Italien (eBook)

Ein Länderporträt
eBook Download: EPUB
2016 | 2. Auflage
208 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-347-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Italien - Gianluca Falanga
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Spätestens seit Goethes Italienreise blicken die Deutschen sehnsüchtig nach Süden, auf das »Land, in dem die Zitronen blühen«. Die Klischees vom Dolce Vita sind so zahlreich wie die von den Schattenseiten Italiens, von allgegenwärtiger Korruption, innerstädtischen Müllbergen und ehrenwerten Mafiosi.
Gianluca Falanga führt durch die chaotischen Zustände seines Heimatlandes, erzählt von der Geschichte und politischen Kultur Italiens, vom Alltag und dem Zusammenleben seiner Landsleute. Ein Kompass für alle Italienliebhaber.

Jahrgang 1977, geboren in Salerno (Italien); Studium der Literaturwissenschaft und Philologie in Turin; lebt seit 2002 als Übersetzer, Publizist und Buchhändler in Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. "Italien in Berlin", Berlin 2006; "Berlin 1937. Die Ruhe vor dem Sturm", Berlin 2007.

Italienische Zustände


Was ist Italien? Ein Land, eine Nation? Klemens Fürst von Metternich behauptete 1814/15 beim Wiener Kongress, dass Italien nicht mehr als »ein geographischer Ausdruck« sei. Passend für ihn, denn für die Habsburger-Monarchie war die politische Zersplitterung des Landes sehr günstig. Unbeabsichtigt hat er aber mit diesem oft zitierten Ausspruch einen nützlichen Interpretationsschlüssel geliefert: Geographie. Ein Blick auf die Landkarte kann vieles vom Wesen und Schicksal eines Landes verraten. Für das Verständnis Italiens ist dieser Blick sogar unabdingbar.

Der Belpaese, das schöne Land, ist ein Zipfel Europas in dem Meer, an dem die Wiege der europäischen Zivilisation liegt. Am Mittelmeer begegnen sich drei Kontinente, und das macht aus Italien auf sehr eigene Art und Weise ein Grenzland. Allerdings eines mit fester Verankerung am Kontinent Europa. Diese beiden Aspekte prägen nicht nur das Leben und die Kulturen Italiens, daraus resultiert auch die historische Entwicklung der Halbinsel: vom Kreuzungspunkt und Katalysator von alledem, was aus dem Mittelmeerraum kommend über Jahrhunderte die Geschichte und die Identität Europas bestimmt hat, hin zur Peripherie und Frontlinie eines Okzidents, der sich zu Beginn des zweiten Millenniums von Globalisierung und Massenmigration bedroht fühlt.

Ein »geographischer« Standpunkt hilft auch dabei, einen weiteren grundlegenden Aspekt der italienischen Wirklichkeit zu erkennen. Italien gibt es nur im Plural. Damit meine ich die Vielfalt lokaler Identitäten und Kulturen, die in ihrer Gesamtheit Italien erst ausmachen – Kulturen und Identitäten, die teilweise in so starkem Widerspruch zueinander stehen, dass es verwundert, dass Italien noch nicht daran zerbrochen ist. Der traditionelle Nord-Süd-Konflikt kann nicht allein die großen regionalen Unterschiede und unzähligen Lokalpatriotismen erklären. Gleichwohl ist die Analyse dieses Konflikts hilfreich, um die Zerrissenheit des Landes und seine vielfältigen Gegensätze zu verstehen.

Italiener behaupten oft, Italien sei keine Nation, denn seine Einwohner könnten ihre Partikularismen nicht überwinden. Die italianità sei im Vergleich zum Nationalbewusstsein anderer europäischer Länder eine eher schwache nationale Identität. Ein Grund dafür liege darin, dass Italien, ähnlich wie Deutschland, ein junger Nationalstaat ist. Das schwache Nationalgefühl, vereint mit einem hartnäckigen Misstrauen gegenüber dem Staat, habe im Laufe der Jahrzehnte dazu geführt, dass sich immer wieder Teilidentitäten behauptet hätten – und zwar oft als Polarisierung: Faschisten gegen Antifaschisten, Katholiken gegen Laizisten, Nord- gegen Süditaliener.

Ich zweifle daran, denn eine solche Analyse berücksichtigt nur die letzten 150 Jahre, aber die Wurzeln Italiens und der Italiener reichen viel weiter zurück. Ganz sicher ist die Bevölkerung der Halbinsel dem Nationalstaat gegenüber nicht grundsätzlich feindlich und skeptisch eingestellt. Dennoch glänzt sie weder durch Nationalpatriotismus noch durch »Staatssinn«. Diese Einstellung ist kein Produkt ihres natürlichen Anarchismus, wie man in Deutschland oft glaubt, sondern eher das Ergebnis einer langen Geschichte.

Italien ist eines der wenigen Länder auf der Welt, das sich schon als Kulturnation verstand, bevor die Vorstellung von einer Nationalgemeinschaft und einem Einheitsstaat politisch wirksam wurde. Die Herausbildung der nationalen Identität erfolgte frei sowohl von jeglicher zentralstaatlichen Instanz als auch von einem maßgebenden wirtschaftlichen Zentrum. »Italien ist ein literarischer Ausdruck«, sagte der Dichter Giosué Carducci Ende des 19. Jahrhunderts. Für ihn war der wahre Vater der Nation weder ein Staatsmann noch ein Politiker, sondern ein Dichter. Und zwar Dante Alighieri, der bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts in seiner Göttlichen Komödie als Erster die italianità in allen ihren Facetten, dem spezifischen Geflecht von Trieben, Lastern, Sehnsüchten und Hoffnungen, beschrieb.

Das römische Erbe, die katholische Kirche, die Renaissance, Kunst und Literatur bildeten jahrhundertenlang die Grundlage der eigenen Identität, einer Identität, die spontan, unabhängig von dem Willen eines Königs oder einer Regierung, entstanden war. Die italianità war vom Anfang an eine Lebensform, ja eine Lebenskunst, eine Kultur der Geselligkeit, des Benimms, eine besondere Weise, Kreativität im Leben aufzufassen und einzusetzen. Italiener definieren sich bis heute beispielsweise gern über Küche und Esssitten, die ein sehr starkes Moment des Zusammenhalts darstellen und besser als alles andere Italien symbolisieren.

Von daher erscheint die vermeintlich historische Unfähigkeit der Italiener zur Staatsbildung bzw. zu einer effizienten Organisation des Staates in einem anderen Licht. Es ist eher ein Versagen der Italiener als ein Versagen der Nationalstaatsidee. Der politisch-ideologische Entwurf einer Nation ist nicht einfach gescheitert: Er befand sich schon immer in der Krise, weil er sich vornahm, den unregierbaren, zersplitterten und streitlustigen Pluralismus der italienischen Wirklichkeit in ein – seinen Bewohnern zutiefst wesensfremdes – Herrschafts- und Organisationsmodell hineinzuzwängen. »Italiener«, so schrieb Goethe treffend, »sind auf die wunderbarste Weise sämtlich Widersacher, haben den sonderbarsten Provinzial- und Stadteifer, können sich alle nicht leiden, die Stände sind in ewigem Streit und das alles mit immer lebhafter gegenwärtiger Leidenschaft«.

So stehen wir vor dem ersten unlösbaren Widerspruch Italiens: Es gibt ein klar definiertes Selbstbewusstsein, das sich in einer Vielzahl von starken, kaum einigungswilligen Partikularismen und Egoismen äußert, aber diese lassen sich nicht in einer Nation zusammenfassen. Heute scheint im Gegenteil das fragil ausbalancierte Gleichgewicht, das zeitweise ein verträgliches Zusammenleben von National- und Lokalidentitäten ermöglicht hat, wieder stärker verlorenzugehen. Schon in den frühen 1990er Jahren begann man Italien als eine künstliche nationale Gemeinschaft zu bezeichnen. Seitdem wird das Land mehr und mehr als »zerfaserte« Gesellschaft am Rand der endgültigen Auflösung wahrgenommen.

Italiener sind nicht daran gewöhnt, darüber nachzudenken, was sie vereint. Lieber konzentrieren sie sich darauf, was sie teilt und trennt. Kürzlich hielt der populäre Komiker Roberto Benigni, der für den Film Das Leben ist schön einen Oscar gewann, einen Monolog zur Eröffnung einer seiner Fernsehlektüren von Dantes Divina Commedia:

»Wir dürfen nicht vergessen, woher wir kommen. Denn wenn ein Volk an seine Vergangenheit nicht mehr denkt, kann es nur noch verzweifeln. […] Wir gehören zu einem winzig kleinen Land in der Welt, über dem der Himmel ein Füllhorn von Schönheiten ausgeschüttet hat. […] Wir dürfen nicht vergessen, was wir alles ohne Hilfe anderer erfunden haben. Sämtliche Reiche, die es in der westlichen Welt gegeben hat, sind blasse Nachahmungen des Römischen Reiches. […] Italien hat alles erfunden, was modern ist. In der Welt, in den Künsten, in den Wissenschaften, im Recht. Die Straßen, die Zivilisation. Jede Kunstbewegung ist nichts im Vergleich zum italienischen Rinascimento. Die Pariser oder Wiener Schule, das elisabethanische und viktorianische England, das New York der 70er Jahre: Kleinigkeiten. Das italienische Rinascimento ist einzigartig. […] Die Musik: Wir haben die Musik alphabetisiert. Wir haben Noten und Instrumenten ihre Namen gegeben. Piano, violino, con dolcezza, con brio, toccato, contrappunto, maestro, orchestra: alles wunderschöne italienische und zugleich allgemeingültige Wörter. […] Ebenfalls in der Architektur: arco, tetto, piazza, palazzo, mezzanino, studio. In der Malerei: barocco, manierismo, introspezione, prospettiva, affresco. […] Im Bankwesen: finanza, conto, cassa, credito. Alles italienischen Wörter. […] Italien ist der einzige Ort auf der Welt, wo zuerst die Kultur vor der Nation entstand. Wir sollten stolz darauf sein.«

Seine Worte berührten die Zuschauer tief – allerdings nur kurz. Benignis Absicht war – jenseits von Chauvinismus –, den Stolz sowie das Selbst- und Kollektivbewusstsein der von Wirtschaftskrise und Tagespolitik bedrückten Italiener zu kitzeln. Und das tat er eben nicht, indem er die Erfolge Italiens als Nationalstaat aufzählte, sondern eine einfache Tatsache in Erinnerung rief: Italien war nach der Antike nie wieder eine politische Weltmacht, jedoch immer eine kulturelle Weltmacht – ein Ort, der der ganzen Menschheit Kultur und Forschritt in einem unvorstellbaren Maß geschenkt hat. Die westliche Zivilisation verdankt Italien sehr viel, und angesichts der bescheidenen Dimensionen des Landes kann man das in jeder Hinsicht für ein kleines Wunder halten.

Doch der Alltag bietet den Italienern kaum Gelegenheit, sich an dieses Wunder zu erinnern. Eigentlich keine. Was ist also Italien heute für ein Land? Der Philosoph Lucio Colletti: »ein Land, das in den Strudel der Modernisierung hineingerissen wurde und aus diesen herauskam, ohne geschichtliche Erinnerung seiner selbst und ohne Beziehung mehr zu seinen eigenen Traditionen«. Journalisten und Publizisten in der ganzen Welt überschlagen sich mit ihren alarmierenden Berichten aus Italien, und tatsächlich gibt es im heutigen italienischen Alltag Tendenzen, die schon mehr als beunruhigend bezeichnet werden...

Erscheint lt. Verlag 12.8.2016
Reihe/Serie Länderporträts
Zusatzinfo 1 Karte/Tabelle
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
Reiseführer Europa Italien
Schlagworte Agrigent • Benito Mussolini • Cavaliere • Demokratie • Dolce Vita • Don Camillo und Peppone • Erste Republik • Faschismus • Italien • Italien-Reise • Johann Wolfgang von Goethe • Korruption • Kulturpolitik • Kunst • Länderporträt • Mafia • Paestum • Papsttum • Pompeji • Rimini • Risorgimento • Rom • Toscana • Tourismus • Weltkulturerbe • Zweite Republik
ISBN-10 3-86284-347-5 / 3862843475
ISBN-13 978-3-86284-347-3 / 9783862843473
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