II. Ziele des Regelinsolvenzverfahrens über das Vermögen natürlicher Personen
1. Gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung
4 Als primäres Ziel des Insolvenzverfahrens definiert § 1 InsO die gemeinschaftliche und bestmögliche Befriedigung der Gläubiger eines Schuldners. Dies bedeutet, dass das Vermögen, welches zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens als Haftungsmasse vorhanden ist, im Insolvenzverfahren an alle Gläubiger gleichmäßig im Verhältnis ihrer Forderungen verteilt wird (par conditio creditorum). Die Befriedigung der ungesicherten Insolvenzgläubiger vollzieht sich regelmäßig in Form einer sog. Quotenzahlung am Ende des Verfahrens sowie von evtl. weiteren Ausschüttungen in der sog. Wohlverhaltensphase (Restschuldbefreiungsverfahren). Die zu diesem Zweck vorhandenen Gelder hat der Insolvenzverwalter zuvor im Wesentlichen aus der Verwertung des Haftvermögens oder auch durch Fortführung einer selbstständigen Tätigkeit erwirtschaftet.
5 Gleichzeitig ist den Insolvenzgläubigern untersagt, Befriedigung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung zu suchen (vgl. §§ 89, 294 InsO).
2. Restschuldbefreiung
6 Im Insolvenzverfahren werden neben den Gläubigerinteressen auch die des Schuldners berücksichtigt (vgl. § 1 Satz 2 InsO). Soweit sich der Schuldner redlich verhält, erhält er am Ende des gesamten Verfahrens die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs durch Erteilung der Restschuldbefreiung. Dies erfolgt regelmäßig nach Ablauf von sechs Jahren ab Eröffnung des Verfahrens, kann aber unter bestimmten Voraussetzungen auch bereits nach fünf oder drei Jahren oder noch vorzeitiger erreicht werden (vgl. § 300 InsO).
3. Sanierung
7 Ist der Schuldner selbstständig oder freiberuflich tätig, ist es Aufgabe des Insolvenzverwalters, auch die
Fortführungs- und Sanierungsfähigkeit des schuldnerischen Betriebs zu prüfen. Die Sanierung unter Erhalt des Unternehmens ist kein originär definiertes Ziel des Insolvenzverfahrens.
2) Die in der Insolvenzordnung niedergelegten rechtlichen Bedingungen bieten jedoch einen geeigneten Rahmen, die bestmögliche Gläubigerbefriedigung auch durch Fortführung und/oder Sanierung eines Schuldnerbetriebs sicherzustellen.
4. Vermeidung berufsrechtlicher Konsequenzen
8 Bei Selbstständigen oder Freiberuflern ist der Eintritt einer wirtschaftlichen Krise nicht nur mit finanziellen Einschnitten, sondern u. U. auch mit berufsrechtlichen Konsequenzen verbunden.
9 Die Verhinderung von berufsrechtlichen Konsequenzen gehört zwar ebenfalls – der Definition nach – nicht zu den originären Zielen des Insolvenzverfahrens. Allerdings kann, werden solche berufsrechtlichen Konsequenzen verhindert bzw. deren Gefahren frühzeitig erkannt, auch hierdurch die Fortführung/Sanierung des schuldnerischen Unternehmens/Kanzlei- oder Praxisbetriebs zu einer besseren Gläubigerbefriedigungsquote führen als dessen Zerschlagung. Eine frühzeitige Weichenstellung ist dabei von grundlegender Notwendigkeit.
10 Soweit ein Gewerbebetrieb geführt wird, liegen bei Eintritt der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit regelmäßig die Voraussetzungen für eine
Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO vor.
3) § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO
Die Ausübung eines Gewerbes ist von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. […]
11 Eine solche Gewerbeuntersagung ist gemäß § 12 GewO unzulässig nach der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 InsO oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. während der Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans (§ 260 InsO). Ist z. Zt. der Anordnung gemäß § 21 InsO (bzw. der Insolvenzeröffnung) der Untersagungsbeschlusses bereits zugegangen, tritt die Sperrwirkung des § 12 GewO nicht ein.
4) 12 Eine (erweiterte) Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 GewO kann maßgeblich (allein) auf die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden – z. B. aufgrund von Steuerschulden bzw. Beitragsrückständen – sowie auf die Nichterfüllung steuerlicher Erklärungspflichten gestützt werden.
5) Einer die Unzuverlässigkeit begründende Überschuldung steht weder die Einleitung oder die wegen Masseunzulänglichkeit erfolgte Einstellung des Insolvenzverfahrens entgegen noch wird sie durch eine vom Insolvenzverwalter abgegebene Freigabeerklärung (wieder) beseitigt.
6) Die Gewerbeuntersagung ist auch dann noch unverhältnismäßig, wenn der Betroffene ohne die Einnahmen aus dem Gewerbe dann auf Sozialhilfe angewiesen sein sollte.
7) Das öffentliche Interesse am Ausschluss unzuverlässiger Personen vom selbstständigen Betrieb eines Gewerbes geht dem Interesse an der Vermeidung einer solchen Hilfsbedürftigkeit vor.
8) Der in der Unzuverlässigkeit der Person begründeten Rechtfertigung für eine Gewerbeuntersagung kann nur durch Vorlage eines fundierten Sanierungskonzepts entgegengesteuert werden. Erst dann sind die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Wiedergestattung tendenziell positiv. Ist der Schuldnerbetrieb sanierungsfähig und ist dies bereits anfänglich absehbar, ist eine frühzeitige Weichenstellung auch hier unerlässlich.
13 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gewerbetreibenden führt nicht zur Unterbrechung des gerichtlichen Verfahrens über eine Gewerbeuntersagung.
9) Der für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 GewO maßgebliche Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung gilt auch für den Anwendungsbereich des § 12 Satz 1 GewO.
10) Daher bewirkt ein erst
nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eröffnetes Insolvenzverfahren nicht die Rechtswidrigkeit einer Gewerbeuntersagung wegen einer auf ungeordneten Vermögensverhältnissen beruhenden Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden.
11) 14 Ein Freiberufler ist regelmäßig nicht Gewerbetreibender, sodass § 35 GewO nicht verfängt. Handelt es sich um eine freiberufliche Tätigkeit, die einhergeht mit der Verwaltung von Fremdgeldern (z. B. Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater), droht regelmäßig ein von der Berufskammer auszusprechender Widerruf der Zulassung zur Berufsausübung.
15 Welche Berufe unter den Terminus der
Freiberufler zu fassen sind, ist abschließend nicht eindeutig definiert. Es handelt es sich um ein „soziologisches Ordnungsschema“.
12) 16 Einen Anhaltspunkt bietet § 18 EStG mit der steuerrechtlichen Zuordnung der sog. freien „Katalogberufe“. Zur Abgrenzung der freien Berufe von Gewerbetreibenden mag der nachfolgende Punktekatalog eine Einordnung erleichtern.
17 Voraussetzungen für die Zuordnung zu einer freiberuflichen Tätigkeit:
• selbständige wirtschaftliche Tätigkeit,
• persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Dienstleistungserbringung (kein Handeltreiben oder keine Massenproduktion),
• kammergebundene oder kammerungebundene Berufe,
• wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende, erzieherische oder ähnlich gelagerte Tätigkeiten,
• besondere berufliche Qualifikation oder schöpferische Begabung,
• Anhaltspunkte § 18 EStG (enumerativer Katalog) und § 1 PartGG,
• kein Gewerbebetrieb nach der Gewerbeordnung (GewO),
• keine Weisungsgebundenheit (vgl. § 106 GewO; Abgrenzung „Scheinselbstständigkeit“).
18 Eine freiberufliche Tätigkeit ist in jedem Fall bei folgenden Berufsgruppen gegeben:
• rechts-, steuer- oder wirtschaftsberatende Tätigkeit (z. B. Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer),
• Heilberufe (z. B. Ärzte, Heilpraktiker, Dipl.-Psychologen, Krankengymnasten, Hebammen),
• Berufe in der Informationsvermittlung/Kultur (z. B. Journalisten, Dolmetscher, Künstler, Schriftsteller, Designer, Dozenten),
• naturwissenschaftliche/technische Berufe (z. B. Ingenieure, Architekten, hauptberufliche Sachverständige),
19 Gerät ein Freiberufler infolge der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit in den sog. „Vermögensverfall“ und ist er im Rahmen seiner beruflichen Praxis mit der Verwaltung von Fremdgeldern betraut, droht ein Widerruf der Zulassung durch die zuständige Berufskammer. Grund des Widerrufs ist der Schutz der Fremdgelder, da durch den Vermögensverfall die Gefahr besteht, dass der Berufsträger seine Aufgaben diesbezüglich nicht mehr mit der notwendigen Sorgfalt...