Gebrauchsanweisung für Italien (eBook)
256 Seiten
Piper ebooks (Verlag)
978-3-492-60131-3 (ISBN)
Henning Klüver, 1949 in Hamburg geboren, studierte in Deutschland und Italien. Er berichtet als freier Kulturkorrespondent für deutsche Tageszeitungen und Rundfunkanstalten aus Italien. Neben Biografien und einem politischen Sachbuch erschien von ihm die »Gebrauchsanweisung für Sardinien«. Er lebt mit seiner sardischen Frau, mit der er zwei Töchter hat, in Mailand.
Henning Klüver, 1949 in Hamburg geboren, studierte in Deutschland und Italien. Er schreibt als Kulturkorrespondent u.a. für die »Süddeutsche Zeitung« und berichtet als freier Mitarbeiter für deutsche Rundfunkanstalten aus Italien. Neben Biografien und einem politischen Sachbuch erschien von ihm die »Gebrauchsanweisung für Sardinien«. Er lebt mit seiner sardischen Frau, mit der er zwei Töchter hat, in Mailand.
Das Land, wo die Zitronen blühen
Landschaftsbilder, Streifzüge und Naturgewalten
Mit Zitronen ist das so eine Sache. Wer mit ihnen handelt, macht ein schlechtes Geschäft. Jedenfalls der deutschen Redensart nach. Wenn wir dagegen an die weißen, sternförmigen Blüten des knorrigen Baumes denken, lacht das Herz. Tragen doch die immergrünen Zitronenbäume das ganze Jahr gleichzeitig betörend herb duftende Blüten und leuchtend gelbe Früchte. Und wo sie wachsen, muss es da nicht sommerlich, nicht einfach wohltuend schön sein?
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
Kennst du es wohl? Dahin!
Dahin möcht’ ich mit dir,
O mein Geliebter, ziehn.
Wer weiß, wie viele Menschen dieser Aufforderung unseres Dichter-Titanen aus dem »Wilhelm Meister« gefolgt sind und wie viele es noch sein werden. Und würde es eine Auszeichnung geben für den besten Werbespruch der Tourismusindustrie aller Zeiten, Goethe hätte ihn verdient. Ja, auf ins Land, wo die Zitronen blühen, hin zu den herrlichen Landschaften zwischen dem Alpenkranz und der Straße von Sizilien, hin zu lauen Sommernächten, dem leisen Plätschern des Meeres und einem Schoppen Wein! Zu Zypressen und immergrünen Steineichen, langen Stränden und kurvigen Landstraßen. Zu schattigen Gartenrestaurants, dem Summen der Zikaden und den Rufen der Nachtigallen. Und einem überwältigenden Sternenhimmel über den Hügeln der Toskana … Allerdings wechseln auch südlich der Alpen die Jahreszeiten, und ich habe selten so gefroren wie zu jener Zeit, als ich in Rom in einer Wohnung ohne Heizung gelebt habe.
Später wohnte ich jahrelang in Mailand in einer Wohnung ganz oben im sechsten Stock, von deren Terrasse man in einen weiten Innenhof zwischen zwei Straßenzügen blicken konnte. An besonders klaren Tagen oder nach Gewittern ließ sich am Horizont der Alpenkranz mit dem schneebedeckten Monte Rosa sehen. Im Hof breitete sich eine Balkon- und Dachgartenlandschaft mit Büschen, kleinen Bäumen und Topfpflanzen aller Art aus. Auf meiner Terrasse blühte, wenn auch etwas kümmerlich, ein Zitronenbaum. Den habe ich später mitgenommen, als wir erneut weiterzogen. Meine Töchter Gianna und Mara wohnten mittlerweile nicht mehr bei uns, und als wieder mal eine Mieterhöhung anstand, haben meine Frau Lidia und ich unsere Sachen gepackt und uns zusammen mit zwei jungen schwarzen Katzen in einer kleineren Wohnung im Viertel bei der Porta Venezia niedergelassen.
Der Zitronenbaum hat uns das aber übel genommen und ist – von der Terrasse träumend – verkümmert. Wir haben jetzt nur noch zwei kleine Balkons zur Straße, von denen wir nach Westen blickend die Umrisse eines von zwei Hochhäusern sehen können, deren Fassaden mit Bäumen und Büschen bewachsen sind. Als »Bosco Verticale« (vertikaler Wald) sind sie mehrfach mit Architekturpreisen ausgezeichnet und auch in anderen Städten nachgebaut worden. Durch diesen »Wald« kann man zwar nicht spazieren gehen, dennoch wirkt das vielerorts betonselige und graue Mailand von oben betrachtet durch die vielen Dachgärten wie eine grüne Stadt. Aber das ist noch gar nichts im Vergleich zum Rest Italiens. Von Satelliten aus gesehen, zeigt sich Italien als »grünes«, das heißt nicht urbanisiertes Gebiet. Rom zum Beispiel ist nicht nur die größte Stadt des Landes, sondern mit rund 82 000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche (zu der allerdings auch die Parks zählen) ebenfalls das größte »Dorf«.
*
Italien hat alles. Es hat hohe, prächtige Berge, an der Grenze zu Frankreich sogar die höchsten Europas. Es hat von flirrendem Licht durchzogene Ebenen in den Niederungen des Po sowie im Küstenland Venetiens und des Friauls. Es hat ein kräftiges Mittelgebirge, das sich wie eine Art Wirbelsäule die Halbinsel entlangzieht, die nach ihm seinen Namen trägt: Apennin-Halbinsel. Es hat herrliche Binnenseen. Es hat, die Inseln eingeschlossen, mehr als 8000 Kilometer lange Küsten, meist felsig, aber auch oft sandig auslaufend, zur besonderen Freude der Badegäste.
Zudem hat es mehr Wälder, als man denkt: 11 Millionen Hektar Baumbestand, das sind 38 Prozent der Gesamtfläche des Landes, was dem EU-Durchschnitt entspricht. Vorgesehen ist die Anpflanzung von 200 Millionen zusätzlichen Bäumen im Rahmen der europäischen Biodiversitätsstrategie 2030. Das dient einerseits der Reduzierung von CO2-Emissionen. Andererseits ist Holz ein alternativer Baustoff nicht nur bei nachhaltigen Architekturprojekten. Hier beklagen die Verantwortlichen allerdings den Mangel an Nutzholz und die Abhängigkeit von Importware.
Ausgedehnte Waldgebiete findet man vor allem in Süditalien, etwa auf dem Gargano oder dem Aspromonte oder in einigen wilden Gebirgszonen Sardiniens. Ideale Verstecke für Leute, die Grund haben, sich und andere zu verbergen. Bestimmte Verbrechen, wie zum Beispiel die Entführung von Menschen, wären in anderen westeuropäischen Ländern bereits aus geografischen und logistischen Gründen gar nicht in dem Ausmaß möglich, wie sie in Italien eine Zeit lang an der Tagesordnung gewesen waren. Man findet allerdings sehr viel weniger Wälder, als es früher einmal gegeben hat, weil die Menschen seit der Antike zur Gewinnung von Brenn- und Bauholz sowie von Weideflächen und Kulturland Bäume und Sträucher sträflich gerodet haben, ohne an Aufforstungen zu denken.
Die Apennin-Halbinsel ist erdgeschichtlich ein junges Land und deshalb immer noch in Bewegung, wie Erdbeben und Vulkanausbrüche zeigen. Die Landschaft, in der sich die »Anmuth der Formen in das Furchtbare« verwandelt, erschreckte den baltischen Kulturhistoriker Victor Hehn (1813–1890): »Erstarrte, in Klumpen und Schollen zersprungene Lavafelder, jahrhundertelang unverändert, reichen in breitem schwarzen Strom bis zu den Gärten der Menschen; der Atem der Hölle dampft aus Rissen und Spalten, indes in ergreifendem Kontrast wenige Stunden abwärts Öl und Wein und goldene Früchte die fruchtbare Ebene füllen.«
Was die Bodengüte betrifft, ist Italien allerdings ein relativ armes Land und außerdem mit Ausnahme breiter Ebenen wie am Po schwer im großen Stil zu bebauen – wenn man einmal von den für das Hügelland typischen Pflanzen wie Weinstock oder Olivenbaum absieht. Was wiederum die Menschen dazu getrieben hat, auch anderen Kulturformen als der Landwirtschaft nachzugehen. Und damit den Weg für die einzigartige kulturhistorische Entwicklung des italienischen Raums möglich gemacht hat. Das Klima wird durch einen starken Nord-Süd-Gegensatz geprägt: Im Norden ist es subozeanisch, das heißt, es ist feucht, und das Land wird von vielen fließenden Gewässern durchzogen. Im Süden ist es sommertrocken und vom Mittelmeer geprägt. Flüsse werden hier nicht lang, können aber bei Extremwetterlagen über die Ufer treten und Haus und Hof davonreißen – wie etwa 2020 im Piemont oder auch in Palermo.
*
Ein blauer Streifen am Horizont: Wenn man von Mailand aus mit dem Auto nach Genua fährt und den Apennin-Bogen überwunden hat, sieht man plötzlich kurz vor der Einfahrt in die ligurische Regionalhauptstadt am Ende des schmalen Tals des Polcevera einen blauen Streifen am Horizont, ein Blau, das sich vom Himmel absetzt: das Blau des Meeres. Heinrich Heine hat das auf seiner Italienreise 1828 so beschrieben: »Unfern von Genua, zwischen den grünen Gebirgsgipfeln kommt die blaue Flut zum Vorschein, und Schiffe, die man hie und da erblickt, scheinen mit vollen Segeln über die Berge zu fahren.« Wenn man gar später kommt, zur Zeit der Dämmerung, »wo die letzten Sonnenlichter mit den ersten Abendschatten ihr wunderliches Spiel beginnen, dann wird einem ordentlich märchenhaft zumute.« Für mich ist dieses Bild eine Verheißung, eine Metapher für das ganze Land geworden: Italien – ein blauer Streifen am Horizont.
Unterwegs im Land kommt das Meer immer wieder in den Blick. Bei der Eisenbahnreise nach Imperia und Ventimiglia längs der Riviera ligure, entlang der Strecke zwischen Rimini und Ancona an der Adria, bei einer Bahnfahrt rund um die Region Kalabrien auf der Stiefelspitze wie auch im Osten Siziliens. Herrlich direkt am Meer liegt hier einer der schönsten Bahnhöfe überhaupt: Taormina-Giardini (aber er droht in einen Tunnel verlegt zu werden, was bereits der von Sanremo erdulden musste).
Das Meer begleitet die Reisenden ebenso auf...
Erscheint lt. Verlag | 24.2.2022 |
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ISBN-13 | 978-3-492-60131-3 / 9783492601313 |
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