Rad, Land, Fluss (eBook)
240 Seiten
Prestel (Verlag)
978-3-641-29807-4 (ISBN)
Sattgrüne Marschwiesen, märchenhafte Auenwälder, idyllische Dörfer - dazwischen der Strom, der fließt und fließt: die Elbe. Und eine Frau auf dem Fahrrad. Ihr Fernweh nach dem eigenen Land und die Sehnsucht nach Naturerlebnis haben Alexandra Schlüter auf den Weg geschickt. Mehrere Wochen lang ist sie im Sommer auf dem Elberadweg unterwegs, 1.000 Kilometer, durch sieben Bundesländer, stromaufwärts von der Mündung in Cuxhaven bis zur deutsch-tschechischen Grenze. Dabei durchquert sie vom Fluss geprägte Landschaften wie die sanften Elbtalauen und das schroffe Elbsandsteingebirge, passiert geschichtsträchtige Orte wie Hamburg, Magdeburg und Dresden, beobachtet Seeadler, Graureiher und nistende Störche. Und sie begegnet den Menschen, die entlang der Elbe leben - in Mecklenburg oder in der Prignitz, im Kehdinger Land oder in der Altmark - und deren Geschichten eng mit dem Fluss verwoben sind.
Eine außergewöhnliche Entdeckungsreise durch die Natur, Kultur und Geschichte Deutschlands.
Alexandra Schlüter schreibt als Sachbuchautorin über Natur- und Reisethemen. Im Stil des klassischen Nature Writing verbindet sie dabei persönliche Naturerlebnisse mit Wissenswertem über Flora und Fauna sowie kulturgeschichtlichen Themen. Sie veröffentlichte bereits fünf Bücher, darunter »Rad, Land, Fluss« (Prestel) über ihre Reise entlang der beeindruckenden Elbe. Ihr neuestes Buch »Winterreise« ist eine Natur- und Kulturgeschichte der kalten Jahreszeit in Deutschland. Die Autorin inspiriert in ihren Büchern dazu, selbst mit offenen Sinnen loszuziehen. Sie lebt mit ihrer Familie in der Lüneburger Heide. Einen Teil der Fotos in ihren Büchern fotografiert sie selbst.
EINLEITUNG – MEIN SOMMER MIT DER ELBE
Ich stehe am Elbufer und blicke auf die grauen Fluten. Anders kann man das nicht nennen, was gerade an mir vorbeiströmt. Unbeirrbar, zielstrebig, immer vorwärts, von hier aus braucht die Elbe noch etwa 140 Kilometer bis zur Nordsee. Von diesem Strom geht etwas Archaisches aus, aller Moderne, die im Hamburger Hafen auf ihn wartet, zum Trotz. Kräne, Containerschiffe, Werften, was kümmert es die Elbe! Sie fließt und fließt. Bei Hochwasser müssen die Menschen ihre Autos am Fischmarkt wegfahren, heute noch genauso wie vor 50 Jahren.
Die Wurzeln der alten Bäume sind von Wasser umspült. Die ersten Knospen zeigen sich vorsichtig an den Ästen. Es riecht elbig, das ist mein persönliches Wort für die Mischung aus Schilf, feuchtem Gras, nassem Sand und, ja wirklich, Nordseeluft. Ich steige auf mein Rad, das ich an einen Baum gelehnt hatte, und fahre im niedersächsischen Stove auf den Deich. Das Elbegefühl hat sich längst eingestellt: Immer packt mich die Sehnsucht, wenn ich den Fluss sehe.
Etwas weiter elbaufwärts wiegen sich Schilf und Weiden im Wind, ihre Blätter tanzen und rascheln. Am Strom rauscht es wie am Meer. Das Schilf ist noch beige vom Winter, aber an den Weiden hängen schon die ersten weichen Kätzchen. An den Wildrosen blitzen Hagebutten vom letzten Herbst, dicke weiße Wolken türmen sich am Himmel. Möwen lassen sich von der Thermik tragen, sie scheinen über der Elbe zu schweben, kaum ein Flügelschlag. Haubentaucher, Brand- und Tafelenten schaukeln auf kleinen Wellen, ein Kormoran kämpft sich gegen den Wind voran. Weiter draußen im Fluss haben es sich ein paar Silbermöwen auf einer Sandbank bequem gemacht, die fingerbreit unter Wasser steht. Und über den Wiesen? Singen zwei Lerchen ein Frühlingslied, rüttelt ein Turmfalke und stößt hinab. In einiger Entfernung spazieren zwei Störche, die ersten, die ich in diesem Jahr sehe. Fünf Minuten Elbe und der Kopf ist frei.
Flussmuster im Sand bei Ebbe.
Seit Jahren reift in mir ein Plan. Ich möchte auf dem Elberadweg den Strom entlangfahren, dort aufbrechen, wo er bei Cuxhaven ins Meer mündet. Hunderte Bäche und Flüsse nimmt er auf seinem 1094 Kilometer langen Weg dorthin auf, sie alle bringen ihre eigenen Flussgeschichten mit. Die Havel erzählt, dass es bis zur Ostsee viel kürzer gewesen wäre, die Ilmenau von den einstigen Salztransporten. Die Saale, die SchwarzeElster, in Tschechien die Moldau, es ist auch ihr Wasser, das in der Nordsee sein Ziel erreicht. Flüsse sind Lebensadern für Flora und Fauna, auch für die Menschen, die mit ihnen leben. Die Idee meiner Elbereise packt mich immer mehr. Und eines Tages fahre ich einfach los. Stromaufwärts, weil es heißt, dass der Wind dann öfter von hinten bläst.
Die Autorin, für Wochen auf dem Rad unterwegs.
Salzwiesen und Süßwasserwatt, sattes Marschland und hohe Deiche, ab und zu ein Leuchtturm, der den Schiffen den Weg weist: Die Unterelbe ist von der Kraft der Gezeiten geprägt, auf den Sandbänken in ihrem Mündungstrichter leben Seehunde. Ich raste auf Inseln im Strom und blicke Ozeanriesen hinterher. Dem Zupfen der Deichschafe kann ich stundenlang zuhören.
An der Mittelelbe ist durch den natürlichen Zyklus von Hochwasser und trockeneren Zeiten eine einzigartige Auenlandschaft entstanden, in der Biber ihre Dämme bauen und seltene Vögel wie der Flussregenpfeifer brüten. Der Elberadweg führt durch ein Tier- und Pflanzenparadies, so schön, dass ich es manchmal gar nicht fassen kann.
Am Oberlauf sind Fluss und Landschaft wieder ganz anders. In den Weinbergen ist das Klima mild, Rebstöcke ziehen sich die Steillagen hoch, die Trauben stehen gut. Und dann das Elbsandsteingebirge mit seinen spektakulären Türmen und Tafelbergen, das die Elbe in Jahrmillionen durchbrochen hat. Ich lasse das Rad stehen und wandere in die zerklüftete Felsenwelt. Hier sehe ich den Strom von oben. Das Ziel meiner Reise ist Schmilka, wo die Elbe über die deutsch-tschechische Grenze fließt.
An manchen Tagen ist sie tiefblau. Kopfweiden strecken ihre struppigen Äste in die Höhe, die Wiesen sind sommergrün, Seeadlerland. Der Radweg führt fast immer an beiden Flussseiten entlang, man muss sich für ein Ufer entscheiden, zumindest biszur nächsten Brücke oder Fähre. Meine Angaben im Buch beziehen sich jeweils auf die Richtung, in die die Elbe fließt, das wird bei Flüssen generell so gehandhabt.
Ich lerne meine Flussgefährtin jeden Tag besser kennen, sehe sie freundlich und nach Unwettertagen aufgewühlt. Über weite Strecken fließt sie naturbelassen, einer der wenigen großen mitteleuropäischen Flüsse, der das noch darf.
Kehdinger Land, Altmark und Prignitz, wer hat von diesen ruhigen Landstrichen schon einmal gehört? Mir geht jedes Mal das Herz auf, wenn ich in sie hineinradele. Mein Blick verliert sich in der Weite, bleibt an einzelnen windzerzausten Bäumen hängen, an glänzenden Klecksen, wenn irgendwo Wasser in den Senken steht. Ich folge den Flugbahnen der Vögel, habe viel Raum für Gedanken, lasse mich treiben. Wenn ich an der Elbe sitze, höre ich auf, irgendetwas zu wollen, das ist vielleicht das Erholsamste auf meiner Tour. Von Buhnen und Stränden schaue ich der Strömung hinterher, immer wieder vergesse ich die Zeit. Ich fahre in den Sommer hinein, die Tage sind lang, und abends taucht die Sonne den Strom in Rosa und Orange.
Ich komme durch alte Elbmärchendörfer. Seit Jahrhunderten trotzen ihre reetgedeckten Höfe Wind und Wetter, in Obstgärten werden alte Apfelsorten angebaut. Auf den Wiesen weiden Kühe, auf der Deichkrone fahre ich Richtung Horizont. So einzigartig schön die Landschaft ist, weht manchmal auch ein Hauch von Melancholie. Jahrzehntelang war der Fluss auf fast 100 Kilometern innerdeutsche Grenze.
Grün, Weiß, Blau, Sommerfarben an der Elbe, hier im nördlichen Sachsen.
Wie lebten die Menschen früher an der Elbe? Fürsten residierten in Burgen über dem Strom, Treidler zogen am Ufer schwerbeladene Kähne elbaufwärts. Manchmal habe ich das Gefühl, hinter jeder Flussbiegung ein neues Kapitel unserer Geschichte aufzuschlagen. Neben dem Rhein ist die Elbe der deutsche Fluss. Ich treffe Bauern und Naturschützer, Winzer und Künstler, Elbanwohner aus Ost und West. Ich bin neugierig auf mein Heimatland. Ohne viel zu treten, rolle ich langsam durch die Dörfer. Hinter jeder Tür wohnt eine Geschichte, wo es sich ergibt, frage ich nach und höre zu. Über das Hierbleiben und Fortziehen, über das Zurückkehren oder wie es ist, an der Elbe ein neues Leben zu beginnen. Darüber, wie der Fluss die Gegend und ihre Bewohner geprägt hat und prägt.
Kleine Städte wie Lauenburg, Lenzen und Tangermünde sind zauberhafte Überraschungen. Drei unterschiedliche Großstädte liegen am selben Strom: Hamburg, die stolze Hansestadt, Magdeburg mit seinem tausendjährigen Dom und das barocke Dresden, dort wollte ich immer schon einmal hin. Auch nach Wittenberg, die Lutherstadt, und in die Wörlitzer Parklandschaft, in der die Zeit stehen geblieben ist.
In Deutschland und doch in einer anderen Welt, so erlebe ich meine wochenlange Entdeckungstour. Anfangs muss ich mich etwas einfahren. In der ersten Zeit habe ich Muskelkater, später nur noch nach besonders langen Etappen. Manchmal verfluche ich den Wind, wenn er gehässig in den Radspeichen pfeift. Ich muss auf meine Handgelenke achten, wenn ich sie am Lenker zu lange durchdrücke, tun sie weh. Aber die Tage sind unkompliziert, die Richtung ist klar, an der Elbe entlang, so einfach ist das Leben sonst nie. Nur selten enden meine spontanen Abstecher im Nirgendwo. Ich habe nicht viel darüber nachgedacht, was alles passieren kann. Nur eins möchte ich unbedingt vermeiden, einen Platten. Einen Ersatzschlauch habe ich zwar dabei, aber nicht geübt, ihn einzuziehen. Ich entscheide mich gegen ein Zelt und dafür, in „Bett und Bikes“ und anderen radlerfreundlichen Unterkünften zu übernachten. Meine Ausrüstung passt in zwei Packtaschen, einen Tagesrucksack und eine Lenkertasche.
Warum möchte ich überhaupt los? Ich habe Fernweh nach meinem eigenen Land. Ich möchte nach den Corona-Monaten einfach einmal raus. Mein Sohn wird zu Hause sicher eine Zeit lang die Männerwirtschaft genießen. Keine Mutter, die ihn ans Klavierüben erinnert. Ich bin schon kürzere Strecken mit dem Fahrrad an Flüssen entlanggefahren, es war immer inspirierend und entschleunigend zugleich.
Auch ein wichtiger Punkt: Die Elbe ist der Strom, in dessen Nähe ich wohne. Schon immer frage ich mich, woher kommst du, wo willst du noch hin? Sie verleiht Hamburg, der Stadt, in der ich lange gelebt habe, ihr Gesicht. Nach dem Umzug aufs Land bin ich viele Jahre jeden Morgen über die Elbbrücken zur Arbeit gefahren. Manchmal war der Flusspegel so hoch, dass kein Schiff darunter hindurchgepasst hätte. Ein Kapitän hat es trotzdem einmal versucht, die Brücke war danach lange gesperrt.
Ich reise allein, in meinem eigenen Rhythmus. Ich möchte anhalten, wenn etwas meine Aufmerksamkeit erregt, schnell fahren, wenn mir danach ist. Und ja,...
Erscheint lt. Verlag | 2.5.2022 |
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Illustrationen | Manolo Ty |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Deutschland |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Schlagworte | 2022 • Achtsam Reisen • Alleinreisen • Artenviefalt • Bikepacking • Dessau Wörlitzer Gartenreich • deutsch-deutsche Geschichte • Deutschlandreise • Dresden • eBooks • Elberadweg • Elbsandsteingebirge • Elbtalauen • Fahrradtour • Flusslandschaft • Fotografie • green travel • Hamburg • Kunst • Landschaftsfotografie • Lutherstadt Wittenberg • Magdeburg • Meißen • Mikroabenteuer • Nachhaltig Reisen • Natur entdecken • Nature writing • Neuentdeckung Deutschlands • Neuerscheinung • Nordsee • Radfernwege Deutschland • Radurlaub • Ratgeber • Reiseberichte Frauen • Reiseerzählung • Reisen • Reisetagebuch • slow travel |
ISBN-10 | 3-641-29807-5 / 3641298075 |
ISBN-13 | 978-3-641-29807-4 / 9783641298074 |
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