Frankreich (eBook)

Ein Länderporträt

(Autor)

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2017 | 3. Auflage
248 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-349-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Frankreich - Günter Liehr
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Die aktuelle Politik hat unser Frankreich-Bild erschüttert. Galt der Nachbar bislang als Freund des guten Weins und exzellenten Essens, die Männer als einfühlsame Liebhaber und die Frauen als stets modisch gekleidete, emanzipierte Schönheiten, so zeigt sich langsam ein anderes Bild: das von hoffnungslosen und in den Terror abrutschenden Migranten in der Banlieue und fremdenfeindlichen Wählern des Front National. Doch wie sieht Frankreich im Alltag wirklich aus, warum stimmen die alten Klischees zum Teil immer noch und wie versucht das Land seine Probleme zu lösen? Günter Liehr liefert eine facettenreiche Erkundung unseres Nachbarn.

Jahrgang 1949, Studium der Literaturwissenschaften in Bonn, Deutschlehrer, Journalist und Sachbuchautor, lebt seit 1977 in Paris, von 1989 bis 2010 Redakteur beim französischen Auslandssender Radio France Internationale. Veröffentlichungen zur französischen Medienlandschaft sowie zur Geschichte von Paris und Marseille.

Jahrgang 1949, Studium der Literaturwissenschaften in Bonn, Deutschlehrer, Journalist und Sachbuchautor, lebt seit 1977 in Paris, von 1989 bis 2010 Redakteur beim französischen Auslandssender Radio France Internationale. Veröffentlichungen zur französischen Medienlandschaft sowie zur Geschichte von Paris und Marseille.

Vorbemerkung


Der Parc des Buttes-Chaumont ist für mich der schönste Park von Paris, eine romantische Phantasielandschaft, geschaffen von den Gartenarchitekten des Zweiten Kaiserreichs, nur zehn Minuten zu Fuß von meiner Wohnung. Mit Entsetzen erfuhr ich von der Existenz der sogenannten Buttes-Chaumont-Bande, zu der Chérif Kouachi, einer der Killer der Charlie-Hebdo-Redaktion, gehörte. Die radikalen Islamisten, aus denen diese Gruppe bestand, trafen sich regelmäßig in diesem lauschigen Park zu Fitness-Übungen. Gut möglich, dass sie mir da mal beim Jogging entgegengekommen sind. Außerdem haben sie die in meinem Quartier gelegene Adda’wa-Moschee frequentiert.

Ebenfalls in meiner Nachbarschaft, im Pariser Nordosten, fanden die Massaker vom 13. November 2015 statt, bei denen Leute, die friedlich im Café saßen, mit Kalaschnikows niedergemäht wurden. Bei der Tante eines Freundes, die mit ihrer Familie beim Abendessen saß, zischte eine Kugel durchs Fenster. Das Unheil ereignet sich nicht mehr bloß in fernen Ländern. Es holt uns ein, rückt nahe heran. Und im Dezember 2015 brachte die Tageszeitung Libération ein Titelbild mit der Zeile »Ça se rapproche« – »Es kommt näher«. Man sah dazu das verschwommene, aber erkennbare Antlitz von Marine Le Pen. Anlass war das beispiellose Auftrumpfen der Rechtsextremisten bei den Regionalwahlen. Das war der nächste Tiefschlag. Die Front National konnte prächtig von den Anschlägen profitieren. Wie Jeanne d’Arc, als Retterin des Vaterlandes, trat die Parteichefin auf. Madame Le Pen an der Schwelle zur Macht?

Es war wahrhaftig reich an Erschütterungen und Zumutungen, dieses Jahr 2015. Was sich da ereignete, stellte bisherige Gewissheiten in Frage, löste ungeahnte Verstörungen aus. Das Selbstverständnis der Franzosen ist angeknackst, und dies nicht erst seit den Anschlägen von Paris. Diese ereigneten sich in einem Land, das sich bereits in einem Zustand größerer Verunsicherung befand. Die wirtschaftliche Lage ist besorgniserregend. Das Wachstum bleibt nun schon so lange aus, die Arbeitslosigkeit will nicht zurückgehen, die Reformen greifen nicht, dafür wachsen Unzufriedenheit, Wahlverdrossenheit, Misstrauen gegenüber der Politikerkaste und der Europäischen Union.

»Der kranke Mann Europas«, »Problemkind Europas«, »Europas gefährlichster Krisenstaat«,– dergleichen liest man schon seit Längerem über Frankreich in der deutschen Presse. »Immer tiefer versinkt das Nachbarland in einer wirtschaftlichen wie längst auch seelischen Krise« hieß es gar in der Süddeutschen Zeitung. Ist das nicht ein wenig anmaßend und selbstgerecht?

Unbestreitbar scheint allerdings, dass Frankreich den einstigen Vorbild- und Wohlfühl-Charakter verloren hat. Wie sehr hatte man dieses Land früher verehrt und glorifiziert! Vielen war Frankreich die Heimat des guten Lebens, der kulinarischen Verheißungen, aber auch der kritischen Köpfe, der fortschrittlichen Geister, und dies ungeachtet der seit langem schon schwächeren Wirtschaftsleistungen. Nun ist so etwas natürlich immer mit Illusionen verbunden. Je intensiver man sich hingegen auf dieses Hexagon einlässt, desto mehr entfaltet sich seine Komplexität, desto faszinierender wird es. Es gibt gewiss hinreichend Gründe, sich über Frankreich aufzuregen, aber es ist, mit all seinen Widerhaken und Schattenseiten, weiterhin ein großartiges Land, und es verlangt danach, kennengelernt zu werden.

Meine erste Reise als Student nach Frankreich führte per Anhalter in den Süden. Ich trampte zwischen Avignon, Nîmes und Sète herum und landete schließlich bei der Weinlese zu Füßen des Mont Canigou am Rande der Pyrenäen. Alles war gut: das flimmernde Licht unter den Platanen, die plätschernden Dorfbrunnen, der Pastis-Geruch in den Cafés, die melodiös und genussvoll plaudernden Menschen auf den Märkten, die Chansons von Georges Brassens und Jacques Brel, die ich zum ersten Mal hörte. Groß war gleich die Begeisterung.

Von da an ging es immer wieder hinein in dieses weite Land.

Was für einen großen Reichtum an Landschaften haben sie da, in ihrem heiligen Sechseck, dazu schnurgerade Straßen bis zum Horizont, Dörfer und Städte mit Patina. Und wie angenehm sind die Leute! Sie haben sonntags ihr Huhn im Topf und zuckeln gemächlich mit ihren zerbeulten 2 CVs und R4s umher, eine Gauloise im Mundwinkel, ja, damals rauchte man noch, und wie … Es war nicht schwer, dieses Frankreich zu mystifizieren. Viele verehrten das Land als Gegenmodell zum eigenen. Leben und leben lassen schien hier die Devise, auch war nicht alles so saubergekratzt und abgezirkelt wie daheim, manchmal gar ein wenig schmuddelig, mit Sägespänen auf dem Kneipenboden, in die man gleich auch die Erdnussschalen hinschmiss und die Zigarettenasche. Ich erinnere mich, wie ein deutscher Elektriker-Freund fassungslos die lose von Haus zu Haus baumelnden, verknoteten Stromleitungen betrachtete. Ein bisschen chaotisch-improvisiert, aber irgendwie sympathisch. Die Franzosen konzentrieren sich eben mehr aufs Wesentliche.

Und dazu die politische Gesinnung, diese erfrischende Radikalität! Im Lande des Mai 68, dieser großartigen Aufwallung, schienen auch noch in den siebziger Jahren geistige Freiheit und kritisches Engagement zu Hause zu sein. »Schaffen wir französische Zustände!«, hatte Hans Magnus Enzensberger damals in einer Rede gerufen. Man hatte gelernt, dass unterm Pflaster der Strand lag und dass man Voltaire nicht verhaftet. Der konservative de Gaulle hatte dies zu bedenken gegeben, als seine Anhänger 1960 zur Zeit des Algerienkriegs ein Exempel gegen den unbotmäßigen Jean-Paul Sartre statuieren wollten, während daheim kritische Intellektuelle von führenden Politikern mal als »Pinscher«, mal als »Ratten und Schmeißfliegen« tituliert wurden. Wie anders dagegen dieses Land, in dem sich Politik und Poesie zu verbinden schienen, wo in den Cafés Surrealisten, Rebellen und Lebenskünstler beim Aperitif saßen!

»Frankreich ist der Inbegriff all dessen, was das Menschenleben schön und würdig macht.« So heißt es in Friedrich Sieburgs 1929 erschienenem Buch Gott in Frankreich?. Diese immer wieder neu aufgelegte Bibel der Frankophilen hat beim deutschen Publikum in besonderem Maße die Vorstellungen über das Nachbarland geprägt. Warum schätzte Sieburg Frankreich? »… weil ich schwach genug bin, mich in einem altmodischen und unordentlichen Paradies lieber aufzuhalten als in einer blitzblanken und trostlosen Musterwelt.« Wie spätere Frankreich-Pilger litt auch er schon unter Deutschlands moderner Kälte und fand hier die vormoderne, charmant zurückgebliebene Gegenwelt.

Sieburg selbst hatte übrigens zeitweilig andere Töne angeschlagen: Als frankophiler Nazi war er 1941 mit einer Propagandatruppe durch Frankreich gezogen und hatte sich als »Kämpfer und Nationalsozialist« präsentiert, auf die Franzosen eingeredet, sich einzubringen ins neue Nazi-Europa, und sie aufgefordert, »Schluss zu machen mit dem ewigen Durchwursteln, den schlichten Glücksvorstellungen von Freizeitanglern … wovon sich Deutschland längst mutig befreit hat«.

Dennoch hatte Sieburgs idyllisierendes Frankreich-Bild lange Nachwirkungen und schlägt sich noch heute in gewissen Stereotypen nieder. Dabei wird die wirtschaftliche und gesellschaftliche Realität des industrialisierten Frankreich allerdings gern ausgeblendet. Das war lange ein Problem deutscher Frankreich-Schwärmer, in deren Vorstellungen sich die Franzosen nicht recht wiedererkennen konnten und wollten.

Es dauerte eine Weile, bis sich in der Wahrnehmung der Deutschen das moderne Frankreich, voller Ungleichzeitigkeiten und mit Schönheitsfehlern behaftet, an die Stelle des imaginierten Idylls setzte. Die vielen Begegnungen und Austauschprogramme, die nach dem 1963 geschlossenen Elysée-Vertrag zustande kamen, haben dazu zweifellos einiges beigetragen. Tatsächlich kann sich die Freundschaftsbilanz sehen lassen. 2000 Städtepartnerschaften wurden geschlossen, über sieben Millionen junge Franzosen und Deutsche haben an Programmen zum Jugend- und Schüleraustausch, zur Berufs- und Sprachausbildung teilgenommen. Partnerschaften von Regionen, Universitäten, Schulen wurden gegründet, kulturelle Großveranstaltungen wie »Paris–Berlin« oder »Germania und Marianne« fanden statt. Der deutsch-französische Kulturfernsehkanal Arte nahm den Sendebetrieb auf, eine deutsch-französische Brigade wurde aufgebaut, eine gemeinsame Adenauer-de-Gaulle-Briefmarke herausgegeben und sogar gemeinsame Geschichtsbücher für den Schulgebrauch.

Im Januar 2013 wurde das 50. Freundschaftsjubiläum gefeiert. Es reiste die Pariser Nationalversammlung, 577 Abgeordnete, nach Berlin zu einer gemeinsamen Sondersitzung mit den Kollegen vom Bundestag, in der Philharmonie gab es ein Konzert mit Stücken von Beethoven und Saint Saens. Allerdings fiel das Jubiläum in eine wenig enthusiastische Phase, in der »mehr Grabenkämpfe als Gemeinsamkeiten« herrschten, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung feststellte. Französischerseits war man verschnupft darüber, dass sich Deutschland nicht recht an dem gerade begonnenen Mali-Krieg beteiligen wollte. Eine »verdrießliche Goldene Hochzeit« sei das, klagte Le Monde.

Es fehle die Leidenschaft bei diesem alten Paar, das die Krise weiter auseinanderdividiert habe anstatt es enger zusammenzubringen, nörgelte Le Point. Aber auch wenn das neue Paar Merkel-Hollande eine etwas...

Erscheint lt. Verlag 13.9.2017
Reihe/Serie Länderporträts
Zusatzinfo 1 Karte/Tabelle
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
Reiseführer Europa Frankreich
Schlagworte Alltagskultur • arte • Atomkraft • Betriebskultur • Bildungssystem • Deutsch-französische Beziehungen • deutsch-französischer Dialog • Extremismus • Französische Revolution • Geschichte Frankreichs • Gesellschaft • Gesundheitssystem • Kino • Korsika • Laizismus • Länderporträt • Literatur • Macron • Medienkultur • Musikszene • Paris • Politik • Privatleben • Rechtsparteien • Regierungssystem • Religion • Schulsystem • Sprachpurismus • Wein • Wirtschaft
ISBN-10 3-86284-349-1 / 3862843491
ISBN-13 978-3-86284-349-7 / 9783862843497
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