Leben in den Niederlanden

Stefanie Geisen wuchs gleich an der niederländischen Grenze im niedersächsischen Nordhorn auf. Nach einem Au Pair Jahr in Spanien und einer anschließenden Ausbildung zur Fachinformatikerin arbeitete sie zunächst einige Jahre in Hamburg, bevor sie sich zu einem weiterführenden Studium in den Niederlanden entschied. Hier erlebte sie nicht nur eine unkomplizierte und trotzdem lehrreiche Zeit in Groningen, sondern konnte auch hautnah erfahren, wie unterschiedlich unser Nachbarvölkchen trotz der geographischen Nähe im Alltag sein kann. Zur Zeit macht sie in Saarbrücken ihren Masterabschluß im Studiengang Bioinformatik.

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Regelmäßig zieht es Deutsche, Österreicher oder Schweizer für kurz oder lang in die Niederlande. Die Wirtschaft läuft dort gut, die Rente scheint gesichert. Es ist nicht so weit zu Familie und Freunden nach Hause. Auch ein Studium hier ist beliebter denn je – fast ein Fünftel aller Auslandsstudenten wählt die Niederlande. Kein Wunder: 30 Stunden Arbeitswochen für Frauen mit Kindern, Studiengänge mit kleinen Klassen und viel Praxis, bei denen einen der Dozent persönlich kennt und duzt, die Nähe zum Heimatland, sowie gute Karriereaussichten in vielen Branchen machen die Niederlande zu einem attraktiven Auswanderungsland. Ob es Zufall war, dass ich mich für ein Studium in den Niederlanden entschieden habe? Oder doch eher die Vorahnung, mich in dem Land mit den viertglücklichsten Einwohnern der Welt (Deutschland ist nicht mal unter den Top 10) pudelwohl fühlen würde? Wie auch immer – jedenfalls lebt es sich dort wunderbar, und für alle, die den Schritt noch vor sich haben – sei es vorübergehend oder für länger – habe ich eine Reihe an Tipps zusammengefasst, sodass den gewissenhaften Leser eigentlich nichts mehr schockieren dürfte. Über zwei Jahre habe ich in den Niederlanden gewohnt und studiert und mir einen niederländischen Freund geangelt, der mir mit unendlicher Geduld immer wieder erklärt ("auslegt") hat, warum dies und jenes so ist, wie es ist. Und wären da nicht die fast unbezahlbaren Mieten und mein Praktikum in Spanien, so wäre ich gar nicht mehr weggegangen. Aber ich kehre sicher wieder, denn hat man das Land einmal gut kennengelernt, so kann man von den Niederlanden gar nicht genug bekommen. Eine große Bitte habe ich noch an all meine Leser: Schickt mir all Euer Feedback an niederlande@stefaniegeisen.de Was hat Euch gefallen? Was nicht so? Was stimmt Eurer Meinung nach nicht? Was wäre noch zu ergänzen? Wer kann eigene Erfahrungen beisteuern, die das Buch bereichern könnten? Einen herzlichen Dank an jeden einzelnen Leser und ich hoffe, dass dieses Buch gleichzeitig bereichert und erheitert. En nu heel veel plezier bij het lezen! Stefanie Geisen

Im Königreich Niederlande wohnen fast 17 Millionen Menschen auf einer Fläche von etwas über 41.000 km². Um sich hier zurechtzufinden, habe ich einige nützliche Tipps im nun folgenden Kapitel zusammengefasst. Mit einer Arbeitslosigkeit von 6,7% im Juli 2014 liegt die Arbeitslosenquote im fünfgrößten Exportland der Welt momentan etwas über der von Deutschland (4,9%), Österreich (4,9%) und der Schweiz (2,9%). Trotzdem sind die Niederlande ein beliebtes Land bei deutschsprachigen Auswanderern, Urlaubern und besonders Studenten – gerade aus dem deutsch-niederländischen Grenzgebiet. Unser Nachbarland genießt den Ruf, besonders tolerant, freundlich und locker zu sein. Auch die Möglichkeit, sich größtenteils auch auf Englisch und teilweise sogar Deutsch verständigen zu können, sowie interessante berufliche Perspektiven und die Nähe zur Heimat machen das Land für rund 25.750 deutsche Studenten und insgesamt etwa 370.000 Deutsche zu einem beliebten Ziel für kurze oder dauerhafte Aufenthalte. Andersherum ist für die Niederländer Deutschland das Urlaubsland Nummer Eins, wobei sie entgegen landläufiger Vorurteile häufiger in Hotels als in ihren Wohnwagen übernachten. Seit 1848 ist die Niederlande eine konstitutionelle Monarchie mit parlamentarischem Regierungssystem. Aber nicht nur das Königshaus, sondern auch der Kampf gegen das Wasser, ehemalige Kolonien und eine erlebnisreiche Vergangenheit prägten die niederländische Kultur. Und zwar so entscheidend, dass der Umgang mit unseren auf den ersten Blick so ähnlichen Nachbarn, gerade im Studenten- und Berufsleben, doch noch die ein oder andere unerwartete Überraschung für uns bereithalten kann. „Gott erschuf die Welt, aber die Holländer erschufen Holland“. Was es mit diesem niederländischen Sprichwort auf sich hat, und vieles mehr, wird in den kommenden Abschnitten erläutert. Mehr als ein Viertel des Landes liegt unter dem Meeresspiegel. Die größten „Berge“ sind eigentlich bis zu 323 Meter hohe Hügel und in der Provinz Limburg zu finden (Ausläufer der Ardennen). Auch wenn Amsterdam die Hauptstadt ist, so liegt der Regierungssitz in Den Haag. In der Randstad, dem Raum bestehend aus Amsterdam, Den Haag, Rotterdam und Utrecht, wohnen über 40% der Gesamtbevölkerung.

Fragt man sich, was wohl für den größten Unterschied zwischen unserer und der niederländischen Kultur verantwortlich ist, kann man hier guten Gewissens den im 16. Jahrhundert aufkommenden Kalvinismus nennen, der zu der sogenannten kalvinistischen Bescheidenheit geführt hat. Im 16. und 17. Jahrhundert drangen die Lehren des französischen Reformators Johannes Calvins (1509-1564), gerade im Unabhängigkeitskrieg gegen das katholische Spanien (1568-1648) zu den vorher vor allem römisch katholischen Niederländern durch. Es bildeten sich reformierte Richtungen aus – heute noch verbunden als „Protestantse Kerk in Nederland“. Laut dem Kalvinismus durfte die unbedingte Heiligkeit Gottes nicht in Frage gestellt werden, und die Macht einer Einzelperson sei eine Beleidigung Gottes, jedoch ging im Laufe der Jahrhunderte der religiöse Hintergrund weitgehend verloren. Besonders hervorzuheben ist die gebliebene Einstellung, andere bloß nicht übertrumpfen zu wollen. Sprüche wie „Doe gewoon, dan doe je al gek genoeg“ (Tu normal, dann bist du schon verrückt genug) oder „Steek je kop niet boven het maaiveld“ (Steck den Kopf nicht aus dem Mähfeld heraus) halten dazu an, bescheiden, unauffällig und zurückhaltend zu bleiben. Titel werden auch heutzutage noch selten öffentlich benutzt und auch Fachausdrücke sind im Arbeits- und Studienalltag weniger gebräuchlich als bei uns. Viele Niederländer sind besonders sparsam und jeder Verschwendung abgeneigt, so dass man kaum jemanden mit teuren Autos protzen sieht. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert verließen immer mehr Gläubige die Kirche – mittlerweile bilden Atheisten mit fast 50 Prozent den größten Bevölkerungsteil. Katholiken machen immerhin noch etwa 30%, Protestanten nur noch 15% aus. Da übrigens keine Kirchensteuer oder sonstige staatliche Förderung der Religionsgemeinschaften existieren, müssen sich diese ausschließlich durch Spendengelder finanzieren.