Das Sozialgerichtsverfahren -  Robert Horn,  Julia Pfeffer,  Henning Müller

Das Sozialgerichtsverfahren (eBook)

Leitfaden mit Musterbeispielen für die Praxis
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
296 Seiten
Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG
978-3-415-07572-6 (ISBN)
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Wegweisender Leitfaden zum Sozialverfahrensrecht Das Buch rückt das Sozialverwaltungs- und das Sozialgerichtsverfahren in den Mittelpunkt. Proberichterinnen und -richter, aber auch Quereinsteiger, die aus anderen Gerichtsbarkeiten an ein Sozialgericht wechseln, können sich mit diesem praktischen Wegweiser schnell in die zahlreichen Sonderregelungen und die umfangreiche Rechtsprechung einarbeiten. Mit wichtigen Hinweisen zum elektronischen Rechtsverkehr Die umfassende Darstellung vermittelt sowohl fundierte Grundkenntnisse über Aufbau und Funktion der Sozialgerichte sowie über das Sozialverwaltungsverfahren als auch Detailwissen zum Klageverfahren. Der Schwerpunkt liegt dabei stets auf einer praxisgerechten Betrachtung der Materie. Zahlreiche Muster für die Antragstellung und anschauliche Praxisbeispiele helfen bei der täglichen Arbeit. Zunehmende Bedeutung gewinnt auch der elektronische Rechtsverkehr, worauf der Wegweiser ausführlich eingeht. Der Leitfaden wird durch einen Überblick über die im Sozialgerichtsverfahren zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe und nicht zuletzt durch die für Praktiker wichtige Darstellung der Kostenfrage abgerundet. Kompetentes Autorenteam Das Autorenteam ist langjährig in der Sozialgerichtsbarkeit tätig und arbeitet aus der Vielzahl der Verfahrensnormen und der sozialgerichtlichen Entscheidungen die bestimmenden Maßstäbe heraus, um eine solide und erfolgreiche Rechtsanwendung durch die Leserinnen und Leser zu gewährleisten. Grundstrukturen des SGB X und SGG Wer sich in das Gebiet des Sozialverwaltungs- und Sozialgerichtsverfahrens (SGB X, SGG) einarbeiten will, muss sich mit den Grundstrukturen dieser wichtigen Verfahrensgebiete vertraut machen. Dabei zeigt sich, dass das Sozialrecht eine wichtige Querschnittsmaterie mit Ausstrahlungswirkung in das Arbeitsrecht, das Zivilrecht, das Gefahrenabwehrrecht und sogar in das Strafrecht ist. Aus dem Inhalt: Dezernatsarbeit und Verhandlungsführung in der Sozialgerichtsbarkeit Das Sozialverwaltungsverfahren Das Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) Das Klageverfahren Vorläufiger Rechtsschutz Die Revision Die Beschwerde Die Anhörungsrüge Die Erinnerung Die Verfassungsbeschwerde Empfehlenswert für: Der Leitfaden verschafft Sozialrichterinnen und -richtern die nötige Arbeitserleichterung beim Berufseinstieg. Darüber hinaus unterstützt er auch Rechtsanwenderinnen und -anwender in der Anwaltschaft, in der Sozialverwaltung und in Sozialverbänden bei der Arbeit.

A.Die Stellung der Sozialgerichte im Gerichtswesen (Horn)


Die Sozialgerichte sind nach der gesetzlichen Definition in § 1 SGG „besondere Verwaltungsgerichte“. Verfassungsrechtliche Grundlage der Vorschrift ist Art. 95 Abs. 1 GG i. d. F. vom 18.06.1968. Danach sind für die Gerichte der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und der Sozialgerichtsbarkeit oberste Gerichtshöfe zu errichten. Alle fünf Zweige der Gerichtsbarkeit sind gleichwertig, gleichrangig und gleich bedeutsam.[1] Der Begriff Sozialgerichtsbarkeit geht auf Art. 96 Abs. 1 GG i. d. F. vom 23.05.1949 zurück. An dessen Stelle ist Art. 95 Abs. 1 GG getreten. § 1 SGG stellt als einfach gesetzliche, Verfassungsrecht wiederholende und konkretisierende Norm klar, dass die Sozialgerichtsbarkeit eine eigene Gerichtsbarkeit und somit Teil der Recht sprechenden Gewalt ist. Die Sozialgerichtsbarkeit ist durch organisatorische Unabhängigkeit von der Exekutive und Legislative gekennzeichnet. Die Spruchtätigkeit wird durch sachlich und persönlich unabhängige Richter ausgeübt. Die Sozialgerichtsbarkeit ist ein unabdingbares Kernelement des Rechtsstaats. Sie gewährleistet die Begrenzung und die Bindung staatlicher Macht und verhilft auf diese Weise den grundrechtlichen Ausprägungen des Sozialstaatsprinzips und den Freiheiten der Bürger vor unberechtigter Eingriffsverwaltung zur Verwirklichung.

Die Bedeutung der Vorschrift ist untrennbar verbunden mit der geschichtlichen Entwicklung. Denn vor Inkrafttreten des SGG am 01.01.1954 gab es keine Sozialgerichte und keine im heutigen Sinne unabhängige und dem Grundsatz der Gewaltenteilung dienende Sozialgerichtsbarkeit. Mit der Schaffung der Reichsversicherungsordnung (RVO)[2] wurde das Rechtsschutzverfahren in den Bereichen Kranken-, Invaliden- und Unfallversicherung vereinheitlicht und das System 1927 auf den Bereich der Arbeitslosenversicherung erstreckt. In die RVO wurden die Sozialhilfe- und Fürsorgeangelegenheiten nicht einbezogen, weil es sich hierbei nicht um Versicherungsleistungen handelte. Es existierte ein rein verwaltungsinternes dreistufiges Rechtsschutzsystem, wo in erster Instanz die Spruchausschüsse bei den Versicherungsämtern, in zweiter Instanz die Spruchkammern der Oberversicherungsämter und in der letzten Instanz die Spruchsenate der Landesversicherungsämter oder des Reichsversicherungsamtes angerufen werden konnten. Eine Überprüfung der Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes oder der unteren Instanzen durch unabhängige Gerichte existierte nicht.[3] Zu dieser Zeit waren allein die Zivilgerichte unabhängige Gerichte im Sinne des Gewaltenteilungsgrundsatzes, woraus die bis heute gebräuchliche Bezeichnung der Zivilgerichtsbarkeit als ordentliche Gerichtsbarkeit folgt.

§ 1 SGG ist die einfach gesetzliche Umsetzung und Konkretisierung der Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 2, Art. 92, Art. 97 GG.[4] Demzufolge hat die Vorschrift lediglich deklaratorischen Charakter.[5] Sie setzt den in Art. 19 Abs. 4 GG begründeten Rechtsanspruch des Einzelnen, ihm zustehende Leistungen zu erhalten und sich im Falle der Eingriffsverwaltung gegen Akte der öffentlichen Gewalt gerichtlich zur Wehr setzen zu können, um. Die früher praktizierte Funktionseinheit von Verwaltung und gerichtlicher Kontrolle im Sinne eines verwaltungsinternen Rechtsschutzsystems ist durch das Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG) verfassungsrechtlich überholt; Art. 92 und Art. 97 GG legen fest, dass die Rechtsprechung unabhängigen Richtern anvertraut ist.

Die Sozialgerichtsbarkeit im Sinne des § 1 SGG umfasst „besondere“ Verwaltungsgerichte. Die Sozialgerichte sind nach der kompetenziellen Zuordnung alle auf dem nach § 51 SGG eröffneten Rechtsweg entscheidenden Gerichte. Somit sind die Gerichte nicht erfasst, für die der allgemeine Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (§ 40 VwGO). Nach organisatorischem Verständnis umfasst die Sozialgerichtsbarkeit die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sowie deren Justizverwaltung.[6]

Gerichte sind zum einen staatliche Rechtsprechungsorganisationen und zum anderen Behörden der Gerichtsverwaltung. Als Rechtsprechungsorganisationen erfüllen sie durch die Richter, die ihnen nach Art. 92 GG übertragene Aufgabe der letztverbindlichen Klärung und Entscheidung der Rechtslage im Rahmen eines konkreten Streitfalles (Rechtsprechung). Träger der Rechtsprechungsgewalt sind nach Art. 92 GG die Richter und nicht die Gerichte.

Die Unabhängigkeit im Sinne des § 1 SGG umfasst die organisatorische Unabhängigkeit der Sozialgerichtsbarkeit sowie die persönliche, sachliche und innere Unabhängigkeit der Richter.

Unter die organisatorische Unabhängigkeit der Sozialgerichte fällt zunächst die Trennung von den Behörden und Leistungsträgern, wodurch auch jede Form der Ein- und Angliederung unzulässig ist. Dies folgt verfassungsrechtlich bereits durch das Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG). Organisatorisch getrennt sind Gerichte und Verwaltungsbehörden, wenn sich in persönlicher und sachlicher Ausstattung keine Überschneidungen ergeben und die Gerichte außerhalb der Gerichtsverwaltung keine Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Die Ausübung eines Mandats in der kommunalen Vertretungskörperschaft führt jedoch nicht zur persönlichen Inkompatibilität, weil die Wahrnehmung von exekutiver Hoheitsgewalt hiermit nicht verbunden ist. Die Inkompatibilitätsvorschrift von § 4 DRiG sieht den Ausschluss eines Kommunalmandats nach h. M. nicht vor[7]. Des Weiteren umfasst die organisatorische Unabhängigkeit auch die Trennung von der Legislative (Art. 137 Abs. 1 GG, § 36 Abs. 2 DRiG, § 4 Abs. 1 DRiG). Ob die organisatorische Trennung von anderen Gerichtsbarkeiten, wie sie derzeit einfach gesetzlich vorgeschrieben ist, auch verfassungsrechtlich geboten ist, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung.[8] Diese Frage betrifft das Problem der Einheitsgerichtsbarkeit, bei der keine organisatorische Trennung mehr vorhanden ist, sondern nur noch unterschiedliche Spruchkörper existieren. Aus Art. 19 Abs. 4 GG lässt sich lediglich ableiten, dass staatliches Verwaltungshandeln in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig gerichtlich überprüft wird, nicht aber, dass dies durch eine eigenständige Sozialgerichtsbarkeit zu erfolgen hat. Auch aus Art. 95 Abs. 1 GG lässt sich nichts gegen die Aufgabe der eigenständigen Sozialgerichtsbarkeit und deren Zusammenlegung mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit entnehmen.[9] Art. 95 Abs. 1 GG schließt nur die Errichtung eines einheitlichen obersten Bundesgerichts für die aufgeführten Gerichtszweige aus, trifft aber für die Länder keine Bestimmung.

Den Richtern[10] ist durch Art. 92 GG die Wahrnehmung der Rechtsprechung übertragen worden. Sie sind somit verfassungsunmittelbare Organe und nicht bloße Organwalter der Gerichte.[11] Die rechtsprechende Tätigkeit des Richters wird unmittelbar dem Staat als Gerichtsträger zugerechnet. Die Stellung des Richters ist durch organisatorische Selbstständigkeit, persönliche und sachliche Unabhängigkeit sowie Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten gekennzeichnet.

Dabei garantiert die persönliche Unabhängigkeit des Richters dessen Unabsetzbarkeit sowie Unversetzbarkeit (Inamovibilität).[12] Verfassungsrechtlich verankert ist dies durch Art. 97 Abs. 2 GG und Art. 33 Abs. 5 GG, weiter einfach gesetzlich durch das DRiG sowie die Richtergesetze der Länder. Nicht verfassungsrechtlich garantiert ist die derzeitige einfach gesetzlich geregelte Anstellung auf Lebenszeit (§ 10 DRiG). Einschränkungen für Richter auf Probe und kraft Auftrages (§ 11 Abs. 3 SGG) sind im Interesse der Schaffung richterlichen Nachwuchses verfassungsrechtlich und mit Blick auf Art. 6 EMRK zulässig.[13]

Unter der sachlichen Unabhängigkeit ist die Freiheit von allen Einflussnahmen und Weisungen gegenüber staatlichen Stellen zu verstehen, die die dem Richter zur unabhängigen Wahrnehmung übertragenen Bereiche beeinflussen. Dies soll gewährleisten, dass der Richter sich in seiner Entscheidungsfindung allein an Recht und Gesetz ausrichtet. Dem weisungsfreien Bereich ist nicht nur die Recht sprechende Tätigkeit im engeren Sinne zuzuordnen, sondern etwa auch die Geschäftsverteilung durch das Präsidium. Die Unabhängigkeit bezieht sich nicht auf das Mitwirken eines Richters in der Gerichts- und Justizverwaltung.[14]

Die Unterscheidung zwischen Kernbereich und äußerem Ordnungsbereich[15] dient der Abgrenzung zwischen unzulässigen und zulässigen Maßnahmen der Dienstaufsicht. Zum Kernbereich gehört all das, was die eigentliche Rechtsprechung sowie die sie vor- und nachbereitenden Sach- und Verfahrensentscheidungen ausmacht. Zum äußeren Ordnungsbereich gehört das, was der eigentlichen Rechtsprechung soweit entzogen ist, dass dafür die Garantie des Art. 97 Abs. 1 GG nicht in Anspruch genommen werden kann.[16] Die im Rahmen der persönlichen Unabhängigkeit zulässige Ausnahme für Richter auf Probe oder kraft Auftrags gilt nicht für die sachliche Unabhängigkeit. Jede Weisung würde einen Verstoß gegen Art. 97 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG darstellen.

Unter der inneren Unabhängigkeit ist die charakterliche Eignung für das Richteramt, die ihn zur Kontrolle...

Erscheint lt. Verlag 26.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Recht / Steuern Arbeits- / Sozialrecht Arbeitsrecht
ISBN-10 3-415-07572-9 / 3415075729
ISBN-13 978-3-415-07572-6 / 9783415075726
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