Terrorismus, Guerilla, Kleinkrieg, Volkskrieg.Theorie und Praxis (eBook)
424 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-3071-7 (ISBN)
Erich B. Ries, Jahrgang 1955, ist Diplom-Sozialwissenschaftler und Kampfkunstmeister und hat sich intensiv mit Fragen der Selbstverteidigung und der Kleinkriegsführung beschäftigt. Erich B. Ries ist Mitglied des Reservistenverbandes der Deutschen Bundeswehr und lebt in Norddeutschland.
Kapitel 1
Terminologie und Geschichte
Die Begriffe, welche für den „Kleinen Krieg“ im Laufe der Geschichte von den Völkern geprägt wurden, sind vielfältiger als die Zwecke, um derentwillen dieser geführt wurde und wird.
Neben dem im 18., Anfang 19. Jahrhundert gebräuchlichen Bezeichnungen Detachement-Krieg, Vorposten-Krieg, leichter Krieg (Clausewitz) waren Begriffe wie Parteigänger-Krieg, Partisanen-Krieg, Untergrund-Krieg, Untergrund-Kampf, Freischärler-Krieg, Insurrektionskrieg, später auch revolutionärer Krieg, Volkskrieg, subversiver Krieg, verdeckter Krieg, verdeckter Kampf gebräuchlich.
Gelegentlich wird auch – abwertend – von Bandenkrieg oder fälschlicherweise und simplifizierend von Terrorismus gesprochen.
Während des Volkskrieges der Spanier gegen die napoleonischen Invasionsarmeen (1807 – 1814) bildete sich der Begriff „Guerilla“ (kleiner Krieg) heraus, der heute, vor allem im Westen, am häufigsten gebraucht wird.
Entgegen verbreiteter Auffassungen (Haffner, S. 1966:5) ist die Guerilla keine Erfindung der Kommunisten, wenngleich der kleine Krieg mit Beginn der Dekolonisation nach Ende des 2. Weltkrieges unter Führung kommunistischer Parteien (China, Malaya, Vietnam, Philippinen usw.) in das Blickfeld der breiteren Weltöffentlichkeit gerückt ist.
Die alten Griechen kannten und praktizierten den kleinen Krieg ebenso wie die Römer und Germanen.
Besonders sei hier an die Kleinkriegstaktik von Arminius / Hermann der Cherusker gegen die Römer, insbesondere an die Vernichtungsschlacht im Teuteburger Wald im Jahre 9 nach Christus erinnert, wo in der berühmten Varusschlacht drei Legionen den Römern eine ihrer vernichtendsten Niederlagen beigebracht wurden…
„Auch im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit, im 16. Und 17. Jahrhundert fanden Kleinkriege statt.“ (Hahlweg, W.: 1968:25) Es handelt sich bei Hahlwegs Schrift meines Erachtens um die beste wissenschaftliche Arbeit zur Geschichte der Guerilla.
Tatsächlich ist die Guerilla fast so alt wie die Menschheit selbst.
(Vgl. Wilkins, 1963:30; Guevara, a, 1972:124; Kutger, 1963:79)
Guerilla im 18. Jahrhundert
Für das 18. Jahrhundert ist das durchaus zweckgerichtete Zusammenspiel von regulären Linientruppen und Kleinkriegsverbänden kennzeichnend.
Die Kleinkriegs-Detachements bestanden aus besonders hierfür qualifizierte und ausgerüstete Soldaten, die gleichwohl Bestandteil des regulären Heeres blieben.
Der Kleinkrieg hatte unterstützende Funktionen im Rahmen der Gesamtkriegsführung und erwies sich gelegentlich über seine rein taktisch-operative Funktion hinaus von strategischer Bedeutung.
Als Beispiel sei der Rückzug des preußischen Heeres aus Böhmen im November 1744 genannt, wo österreichische Kleinkriegs-Detachements dem preußischen Heer große Verluste zufügten und Friedrich den Großen zwangen, Prag am 20. November 1744 zu räumen. (Hahlweg, W., 1968:27,28)
Durch die Erfahrungen des spanischen Erbfolgekrieges, des ersten und zweiten schlesischen sowie des Siebenjährigen Krieges wurde die technisch-praktische Seite der Guerilla weiter ausgebildet, der Kleinkrieg und die mit ihm befassten Militärs wurden durchaus akzeptiert.
Dies änderte sich allerdings Ende des 19. Jahrhunderts und im 20. Jahrhundert, als die Guerilla als Agens sozialrevolutionärer Bewegungen und revolutionärer Staatsschöpfung, die sich gegen den Staat und das Militär richteten, aufgrund auch ihrer Totalität in Methode und Zielsetzung in traditionell konservativen Militärkreisen zunehmend anrüchig wurde.
Die Kriege des Absolutismus waren keine totalen Kriege, bei denen es um Leben und Tod der Zivilbevölkerung, um den Versuch der Versklavung und Ausrottung ganzer Völker ging, wie dies exemplarisch für den 2. Weltkrieg galt, sondern waren begrenzt hinsichtlich Zweck und Mittel.
Auch wurden die politischen Ziele vom absolutistischen Staat definiert, ohne dass dem Volk ein nennenswerter Einfluss darauf eingeräumt worden wäre. (Haffner, S.:14,15; Hahlweg, W.: 26).
Eine allgemeine Wehrpflicht gab es in der Regel nicht, die Armeen bestanden aus Berufssoldaten und daneben aus bei Bedarf angeheuerten oder gepressten Rekruten, die Kombattanten waren ausschließlich Militärs und hatten in der Regel keinerlei primäres Interesse an den mit Ihrer Hilfe verfolgten politische Zielen. Darin dürfte übrigens einer der Gründe für den Erfolg so vieler Befreiungskriege, vom amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bis zum Vietnamkrieg liegen: Den für ihre eigenen Interessen kämpfenden „Irregulären“ standen und stehen (1986) persönlich nicht oder nur sekundär motivierte Söldner oder Wehrpflichtige gegenüber.
Anders ist dies allerdings in den Kolonien, wo es tatsächlich oft um die Ausrottung bzw. Versklavung ganzer Völker ging und daher auch die kriegerischen Auseinandersetzungen andere, meist totalere und brutalere Formen annahmen.
Neben den begrenzten politischen Zielen, die das Erscheinungsbild des Krieges im 18. Jahrhundert und im beginnenden 19. Jahrhundert bestimmen und demzufolge kriegerische Auseinandersetzungen auf das Militär begrenzten, gab es einen zweiten Grund, der eine Einbeziehung des ganzen Volkes, also auch außerhalb des streng reglementierten Militärapparates etwa für die nationale Verteidigung als gefährlich erscheinen ließ. Im Kapitel über Volksbewaffnung seiner epochalen Schrift „Vom Kriege“ schreibt Clausewitz: „Der Volkskrieg ist im kultivierten Europa eine Erscheinung des 19. Jahrhunderts. Er hat seine Anhänger und seine Widersacher, die letzteren aus politischen Gründen, weil sie ihn für ein revolutionäres Mittel, einen für gesetzlich erklärten Zustand der Anarchie halten, der der gesellschaftlichen Ordnung im Innern ebenso gefährlich sei wie dem Feinde…“ (Clausewitz, C. von, 1963:173)
Mit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775 – 1783), der französischen Revolution und den damit in Zusammenhang stehenden Befreiungskriegen gegen die französischen Invasionsarmeen in der Vendée, (1793-1796), in Spanien (1808-1814), in Tirol (1809), in Deutschland (1809) und schließlich in Russland (1812) erfuhr die Guerilla eine entscheidende Wandlung und Ausweitung ihrer Zielsetzung sowie damit einhergehend eine qualitative Veränderung in den Verlaufsformen: War der kleine Krieg im Laufe des 18. Jahrhunderts als Bestandteil des regulären „gehegten“ Krieges laufend perfektioniert und zur militärischen Kunst verfeinert worden, so kam nunmehr ein neuer Akteur ins Spiel: Das Volk.
In der Auffassung, daß die Beteiligung der Volksmassen im Kriegsgeschehen gegen Ende des 18.-, Anfang des 19. Jahrhunderts eine Zäsur in der Geschichte des neuzeitlichen Krieges darstellen, den kleinen Krieg auf eine völlig neue Stufe heben, stimmen der Militär-Historiker Werner Hahlweg und Lenin völlig überein.
Hahlweg schreibt: „Wurde also der Kleinkrieg im militärischtechnischen Bereich aus der vorherigen Epoche mehr oder weniger unverändert übernommen, so änderte sich doch seine Erscheinungsform im Hinblick auf die Impulse, die ihm aus dem Bereich der Politik, Gesellschaft und Wirtschaft erwuchsen, und die ihn, was seine Zielsetzung betraf, ebenso langandauernd wie intensiv werden ließen. Der Kleinkrieg war zum wesentlichen Bestandteil des Existenzkampfes von Völkern geworden.
Für die Entwicklung des Kleinkrieges bedeutet die so modern anmutende Epoche 1775-1789-1815 eine Zäsur: Hier beginnt der Weg zu unserer Gegenwart. Die Kleinkriege dieser Epoche weisen nahezu alle Kennzeichen, Kombinations- und Verbindungsmöglichkeiten auf, wie sie sich heute freilich in fortgeschrittenen, weiterhin differenzierten Formen bei der modernen Guerilla wiederfinden.
Die wiederholte und enge Verbindung von Kleinkrieg und Volkskrieg stellt also das eigentlich Neue in der Entwicklung dieser Form des Krieges während der Epoche 1775-1788-1815 dar.“ (Hervorhebung von mir). (Hahlweg 1968:60)
In seinem im Januar 1905 erschienen Artikel „Der Fall Port Arthurs“ schreibt LENIN: „Unwiderbringlich sind jene Zeiten dahin, wo die Kriege von den Söldnern oder Vertretern einer dem Volk halb entfremdeten Kaste geführt werden…Die Kriege werden jetzt von den Völkern geführt…“ (Lenin, a, 1952:43)
Indem die Völker also selbst auf die politische Bühne treten und damit auch das Kriegshandwerk nicht mehr ausschließlich den Militärs überließen, wurde nicht nur die politische Zielsetzung totaler, sondern auch die „Kriegsführung als Mittel der Politik“ (Clausewitz 1963:22) wurde irregulär in mehrfacher Hinsicht:
Insofern das Wesen des kleinen Krieges in der Überraschung, in der Vermeidung regulärer Schlachten, vielmehr umgekehrt im verdeckten Einzelkampf bestand, war er von jeher „irregulär“. Indem aber das Volk, von Jahrhunderten alten Traditionen und Denkmustern weitgehend unbelastet in die militärische Arena trat, verwischte sich...
Erscheint lt. Verlag | 13.11.2024 |
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Sprache | deutsch |
ISBN-10 | 3-7693-3071-4 / 3769330714 |
ISBN-13 | 978-3-7693-3071-7 / 9783769330717 |
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