Die Welt des Xi Jinping (eBook)
160 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490988-2 (ISBN)
Kerry Brown ist Professor für Sinologie und Direktor des Lau China Institute am King's College in London und Mitglied des Chatham House. Er hat über 30 Jahre in China gelebt und gearbeitet, u.a. als Erster Sekretär der Britischen Botschaft in Peking. Regelmäßig schreibt er u.a. für »Times Literary Supplement«, »The Observer« und »Foreign Affairs«. Er hat bereits einige Bücher über das gegenwärtige China geschrieben.
Kerry Brown ist Professor für Sinologie und Direktor des Lau China Institute am King's College in London und Mitglied des Chatham House. Er hat über 30 Jahre in China gelebt und gearbeitet, u.a. als Erster Sekretär der Britischen Botschaft in Peking. Regelmäßig schreibt er u.a. für »Times Literary Supplement«, »The Observer« und »Foreign Affairs«. Er hat bereits einige Bücher über das gegenwärtige China geschrieben.
eine knapp formulierte Entstehungsgeschichte von Xis Gedankengut, die Lust auf mehr macht.
In Kerry Browns bedenkenswerter Lesart erscheint Xi Jinping als ein ebenso rationaler wie skrupelloser Herrscher, der halbwegs erfolgreich die Korruption bekämpft
2 Xi Jinping als Parteimann
In den Wochen vor seiner finalen Beförderung Ende 2012 traf Xi sich mit einem bekannten liberalen Gelehrten, mit Hu Deping. Während des Gesprächs räumte Xi angeblich die großen Herausforderungen ein, denen China gegenüberstand. Die vier »Nichts«, vor einigen Jahren berühmt gemacht durch Wen Jiabao, den früheren Premierminister, standen im Vordergrund: In China war ein ökonomisches Modell in Anwendung, das nicht stabil, nicht nachhaltig, nicht ausbalanciert und nicht gerecht war. Die globale Finanzkrise 2008 hatte das unterstrichen. Chinas ökonomisches Modell, das größtenteils auf der Produktion gründete, hatte sich gegenüber den Launen einer Welt draußen, die sich einmal mehr als unbeständig und unberechenbar erwiesen hatte, verwundbar gezeigt. Schon zeichnete sich am Horizont die Angst vor der gefürchteten »Falle mittlerer Einkommen« ab oder davor, wie es der Politikwissenschaftler Minxin Pei formulierte, dass das Land steckenbleiben könnte im Übergang davon, Fabrik der Welt zu sein, hin zu einem Ort, der stärker auf Dienstleistungen basiert. In China herrschte noch immer ein ökonomisches Modell, das von Verzerrungen gekennzeichnet war: hohe Kapitalinvestitionen in feste Anlagen, niedriger Konsum, ein Dienstleitungssektor, der zwar wuchs, aber weiterhin schwächer war als in anderen, ähnlichen Volkswirtschaften, und schließlich hohe – wie hoch genau, war jedoch unbekannt – öffentliche Schulden, besonders auf der kommunalen Ebene. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, gab es niemanden, der die Gesamtlage mit Gewissheit überblickte, da Kommunalbeamte in einigen Bereichen übertrieben, während sie in anderen zu niedrige Angaben machten, um sich selbst zu schützen. Statistiken wurden deshalb mit Argwohn betrachtet.
Zu diesen Verzerrungen kam eine Bevölkerung hinzu, die seit der Zeit Maos keine Rezession mehr erlebt hatte. Im Grunde hatte es in der Wirtschaft des Landes seit Jahrzehnten keinen Abschwung mehr gegeben. Selbst als noch der Vorsitzende das Schiff mit Hilfe seines höchst primitiven, autarken, zentralisierten ökonomischen Modells steuerte, gab es Wachstum. Jüngere Chinesen hatten immer in einem Umfeld gelebt, in dem ein jährlich zweistelliges Wachstum die Normalität und keine Anomalie war. Seit Mitte der 1990er Jahre träumte die Mittelklasse – diejenigen, die in urbanen Zentren lebten, im Dienstleistungsbereich arbeiteten und jene Art von Lebensstil zu mögen begannen, den ähnliche sozioökonomische Gruppen im Westen pflegten – nicht mehr vom Kühlschrank, vom kleinen Motorroller, Fernseher und Telefon, sondern von einer neuen, hochwertigen Unterkunft, einer sauberen Wohnumgebung, einem Auto (für gewöhnlich importiert, trotz der hohen Zollgebühren) sowie den neuesten Handys und elektronischen Geräten. Bei diesem Teil der Bevölkerung waren Erwartungen und Nachfrage grenzenlos. Und noch beunruhigender, sie waren sich zunehmend ihrer neuen (wenn auch eingeschränkten) Rechte bewusst und bereit, für sie einzustehen, über Gerichte, durch Petitionen oder mit anderen Mitteln, um sich Gehör zu verschaffen.
Alle diese Themen müssen Xi umgetrieben haben, als er sich Mitte 2012 mit dem Gelehrten Hu traf. Aber es gab auch explizit politischere Themen, die ihre Gespräche bestimmten. Zum Beispiel waren sich beide Männer absolut dessen bewusst, wie schlecht es dem Einparteienmodell an den meisten anderen Orten ergangen war, besonders in der Sowjetunion, und man hatte ebenfalls ein Gespür dafür, dass die Ära Hu Jintao nur ein einziges Thema gekannt hatte: enorme Wachstumszuwächse rauszuschlagen auf Kosten von allem anderen. Seit 2001 hatte China seine Wirtschaftsgröße vervierfacht. Aber es hat auch eine gewaltige Verschärfung der Ungleichheit gesehen, mit mehr Milliardären als in jedem anderen Land und zugleich 100 Millionen Menschen, die nach wie vor in Armut lebten. Die natürliche Umwelt war mit dieser rasanten Industrialisierung, die extreme Wetterereignisse ausgelöst und die Eisdecken auf dem Hochland von Tibet zum Schmelzen gebracht hat, an die Grenzen der Belastbarkeit gestoßen. Das schlimmste Umweltproblem war politisch gesehen jedoch der dichte Smog, der sich inzwischen quer über das ganze Küstengebiet Chinas von Shanghai bis nach Beijing ausbreitete, bei der Bevölkerung zu Atembeschwerden führte oder gar zu vorzeitigen Todesfällen wegen Problemen mit den Bronchien; allgemeiner zeigte es die Grenzen der Regierungsmacht auf, den guten Lebensstil, den man versprochen hatte, einzulösen. Zu diesen Themen kamen noch gewaltige demographische Herausforderungen – eine überalterte Bevölkerung infolge der Ein-Kind-Politik seit den 1970er und 1980er Jahren, Ungleichgewichte bei den Geschlechtern und ein Anstieg der Krankheiten, die entwickelte Länder geißeln, wie Krebs, Herzleiden und Adipositas. Wie einige Beobachter bissig formulierten, ist China ein Land, das alterte, bevor es reich wurde, und sich selbst vergiftet hat, bevor es voll entwickelt war.
Die verlorenen Jahre unter Hu, wie sie irgendwann genannt wurden, hatten seinen Nachfolger mit einem kräftigen Plus beschenkt – einer wahrhaft gewaltigen Wirtschaft mit noch jeder Menge Raum für Wachstum. Das Problem war, wie man an die politischen und administrativen Herausforderungen des Landes herangehen sollte. Es würde unmöglich sein, weiterhin diese enormen Wachstumszuwächse zu erzielen; an irgendeinem Punkt würde es eine Verlangsamung geben müssen. Dann stünde das Problem der Effizienz im Raum: China brauchte eine bessere Verwaltung, keine halsbrecherische Erhöhung des BIP. Eine Führung, die ihren Akzent auf politische statt auf ökonomische Themen setzte, begann sich abzuzeichnen. Die Frage war, welche Gestalt diese Politik annehmen würde und inwiefern die neuen Führer in der Lage sein würden, die immensen Vorteile zu nutzen, die ihnen eine so gigantische Wirtschaft brachte. Generell hatte die Partei die Wahl – entweder grundlegende Reformen im politischen Bereich in Betracht zu ziehen, bevor die Dinge außer Kontrolle gerieten, oder kontraintuitiv zu handeln, eine Phase der Einschränkung hinzunehmen und dabei eine neue Form der Reform und Modernisierung zu konzipieren, welche die politischen Schranken beibehalten und dem Einparteienmodell Genüge tun würde, es jedoch zugleich ermöglichte, den schwierigen Übergang zum Status eines Landes mit mittleren Einkommen zu steuern.
Dies alles bildet den Kontext für Xi Jinpings erste Worte am 15. November 2012, als er nach den turbulenten Ereignissen der vorausgegangenen Monate in Beijing als Generalsekretär der Kommunistischen Partei hervortrat. In seiner kurzen Rede an diesem Tag gab es drei hervorstechende Punkte. Der erste war die Art, in der er hervorhob, dass das Partei-Narrativ untrennbarer Teil eines nationalen Narrativs sei, in dessen Zentrum die Wiederherstellung des Landes stehe:
Unsere Verantwortung ist es, die Menschen in der gesamten Partei und in allen ethnischen Gruppen des Landes zu vereinen und zu führen, während wir den Staffelstab der Geschichte übernehmen und weiter dafür arbeiten, die großartige Wiederbelebung der chinesischen Nation zu verwirklichen, um so die chinesische Nation fester und mächtiger unter allen Nationen der Welt dastehen und einen größeren Beitrag für die Menschheit leisten zu lassen.
Der zweite war die Hervorhebung der Idee des Dienstes – einer Partei, die dem Ethos aus der Frühzeit ihrer Existenz treu bleibt, in den Diensten des chinesischen Volkes zu stehen:
Diese große Verantwortung ist eine Verantwortung gegenüber dem Volk […]. Die Menschen unseres Landes lieben das Leben und erwarten eine bessere Bildung, stabilere Arbeitsplätze, besseres Einkommen, verlässlichere soziale Sicherheit, hochwertigere medizinische Versorgung, angenehmere Lebensbedingungen und eine schönere Umwelt.
Dieses Parteiverständnis, im Dienst der Erwartungen der Menschen des Landes zu stehen, war damit in einen neuen Kontext gestellt, in dem China wohlhabender war und damit auch die Erwartungen gestiegen waren. In der Vergangenheit galt, wie die Führer oft sagten, als Hauptziel, dass jeder Nahrung und Kleidung hatte. Diese grundlegendsten Bedürfnisse zu stillen wurde als der Ausbau der Elementarstufe des Sozialismus angesehen. Inzwischen jedoch war diesen elementarsten materiellen Bedürfnissen Genüge getan, und es gab ein komplexes Paket unterschiedlicher Forderungen von guter Gesundheitsversorgung über die Bereitstellung von Bildung bis zu Auslandsreisen, Wohnungen und einer sauberen Umwelt.
Zum Dritten kam die Frage zur Sprache, was die Funktion der Partei bei alldem sei. Sie sollte, wie Xi klarmachte, eine »politische« Partei sein:
Unsere Verantwortung ist es, mit allen Genossen in der Partei gemeinsam entschlossen sicherzustellen, dass die Partei ihr eigenes Verhalten unter Kontrolle hat; strenge Disziplin durchsetzt; sich effektiv mit den bedeutenden Themen innerhalb der Partei auseinandersetzt; die Arbeitsweise der Partei ernsthaft verbessert und enge Beziehungen zu den Menschen pflegt. So dass unsere Partei beim Voranbringen der Sache des Sozialismus chinesischer Prägung immer das stabile Führungszentrum bleibt.
Selbst jemandem ohne Hintergrundwissen über chinesische Politik dürfte auffallen, wie jeder dieser drei Hauptpunkte auf die Partei und ihre zentrale Bedeutung im Narrativ der nationalen Entwicklung Chinas fokussiert war. Durch die Rede wurde deutlich, dass Xi ein Mann der Partei...
Erscheint lt. Verlag | 22.8.2018 |
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Übersetzer | Brigitte Höhenrieder |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Asien |
Schlagworte | Beijing • Deng Xiaoping • Kommunismus • Kommunistische Partei • Macht • Maoismus • Mao Zedong • Peking • Politik • Reform • Verfassung • Verfassungsänderung • Vollversammlung • Weltmacht |
ISBN-10 | 3-10-490988-1 / 3104909881 |
ISBN-13 | 978-3-10-490988-2 / 9783104909882 |
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