deutsch – er hält ein kleines gelbes Wörterbuch in der linken Hand und liest darin: »Spanisch«, steht auf dem Einband. Der Pilger hinter dem Büchlein ist etwa in meinem Alter. Mit seiner Halskette, dem welligen blonden Haar und dem sonnengebräunten Teint sieht er aus wie ein kalifornischer Surferboy aus Venice Beach. Neben ihm auf dem Sitz liegt ein hübscher beigefarbener Havannahut. Auf seinem leuchtend blauen T-Shirt prangt ein Logo in Form einer Welle. Er trägt Bermudas und blau-weiße Havaianas. Irgendwie fehlt ihm nur noch der Longdrink in der Hand oder das Surfbrett unterm Arm. Ein anderer Passagier hier im Zug ist Italiener, er hat gerade jemandem am Telefon erzählt, dass er die nächsten Monate als Pilger unterwegs sein werde. Ein Weiterer könnte Franzose sein, das kann ich aber nicht mit Sicherheit sagen. Er spricht sehr gut Französisch und sieht exakt aus wie François Hollande – lediglich mit einem dickeren Bauch, brauner Gürteltasche und dunkelgrünem Trekkingrucksack. Lustig! Was wohl der französische Präsident sagen würde, wenn er sich so sehen könnte? Falls ich ihm auf dem Weg noch einmal begegnen sollte, werde ich ihn nach einem gemeinsamen Foto fragen! Mir gegenüber sitzt eine etwas fülligere Mittdreißigerin in roter North-Face-Jacke, kurzer Wanderhose und mit einem blauen Stirnband. Sie lächelt mir ein paarmal zu und kramt dann ihr Buch aus der Tasche. Ein Krimi. Auf Deutsch. Also noch eine Landsfrau. Allerdings hätte ich mir das auch schon anhand der Jacke denken können. Ich schaue schnell wieder auf. Nicht dass sie mitbekommt, dass ich den Titel ihres Buches gelesen habe: Auf Unterhaltungen mit Deutschen habe ich so gar keine Lust momentan. Das ist schließlich meine Reise, und ich mag jetzt nicht erklären, wieso, weshalb, warum ich sie antrete oder irgendetwas sonst – weder dem Kalifornientyp noch Miss Molly Moppel. Der Zug fährt los. Auf zur letzten Etappe für heute!
Wir fahren quer durch die Pyrenäen, besser gesagt, durch die Pyrénées-Atlantiques – auf jeden Fall mitten durch viele Berge, hinauf und hinunter. Es ruckelt wie bei der Harzer Schmalspurbahn, mit der unzählige Touristen den Brocken, den höchsten Berg Mitteldeutschlands, erklimmen. Die Landschaft ist gebirgstypisch. Saftige grüne Wiesen werden von hohen Bäumen, drahtigem Gestrüpp, kargen Felsen, kleinen Wasserfällen und Bächen abgelöst. Parallel zu einem reißenden Fluss, dessen glasklares Wasser sich seinen Weg durch das Bergmassiv bahnt, fahren wir vorbei an tiefen Schluchten und steilen Abhängen. Noch im Mai habe ich aus dem Flugzeug auf diese gewaltigen Berge hinuntergeschaut und gedacht: »Irgendwann einmal!« Jetzt bahne ich mir meinen Weg mitten zwischen ihnen hindurch. Ich bin meiner kleinen Reise also tatsächlich schon ein ganzes Stück näher gekommen. Aber beim Anblick dieser majestätischen Berge und hohen Gipfel drängt sich mir die Frage auf, wie ich kleiner, schwacher und zudem noch unglaublich untrainierter Mensch dieses Gebirge bezwingen soll. Ein flaues Gefühl macht sich in meiner Magengegend breit. Ich weiß es nicht. Aber ich werde es sehen … morgen!
Vom Bahnhof in Saint-Jean-Pied-de-Port bis zu meiner Herberge sind es nur wenige Hundert Meter. Es ist bereits dunkel und die schmalen Gassen im Ort sind nur noch schemenhaft zu erkennen. Als ich dann das alte steinerne Gebäude betrete, strömt mir ein intensiver Duft von Fichtennadeln und Zedernholz entgegen – wie in einer finnischen Sauna. Sofort fühle ich mich wohl. Viele Schlafplätze gibt es in der Auberge du Pèlerin nicht. Zwei Zimmer mit jeweils vier Doppelstockbetten, also für insgesamt sechzehn Pilger. Ich hoffe, die wollen nicht alle gleichzeitig morgen früh um 6:30 Uhr aufstehen und unter die Dusche. Apropos Dusche: Unter der war ich direkt nach meiner Ankunft auch schon … brr … Fußpilzalarm hoch zehn. Der Boden der Duschen ist eine Zumutung, und es kostete mich arge Überwindung, die Kabine zu betreten. Sehnsuchtsvoll dachte ich an die Havaianas des Surferboys....
Erscheint lt. Verlag | 26.4.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Europa |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Reisen ► Sport- / Aktivreisen | |
Schlagworte | Camino • Cheryl Strayed • Christine Thürmer • Der große Trip • Fräulein Draußen • Harper Kerkeling • ich bin dann mal weg • Jakobsweg • jakobsweg buch • Jakobsweg Bücher • jakobsweg erfahrungen • jakobsweg geschenke • jakobsweg hape kerkeling • Jakobsweg wandern • Kathrin Heckmann • Laufen. Essen. Schlafen. • Reisebericht • reiseberichte bücher • Wandern • Wandern Buch • Wandern Geschenk • Wandern. Radeln. Paddeln. • Weite Wege wandern • Zwei Esel auf dem Jakobsweg |
ISBN-10 | 3-365-00023-2 / 3365000232 |
ISBN-13 | 978-3-365-00023-6 / 9783365000236 |
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