Waffenhändler in Uniform -  Wolfgang Klietz

Waffenhändler in Uniform (eBook)

Geheime Im- und Exporte der DDR
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2024 | 1. Auflage
396 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-043462-2 (ISBN)
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Auch Jahrzehnte nach dem Ende der DDR ist nur wenig über den 'Ingenieur-Technischen Außenhandel' (ITA) bekannt. Der staatliche Außenhandelsbetrieb im- und exportierte Waffen und militärische Ausrüstung innerhalb des Warschauer Pakts. Im Kontrast zum propagierten Selbstverständnis der DDR als 'Friedensstaat' zählten aber auch Diktatoren und sogenannte Befreiungsbewegungen in Entwicklungsländern zu den Geschäftspartnern. Besonders deutlich zeigte sich der Widerspruch im Ersten Golfkrieg in den 80er-Jahren, als die DDR beide Kriegsgegner, Irak und Iran, belieferte. In den späteren Jahren wurde zudem das Ziel, westliche Devisen für das SED-Regime zu erwirtschaften, immer wichtiger für den ITA. Als die Mauer fiel, wurden die Unterlagen in großem Umfang vernichtet, sodass das Wesen und Wirken des ITA bis heute so gut wie unbekannt bleiben konnten. Wolfgang Klietz legt nun nach jahrelangen Recherchen die erste umfassende Untersuchung dieser stets im Geheimen arbeitenden Organisation vor. Ergänzendes Material zum Buch ist online zugänglich.

Wolfgang Klietz ist Historiker und arbeitet als Buchautor und als Redakteur beim 'Hamburger Abendblatt'. In mehreren Büchern und Aufsätzen hat er sich mit der maritimen Geschichte der DDR beschäftigt.

1 Die Anfänge


»Es macht wieder Spaß einzukaufen«, sagt der Sprecher aus dem Off. Zu sehen sind Schwarz-Weiß-Aufnahmen von gut gefüllten Geschäften, in denen DDR-Bürger sich über die Auslagen freuen und gern zulangen. »Die Geschäfte haben auch geschmackvolle Importwaren anzubieten.« Zu sehen sind die schönsten Stoffe aus den Nachbarländern, die »mit unseren Erzeugnissen wetteifern«. Der Verkäufer trägt einen eleganten Anzug, die attraktive Kundin sucht geblümte Textilien für ein leichtes Sommerkleid. Zwei Kundinnen sind jedoch mit den Ballen, Farben und dem Design nicht zufrieden. »Der Verkaufsstellenleiter verspricht, der Sache nachzugehen«, sagt der Sprecher. Schnitt: Es folgt ein Blick in die Büros des Ministeriums für Außenhandel und innerdeutschen Handel und der kluge Spruch: »Import und Export müssen sich die Waage halten.« Nur wenn »unsere Betriebe« die Wünsche aus dem Ausland erfüllen können, kann auch importiert werden. So schlicht kann es zugehen, wenn ein Staat den Mangel an geblümten Kleidern erklären will.

Die Szenen stammen aus dem DDR-Film Unser Aussenhandel, der den Zuschauern Nachhilfe in Sachen Im- und Export vermitteln sollte und gleichzeitig die Bedeutung der DDR als Wirtschaftsnation betont. Dazu passen, untermalt von mal seichter, mal dramatischer Streichermusik, Zitate wie diese: »Unsere Erzeugnisse sind in aller Welt geachtet« und »Der Außenhandel als ein entscheidender Bestandteil unserer friedliebenden Außenpolitik und zugleich als Brücke zur Völkerverständigung gibt uns die Möglichkeit, im Rahmen der Export- und Importmöglichkeiten den Lebensstandard entscheidend zu verbessern«.13 Doch der Außenhandel gehörte im Selbstverständnis der DDR auch zu den wichtigsten Instrumenten der Außenpolitik im Kalten Krieg. Und dabei ging es bereits zu Beginn der Geschichte des ostdeutschen Staates nicht nur um Blümchenkleider, sondern auch um Waffen, Munition und weitere Militärgüter.

Außenhandel im Realsozialismus

Doch zunächst ein paar Worte zum Außenhandel im Realsozialismus. Heutigen Lesern mag es schwer fallen, sich eine Vorstellung der Wirtschaft der DDR zu machen. Die DDR war eine zentral verwaltete Planwirtschaft, die von einer Staatlichen Plankommission durch Fünfjahrespläne gesteuert wurde. Privatwirtschaft gab es spätestens nach der Enteignungswelle von 1972 nur noch im Kleinbetrieben mit bis zu zehn Beschäftigten. Größere Betriebe waren als Volkeigene Betriebe (VEB) Staatseigentum. Teils waren mehrere VEBs in Kombinaten bzw. bis Ende der 60er-Jahre in deren Vorläufern, den Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB), integriert. Auch den Außenhandel wickelten staatliche Betriebe ab – die Außenhandelsbetriebe (AHB). Diese produzierten keine eigenen Produkte, sondern waren rein auf den Handel spezialisiert. Um keine Konkurrenz aufkommen zu lassen, deckte jeder AHB zudem ein festgelegtes Wirtschaftssegment ab.

Weitere Besonderheiten für den Außenhandel – und für die ökonomischen Zwänge, die die DDR besonders in späteren Jahren bestimmten – ergaben sich aus der Währungspolitik: Die Mark der DDR war eine reine Binnenwährung und durfte das Land nicht verlassen. Man konnte sie nicht in andere Währungen umtauschen. Für den Handel zwischen den Ostblock-Staaten nutzte man deshalb Verrechnungseinheiten: Bei Geschäften mit Ländern des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) wurde seit 1963 in der Regel der sogenannte Transferrubel genutzt. Im Grunde hatte dieser keine »Kaufkraft«, sondern diente dazu, die vertraglich vereinbarten und in den jeweiligen Wirtschaftsplänen der Staaten fixierten Tauschgeschäfte vergleichbar zu machen. Für den Handel mit Staaten außerhalb des Ostblocks aber mussten frei konvertierbare, zumeist westliche Währungen genutzt werden (Devisen, »Valuta«). Wieder brauchte man Verrechnungseinheiten, diesmal um die Außenhandelsumsätze sozusagen in die Binnenwährung zu »übersetzen«. In der DDR war die entsprechende Verrechnungseinheit die Valutamark (VM).

Um planen und abrechnen zu können, wurden die Verrechnungseinheiten jährlich umgerechnet und festgelegt: Im Mai 1970 etwa wurde das Verhältnis von einem Transferrubel mit 5,50 DDR-Mark festgelegt.14 Später, seit den 80er-Jahren, lag der Transferrubel stabil bei 4,67 Mark. Die Valutamark orientierte sich an der D-Mark, übernahm also die Wechselkurse anderer Währungen, etwa des Dollars, gegenüber der D-Mark.15 Der offizielle Kurs der Valutamark zur D-Mark lag bei 1 : 1, inoffiziell gab es jedoch einen sogenannten »Richtungskoeffizienten«, um den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen – zuletzt, 1989, lag er bei 4,4.

Da die eigene Währung nicht umtauschbar war, war die DDR gezwungen, die Devisen oder »Valuta«, mit denen Importe aus dem westlichen Ausland bezahlt werden konnten, zunächst zu erwirtschaften oder sich zu verschulden. Die Devisennot verschärfte sich im Laufe ihres Bestehens mehr und mehr. Entsprechend groß war der Anreiz, weltmarktfähige Waren gegen »harte Währung« ins nichtsozialistische Ausland zu exportieren, statt an die Bruderstaaten. Neben dem Außenhandel hatte die DDR noch eine Reihe weiterer Strategien, um insbesondere an D-Mark zu gelangen: Einreisende Bundesbürger mussten ab 1964 eine Mindestmenge an D-Mark umtauschen, politische Häftlinge ließ man durch die BRD freikaufen und ab den 70er-Jahren gab es die Intershops, in denen Reisende, ab 1974 aber auch DDR-Bürger mit Devisen Waren aus dem Westen erwerben konnten (▸ Kap. 2).

Aufrüstung für eine neue Armee

Nachdem die UdSSR in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu jedes Gerät, das militärisch nutzbar war, als Reparationsleistung beansprucht hatte, kam am 1. April 1952 die Wende: Die DDR sollte aufrüsten. Vermutlich unter dem Eindruck des Korea-Kriegs gab Stalin DDR-Präsident Wilhelm Pieck bei einem Treffen in Moskau entsprechende Anweisungen. Die Ansage des großen Führers in Moskau war unmissverständlich: Die DDR solle – so der überlieferte Wortlaut – »ohne Geschrei« eine Armee aufbauen. Ein weiterer Anlass für den Aufbau von Streitkräften in der DDR dürfte das Scheitern der sogenannten Stalin-Note gewesen sein, die der Diktator im März 1952 vorgelegt hatte. Darin schlug Stalin die Wiedervereinigung Deutschlands als neutraler Staat mit eigener Armee vor. Ob das lediglich ein Mittel der Propaganda war, um die Einbindung der BRD ins westliche Bündnis zu verzögern oder zu verhindern, ist unter Historikern umstritten. Zeitlich liegen die ablehnenden Reaktionen im Westen, das Treffen mit Pieck in Moskau und der Beschluss, eine DDR-Armee aufzubauen, jedenfalls auffällig eng beieinander. Die Vertreter der DDR betonten bei den Gesprächen, dass die Bewaffnung der Polizei mangelhaft sei und dass eine Volksarmee eine ausreichende Ausrüstung benötige. Einem streng geheimen Protokoll der Gespräche ist zu entnehmen, dass Walter Ulbricht darauf hinwies, dass der »Kern einer Armee in Gestalt von 24 Abteilungen der Kasernierten Volkspolizei« (KVP) bereits bestehe. Diese Abteilungen ließen sich zu Divisionen erweitern. Stalin reagierte darauf mit den Worten, »wirkliche Divisionen« sollten entstehen und auf den Einsatz im Schlachtfeld vorbereitet werden. Schon am 7. April erfuhr Ulbricht dann in Moskau, dass die UdSSR die DDR mit Waffen »vom Revolver bis zum Maschinengewehr« ausrüsten werde. Außerdem solle die KVP Artillerie und Panzer erhalten. Aber auch die industriellen Kapazitäten der DDR sollten für die Erfordernisse der Aufrüstung umgestellt werden.16

Es sollte bis 1956 dauern, dass aus der militärisch organisierten KVP offiziell die Nationale Volksarmee (NVA) entstand. Doch bereits die KVP, die Deutsche Volkspolizei (DVP) und die Staatssicherheit brauchten militärische Ausrüstung – von der Dienstmütze bis zum gepanzerten Fahrzeug. In den ersten Jahren der DDR waren die DVP wie die KVP, die Abteilungen Grenze der Stasi und die Bereitschaften noch mit Waffen ausgerüstet, die die UdSSR von der Wehrmacht erbeutet hatte. Es mangelte an Munition. Schnell stand fest, dass diese Ausrüstung ersetzt werden musste. Doch schon 1954 klagte die KVP über Probleme bei der Realisierung militärischer Importe und bei der Materialplanung. Und so gehörten noch 1956, bei Gründung der NVA, 1.000 Geschütze und Granatwerfer aus der Zeit vor 1945 zur wichtigsten Ausrüstung bei den entscheidenden Waffenarten. In allen Teilstreitkräften war das Soll an großen Systemen – Panzern, Flugzeugen, Schiffen – noch nicht erreicht. Es fehlte außerdem an Bekleidung, Proviant und Funkausrüstung.17

Die DDR stand vor einer enormen Herausforderung: Einerseits war sie durch Kriegsfolgen, Reparationen und die Teilung wirtschaftlich schwach. Andererseits sollte sie militärisch für einen Krieg gegen den...

Erscheint lt. Verlag 26.6.2024
Sprache deutsch
ISBN-10 3-17-043462-4 / 3170434624
ISBN-13 978-3-17-043462-2 / 9783170434622
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