Freilaufen (eBook)

4279 Kilometer auf dem Pacific Crest Trail und zurück zu mir selbst
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
224 Seiten
Driftwood (Verlag)
978-3-907178-08-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Freilaufen -  Stephanie Studer
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Manchmal braucht es den Mut, sein Leben auf den Kopf zu stellen, alle Zweifel ausser Acht zu lassen und auf sein Bauchgefühl zu vertrauen. Dann wird es möglich, seine Träume zu verwirklichen und ein Abenteuer zu erleben. Man könnte es als Flucht aus dem Alltag bezeichnen, wenn sich eine Frau allein auf den Weg macht, 4279 Kilometer von Mexiko nach Kanada zu wandern - oder als Befreiung aus der Routine des täglichen Lebens. Ein Buch darüber, wie man mit leichtem Gepäck und ohne herkömmlichen Luxus, mit Rucksack und Zelt, fernab der Zivilisation zur Ruhe kommt, sich Schritt für Schritt freiläuft, um am Ende bei sich selbst anzukommen.

Hurk in Paradise Valley


Die nächste grössere Ortschaft für Franzi und mich wird Idyllwild sein. Als wir von Warner Springs losgehen, wissen wir, dass es etwa fünf bis sieben Tage dauern wird, bis wir dort ankommen werden. Es ist ein befreiendes Gefühl zu wissen, dass ich mich in diesen Tagen um nichts kümmern muss. Ich muss nur gehen, essen und für genügend Schlaf sorgen.

Franzi und ich sind Frühaufsteherinnen und es ist an jedem Morgen ein überwältigendes Gefühl, sein Zelt zu öffnen, diese frische, echte Luft einzuatmen, in stillem Übereinkommen seine Sachen zu packen, loszugehen und auf das Aufgehen der Sonne zu warten, auf einen neuen Tag. Als wir an diesem Morgen losgehen, herrscht Ruhe auf dem Campside. Die anderen Hiker sind in ihren Zelten, gönnen sich etwas mehr Schlaf, während wir im Halbdunkel bereits startklar sind. Wir folgen der Strasse nach rechts, wie auf der Karte, überqueren ein Tiergatter, in Richtung einer kleinen Wiese. Ich gehe voraus und als ich den Kopf hebe und abrupt stehen bleibe, läuft Franzi mir in den Rücken. Ich schaue an den Rand der Wiese, hoch zu dem kleinen Wäldchen. In der Dunkelheit erkenne ich gelbe Punkte. Andere Hiker?

Nein, Pferde, das müssen Reiter sein. Es tauchen immer mehr gelbe Punkte auf und irgendwann kann ich in der Dunkelheit die pechschwarzen Tiere erkennen. Schwarze Rinder, mehr als ein Dutzend, und sie kommen auf uns zu. Werden immer schneller und scheinen immer mehr zu werden. Mich packt die Panik, ich drehe mich um, schreie Franzi an, sie solle wegrennen, runter zum Zaun, zurück zur Strasse, so schnell wie möglich. Wir rennen runter, durch den Fluss, achten nicht darauf, dass wir knöcheltief durchs Wasser rennen, gehen weiter und durch das Tor auf die Strasse. Ich weiss, man sollte Ruhe bewahren. Ruhig bleiben, stehen bleiben. Aber ich bin mir nicht sicher, wie viele das hinkriegen würden, wenn eine Herde Rinder im Dunkeln auf einen zurennt. Wie dem auch sei, wir stehen wieder auf der Strasse. Auf der anderen Seite des Zauns und keine zehn Pferde bekommen uns nochmals auf diesen Weg durch die Rinderherde. Das bedeutet für uns: Planänderung. Wir studieren die Karte und halten Ausschau nach Alternativen. Und tatsächlich. Wir können der Strasse durchs Städtchen folgen, die Abzweigung auf den Hügel nehmen und müssten dort wieder auf den Trail treffen, der von der linken Seite herführt. Wir gehen also für die nächsten Meilen auf der Strasse und hoffen, dass wir dann tatsächlich wieder Trail-Markierungen vorfinden werden.

~

Das Thema «Essen und Trinken» ist allgegenwärtig auf dem Trail. Weil man so oft an nichts anderes als Pommes und Pasta, Früchte und Gemüse oder eine kalte Cola denken kann. Man bekommt ihn kaum aus dem Kopf, diesen Gedanken an ein erfrischendes Getränk, wenn er sich einmal festgesetzt hat. Ebenfalls hoch im Kurs sind Burger. Und je näher wir der Stadt Idyllwild kommen, desto präsenter wird dieses Thema unter den Hikern. Immer wieder hört man den Namen «Paradise Valley». Die besten Burger soll es dort geben, in diesem Café an einer Kreuzung, nicht weit entfernt vom Trailhead, mitten im Nirgendwo. Bei unserem heutigen Campside treffen wir auf alte Bekannte. Ryan, Micaela, Kimi und Mike sind ebenfalls unterwegs nach Idyllwild und auch sie reden von diesem Café.

Zu sechst sind wir also unterwegs auf der letzten Etappe in Richtung «Paradise Valley». Während wir eine kurze Pause geniessen, stellt Mike fest, dass er hier sogar eine Internetverbindung hat und aus lauter Neugier googelt er «Paradise Valley». Mike schaut auf sein Handy, checkt die Uhr, dann wieder sein Handy und er scheint ein wenig blass zu werden um die Nase. «Die schliessen um fünfzehn Uhr die Küche!»

Was sagt er da? Zuerst glauben wir an einen Scherz, aber an seinem Gesicht ist deutlich zu erkennen, dass er die Burger bereits abgeschrieben hat, auf welche wir uns seit Tagen freuen. Wie wichtig dieses Essen für uns ist, zeigt sich in den nächsten Minuten. Ryan und ich schauen uns kurz an und beschliessen, dass wir der Gruppe vorausgehen und für alle Burger bestellen werden, vor fünfzehn Uhr. Ein ehrgeiziges Unterfangen, aber das ist es uns wert. Wir haben noch etwas mehr als zwei Stunden Zeit für die restlichen Meilen. In Windeseile packen wir zusammen, nehmen noch kurz die Bestellung auf und ziehen los. Es ist ein Auf und Ab, viele Höhenmeter, Serpentinenwege und zwei Gipfel. Nach einigen Meilen verliere ich den Anschluss zu Ryan, er hat leichtes Gepäck und einen zügigen Schritt, aber auch die anderen hinter mir haben längst den Anschluss verloren und ich versuche, meine Pace hoch zu halten, nicht langsamer zu werden, die Herausforderung anzunehmen. Es geht längst nicht mehr nur um die Burger, vielmehr geht es darum, es zu schaffen. Da scheint irgendwie das Sportler-Gen in mir mal wieder Oberhand zu gewinnen. Ich keuche, atme unregelmässig, verliere immer wieder den Rhythmus, weil ich viel zu schnell gehen will, mein Oberkörper fällt immer weiter nach unten und ich versuche, mich mit den Stöcken wieder aufzurichten. Diese blöde Burger-Idee artet völlig aus. Aber ich kann jetzt keinen Rückzieher machen, gehe weiter, ignoriere meine schmerzenden Lungen auf dem letzten Anstieg, genauso wie die schmerzenden Beine. Oben angekommen, gönne ich mir einen Rundumblick, aber keine Pause, ich muss diese zwei Stunden einfach in diesem Tempo durchziehen, gehe weiter. Dann, endlich, sehe ich in weiter Ferne eine Strasse zwischen den Bäumen. Mein Herz macht einen Satz, ich fühle mich viel leichter als je zuvor, schaue auf meine Uhr. Das wird knapp. Vom Trailhead ist es eine einzige Meile bis zum Café. Eine Meile. Nicht mehr und nicht weniger, aber diese eine Meile, die zieht sich dahin auf dieser schnurgeraden Strasse, das Café immer im Blick. Ich renne schon fast, denn jetzt, so kurz vor dem Ziel, will ich auf keinen Fall zu spät kommen. Man kennt das Gefühl: Etwas knapp zu verpassen, ist bei weitem schlimmer, als es deutlich zu verpassen. Sei es, wenn man den Zug verpasst oder bei einem Sportevent den vierten Rang erreicht. Lieber mit grossem Rückstand Vierter werden, als um eine Hundertstelsekunde das Podest zu verpassen. Ich will das Podest respektive die Burger heute nicht verpassen. Ich komme zur Strasse, gehe nach links und auf meiner linken Seite fängt ein roter Zaun an. Dieser zieht sich durch bis zum Café, einem ebenfalls roten Gebäude. Ich gehe dem Zaun entlang, sehe Ryan bereits im Garten sitzen, winke ihm zu und steuere direkt auf den Eingang der Küche zu. Ohne meinen Rucksack abzusetzen oder kurz zu verschnaufen, bestelle ich für Franzi und mich den Original-Burger mit Pommes und 5dl Cola. Es ist 14:58 Uhr. Die letzten zwei Burger des Tages werden bezahlt und auf den Grill gelegt.

Die anderen der Gruppe tauchen etwa eine Stunde nach unserer Bestellung auf und jubeln, als sie sehen, dass wir sechs grosse, braune Tüten mit Burger-Menüs auf dem Tisch stehen haben. Wir essen unsere verdienten Burger, schiessen gefühlte tausend Fotos davon und geniessen es, nach sieben Tagen wieder etwas näher an der Zivilisation zu sein. Etwas näher, denn Idyllwild ist noch ein paar Meilen entfernt und irgendwie müssen wir da noch hinkommen. Die anderen vier werden eine Pause in einem anderen Ort einlegen und nicht mit uns mitkommen, also brauchen Franzi und ich noch eine Mitfahrgelegenheit. Und dann kommt er: Hurk. Steht vor dem roten Gartenzaun, mit langem weissem Bart, Karohemd, schütterem Haar, zittrigen Fingern und gelben Zähnen und fragt, ob jemand eine Mitfahrgelegenheit nach Idyllwild brauchen könne. Franzi und ich schauen uns an. Nie im Leben würden wir zuhause zu ihm ins Auto steigen, aber hier ist das etwas anderes. Begeistert packen wir alles zusammen, umarmen die anderen der Gruppe, verabschieden uns und folgen Hurk zu seinem Auto. Einem roten Pick-Up, mindestens nochmals dreissig Jahre älter als Hurk, der auch nicht mehr der Jüngste ist. Franzi kann sich vorne hinsetzen, ich quetsche mich im Seitwärtssitz hinter die zwei Vordersitze auf eine Art Rückbank und höre noch, wie Hurk sagt, er müsse noch vier weitere Hiker aufladen, an einem Trailhead etwas weiter vorne. Die haben ihn angerufen. Wie jetzt? Vier weitere Leute? Ich schaue mich um und frage mich, wo genau Hurk die unterbringen will, aber da fahren wir bereits los. Oder besser, wir holpern über die Strassen. Und tatsächlich, ein paar Meilen weiter hält Hurk an, steigt aus und begrüsst die anderen. Er öffnet den tiefliegenden Kofferraum des Pick-Ups und lädt die Hiker samt Rucksack hinten ein.

Okay, legal ist das bestimmt nicht, aber das stört im Moment keinen. Wir holpern also weiter und Hurk erzählt Geschichten vom Outdoor-Leben und von gegrillten Klapperschlangen, die wie Poulet schmecken. Franzi fragt Hurk nach dem Wetter, um die Gespräche am Laufen zu halten, aber sie rechnet nicht damit, dass Hurk mit zittrigen Fingern sein Handy aus dem Hemd kramen und für sie den neusten Wetterbericht vorlesen würde. Mit seiner zittrigen linken Hand lenkt Hurk den Wagen auf dem Schotterweg, mit der anderen checkt er das Wetter auf dem Handy und übersieht so das grosse Schlagloch, in welches er mit vollem Tempo reinfährt. Alle werden kurz heftig durchgeschüttelt, ich schlage mir den Kopf an der Decke an und aus dem Kofferraum hört man ein schmerzverzerrtes Aufstöhnen. Immerhin, Hurk legt seinen Fokus wieder auf die Strasse, was mich sehr beruhigt, und bringt uns alle heil nach Idyllwild. Er bietet noch an, uns am nächsten Tag wieder zum Trail zu fahren, aber wir lehnen dann doch dankend ab. Wir haben Hurk und seinen Fahrstil einmal überlebt und wollen das Glück nicht herausfordern. Aber er hat in den nächsten Tagen immer wieder für Lacher gesorgt bei Franzi und mir, Hurk, die Legende von Idyllwild, ein unglaublicher Typ.

Hurk,...

Erscheint lt. Verlag 10.12.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseführer Nord- / Mittelamerika
Schlagworte Abenteuer • Amerika • Frau • Kanada • Leichtes Gepäck • Mexiko • Nordamerika • Pacific Crest Trail • PCT • Reise zu sich selbst • USA • Wandern • Weitwanderweg
ISBN-10 3-907178-08-4 / 3907178084
ISBN-13 978-3-907178-08-9 / 9783907178089
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