Im Iran (eBook)

(Autor)

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2018 | 1. Auflage
394 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-11048-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Im Iran -  Kate Millett
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Kate Millett erzählt von ihrem abenteuerlichen Aufenthalt im Iran gleich nach dem Sturz des Schahs: während einer Zeit, in der es schien, als könnten die Frauen erstmals Einfluß auf die Geschicke eines ganzen Landes nehmen. Kate Millett hat mit den aktivsten und bewußtesten Iranerinnen gelebt - und mit ihnen über die Fragen gesprochen, die Frauen überall auf der Welt nicht zur Ruhe kommen lassen -, bis sie ausgewiesen wurde. Das sehr persönliche Buch einer begabten Erzählerin: voll lebendiger Porträts und Szenen, die uns in Erinnerung bleiben müssen.

Kate Millett (1934-2017) studierte in Oxford und an der Columbia University. Ihre literaturwissenschaftliche Doktorarbeit «Sexus und Herrschaft» wurde zu einem der bedeutendsten theoretischen Bücher der Frauenbewegung.

Kate Millett (1934–2017) studierte in Oxford und an der Columbia University. Ihre literaturwissenschaftliche Doktorarbeit «Sexus und Herrschaft» wurde zu einem der bedeutendsten theoretischen Bücher der Frauenbewegung.

Erster Teil


1


Verdammt, das Telefon. Das Harz ist fertig angerührt, der Katalysator ist auch schon drin. Die Dickmadam, die ich gestern aus der Garage geholt habe, nimmt auf ihrem Platz unter dem Baum ein Sonnenbad. Noch zwei Schichten auf die Vorderfront; es macht Spaß, ihre Brüste und ihren Bauch zu bestreichen, der Zement bewährt sich, ein gutes Anstreichmittel, nicht dieses fürchterliche plastikartige Aussehen, das ich schon seit zwei Jahren zu vermeiden trachte. Und wenn sie auch noch wetterfest ist. Ja – es ist das Telefon. Noch mehr Harz auf Deanas weißes Hollywood-Telefon, ein schlechter Lohn für ihre Gastfreundschaft.

Wahrscheinlich ist es nicht einmal für mich. Ich bin in Deanas Haus, ein wunderschönes altes spanisches Bauernhaus in einer ruhigen Umgebung, eine Terrasse, die Skulpturen. Und obwohl ich nur die Garage als Werkstatt gemietet habe, kann ich in einem freien Zimmer schlafen, und meine Miete bezahle ich mit Zeichnungen. Ich nenne es das Studio West, der ideale Platz zum Arbeiten; ich komme deshalb auch immer gern hierher, um meine Dickmadams, diese unberechenbaren Skulpturen, die ständig um Hilfe kreischen, wieder instand zu setzen. Aber seit ein paar Tagen, seit es sich herumgesprochen hat, daß ich hier bin, werde ich dauernd durch Telefonanrufe bei meiner friedlichen Alchimie gestört. Das Harz wartet nicht gern. Endlose Unterbrechungen, Vorbereitungen für meine nächsten Unternehmungen, die ich für die Rückreise an die Ostküste geplant habe, die ständigen Anrufe von der Universität Pitsburgh und Ohio, und die Flüge sind immer noch nicht gebucht; sie rufen sogar bei Sophie zu Hause in der Bowery an. Zwei Vorträge auf der Rückreise.

Zuerst jedoch der Abstecher nach St. Paul, eine Familienangelegenheit, eine Versöhnung mit meiner Tante nach all diesen Jahren. Vor zwanzig Jahren schickte sie mich nach Oxford. Ich hatte versprochen, allein zu gehen, nicht mit dieser «Geschiedenen», eine heimliche, perverse Affäre, die Romanze einer Studienanfängerin mit einem höheren Semester, die beide Seiten der Familie vor Entsetzen erschauern ließ. Beide, die meiner Mutter und die der Milletts. Das höhere Semester war nämlich weiblichen Geschlechts, etwas Unerhörtes für St. Paul. Mutter weint, die Milletts bereiten ein Gipfeltreffen vor. Ich soll nur unter der Bedingung, daß ich «diese Frau» aufgebe, Geld für mein Studium in Oxford bekommen. Okay, sage ich, die arme Verwandte, die Chance meines Lebens vor Augen, ich würde eben für die Fahrkarte meiner Freundin jobben. Ich gehe also nach Oxford. Aber mit ihr. Die Sache wird ein paar Jahre später von einem netten Besucher, der überraschend bei uns auftauchte, entdeckt. Der große Krach mit den Milletts, sie explodieren vor Wut und zerfleischen mich förmlich. All das liegt nun schon zwanzig Jahre zurück, sowohl die Affäre mit meiner Freundin wie auch die Geschichte mit meiner Tante. Die eine hatte mich für immer verlassen, und die andere würde nie wieder zu mir zurückkommen. Nur wenn ich mich irgendwie mit ihr versöhnen könnte, zu ihr gehen, mich entschuldigen, mich bedingungslos unterwerfen, meine Schuld zugeben und ihren Segen empfangen würde. Sie ist alt. Und krank, sagte mir meine Schwester. Ich muß nach St. Paul, so sehr ich mich auch davor fürchte. Ihre frostige Stimme, diese Tante, die ich als Kind vergötterte und die mich jetzt in einem Restaurant treffen will, nicht in dem Haus, das ich so liebe; keine Gelegenheit, die geliebten Räume wiederzusehen, das chinesische Pferd auf dem Kaminmantel, die Bilder. Räume, von denen ich immer noch träume und von ihr in ihnen.

Nun, vielleicht am Tag darauf, du bleibst doch eine Woche. In einem Motel. Ihre Stimme, als sie das begriff.

«Warum nicht bei deiner Mutter?» Es mußte auch komisch klingen. Weil ich deine Gunst wieder erringen will und weil ich dir damit beweisen will, daß ich ganz zu deiner Verfügung stehe und sogar meine Mutter deswegen vernachlässige. Weil eure beiden Familien schon seit meiner Kindheit Klassenkämpfe untereinander austrugen. Weil mir meine Mutter wahrscheinlich auch verzeiht, daß ich nach St. Paul komme und nicht bei ihr wohne, während du mir wahrscheinlich nie verzeihst, daß ich mit einer Freundin, einer Lesbierin, nach Oxford ging. Ich erwähnte es wieder, als ich sie wegen diesem Treffen anrief – die Stimme meiner großen Tante Christina, die von Mayo County im Westen Irlands kam, wurde immer vorwurfsvoller und erstarrte dann plötzlich zu Eis. All das liegt noch vor mir. Und es bleiben mir noch anderthalb Tage, um mit meiner Dickmadam fertig zu werden – jede Minute zählt, wenn ich sie draußen liegen lasse, um die neue Schicht zu testen; all diese Flüge, wo ich doch einfach nur ungestört meiner Arbeit nachgehen möchte … das Telefon.

Ich höre eine Stimme. Deanas auf Band gesprochene Durchsage ist zu Ende. Der Fremde fängt an zu reden. Ein Mann. Deutlicher Akzent.

«Khalil aus New York, CAIFI

Wenn «Caifi» spricht, muß ich antworten. Das Harz ist dabei, hart zu werden, ich muß wieder neues anrühren, Caifi hat jedoch Vorrang. Caifi, das Komitee für die Freiheit der Künstler und Intellektuellen im Iran, gehört zu den wichtigsten Dingen, die mich in den letzten Jahren beschäftigten. Angela Davis’ Gefängnistrafe bedeutete für mich bald Gefangene überhaupt, politische Gefangene, in Chile und den übrigen südamerikanischen Staaten; aber irgendwie, ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wie es begann, schilderte mir jemand die Lage der politischen Gefangenen im Iran so eindringlich, daß ich nicht darüber hinweggehen konnte. Es war sowohl ein Appell an mein Vorstellungsvermögen als auch an mein ethisches Empfinden – wie eben ein Engagement zustande kommt –, und die Beschreibung kreiste um Folterungsmethoden, um Folter im allgemeinen. Je länger ich zuhörte, desto empörter wurde ich, eine Empörung, die vom Magen ausging und der Empörung glich, die ich bei Sylvia Likens Tod empfunden hatte, die einen dumpf vor sich hinbrüten läßt, wenn man nichts tun kann oder die einen zur Tat schreiten läßt, wenn alles noch offensteht. Wir haben seit Jahren getan, was wir konnten. Manchmal erschien uns das Ganze so sinnlos, all diese College-Studenten, zu denen wir sprachen, denen wir die Schandtaten des Schahs beschrieben. Ungläubigkeit, Erstaunen, Unfähigkeit, es emotional aufzunehmen, und eine totale intellektuelle Gleichgültigkeit. Entweder sie glauben uns nicht oder es ist ihnen gleichgültig.

Wie eine Schafherde glauben sie einfach immer noch: Man gehorcht dem Staat. Bei einem totalitären Regime wartet man auf bessere Zeiten. In Amerika haben wir unsere demokratischen Rechte, die meisten zumindest; wir verdienen sie. In anderen Ländern verdienen sie sie wohl nicht oder legen gar keinen so großen Wert darauf, finden sie eher absurd. Sie haben nun einmal diesen Kerl, und in den Zeitungen heißt es immer nur, er wäre toll. Glanzvolle Uniformen im Wochenendmagazin, die schönsten Farbfotos. Mich haben sie auch verführt. In ihrem Alter hing ich auf den Skipisten herum, kellnerte im Sun Valley, Idaho, und einmal mußte ich auch seiner Hoheit das Mittagessen servieren. Noch zur Zeit Sorayas. Ich versuchte sogar, seine Hoheit in meinem Schulfranzösisch anzureden, der Sprache, die, wie ich dachte, an Höfen gesprochen wurde. Fünf bullige CIA-Gorillas, die mit dem Revolver in der Tasche Ski fahren mußten. Und ein Typ vom Außenministerium. Seine Majestät würde sich nicht mit dem Personal unterhalten, erklärte mir einer seiner Leute in verletzendem Englisch und ich lief schamrot in die Küche zurück. Dessert bitte? «Dessert» ist ein komisches Wort. Aber ich genoß trotzdem seine königliche Aura; wir hielten ihn alle für sehr gutaussehend damals, ein königlicher Playboy, ein höllischer Skifahrer (in jeder Beziehung, er schoß senkrecht, ohne zu wedeln, die Hänge hinunter und seinen Gorillas, die alle professionelle Skiläufer waren, aber durch die Revolver in ihren Taschen und durch seine Art und Weise, Ski zu laufen, in eine gefährliche Situation gebracht wurden, standen die Haare zu Berge). Und wenn er sich an einen Tisch setzte, der zu meinem Revier gehörte, so war das ganz schön aufregend, als hätte man Gary Cooper zum Frühstück, Cary Grant die Woche davor.

Die amerikanischen Studenten mit ihren perplexen Gesichtern muß man wohl erst daran erinnern, daß wir eine Republik sind und Könige als Tyrannen betrachten, daß der Schah von Persien nicht einfach nur zum internationalen Jet-set gehört wie die Filmstars oder die Sportler, die sie bewundern. Die Allmacht der Medien – Fernsehen ist für sie immer noch ausschlaggebender als ihre Lehrbücher. Sie haben nichts mit den Studenten der späten sechziger Jahre gemein, mit uns damals, als wir uns an der Columbia University radikalisierten und der SDS alle Fakten parat hatte. Man denke nur an seine Freunde, die gähnen, wenn man mit ihnen über die politische Entwicklung im Iran, dem CIA-Coup von 1953 spricht, durch den Mossadeghs konstitutionelle Demokratie gestürzt wurde. Vorangegangen war ein Oberst, ein Analphabet, der sich selbst zum Schah erhoben hatte, brutal und kriminell den Thron an sich gerissen und sich später mit den Nazis verbündet hatte. Die Alliierten ersetzten ihn also durch seinen eigenen Sohn, den jetzigen Schah. Auch ein Emporkömmling, der jedoch dank der Ölmagnaten (Mossadegh war nicht «zuverlässig» gewesen, er fing an, die Ölgesellschaften zu verstaatlichen) und der amerikanischen CIA nun der Schah der Schahs genannt wurde, der Schatten Gottes.

Wie ihn wohl die vor Schmerz aufheulenden Insassen seiner Gefängnisse nannten? Neben mir,...

Erscheint lt. Verlag 18.5.2018
Übersetzer Uta Goridis
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Sport- / Aktivreisen Naher Osten
Schlagworte Abenteuer • Ayatollah Khomeini • Demokratie • Demonstration • Emanzipation • Familie • Feministin • Flucht • Frauenrechte • Islam • Islamische Revolution • Jîna Aminis Tod • Khomeini • Kopftuch • Persien • Persischer Golf • Protest • Schah Mohammad Reza Pahlavi • Teheran • Unterdrückung
ISBN-10 3-688-11048-X / 368811048X
ISBN-13 978-3-688-11048-3 / 9783688110483
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