Yukon-River-Saga
Piper (Verlag)
978-3-492-40519-5 (ISBN)
Eins der ersten ganz großen Abenteuer Andreas Kielings: Mit seiner Freundin Birgit und seinem Freund Michael paddelt er im Kanu den Yukon River hinunter: 3200 Kilometer von der Quelle bis zur Mündung. Die Wildnis führt die Abenteurer an ihre Grenzen; nur Kieling hält die Reise zusammen mit seiner treuen Hündin Kim bis zum Ende durch.
Als er die Beringsee nach einem halben Jahr erreicht, hat er einen oftmals lebensgefährlichen Wettlauf mit Stürmen, Eis und Kälte hinter sich, aber auch die Faszination einer der unzugänglichsten Landschaften der Erde entdeckt - einer Region von kontinentalem Ausmaß, in die er immer wieder zurückkehren wird.
Andreas Kieling, 1959 geboren, bereist seit 1990 die Welt; über zehn Jahre verbrachte er mit wilden Grizzlys in Alaska. Zuletzt erschienen die Bestseller »Ein deutscher Wandersommer« und »Durchs wilde Deutschland«.ww.andreas-kieling.de Irena Bischoff, freie Journalistin, bereist seit 1991 Alaska.
1 Wildnis 2 Lake Laberge 3 Rapids 4 Familie deGraff 5 Gold 6 Der Bär 7 Eagle/Alaska 8 Durch die Yukon Flats 9 Lachsrad10 Abschied11 Allein12 Yukon RiverUnd dann ...
»Er zwingt die Leser mit seinem lebendigen Schreibstil dazu, das Buch erst nach dem allerletzten Satz zuzuklappen.« WochenSpiegel Adenau 20131002
»Er zwingt die Leser mit seinem lebendigen Schreibstil dazu, das Buch erst nach dem allerletzten Satz zuzuklappen.«, WochenSpiegel Adenau, 02.10.2013
1 Wildnis
Im Wachwerden fühlte ich einen sanften Stoß. Mit einer winzigen Bewegung drehte mir Michael das Gesicht zu und winkte wortlos mit den Augen hinüber zum anderen Ufer. Ein großes graues Tier rückte in mein Blickfeld, das leichtfüßig direkt auf uns zu lief. Leuchtend gelbe Augen huschten über uns hinweg. Er sah uns nicht! Der breite Kopf, die dunkle Zeichnung um die Nase, der kurze Schwanz – ein Wolf? Ich schluckte trocken, holte tief Luft und hob meinen Oberkörper um Zentimeter an. Verflucht! Mit einem einzigen Sprung war das Tier im Buschwerk verschwunden. Verdattert schauten wir uns an.
»Sag mal, das war doch kein Wolf?« stammelte Michael.
»Sah aber aus wie ein Wolf«, erwiderte ich.
»Das kann keiner gewesen sein, wir sind doch erst zwei Tage aus der Zivilisation raus!« staunte er. Ich sah ihm an, daß er noch verwirrter war als ich. Gemeinsam lauschten wir in die Stille.
»Der ist weg«, sagte ich. Außer dem quirligen Flußgeplätscher war kein Laut zu hören.
»Verdammt ruhig hier«, fing Michael auf einmal an. »Schon komisch, daß man so gar keinen Lärm hört …« Gedankenverloren glitt sein Blick über die Wipfel der Fichten. Dann schüttelte er den Kopf und sah mich grinsend an: »In Manhattan ist jetzt der Teufel los.«
»Vergiß endlich New York!« murmelte ich. Mich beschäftigte immer noch der graue Wolf. So hatte ich es mir vorgestellt: Im Schlafsack wach werden, die ersten Sonnenstrahlen des arktischen Morgens spüren – und dann so eine Begegnung!
»Gar nicht so einfach, sich an die Stille zu gewöhnen«, fing Michael wieder an. Ich nickte bloß.
»Ich dachte immer, daß Wölfe weiter oben im Norden leben?« Fragend schaute er mich an.
»Was meinst du, wo wir sind? Einen Meter unter deiner Isomatte ist Permafrostboden.«
Birgit rührte sich neben uns. Schlaftrunken öffnete sie den Reißverschluß. Der Rauhreif knisterte auf dem Schlafsack, als Kim sich ins Freie wühlte.
»Gut, daß ich den Hund mit im Schlafsack hatte!« erklärte Birgit und rieb sich das Gesicht warm. »Ist doch noch lausig kalt nachts.«
»Du hast unseren ersten Wolf verpaßt!« platzte Michael heraus und begann, ihr von unserem Erlebnis im Morgengrauen zu erzählen.
»Heute schaffen wir die paar Meilen bis zum Lake Laberge«, unterbrach ich ihn; seine Wolfsstory wurde von Minute zu Minute abenteuerlicher.
Im gemieteten Pick-up-Truck waren wir tagelang dem Alaska Highway gefolgt, der sich als schmaler Asphaltstreifen durch die schneebedeckte Bergwelt der Rocky Mountains wand. Mit jeder Meile gen Norden wurden wir ungeduldiger, endlich ins Kanu umzusteigen. Michael, mein alter Freund und Urbayer, nutzte jeden Stopp an den wenigen Tankstellen, um sich telefonisch mit seinem New Yorker Büro kurzzuschließen. Die Zivilisation hatte ihn noch voll im Griff, obwohl sein Äußeres den Aufbruch ins Abenteuer signalisierte: Ganz in Khaki war unser Banker verpackt, mit Hut und rotem Halstuch. Besonders auffällig stach sein blitzneues Messer ins Auge, das gewichtig vom Gürtel baumelte.
»Wenn ich damit erst mal die Riesenlachse zerlege, werdet ihr noch froh sein über meinen Hirschfänger!« kommentierte Michael unsere Heiterkeitsausbrüche. Bis wir unseren Ausgangspunkt Whitehorse erreicht hatten, wußte ich alles über gewinnträchtige Investitionen – nur hatte ich leider nichts mehr zu investieren. Mein gesamtes Kapital war für die Filmausrüstung und die Vorbereitungen für das halbe Jahr auf dem Yukon River draufgegangen.
In Whitehorse rief der Anblick von drei Deutschen mit Jagdhund, die sich bei winterlichen Bedingungen aufmachten, den Yukon von den Quellen bis zur Mündung zu befahren, ungläubige Reaktionen hervor. Die beiden hartgesottenen Cowboys, die auch mit Kanus handelten, rieten uns, vorsichtig einzusetzen: »Für manch einen war die Tour bereits nach hundert Metern zu Ende. Wir konnten das demolierte Boot gleich wieder ankaufen. Die sind mit dem Bug direkt in eine Wurzel am Ufer hineingefahren, drehten sich nur im Kreis, hatten keine Ahnung von den Strudeln und rammten treibende Baumstämme. Schließlich gerieten sie in Panik.« Ihre spöttische Schilderung begleiteten sie mit herzerfrischendem Lachen.
Die Frau aus dem Spielzeugladen schaute uns entgeistert hinterher, nachdem Michael ihr erklärt hatte, daß wir mit den beiden Kinderschlauchbooten den Yukon bis zur Beringsee hinunterpaddeln wollten. Dabei hatte er sich nur ungeschickt ausgedrückt: Wir suchten lediglich nach einer Möglichkeit, unseren Riesenberg an Ausrüstung unterzubringen.
Der Buschpilot, den wir im Generalstore trafen, griff sich an den Kopf. Er meinte wohlwollend, wir sollten es uns lieber noch ein paar Wochen in der Stadt gemütlich machen: Der Lake Laberge sei auf dreißig Kilometern im mittleren Bereich komplett zugefroren. »Letztes Jahr im Mai war er schon eisfrei; diesmal dauert der Winter lange. Mit dem Kanu da durch – das könnt ihr vergessen!«
Nach den Quellen des Yukon Rivers befragt, machte er nur vage Angaben. »Die sind irgendwo draußen im Busch in den Rockies, ungefähr vierzig Kilometer südlich von Whitehorse.« Als ich nicht locker ließ und ihm schließlich erklärte, daß ich die ersten Filmaufnahmen unbedingt an den Quellen machen wollte, markierte er die Stelle grob auf meiner Karte. »Das reicht«, beantwortete er grinsend meinen erstaunten Blick. »Das Quellgebiet liegt sowieso noch unter Eis und Schnee.«
Neben dem Schotterweg begann die Wildnis: Mannshoher Busch ging in ein Meer von Fichten über, das sich die steilen Berghänge hinaufzog. Laut Karte mußten wir etwa einen Kilometer weiter östlich auf den Fluß stoßen. Ich war froh, daß wir die Bergkette vor uns sahen. Im unübersichtlichen Dickicht war sie unser einziger Orientierungspunkt. Für den Rückweg setzte ich auf Kims Spürnase.
Der Busch lichtete sich, ging in hohen Fichtenbestand über. Wir hatten ihn gefunden. Noch dick mit Schnee bedeckt, schlängelte sich ein schmaler Flußlauf durchs dunkle Grün: der Yukon River!
Michael und ich witzelten darüber, daß selbst einer der mächtigsten Ströme Nordamerikas offensichtlich ganz klein anfangen mußte. In die gedämpfte Stille fielen nur unsere Tritte auf dem Eis – bis wir ein Platschen hörten. Hinter der nächsten Biegung sah ich Kims Kopf aus dem Eiswasser herausschauen. Wir rannten flußabwärts, bis wir die Eisabbruchkante erreichten. Hier fing der Yukon an zu leben: In einem Becken floß kristallklares Wasser aus vielen Bächen zusammen. An einigen Stellen wallte und sprudelte es sogar aus der Tiefe des Untergrunds hervor. Das Quellgebiet! entschied ich für mich und schaute tief befriedigt in das Spiegelbild des Himmels auf der klaren Oberfläche, wo mein schwimmender Hund seine Kreise zog. Kim hatte als erste vom Yukon Besitz ergriffen.
In drei Transportgängen schleppten wir unser Gepäck vom Truck durch den Busch, bis Birgit das Auto endgültig in Whitehorse abgeben konnte. Als sie wieder zu uns stieß, sollten Kanu und Zelt für die kommenden sechs Monate unser Zuhause sein.
Michael und ich waren froh, daß wir unsere ersten gemeinsamen Paddelerfahrungen ohne Zuschauer machen konnten. Kritik hätten wir gar nicht brauchen können. Wir hatten alle Hände voll damit zu tun, das schwer beladene Kanu mit den zwei herumtänzelnden Schlauchbooten im Schlepp auf Kurs zu halten. »Wir nehmen ein Boot mit flachem Kiel!« hatte ich beim Kauf entschieden. Bessere Wendigkeit war mir wichtiger erschienen als glatter Geradeauslauf …
Als schwer bepackter Lastkahn lag unser Gefährt jetzt tief im Wasser. Birgit saß mit unserem Jagdhund Kim in der Mitte. Mir zog sich der Magen zusammen: Durch das glasklare Wasser konnte ich bis auf den Grund des Flusses blicken, wo gewaltige Felsbrocken lauerten. Es war schwer abzuschätzen, wieviel Platz zwischen ihnen und unserem Bootskiel blieb. Meine Befürchtungen, wir könnten auflaufen, verloren sich jedoch bald: Aus schneeverkrusteten Rinnsalen sprudelte es von überall her in den Yukon River. Bereits nach wenigen Kilometern hatte der Fluß merklich an Volumen und Geschwindigkeit zugenommen.
»Habe echte Kanuerfahrung«, gab Michael an. »Bin die Donau bis zum Schwarzen Meer allein runtergepaddelt!« Hoch aufgerichtet thronte unser New Yorker Banker im Bug und gab sich redliche Mühe. Ich schwieg dazu.
Als wir in den siebzig Kilometer langen Gebirgssee einfuhren, tat sich vor uns eine weite Bilderbuchlandschaft auf. In der Ferne umgaben steil aufragende Bergketten den Lake Laberge, die bizarren Gipfel in glitzerndes Weiß getaucht. An den Felshängen leckte das blau schimmernde Eis von Gletscherzungen herunter.
Mit lauten Ausrufen des Entzückens zeigte Michael aufs flache Ufer: Schneeschuhhasen hüpften kreuz und quer durch den Busch. Mich erinnerte die Szenerie an Kaninchen in deutschen Parkanlagen.
»Leute, hier schlagen wir jetzt mal ein richtiges Camp auf – mit Lagerfeuer und Hasenbraten!« begeisterte sich Michael. Entschieden hielt er auf den Uferrand zu.
An den Tagen zuvor waren wir jeweils bis zum Anbruch der Dunkelheit durchgepaddelt. Zu müde, das Zelt aufzustellen, hatten wir nur Isomatte und Schlafsack ausgerollt – von Lagerfeuerromantik keine Spur. Ungeduldig hatte ich uns vorangetrieben. Erst wenn der Yukon wieder aus dem See hinausfloß, hätte ich wirklich das Gefühl, meinen großen Strom erreicht zu haben. Jetzt gab ich klein bei.
Kaum war das Kanu ans Ufer geglitten, sprang Michael mit einem Satz aus dem Bug, griff nach seiner Flinte und schaute Kim aufmunternd an. Beide waren im Jagdfieber.
»Lein den Hund an, sonst ist er auf und davon!« riet ich noch und reichte Michael die Führungsleine. Während Birgit und ich das Boot entluden und das Zelt aufbauten, knallte es schon. Ich hörte zwei Schüsse – und gleich darauf Birgits Aufschrei.
»Bist du verrückt geworden!« rief sie wutentbrannt. »Andreas, der durchsiebt die Plane!« Meine Freundin zeigte erbost auf die Einschußlöcher. Flach gegen den Zeltboden gedrückt, war sie in Dekkung gegangen.
»Michael, Feuer einstellen!« brüllte ich und duckte mich vorsichtshalber auch. Haken schlagend, kamen zwei Schneeschuhhasen an mir vorbeigerannt. Dann herrschte Stille. Eine Zeitlang warteten wir schweigend und lauschten: Äste knackten, Michael fluchte. Atemlos tauchte er schließlich aus dem Dickicht auf: »Die sind unglaublich fix. Hab noch keinen getroffen!«
»Dafür hat unsere Plane jetzt Löcher. Birgit war übrigens auch im Zelt!« sagte ich vorwurfsvoll. Michael besah sich sein Meisterwerk und schüttelte den Kopf.
»Ich muß die Orientierung verloren haben«, begann er erregt, »wußte gar nicht, worauf ich zuerst schießen sollte. Überall flitzten Hasen um mich herum – und trotzdem habe ich keinen getroffen!« Geknickt strich der glücklose Schütze über die Einschußlöcher.
»Bratkartoffeln und Rührei?« fragte Birgit in die Runde.
Michael nickte und sammelte trockenes Treibholz am Ufer. »Wenigstens ein zünftiges Lagerfeuer …«, murmelte er.
Das Abendlicht reichte gerade noch aus, um mit dem Fernglas am Horizont ein weißes Eisband zu erkennen. »Schätze, noch zehn Kilometer freies Wasser, dann sitzen wir fest«, sagte ich leise. Der Pilot hatte recht gehabt. Von einem Ufer bis zum anderen war der See zugefroren.
Erscheint lt. Verlag | 13.8.2013 |
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Reihe/Serie | National Geographic Taschenbuch ; 40519 |
Zusatzinfo | ca. 52 Farbabb. / 32 S. Farb-Bildteil |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Maße | 122 x 181 mm |
Gewicht | 372 g |
Einbandart | Paperback |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Nord- / Mittelamerika |
Schlagworte | Abenteuer extrem • Biografisch • Reisen • Yukon • Yukon; Reise-/Erlebnisber. |
ISBN-10 | 3-492-40519-3 / 3492405193 |
ISBN-13 | 978-3-492-40519-5 / 9783492405195 |
Zustand | Neuware |
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