Namibia (eBook)
256 Seiten
Piper ebooks (Verlag)
978-3-492-99788-1 (ISBN)
Carmen Rohrbach, geboren in Bischofswerda, ist Entdeckerin aus Leidenschaft. Sie studierte Biologie in Greifswald und Leipzig und schloss mit der Promotion in München ab. Ihre Reisen führten sie unter anderem nach Südamerika, Afrika, Asien und Arabien, auf dem Jakobsweg durch Frankreich und Spanien und entlang der Isar durch Österreich und Bayern, stets auf der Suche nach intensiven Begegnungen und Naturerlebnissen. Heute ist sie eine der beliebtesten Reiseschriftstellerinnen Deutschlands, dreht Dokumentarfilme, schreibt für Zeitschriften und hält Vorträge über ihre Reisen. Mit ihren persönlich geschriebenen Reiseberichten hat sie sich inzwischen eine große Fangemeinde erworben. Bei Malik und National Geographic Malik erschienen mehr als zwanzig Bücher von Carmen Rohrbach, darunter der Spiegel-Bestseller »Unterwegs sein ist mein Leben«.
Carmen Rohrbach, geboren in Bischofswerda, ist Entdeckerin aus Leidenschaft. Sie studierte Biologie in Greifswald und Leipzig und schloss mit der Promotion in München ab. Ihre Reisen führten sie nach Südamerika, Afrika, Asien und Arabien, auf dem Jakobsweg durch Frankreich und Spanien und entlang der Isar durch Bayern und Österreich, stets auf der Suche nach intensiven Begegnungen und Naturerlebnissen. Heute ist sie die beliebteste Reiseschriftstellerin Deutschlands, dreht Dokumentarfilme, schreibt für Zeitschriften und hält Vorträge über ihre Reisen. Mit ihren persönlich geschriebenen Reiseberichten hat sie sich inzwischen eine große Fangemeinde erworben. Bei MALIK und MALIK NATIONAL GEOGRAPHIC erschienen mehr als zehn Bücher von Carmen Rohrbach, darunter der Spiegel-Bestseller "Unterwegs sein ist mein Leben".
Aufbruch in eine neue Welt
Swakopmund, die zweitgrößte Stadt Namibias, hat nur 20 000 Einwohner. Klein und überschaubar lässt sie sich gut zu Fuß erkunden. Die Straßen laufen schachbrettartig von Ost nach West Richtung Meer und von Süd nach Nord an der Küste entlang. Der vom Wind herbeigewehte Wüstensand liegt auf Gehwegen und Straßen, manchmal knöcheltief. Hin und wieder erinnern mich Palmen daran, dass ich in Afrika bin. Weniger gelingt mir das mit den Menschen, da mir vor allem deutschstämmige Namibier begegnen. Auch die Bedienung im Café Anton fragt mich ganz selbstverständlich auf Deutsch: »Was hätten Sie denn gern?« Im Restaurant »Europa Hof« stellt mir der Kellner ein Bier auf den Tisch und wünscht lächelnd:
»Wohl bekomm’s!« Es ist kurios, dass 8000 Kilometer von Deutschland entfernt Namibier diese vertrauten Redewendungen verwenden. Swakopmund ist noch immer die am stärksten deutsch geprägte Stadt in Namibia. Deshalb war ich voreingenommen, erwartete spießiges Deutschtum, das die wilhelminische Ära konserviert. Aber Swakopmund wirkt keineswegs unangenehm auf mich. Gewiss, etwas befremdlich ist es schon, wenn man in Afrika Straßennamen zu Ehren deutscher Politiker und Staatenlenker aus den vorigen Jahrhunderten liest: Moltke, Bismarck und sogar Kaiser Wilhelm. Die »Kaiserstraße« zumindest ist inzwischen umbenannt in »Independence Avenue«, doch niemand hat die alten Straßenschilder entfernt. Und wie ist es zu verstehen, dass die jetzige afrikanische Regierung nicht daran denkt, das protzig-kitschige Denkmal zu Ehren der deutschen Schutztruppen zu beseitigen? Ist
es großzügige Toleranz oder einfach nur Gleichgültigkeit?
Zu den Straßennamen passt die Architektur: Fachwerk, Jugendstil, Gründerzeit. Dennoch, Swakopmund ist keine Museumsstadt, keine Vorzeige-Idylle deutscher Sauberkeit und Ordnung, sondern das lebendige Abbild seiner wechselvollen Geschichte.
Ungewöhnlich breit sind die Straßen, die von ein- und zweistöckigen Häusern aus Holz oder Stein gesäumt sind. Die Überbreite wird erst verständlich, wenn man weiß, dass die Ochsenwagengespanne mit bis zu 18 Zugtieren so viel Platz zum Wenden brauchten. Nur Ochsen konnten die schwer beladenen Holzkarren durch das wegelose Land ziehen. Sie allein besorgten den Warentransport in der deutschen Kolonie, bevor die Eisenbahn gebaut wurde. Im Jahr 1896 waren es bereits 880 Ochsenwagenfuhren, lese ich in alten Papieren in der Sam-Cohen-Bibliothek.
Dort entdecke ich auch das Buch von Margarethe von Eckenbrecher »Was Afrika mir gab und nahm«. Es wurde für mich zur Inspiration und Anregung bei meiner Reise durch Namibia, ein Land, das zu Margarethes Zeit im Mittelpunkt deutscher Kolonialbegeisterung stand. Margarethe war eine gute Beobachterin und verstand es meisterhaft, ihre Gefühle, Gedanken und Erlebnisse in eine bildhafte Sprache zu übertragen. Schon der Beginn ihrer Reise lässt mich frösteln, als sie im nasskalten Winter 1902 an Bord der
»Eduard« geht, um ihre alte Heimat mit ungewisser Zukunft für immer zu verlassen:
»Dichter, feuchter Nebel lag über der alten Hansestadt Hamburg ausgebreitet. Ein feiner Sprühregen rieselte unaufhörlich vom grauen Himmel. Über der Elbe braute der Nebel. Wenige Menschen hatten sich eingefunden, um den Scheidenden Lebewohl zu sagen. Die Hoffnung auf Zukunft schien die Gesichter zu verschönen und den bitteren Abschiedsschmerz zurückzudrängen. Ein letzter Händedruck, ein Kuss und viele Tränen. Weiße Tücher flatterten, eisiger Wind, Regen, Nebel lagerte sich zwischen die Zurückbleibenden und die Scheidenden.«
Hätte ich damals gelebt, wäre ich vielleicht auch eine der Pionierfrauen gewesen, die dem Aufruf folgten, mit ihren Männern in Afrika eine Farm aufzubauen und zu bewirtschaften. Soweit ich mich zurückerinnere, war es diese unwiderstehliche Neugier auf das Unbekannte, die mich bis heute immer wieder in die Ferne treibt.
Aber wäre ich wirklich eine von ihnen gewesen? Hätte ich tatsächlich ein solches Leben mit all seinen Widersprüchen führen können? Diese Frage beschäftigt mich. Neben den faszinierenden Erlebnissen in der Natur wird sie meine Reiseroute durch Namibia bestimmen und mich in engen Kontakt mit Menschen schwarzer und weißer Hautfarbe bringen. Hinhören. Nachspüren. Eintauchen. Gespannt werde ich den Geschichten der Farmerfrauen lauschen, werde mich in die Tagebücher und Aufzeichnungen ihrer Groß- und Urgroßmütter vertiefen, werde versuchen, mir vorzustellen, wie sie lebten, was sie dachten und fühlten.
Aber ich weiß, ich bin anders als diese Einwanderer, geformt von Erfahrungen, Denkmustern, Moralvorstellungen, die es so vor 100 Jahren nicht gab. Viele dieser Siedler hatten keine Skrupel, sich Land anzueignen, das ihnen gar nicht gehörte. Dieses Unrecht, basierend auf Rassismus und elitärem Gehabe, ist wie ein schwarzer Schatten, der mir eine Annäherung erschwert. Trotzdem beeindruckt mich der Mut, mit dem sich die Einwanderer in einer fremden Umwelt behaupteten. Tatkräftig leisteten sie Pionierarbeit, gruben Brunnen und machten das dornige Ödland fruchtbar.
Wer sich die Situation Deutschlands um die Wende vom 19. zum
20. Jahrhundert vor Augen führt, wird bald verstehen, warum damals viele bereit waren, ihre alte Heimat aufzugeben. In der Überlieferung wird diese Zeit gern als »Goldene Zeit« bezeichnet, in Wirklichkeit aber lebten die meisten Menschen in ärmlichen Verhältnissen oder als Tagelöhner von der Hand in den Mund. Die Zukunft erschien ihnen grau, ohne Chance, ihrem Leben einen Sinn, ein Ziel zu geben. Da versprach die Idee, auszuwandern, einen verheißungsvollen Neubeginn. Sie konnten ihr Schicksal endlich in die eigenen Hände nehmen und alles gewinnen. Dass sie auch alles verlieren konnten, erhöhte den Reiz, zumal jeder darauf vertraute, er werde zu denjenigen gehören, die es gewiss schafften. Auch Abenteuerlust, die Sehnsucht nach Freiheit, Wildnis und Exotik spielten bei vielen Auswanderern eine große Rolle, denn seit Urzeiten ist uns Menschen der Trieb angeboren, vertrautes Territorium zu verlassen, um neue Gebiete zu erforschen und zu erobern. So haben wir die Erde in allen Himmelsrichtungen besiedelt und kaum einen Flecken verschont, nicht einmal die eisigen Polarregionen.
Besonders als Biologin kann ich diese Entwicklung gut nachvollziehen und muss sie als naturgegeben akzeptieren. Und trotzdem fühle ich ein Unbehagen, mich unvoreingenommen mit einer Zeit auseinander zu setzen, in der man glaubte, das Recht zu haben, über andere Menschen und Länder nach Gutdünken zu verfügen. Durfte eine Regierung ihre Bürger ermutigen und auffordern, fremdes Land einfach zu besetzen? Aus Sicht der Einwanderer war Südwestafrika ein riesiges unbesiedeltes Land, das niemandem gehörte. Wirklich nicht? Es lebten doch Menschen dort. Aber keine Regierung vertrat deren Rechte, und keine Armee verteidigte sie gegen die Eindringlinge. Die Bevölkerungsgruppen und ihre Oberhäupter wurden von den Weißen nicht als ebenbürtig angesehen. Mit List und Betrug, mit Alkohol und Geschenken wurde ihnen das Land
»abgekauft«. Sie begriffen zunächst gar nicht, auf was sie sich eingelassen hatten. Ihnen fehlte vor allem die Vorstellung, dass man Land überhaupt besitzen oder sogar verkaufen konnte.
Für die deutschen Einwanderer war es abgemachte Sache, und kein Zweifel focht sie an, dass Südwestafrika zum Deutschen Reich gehörten sollte. Geprägt von dieser Vorstellung schildert Margarethe von Eckenbrecher ihre Ankunft in Afrika voller Verzückung. Noch auf dem Schiff mit Blick auf die Küste schrieb sie:
»Swakopmund im Sonnenschein sah freundlich und verheißungsvoll aus. Zur Bewillkommnung unseres Dampfers wehten Flaggen auf vielen Häusern. Hell hoben sie sich von den dunklen Dünen ab. Freudigen Herzens warteten wir darauf, an Land zu kommen. Wir standen an der Reling und sahen hinüber nach unserem Land der Verheißung, und heiß wallte es in uns auf: Dort drüben winkt dir die neue Heimat. Wirst du glücklich sein? Was steht dir bevor?«
Margarethe war bei ihrer Ankunft 27 Jahre alt. Mit ihrem Mann wollte sie in der deutschen Kolonie »Südwest« eine Farm aufbauen, obwohl beide vom Farmerleben wenig Ahnung hatten. Ihr Mann Themis fühlte sich zum Maler berufen. Sie selbst war Lehrerin, eine sehr beliebte sogar, wie zahlreiche ihrer Schüler bezeugten.
Vor mir liegt ein Foto, das sie als über 70-Jährige zeigt, mit weißem Haar und wachem Blick. Auf einem Sessel sitzend, beugt sie sich vor, um dem Gegenüber direkt in die Augen zu sehen, abwartend und voller Neugier. Sie wirkt warmherzig und zierlich, doch lässt das Foto ahnen: Diese Frau wusste, was sie wollte, und verstand dies auch durchzusetzen.
Schaudernd stehe ich am Strand von Swakopmund. Wellen donnern in gewaltiger Brandung gegen die Küste. Kaum vorstellbar, dass Boote hier anlanden konnten. Drastisch beschreibt Margarethe von Eckenbrecher ihre Ankunft:
»Weit draußen ankerte unser Dampfer. Mit Booten sollen Passagiere und Ladung an Land gebracht werden … Um von Bord in das Kanu zu gelangen, müssen die Passagiere einer nach dem anderen in einen Korb aus Weidengeflecht steigen. Ich muss gestehen, ich habe schon angenehmere Augenblicke in meinem Dasein erlebt als den, in diesem knackenden Korb zwischen Himmel und Wasser zu schweben und schließlich mit einem Ruck in dem auf und nieder gehenden Boote aufzuschlagen und von einem der Kruboys herausgerissen zu werden … Nach längerer Fahrt auf mäßig bewegtem Wasser kamen wir den gewaltigen Brechern näher und näher. Ich bewunderte die Geschicklichkeit der Kru, die mit größter Sicherheit und Kaltblütigkeit ihre Ruder in die Wellen tauchten und schnell...
Erscheint lt. Verlag | 12.10.2020 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Afrika |
Schlagworte | Abenteuer • Afrika • alleine reisen • allein reisen • allein reisen ab 50 • allein reisen ab 60 • Alleinreisende • allein reisen Frau • Auf sich gestellt • Buch • Bücher • Einsamkeit • Fauna • Flora • Kolonialzeit • Namibia • Nationalpark • Natur • Porträt • Reise • Reisebericht • Reisebeschreibung • Solo • Wildnis • Wüste |
ISBN-10 | 3-492-99788-0 / 3492997880 |
ISBN-13 | 978-3-492-99788-1 / 9783492997881 |
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