Die Finanzierung von Rechtsverfolgungskosten für Zivilprozesse (eBook)
276 Seiten
Fachmedien Recht und Wirtschaft (Verlag)
978-3-8005-9543-3 (ISBN)
Friedrich Weyland ist seit 2022 Rechtsanwalt bei Gleiss Lutz und berät Mandanten in internationalen Handels- und Investitionsschiedsverfahren, grenzüberschreitenden Streitigkeiten und Transaktionen sowie nationalen Schiedsverfahren und Gerichtsverfahren. Sein Studium absolvierte er an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.
Friedrich Weyland ist seit 2022 Rechtsanwalt bei Gleiss Lutz und berät Mandanten in internationalen Handels- und Investitionsschiedsverfahren, grenzüberschreitenden Streitigkeiten und Transaktionen sowie nationalen Schiedsverfahren und Gerichtsverfahren. Sein Studium absolvierte er an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.
III. Gebührenerhebung und Anwaltszwang bei bedürftigen Parteien
1. Verfassungsrechtliche Herleitung der Prozesskostenhilfe
a) Ansichten zur verfassungsrechtlichen Herleitung
Dieselben Erwägungen tragen aber nicht für bedürftige Parteien. Anders als wohlhabende Parteien können sich bedürftige Parteien Anwalts- und Gerichtskosten nicht leisten, weil sie ohne eine Finanzierungshilfe die Zugangshürde in Gestalt der Gerichts- und Anwaltskosten nicht überwinden können. Daher besteht nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG eine verfassungsrechtliche Pflicht, eine staatliche Finanzierungshilfe für Bedürftige vorzuhalten.29 Das leitete das BVerfG früher30 aus dem Sozialstaatsprinzip in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz her.31 In neuerer Rechtsprechung stellt das BVerfG zur Herleitung der Prozesskostenhilfe überwiegend auf den Justizgewährungsanspruch in Verbindung mit dem Gleichheitssatz32 ab. Teilweise finden sich noch Entscheidungen, in denen sowohl das Sozialstaatsprinzip als auch der Justizgewährungsanspruch erwähnt werden.33
Im Wesentlichen wird die Prozesskostenhilfe in der Rechtsprechung also aus dem Rechtsstaatsprinzip in Ausprägung des allgemeinen34 Justizgewährungsanspruchs und dem Sozialstaatsprinzip, jeweils in Verbindung mit dem Gleichheitssatz, abgeleitet. Ebenso wird in der Literatur insbesondere35 auf den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG),36 das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG)37 und das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Ausprägung des Justizgewährungsanspruchs abgestellt.38 Streit besteht aber darüber, ob neben dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch auch das Sozialstaatsprinzip für die verfassungsrechtliche Herleitung der Prozesskostenhilfe herangezogen werden kann, oder die Prozesskostenhilfe ausschließlich über den Justizgewährungsanspruch und den allgemeinen Gleichheitssatz herzuleiten ist.39
b) Streitentscheid
aa) Relevanz des Meinungsstreits für diese Arbeit
Der Streit ist deswegen relevant, weil es deutlich leichter fällt, die Prozesskostenhilfe abzulehnen, wenn man sie über das Sozialstaatsprinzip auch als staatliche Fürsorgeleistung charakterisiert und diese Eigenschaft (über) betont. Bei staatlichen Fürsorgeleistungen hat der Gesetzgeber einen weiten politischen Gestaltungsspielraum, der eine besondere Rücksicht auf die Haushaltslage zulässt.40 Mit Verweis auf die Haushaltslage kann dann argumentiert werden, dass die Prozesskostenhilfe nur subsidiär in Anspruch genommen werden darf.41 Versteht man die Prozesskostenhilfe demgegenüber als Teil der staatlichen Justizgewährungspflicht und damit als Teil der Rechtsschutzgewährung, müssen besondere Rechtfertigungsgründe vorliegen, wenn die Prozesskostenhilfe im Einzelfall abgelehnt werden soll. Ein Verweis auf die Haushaltslage genügt nicht. Je nachdem, ob man die sozialstaatlichen oder die rechtsstaatlichen Elemente der Prozesskostenhilfe betont, lassen sich demnach im Einzelfall unterschiedliche Ergebnisse erzielen.42 Der Streit ist daher insbesondere für das vierte Kapitel dieser Arbeit relevant, in dem das Verhältnis der Prozesskostenhilfe gegenüber anderen Finanzierungsmodellen untersucht wird.
Die Prozesskostenhilfe ist als Sozialhilfe in besonderen Lebenslagen ausgestaltet.43 Das zeigen beispielsweise die zahlreichen Verweise auf das Sozialgesetzbuch in § 115 ZPO. Aus der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Prozesskostenhilfe lassen sich jedoch keine Erkenntnisse zu ihrer verfassungsrechtlichen Herleitung gewinnen.
bb) Herleitung aus dem Justizgewährungsanspruch in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz
Für die Herleitung der Prozesskostenhilfe aus dem Justizgewährungsanspruch in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz wurde bei der Frage, ob der Gesetzgeber für die Inanspruchnahme von Gerichten eine Vorschusspflicht vorsehen und einen Anwaltszwang vorschreiben darf,44 bereits die Grundlage gelegt. Anders als bei wohlhabenden Parteien erscheint die Vorschuss- und Anwaltspflicht bei Bedürftigen nicht als bloße Hürde für den Zugang zum Recht, sondern als unüberwindbares Zugangshindernis. Faktisch führen der Anwaltszwang und die Gerichtskostenerhebung nämlich dazu, dass Bedürftige nicht in der Lage sind, Prozesse zu führen.45 Sie können es sich schlichtweg nicht leisten, Vorschüsse auf Anwalts- und Gerichtskosten zu bezahlen.
Der Justizgewährungsanspruch verbietet es aber, die Inanspruchnahme von Rechtsschutz von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abhängig zu machen.46 Wegen des allgemeinen Gleichheitssatzes sind „arme“ Parteien so zu stellen, dass sie ihre Belange im Rechtsstreit grundsätzlich wie wohlhabende Parteien geltend machen können.47 Der Justizgewährungsanspruch gilt nicht nur für natürliche Personen, sondern über Art. 19 Abs. 3 GG auch für juristische Personen48 und parteifähige Vereinigungen49 sowie für Parteien kraft Amtes50. Auch für sie ergibt sich damit ein verfassungsrechtliches Recht darauf, einen gleichen Zugang zum Recht zu erhalten. Damit ist die Prozesskostenhilfe Teil der Rechtsschutzgewährung.
cc) Herleitung unter Heranziehung des Sozialstaatsprinzips neben dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch und dem Gleichheitssatz
Als Zwischenergebnis lässt sich daher festhalten, dass es des Sozialstaatsprinzips nicht bedarf, um ein Recht des einzelnen Bedürftigen darauf zu begründen, einen dem Gleichheitsgebot entsprechenden Zugang zu Gericht wie eine wohlhabende Partei zu haben. Dass der Anspruch auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe Teil der Rechtsschutzgewährung ist, ergibt sich bereits aus dem Justizgewährungsanspruch in Verbindung mit dem Gleichheitssatz. Folglich könnte mit einer in der Literatur verbreiteten Ansicht davon auszugehen sein, dass das Sozialstaatsprinzip für die Herleitung der Prozesskostenhilfe keine Rolle spielt.51
Dagegen spricht aber, dass ein Perspektivwechsel vom einzelnen Bedürftigen hin zum Staat aufzeigt, dass das Sozialstaatsprinzip einen anderen Blickwinkel auf die Prozesskostenhilfe ermöglicht. Das Sozialstaatsprinzip nimmt als Staatszielbestimmung52 den Gesetzgeber selbst in die Pflicht. Während eine Betrachtung des Justizgewährungsanspruchs und des Gleichheitssatzes also ein Recht des einzelnen Bedürftigen auf Prozesskostenhilfe ergibt, fordert zusätzlich das Sozialstaatsprinzip den Gesetzgeber dazu auf, entsprechende Regelungen zu schaffen.53 Das Recht des Einzelnen auf Prozesskostenhilfe ist also auch durch eine verfassungsrechtliche Pflicht abgesichert, wonach der Gesetzgeber eine staatliche Finanzierungshilfe einrichten muss.54
c) Folgen für die weitere Bearbeitung
Somit fordern sowohl sozialstaatliche als auch rechtsstaatliche Erwägungen die Prozesskostenhilfe.55 Verfehlt wäre es aber, über das Sozialstaatsprinzip haushaltspolitische Erwägungen in die Frage mit einzubeziehen, ob im Einzelfall Prozesskostenhilfe zu gewähren ist. Ein Recht des Einzelnen auf Prozesskostenhilfe ergibt sich nämlich nicht erst durch das Sozialstaatsprinzip, sondern auch alleine aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch und dem allgemeinen Gleichheitssatz. Die rechtsstaatliche Komponente steht mit dem Blick auf das Recht des Einzelnen somit im Vordergrund.56
Wegen der Zuordnung der Prozesskostenhilfe zur Rechtsschutzgewährung lässt sich außerdem die Verfassungsmäßigkeit bestehender einfachgesetzlicher Vorschriften anzweifeln. Das gilt beispielsweise im Hinblick auf die Prozesskostenhilfe für juristische Personen, die in § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO Voraussetzungen unterliegt, die in der Praxis kaum zu erfüllen sind. Danach ist Prozesskostenhilfe juristischen Personen nämlich nur dann zu gewähren, wenn die Rechtsverfolgung der juristischen Person im allgemeinen Interesse ist. Diese Voraussetzung soll beispielsweise dann erfüllt sein, wenn von der Durchführung des Prozesses die Existenz eines Unternehmens abhängt, an dessen Erhaltung wegen der großen Anzahl von Arbeitsplätzen ein allgemeines Interesse besteht.57 Dass die einfachgesetzlichen Vorschriften zur Prozesskostenhilfe für juristische Personen so ausgestaltet sind, dass ihre Prozesskostenhilfe in aller Regel scheitern muss, ist Folge einer Entscheidung des BVerfG, wonach das Sozialstaatsprinzip keine Fürsorgemaßnahmen für juristische Personen fordert.58 Juristische Personen seien nämlich künstliche Geschöpfe, deren Daseinsberechtigung erlösche, wenn sie sich nicht selbst versorgen könnten.59 Es sei daher nicht Aufgabe der Allgemeinheit, unternehmerische Aktivitäten Einzelner zu fördern.60
Damit lässt sich zwar begründen, warum eine sozialstaatliche Einstandspflicht des Gesetzgebers nicht besteht. Ordnet man aber – wie hier und wie auch das BVerfG61 in neuerer Rechtsprechung – die Prozesskostenhilfe auch der Rechtsschutzgewährung zu, reicht diese Argumentation nicht aus, um juristischen Personen in den meisten Fällen Prozesskostenhilfe zu versagen. Die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften zur Prozesskostenhilfe juristischer Personen zu untersuchen, ist indes nicht Gegenstand dieser Arbeit. An dieser Stelle muss daher ein Verweis auf die einschlägige Literatur62 genügen.
2. Gleichbehandlung von „armen“ und „reichen“...
Erscheint lt. Verlag | 15.2.2024 |
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Reihe/Serie | Betriebs-Berater Schriftenreihe/ Wirtschaftsrecht |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Recht / Steuern ► Privatrecht / Bürgerliches Recht |
Schlagworte | Erfolgshonorarverbot • Legal-Tech-Masseninkasso • Prozessfinanzierung • Prozesskostenhilfe |
ISBN-10 | 3-8005-9543-5 / 3800595435 |
ISBN-13 | 978-3-8005-9543-3 / 9783800595433 |
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