Kolumbien (eBook)

Ein Länderporträt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
200 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-431-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kolumbien - Martin Specht
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Kolumbien ist ein Land voller Gegensätze: Bürgerkrieg und Lebensfreude, Biodiversität und Umweltzerstörung, Amazonas­dschungel und riesige Metropolen. Fünfzig Millionen Menschen leben hier an den Karibik- und Pazifikküsten, zwischen Anden und Amazonas. Das Land ist reich an Rohstoffen und zudem der größte Kokainexporteur der Welt. Nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs hofft eine der ältesten Demokratien Lateinamerikas nun auf einen stabilen Frieden.
Martin Specht kam erstmals nach Kolumbien, als er über die Drogenkriege berichtete, und verbringt mittlerweile einen großen Teil seiner Zeit dort. Ihn interessiert, wie die Menschen leben und was sie bewegt. Er ist fasziniert vom Alltag der Kolum­bianer und ihrer besonderen Widerstandsfähigkeit, der resiliencia.

Jahrgang 1964, Journalist, berichtet seit 1989 aus Osteuropa, dem Balkan, Afrika und Zentralasien. Seine Reportagen werden international publiziert. 2008 war er für den Prix Bayeux-Calvados, den internationalen Preis für Kriegsberichterstattung, und 2009 für den Henri-Nannen-Preis nominiert. Seit einigen Jahren hält er sich jedes Jahr für längere Zeit in Kolumbien auf, bereist dabei Lateinamerika und insbesondere die Amazonasregion.
Im Ch. Links Verlag sind von ihm erschienen: »Heute trifft es vielleicht dich. Deutsche in der Fremdenlegion« (2014), »Narco Wars. Der globale Drogenkrieg« (2016) und »Kolumbien - Ein Länderporträt« (2018).

Jahrgang 1964, Journalist. Er begann seine Karriere 1989 mit Berichten über den Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa. 1991 bis 2004 reiste er auf dem Balkan und in Afrika, um über die Bürgerkriege auf beiden Kontinenten zu informieren. 2005 dokumentierte er im Auftrag der Vereinten Nationen die Hungersnot in Niger sowie das Erdbeben in Pakistan. Seit 2007 berichtet er aus dem Irak und aus Afghanistan. Seine Reportagen werden international publiziert. 2008 war er für den Prix Bayeux-Calvados, den internationalen Preis für Kriegsberichterstattung, und 2009 für den Henri-Nannen-Preis nominiert.

Krieg, Frieden und Kakao


Das Dorf liege tief im Wald, hatte man mir in Apartadó, einer Stadt mit etwa 160 000 Einwohnern im Nordwesten Kolumbiens, gesagt. Es sei schwer zu erreichen. Man käme nur mit dem chivero dorthin. Chivero, das ist eine Art Sammeltaxi, meistens handelt es sich um einen Willys Jeep älteren Baujahrs. Manche Kolumbianer sagen auch einfach nur »Willys« zu diesen Fahrzeugen. In unwegsamen Gegenden sind sie, abgesehen vom Motorrad, oftmals das einzige motorisierte Fortbewegungsmittel, wenn man nicht reiten oder zu Fuß gehen möchte. Jedenfalls, so sagte man mir am Busbahnhof in Apartadó – der Name der Stadt stammt aus einer indigenen Sprache und wird mit »Bananenfluss« übersetzt –, wenn es regne, sei es sogar mit dem chivero schwierig, zum Dorf zu gelangen. Denn bei zu viel Nässe könne der Schlamm auf dem Weg schon mal zu einem Problem werden. Außerdem werde es bald dunkel, und dann sei es ohnehin nicht mehr sicher. »Die Armee, die Guerilla«, sagte einer der Fahrer, die um die chiveros herumstanden und im Nieselregen ihre Zigaretten rauchten, vieldeutig. Die Männer hatten dunkle Gesichter und wegen des Regens ihre Baseballkappen tief ins Gesicht gezogen. Die meisten von ihnen trugen T-Shirts.

Einige Zigarettenlängen später – der Regen war inzwischen stärker geworden – setzte sich dann doch einer von ihnen ans Steuer. Zwei Männer und drei Frauen wollten nach San José de Apartadó, mein Dorf lag auf dem Weg. Bei sechs zahlenden Fahrgästen spielten die anfänglichen Bedenken keine Rolle mehr. »Listo«, alles klar; wir fuhren los. Die Ladefläche des chivero war mit einer Plastikplane abgedeckt. Darunter waren zwei metallene Sitzbänke längs zur Fahrtrichtung angebracht. In der Mitte und zwischen den Füßen lag das Gepäck: Pappkartons, Taschen und zwei oder drei prallgefüllte Jutesäcke.

Das Fahrzeug schob sich im dichten Verkehr über eine der Hauptstraßen Apartadós. Lastwagen, Motorräder, Busse und Pkw, trotz des Regens schien jeder irgendwohin unterwegs zu sein. Nach einer Weile verließ der chivero den Verkehrsstrom und holperte über unbefestigte Wege durch einen der Außenbezirke der Stadt in Richtung Südosten. Im Vorbeifahren sah ich an einer Mauer eine Reihe von Einschusslöchern. Die Geschosse hatten große Brocken aus dem Gestein herausgerissen. Hinter der Mauer waren die Spitzen von Masten, Stromleitungen und ein Gebäude zu erkennen. Ich drehte den Kopf und versuchte, unter der Plane hindurchzuschauen, als wir die Stelle passierten.

»Das war die Guerilla«, sagte der Mann, der neben mir auf der Bank saß. »Vor Jahren wollte die FARC die Stromversorgung in Apartadó stören und hat die Transformatorenanlage angegriffen.« Nachdem er das gesagt hatte, wandte er sich wieder seinem Smartphone zu und tippte etwas hinein. Unser chivero holperte langsam und durch tiefe Schlaglöcher an der Anlage vorbei. Das Regenwasser spritze in die Höhe. Am Ende der Mauer stand eine Gruppe von Soldaten hinter einer Barriere aus Sandsäcken, die ihnen bis zur Brust reichte. Obwohl zu dieser Zeit bereits ein Waffenstillstand mit den Guerilleros der FARC vereinbart worden war, blickten sie wachsam in den Regen und drehten die Köpfe in Richtung des chivero.

Die Soldaten schauten uns noch lange hinterher. Ich sah es, als ich unter der Plane hindurch zurücksah. Wir fuhren in die verregnete Dämmerung hinein. Hinter der Transformatorenanlage und einem Wachposten endete die Stadt. Wir fuhren in die verregnete Dämmerung hinein. Die Straßenlaternen und das Licht in den Fenstern der Häuser wurden kleiner und verblassten schließlich ganz. Auf allen Seiten war lediglich das Dunkelgrün der üppigen Vegetation zu sehen. Bäume mit großen Blättern, Büsche, Sträucher und Schlingpflanzen wuchsen bis an den Weg heran. Manchmal streifte das Fahrzeug einen überhängenden Ast, dabei war jedes Mal ein schleifendes Geräusch auf der Plane zu hören. Der Fahrer beschleunigte. Wir fuhren einen Hügel hinauf. In den aufgeweichten Fahrspuren schlingerte der chivero hin und her. Um sich nicht an den Ecken und Kanten des Fahrzeugs – oder am Sitznachbarn – zu stoßen, hielt sich jeder irgendwo fest. Durch einige Löcher in der Plane tropfte es. Der Mann neben mir hielt sein Smartphone, zum Schutz vor dem Wasser, ganz dicht vor das Gesicht, unter den Schirm seiner Baseballkappe. Der Schein des Displays beleuchtete seine zusammengekniffenen Augenbrauen mit einem blassen Blau. Es wurde schnell dunkel. Der Fahrer des chivero mühte sich damit ab, das Fahrzeug in den Regenschauern auf dem Weg zu halten. Die Scheinwerfer leuchteten zwar einige Meter weit in die verregnete Dunkelheit hinein, aber jenseits des Lichtkegels war nichts mehr zu erkennen. Kurze Zeit später schaltete mein Banknachbar sein Smartphone ab, das blaue Licht des Displays erlosch. Wahrscheinlich gab es keinen Empfang mehr.

Der Übergang von der Stadt Apartadó zum Land hatte sich abrupt und beinahe schlagartig vollzogen. Nicht so, wie man es aus europäischen Städten kennt, wo es ein Zentrum und darum herum Industrie- und Wohngebiete gibt, die Häuser mit zunehmender Entfernung von eben diesem Zentrum von immer größeren Grundstücken umgeben sind, und sich der Verkehr auf den Straßen angenehm entspannt. Außerhalb Apartadós dagegen begann hinter den Transformatoren die Wildnis. Ich wusste, dass es irgendwo das Dorf geben musste, das mich interessierte. Aber gab es denn nicht noch mehr Menschen, die außerhalb Apartadós lebten?

Tatsächlich leben in Kolumbien überdurchschnittlich viele Einwohner in den Städten des Landes. Im Juli des Jahres 2017 gab es einer amtlichen Erhebung zufolge genau 47 698 524 Kolumbianerinnen und Kolumbianer. Mehr als 77 Prozent von ihnen wohnten in den Metropolen. Dabei besteht das Land mit einer Gesamtfläche von 1 138 000 Quadratkilometern zu 54,4 Prozent aus Wald, Dschungel oder Regenwald; weitere 37,5 Prozent des gesamten Staatsgebietes werden landwirtschaftlich genutzt. Demnach müssten eigentlich – auch wenn man davon ausgeht, dass die unzugänglichen Regenwälder des Amazonasgebietes nur dünn besiedelt sind – mehr Menschen auf dem im Norden und Teilen Zentral-Kolumbiens fruchtbaren Land leben. Stattdessen sind mehr als zwei Drittel aller Kolumbianer in Städten wie Bogotá mit circa 9,7 Millionen Einwohnern, Medellín mit circa 3,9 Millionen, Cali mit circa 2,6 Millionen, Barranquilla mit circa 1,9 Millionen und Cartagena mit circa 1,1 Millionen Einwohnern beheimatet.

Die Erklärung für dieses Missverhältnis in der Bevölkerungsdichte von Stadt zu Land hat – wie so vieles in der jüngeren Geschichte Kolumbiens – mit dem Bürgerkrieg zu tun:

Die Menschen sind vor der Gewalt des Bürgerkriegs in die Städte geflohen. Es war vielerorts schlichtweg zu gefährlich, um weiterhin auf dem Land zu leben. Zwischen 1985 und 2017 befanden sich innerhalb Kolumbiens etwa 7,6 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Vereinten Nationen nennen diese Menschen in ihren Berichten und Statistiken Internally Displaced People – kurz IDPs –, zu Deutsch Binnenvertriebene oder Binnenflüchtlinge. Es sind Menschen, die sich nach der Vertreibung aus ihrer Heimat weiterhin innerhalb der Staatsgrenzen aufhalten.

Kolumbien lag laut einer Statistik des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) aus dem Jahr 2018, vor dem Irak und Syrien, an der Spitze aller Staaten weltweit, in denen die meisten Binnenflüchtlinge leben. Bedauerlicherweise ist dies in Kolumbien schon wesentlich länger der Fall, als in den beiden arabischen Ländern, wo erst die Bürgerkriege der letzten Jahre zu Flüchtlingsbewegungen in dieser Dimension geführt haben. Die überwiegende Mehrheit der Binnenvertriebenen Kolumbiens siedelte sich in den Metropolen oder deren direkter Umgebung an. Die Öffentlichkeit der Städte und die Polizeipräsenz versprachen einen gewissen Schutz. Ein Massaker in einer abgelegenen 200-Seelen-Gemeinde ist etwas anderes, als in einer Stadt mit mehreren Millionen Einwohnern. Dort würden solche Untaten – sprichwörtlich – unter den Augen der Öffentlichkeit stattfinden. Und damit wären Politik und Justiz zwangsläufig zu einer Reaktion verpflichtet. Abgesehen davon, gibt es natürlich auch die globale Tendenz, dass es immer mehr Menschen – besonders junge – auf der Suche nach Arbeit in die Städte zieht.

Neben den Binnenflüchtlingen gibt es auch viele, die das Land gänzlich verlassen und im Ausland neu anfangen. Nach Angaben des UNHCR rangiert Kolumbien 2018 unter den zwanzig Ländern, aus denen die meisten Menschen auf der Suche nach Sicherheit und einer neuen Lebensperspektive ins Ausland migrieren. Das Land ist also in vielerlei Hinsicht durch den lang andauernden Bürgerkrieg geprägt.

Die Gegend, durch die der chivero inmitten der Regenschauer fuhr, war während des Bürgerkriegs besonders stark betroffen. Sie gehört zum Hinterland der westlichen Karibikküste. Der Boden ist fruchtbar und eignet sich zum Anbau von Kakao, Bananen und Avocado; aber auch zur Kultivierung des Kokastrauchs, aus dessen Blättern Kokain hergestellt wird. Die Nähe zum Meer und zur Grenze nach Panama machten die Region für Schmuggler und die Guerilla attraktiv. Nicht weit entfernt, im Landesinneren, erhebt sich der Abibe-Höhenzug, ein Ausläufer der Anden mit bis zu 2200 Meter hohen Gipfeln.

Auf der Fahrt durch die Dunkelheit bekam ich einen Eindruck von der Unwirtlichkeit dieser Gegend. Es sah so aus, als wären wir die einzigen...

Erscheint lt. Verlag 5.9.2018
Reihe/Serie Länderporträts
Zusatzinfo 1 Karte/Tabelle
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Reiseführer Südamerika Kolumbien
Schlagworte Amazonas • Anden • Atlantikküste • Bogota • Bürgerkrieg • Drogenhandel • FARC • Friedensnobelpreis • Gabriel Garcia Marquez • Guerilla • Juan Manuel Santos • Kolumbien • Pazifikküste • Simon Bolivar
ISBN-10 3-86284-431-5 / 3862844315
ISBN-13 978-3-86284-431-9 / 9783862844319
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