Japan (eBook)

Ein Länderporträt
eBook Download: EPUB
2018 | 3. Auflage
192 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-216-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Japan - Christian Tagsold
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Japan - kaum ein Land wirkt so exotisch und doch vertraut: Wir denken an ultraschnelle Züge, die vor majestätischer Fuji-Kulisse durch das Land rasen, an Tempel, Pagoden und modernste Technik.
Christian Tagsold zeigt ein Land, das vielschichtig und uns oft näher ist, als sich ahnen lässt. Er erzählt von der alternden Gesellschaft, dem langen Schatten des Zweiten Weltkriegs und dem oft nicht einfachen Leben nach dem großen Wirtschaftscrash vor zwei Jahrzehnten; von einem Land, das mehr ist als die stereotype Gegenüberstellung von Tradition und Moderne.

Jahrgang 1971, Studium der Japanologie, Neueren und neuesten Geschichte sowie Soziologie in Erlangen und Tsu (Japan); 2000 Promotion; Betreuer der japanischen Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 und der Frauen-WM 2011; seit 2006 Dozent für Modernes Japan an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Vorwort


Viele Bücher oder Zeitschriftenartikel, die Japan vorstellen, beginnen damit, das Land »zwischen Tradition und Moderne« anzusiedeln. Traditionen, das sind buddhistische Mönche und Tempel, altertümliche Riten und Kunstwerke. Auch die scheinbar untergeordnete Stellung der Frau in der Gesellschaft wird gerne unter dieser Rubrik verbucht. Dem gegenüber stehen Hightechprodukte wie Plasmafernseher und zukunftsweisende Autos mit Hybridtechnologie. Das Miteinander von Tradition und Moderne sei das typische Kennzeichen des Landes, manchmal schwer zu ertragen, manchmal aber von wohltuend ausgleichender Wirkung. Dieses Bild wird in Japan von der Politik und den Medien gerne angenommen und kultiviert, und so hat es sich fest verankert. Es ist jedoch nicht sonderlich hilfreich, wenn man dort leben und dazu seine Umgebung verstehen will. Das wurde mir recht schnell vor Augen geführt, als ich mich nicht mehr nur in meiner Studierstube mit Japan beschäftigte, sondern mich auf ins Land »zwischen Tradition und Moderne« machte.

Als ich zu Beginn der 1990er Jahre anfing, Japanologie zu studieren, schienen Tradition und Moderne gerade besonders heftig aufeinanderzuprallen. Japan überschwemmte die westlichen Märkte mit Videorekordern, Videospielkonsolen und Autos. Gleichzeitig begeisterten sich die meisten meiner Kommilitonen wie viele andere Menschen für Zen-Buddhismus oder japanische Kampfkünste. Schulen für Judo, Karate oder Aikido waren gut frequentiert, und Berichte über asketische Mönche in alten Klöstern liefen häufig im Fernsehen. Auch die wirtschaftliche Stärke wurde oft auf Zen zurückgeführt. Meditieren stärke die Manager und mache sie offen für ungewöhnliche Lösungen, so konnte man in der einschlägigen Literatur lesen. Japan, damals ökonomisch unglaublich erfolgreich, wurde also oft durch Zen-Buddhismus erklärt, und nicht wenige erlagen der Faszination dieser buddhistischen Schule. Manche tun es sogar heute noch, wie die Regisseurin Doris Dörrie in ihrem Film »Erleuchtung garantiert«.

Obwohl ich kein Zen-Adept und Anhänger von Kampfkünsten war, fand ich es schon ein wenig überraschend, von all dem so wenig zu sehen, als ich mich 1993 erstmals gen Osten aufmachte. Ich lebte das erste halbe Jahr in einer Homestayfamilie und bekam dadurch einen sehr guten Einblick in das Alltagsleben. Meine Homestayeltern hatten zwar einen buddhistischen Hausaltar, aber mit Zen konnten sie wenig anfangen. Für meine Homestayfamilie war Judo so anrüchig wie Boxen – ein seltsamer Sport für Gewaltfanatiker –, und meine Freunde sahen es allesamt genauso. Ebenso liefen nirgends Zen-Mönche durch die Straßen, und buddhistische Tempel waren fast immer verwaist. Noch dazu gehörten die meisten von ihnen ganz anderen buddhistischen Schulen an. Gerta Ital, eine Deutsche, die in den 1960er Jahren nach Japan reiste, um sich voll dem Zen-Buddhismus zu verschreiben, machte eine ganz ähnliche Erfahrung. Aber sie ließ sich nicht davon verunsichern, dass so wenig von Zen zu sehen war, obwohl im Westen so viel darüber geschrieben und geredet wurde. Stattdessen behauptete sie in ihrem Buch Der Meister, die Mönche und ich. Eine Frau im Zen-Buddhistischen Kloster einfach, dass die Japaner sehr wohl alle tief vom Zen-Buddhismus beeinflusst seien. Sie wüssten es nur selber nicht mehr und hätten ihre zen-buddhistische Prägung gewissermaßen ins Unterbewusste verdrängt – eine nicht wirklich überzeugende Erklärung.

Inzwischen unterrichte ich selber Studierende an der Universität und bemerke, dass sich der Blick auf Japan seit Anfang der 1990er Jahre völlig verändert hat. Zen ist überhaupt kein Thema mehr – kaum jemand würde heute deshalb Japanologie studieren. Stattdessen interessieren sich die Studierenden für Mangas und Animes, japanische Comics und Zeichentrickfilme. Manche träumen sogar davon, selber mangaka, also Comiczeichner, zu werden. Ob nun die Vorstellung wirklich zutrifft, Japan sei das Paradies für Mangaanhänger, ist vielleicht fraglich. Ziemlich sicher trifft es die Sache aber eher als der Glaube meiner Studentengeneration an das zenbuddhistische Paradies auf Erden. Im Gegensatz zu Zen sind Manga und Anime wirklich weit verbreitet.

Heißt das nun, dass Japan eher ein modernes als ein traditionelles Land ist, weil so viele Japaner moderne Populärkultur schätzen und deshalb Manga lesen, jedoch nur ganz wenige sich dem Zen zuwenden? Haben die Japaner ihre Traditionen abgelegt und sich nun endgültig und unwiderruflich der Moderne zugewandt? So einfach ist es nun auch wieder nicht. Zen mag keine so große Rolle spielen. Doch seit über tausend Jahren regiert ein Kaiser, und obgleich Zen-Mönche eher seltene Erscheinungen sind, ist doch beispielsweise Schinto, den man gerne als japanische Naturreligion bezeichnet hat, ein wichtiger Bezugspunkt. Also doch ein Land »zwischen Tradition und Moderne«? An diesem Punkt möchte ich mit meiner Beschreibung einsetzen. Wenn man versteht, dass dieser Gegensatz zwischen Tradition und Moderne so nicht existiert, hat man schon viel gelernt. Der Trick dabei ist, dass vieles an dem, was uns traditionell anmutet, alles andere als alt ist. Viele Traditionen sind jüngeren Datums und sehr bewusst von der Politik lanciert worden. Das heißt nicht, dass die Beschäftigung mit diesen »Traditionen« unsinnig wäre. Im Gegenteil versteht man vieles von dem, was heutzutage vor sich geht, indem man sich vor Augen hält, warum diese Traditionen so modern geworden sind.

Die Frage, wie Tradition und Moderne einerseits so zusammengehen könnten und welche Widersprüche sich daraus ergäben, wurde vor nicht allzu langer Zeit noch einmal aufs heftigste in den Medien aufgeworfen. Als im März 2011 erst ein Erdbeben Nordjapan erschütterte, dann ein Tsunami die Küstenregion zerstörte, fast 20 000 Menschenleben forderte und schließlich in den Kernkraftwerken von Fukushima mehrere Reaktorblöcke unkontrollierbar wurden, wollten nicht nur Journalisten schnelle Erklärungen haben. Viele Verhaltensweisen schienen unverständlich. Warum zeigten so wenige Menschen ihre Gefühle und ließen ihrer Trauer freien Lauf, warum flüchtete praktisch niemand ins Ausland, warum opferten sich 50 Arbeiter in Fukushima, um Schlimmeres zu verhindern? Zunächst einmal beruhten diese drei häufigsten Fragen auf höchst oberflächlichen Beobachtungen und waren falsch gestellt. Davon abgesehen fielen die Antworten in alte Muster zurück. Die Antwort, die Georg Diez im Spiegel zehn Tage nach dem Beginn der Katastrophe auf die letzte der drei Fragen, die nach den Motiven der sogenannten Fukushima 50, gab, ist bezeichnend: »Weniger die Pflicht scheint diese Männer anzutreiben …, sondern das, was man mit dem altmodischen, vordemokratischen, sperrigen Wort der Ehre meint.« Mit vordemokratischen und altmodischen Motiven hätten die Arbeiter sich also dem größtmöglichen Unfall der Moderne, der Kernschmelze, entgegengeworfen. Ihr Opfer für die Gruppe sei in Zeiten des Individualismus vorbildlich.

Ich habe im März 2011 einer Journalistin der Bild- Zeitung versucht zu erklären, warum die Dinge etwas komplexer sind als diese holzschnittartigen Beschreibungen. Das Gespräch war sehr fruchtlos, weil die Dame immer wieder auf ihre einfachen Antworten zurückkam und diese nur von mir bestätigt haben wollte. Am Ende kamen wir zu keiner gemeinsamen Version der Ereignisse, und sie zog los, einen neuen, handzahmeren Fachkundigen zu suchen. Viele Japaner in Deutschland und Japanexperten bemühten sich ebenfalls nach Kräften, den Medien bessere Erklärungen zu geben. Nicht allzu oft sind sie damit durchgedrungen. Die Medien sind im Falle einer Katastrophe diesen Ausmaßes völlig überfordert und greifen auf bekannte Muster zurück. Aber gerade dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, sich nicht mehr mit dieser Form von Analysen zufriedenzugeben. Ich schreibe deshalb am Ende des Buches über die dreifache Katastrophe und zeige anhand dieses Beispiels, dass man Japan nicht mehr als in sich geschlossene, selbstgenügsame Gesellschaft beschreiben kann. Wir müssen ständig im Auge behalten, wie sich Informationen, politische Bedingungen und Netzwerke weltweit in Reaktion auf lokale Ereignisse verhalten.

Man kann die Auseinandersetzung allerdings nicht nur auf die Demontage vieler uns vertrauter Japanbilder reduzieren, und das will auch ich in diesem Buch nicht tun. Die japanische Gesellschaft erlebt nicht nur in Folge der dreifachen Katastrophe riesige Umbrüche. So wurde der Glaube an eine immer weiter wachsende Wirtschaft, die damit einhergehende Vollbeschäftigung und letztlich die unbegrenzten Segnungen der Moderne bereits Anfang der 1990er Jahre erschüttert. Damals platzte die sogenannte »Bubble Economy«, die über alle Maßen aufgeblasene Wirtschaft – das spielt für die Beschreibung des Landes eine zentrale Rolle. Vielleicht können wir dabei auch etwas über uns selbst lernen. Eine ganz ähnliche Krise haben wir mit der Weltwirtschaftskrise gerade erst erlebt.

Noch eine Entwicklung, die wir mit Japan teilen, vollzieht sich dagegen langsamer, aber im internationalen Vergleich doch erschreckend rasch. Die japanische Gesellschaft ist die am schnellsten alternde der Welt. Schon jetzt ist ein Viertel aller Menschen dort über 65 Jahre alt, und ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung wird sich in den nächsten Jahrzehnten noch weiter erhöhen. Hier ist man uns ebenfalls einfach nur ein Stückchen voraus, wenngleich auf ungewohnte Weise. Die deutsche Gesellschaft altert zwar weniger schnell, doch ein Blick nach Japan könnte gleichzeitig etwas über unsere eigene...

Erscheint lt. Verlag 5.9.2018
Reihe/Serie Länderporträts
Zusatzinfo 1 Karte/Tabelle
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
Reiseführer Asien Japan
Schlagworte Asien • Christian Tagsold • Elektronik • Erdbeben • Fuji • Fukushima • Gesellschaft • Hanshin • Japan • Küche • Land • Länderportrait • Manga • Megacity • Osaka • Pagode • Reis • Sushi • Technik • Tempel • Terassse • Tokio • Tsunami • Wirtschaft
ISBN-10 3-86284-216-9 / 3862842169
ISBN-13 978-3-86284-216-2 / 9783862842162
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