Feder und Recht (eBook)
434 Seiten
De Gruyter (Verlag)
978-3-11-107751-2 (ISBN)
Schriftlichkeit und Mündlichkeit prägen das Gerichtswesen der Vormoderne. Zunehmend gewannen schriftliche Elemente an Bedeutung, ohne die Mündlichkeit, nicht zuletzt bei der Entscheidungsfindung der Gerichte, ganz zu verdrängen. Die Beiträge des Bandes beleuchten das Wechselspiel schriftlicher und mündlicher Verfahrenselemente aus allgemein- und rechtshistorischer sowie archivalischer Sicht bis hin zur digitalen Erschließung von Gerichtsakten.
Joseph Bongartz, Würzburg; Alexander Denzler, Eichstätt-Ingolstadt; Carolin Katzer, Mainz; Stefan A. Stodolkowitz, Lüneburg.
Feder und Recht. Zum Verhältnis von Schrift, Recht und Gericht – eine Annäherung
| „Des Kaisers Wort ist groß und sichert jede Gift, Doch zur Bekräftigung bedarf’s der edlen Schrift, Bedarf’s der Signatur.“ Goethe, Faust II, Vers 10927 – 10929. |
Mit diesen Worten hebt im vierten Akt von Goethes Faust II der Kaiser das Erfordernis hervor, die Verleihung der Erzämter und die Vergabe der Privilegien an die Kurfürsten – genannt werden vor allem die rechtshistorisch so wichtigen Appellationsprivilegien1 – durch eine schriftliche Urkunde festzuhalten; der (Reichs‐)Erzkanzler wird daraufhin damit betraut, das Schriftstück aufzusetzen, und er gibt seinem Vertrauen in die Schrift mit den Worten Ausdruck: „Dem Pergament alsbald vertrau ich wohlgemut, Zum Glück dem Reich und uns, das wichtigste Statut; Reinschrift und Sieglung soll die Kanzelei beschäftigen, Mit heiliger Signatur wirst du’s, der Herr, bekräftigen.“2 Darin kommt nicht nur die Rechtssicherheit stiftende Bedeutung der Schrift zum Ausdruck, sondern auch ihre ganz konkrete Herstellung durch die Kanzlei mit der nachfolgenden legitimierenden Unterschrift des Kaisers.
Die Schrift erfüllt zum einen – wie Goethe in dieser Szene hervorhebt – eine bekräftigende und Nachdruck verleihende Funktion, zum anderen dient sie auch konkret der Visualisierung und der Nachvollziehbarkeit von gesprochenen Wörtern, Geschehnissen und Handlungen. Die Schrift kann ebenso ein Zeugnis vergangener Ereignisse sein wie ein in die Zukunft gerichtetes Versprechen, weil das Geschehene für künftige Leser festgehalten wird; oft, wie bei der Verbriefung gewährter Privilegien und Rechte, sind mehrere dieser Funktionen der Schrift berührt. Für die Durchdringung historischer Sinnzusammenhänge und komplexer Sachverhalte ist die Schrift ein wesentliches Merkmal, bieten schriftlich überlieferte Quellen doch zumeist die Basis historischen Arbeitens.
Besondere Bedeutung hat die Schrift in gerichtlichen Verfahren. Sie dient hier nicht nur der Dokumentation und Nachrichtenübermittlung, sondern ist Gegenstand des Handelns zahlreicher Akteure. Denn in Gerichtsverfahren sind neben den unmittelbar beteiligten Parteien und den Gerichtspersonen regelmäßig weitere Personen eingebunden wie Anwälte, Notare, Zeugen und Gutachter, Angehörige von Beweiskommissionen, Herrschaftsträger und durch die in der Frühen Neuzeit weit verbreitete Aktenversendung die Mitglieder von Juristenfakultäten. Das Handeln der Gerichte und der weiteren am Verfahren beteiligten Akteure ist durch eine Vielzahl an verschiedenen schriftlichen Überlieferungsträgern dokumentiert: durch gerichtliche Akten, Protokoll- und Urteilsbücher sowie außerhalb der unmittelbar gerichtlichen Sphäre liegende Überlieferungen der weiteren Akteure wie Druckschriften oder Korrespondenzen zwischen Rechtsberatern und den Parteien.3 Ausgangspunkte dieser Schriftlichkeit sind vielfach aber nicht erst Tinte, Feder und Papier. Zentrales Anliegen der mit diesem Sammelband dokumentierten Tagung war es, Schriftlichkeit und Mündlichkeit „als zwei in- und miteinanderlaufende Kommunikationsformen“4 des vormodernen Rechtshandelns in den Blick zu nehmen und damit allgemein- und rechtshistorische Vergleichsperspektiven auf die Schriftlichkeit im Gerichtswesen der Vormoderne zu eröffnen.5 Ein solches Untersuchungsvorhaben berührt zwangsläufig das Innerste historischen Arbeitens und Analysierens, ist es doch gerade erst die zeitgenössische Verwendung von Schreibfedern, Tinte und Papier6 und in der Frühen Neuzeit zunehmend auch der Druckerpresse, die die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erlaubt.7 Die bedruckten und beschriebenen Schriftstücke sind „Medien der Macht und des Entscheidens“8, war es doch oft erst die Schrift, die einem Urteil vollkommene rechtliche Verbindlichkeit verlieh, aber auch – etwa im Falle von tatsächlich oder angeblich nicht bearbeiteten Gerichtsakten – Medien des Nichtentscheidens.9 Zugleich sind sie Zeugnis mannigfaltiger Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Parteien unterschiedlichster sozialer Schichten und damit nicht nur eine Quelle der Gerichte, sondern auch eine solche der Personen, die, ob als Kläger, Beklagte, Anwälte, Zeugen oder auf andere Weise, von gerichtlichen Verfahren berührt waren, sowie ihrer vor Gericht beleuchteten Lebensverhältnisse.
Das eben keineswegs selbstverständliche Vorhandensein von Schriftstücken im Zusammenhang mit dem Gerichtswesen der Vormoderne in dessen spezifischer Vielfalt bezogen auf das römisch-deutsche Reich zu perspektivieren,10 eröffnet einen wie folgt systematisierbaren und der diesem Band vorausgehenden Tagung zugrunde gelegten Themen- und Fragehorizont:
Themenschwerpunkt 1 – Formen der Schriftlichkeit
Ein weitgehend schriftliches Gerichtsverfahren ist Charakteristikum der frühneuzeitlichen Rechtspraxis, wie sie im Folgenden für das römisch-deutsche Reich im Vordergrund steht.11 Daraus ergeben sich folgende Fragen: Welcher Kriterien und Voraussetzungen bedurfte die formelle und informelle Verschriftlichung an den Gerichten? Inwieweit beeinflusste die gegenüber früheren Jahrhunderten erhöhte Schriftlichkeit die Effizienz der gelehrten und ungelehrten Rechtsprechung? Welche Transformationsprozesse in Bezug auf Verschriftlichung durch Hand- und Druckschriften lassen sich ausmachen? In welchem Verhältnis stehen Akten, Protokoll- und Urteilsbücher zueinander und zu anderen Quellen der Überlieferung, etwa Schriftgut von Verfahrensbeteiligten?
Themenschwerpunkt 2 – Das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Daneben ergibt sich mit dem komplexen Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bei verschiedenen Gerichtstypen, Verfahrensarten und Verfahrensschritten ein eigenes Themenfeld, das der Tagung mit folgenden Leitfragen zugrunde lag: Wann und warum wurden Mündlichkeit und Schriftlichkeit vor oder bei Gericht ausgeschlossen? Inwieweit limitierten oder erweiterten Schriftlichkeit und Mündlichkeit den Zugang zu einem Gericht? Das Spannungsverhältnis von schriftlichen und mündlichen Elementen im Gerichtswesen epochenübergreifend zu diskutieren, war ein Anliegen der Tagung und steht nun auch bei dem vorliegenden Tagungsband im Vordergrund. Dabei wird auch danach gefragt, welche Folgen der Wandel zu einem überwiegend schriftlichen Verfahren für die Verfahrensbeteiligten hatte und wie er sich auf gerichtliche Entscheidungen und auf die Verfahrensabläufe auswirkte.
Themenschwerpunkt 3 – Nutzung der Schriftlichkeit
Ferner war anlässlich der Tagung zu hinterfragen, inwieweit sich die Parteien Schriftlichkeit – besonders auch durch Druckschriften – für eine (print‐)mediale Inszenierung bei Gerichten, aber auch gegenüber der Öffentlichkeit zu Nutze machten. Inwiefern hatten Druckschriften Einfluss auf die Gerichte und auf ihr Verfahren? Wie gingen Parteien und das Gericht im Allgemeinen mit Schriftstücken um? Auch Rechtsbücher, wie etwa das Mühlhäuser Rechtsbuch,12 sollen in die Analyse einbezogen werden. Folgende Fragestellungen können zu einer Untersuchung des Einflusses der Schriftlichkeit auf die Gerichtsnutzung hilfreich sein: Welche Ordnungen reglementierten den Umgang mit Schriftlichkeit formell? Welchen konkreten Nutzen hatte die Schriftlichkeit für die beteiligten Akteure, insbesondere für das Gerichtspersonal und die Parteien, und inwieweit konnte es gelingen, Schriftlichkeit für die Durchsetzung eigener Interessen zu instrumentalisieren?
Themenschwerpunkt 4 – Die Überlieferung
Vor der Anlage von unter Umständen systematisch geführten Akten wurden gerichtliche Entscheidungen und wesentliche Verfahrenshandlungen in Protokoll- und Urteilsbüchern festgehalten. Diesbezüglich bestand das Ziel der Tagung auch darin, einen vergleichenden Blick auf die verschiedenen Formen zu richten. Welches Schriftgut von, für oder über Gerichte wurde archiviert und wie wurde die Archivierung vorgenommen? Welche Möglichkeiten und Grenzen der Auswertung gibt es für das selektiv oder in Massen erhaltene Schriftgut? Anliegen der Tagung war es ebenso, die Digital Humanities13 einzubeziehen und Perspektiven zu diskutieren, welche die Digitalisierung für die Nutzung von Archivgut eröffnen.
Zur Bewältigung des Themas und zum Zwecke einer Annäherung an die genannten Schwerpunkte haben die Herausgeber zwölf Thesen erarbeitet, die als Impulse zur Be- und Verhandlung des Themas dienen, einen bewusst offenen Charakter besitzen und nicht als Forschungsergebnisse, sondern eher als Denkanstöße zu verstehen sind. Sie wurden den Autorinnen und Autoren als mögliche Gelegenheiten für Bezugnahmen im Rahmen der Ausarbeitung der...
Erscheint lt. Verlag | 6.6.2023 |
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Reihe/Serie | bibliothek altes Reich |
bibliothek altes Reich | |
ISSN | ISSN |
Zusatzinfo | 8 b/w and 14 col. ill., 5 b/w tbl. |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Neuzeit (bis 1918) |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Recht / Steuern ► Allgemeines / Lexika | |
Schlagworte | Archival studies • Archivwesen • Legal History • Mündlichkeit • orality • premodern era • Rechtsgeschichte • Schriftlichkeit • Vormoderne • Writing |
ISBN-10 | 3-11-107751-9 / 3111077519 |
ISBN-13 | 978-3-11-107751-2 / 9783111077512 |
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