Alpenüberquerung live! -  Matthias Bargel

Alpenüberquerung live! (eBook)

Von München zum Gardasee - Schritt für Schritt. Eine Wanderung in 34 Tagen. Mit Etappeninfos und über 100 Bildern.
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2024 | 3. Auflage
372 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-3985-8 (ISBN)
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»Wer wagt, gewinnt!« Die Formel ist so eingängig wie verheißungsvoll, doch stimmt sie? Matthias Bargel macht die Probe aufs Exempel: Der Münchner wählt den Weg als Ziel und wandert - von seiner Haustür über die Alpen zum Gardasee. Auf seiner Reise sammelt der Bergfreund aufregende Eindrücke von der Schönheit, aber auch von den Widrigkeiten der Natur. Er erlebt skurrile Begebenheiten und trifft auf originelle Wesen, darunter Heidi, eine Schar Wolpertinger, der Berggeist und ein Doppelgänger Gerhard Polts. Aufkeimenden Ängsten bietet er Paroli: Bei Gewitter klammert er sich gedanklich an die »Blitzschutzkappe« seines Regenschirms und die Bären redet er ganz einfach tot. Freimütig erzählt der Rucksackheld von seinem Solo-Abenteuer: fünf lange Wochen auf dem Pfad der Entschleunigung. Das Buch ist ein Plädoyer für das Gehen. Neuausgabe mit Etappeninfos und über 100 Bildern.

Matthias Bargel, 1975 in München geboren, studierte Germanistik, Völkerkunde sowie Vor- und Frühgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach einem Aufbaustudium in Computerlinguistik war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centrum für Informations- und Sprachverarbeitung (CIS) beschäftigt. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er 2001 in der Würmtalredaktion der Süddeutschen Zeitung, Planegg, bevor er mehrere Jahre für den Münchner Merkur und die München-Anzeiger aus dem Stadtgebiet berichtete. Als Redakteur und Lektor war er in verschiedenen Bereichen tätig. In »Alpenüberquerung live!« schildert der begeisterte Wanderer, Berg- und Naturfreund seine Erlebnisse während einer fünfwöchigen Weitwanderung zum Gardasee. Das Tagebuch lässt den Leser hautnah an dieser eindrucksvollen Reise teilhaben. Dank der vielen Erfahrungen, von denen der Autor erzählt, kann es angehenden Fernwanderern nicht zuletzt auch als Ratgeber dienen.

1 Hitzeschwere Aufbruchstunden

Montag, 22. August: München – Puppling

≈ 32 km 100 Hm 50 Hm 9 h

Gegen drei viertel elf hebe ich meinen Rucksack auf die Schultern. Ich drehe den Wohnungsschlüssel im Türschloss zweimal um und gehe zur Hackerbrücke vor. Dabei passiere ich die jüngsten baulichen Errungenschaften meiner Geburtsstadt: konforme Kästen, geradlinig und großenteils gläsern. Die lieblos hingeklotzte Investoren-Architektur wirkt steril und seelenlos und wird doch sündhaft teuer als »Himmelsgarten« verkauft. Wie sehr sie einem solchen zur Ehre gereicht, hängt meines Erachtens stark vom Geschmack des Betrachters ab.

Ich gehe über die schmiedeeiserne Bogenbrücke, welche die Gleisanlagen überspannt, und steuere zwischen zwei Gebäuderiegeln des Europäischen Patentamts auf die Theresienwiese zu. Die Aufbauarbeiten für das Oktoberfest sind schon weit fortgeschritten, denn das weltbekannte und weltweit kopierte Traditionsfest soll in knapp vier Wochen beginnen. Wie jedes Jahr wird es München für sechzehn, diesmal feiertagsbedingt sogar siebzehn Tage in einen bräulastigen Ausnahmezustand versetzen.

Das größte Volksfest der Welt ging aus einem Pferderennen hervor. Anlässlich der Vermählung des bayrischen Kronprinzen Ludwig mit Therese von Sachsen-Hildburghausen wurde es anno 1810 erstmals veranstaltet. Rösser galoppieren heute nur mehr in einem Jubiläumsjahr über das Gelände. Statt ihrer hat die Bierindustrie die Wiesn fest im Griff. Brauereien und Festzeltwirte feiern hier alljährlich ein profitables Moneyfest. Nebenbei bewahren Millionen Besucher ein Areal vor dauerhafter Bebauung, das inmitten der Stadt ein Gefühl von einzigartiger Weite vermittelt.

Ich spaziere also am Festgelände vorbei, weiter durch die Rückertstraße, über den Kaiser-Ludwig-Platz, durch die Haydnstraße, über den Goetheplatz und entlang der Waltherstraße zum Alten Südfriedhof. Morsche und verwitterte Souterrainbehausungen gewähren hier zahlreichen Münchner Berühmtheiten des neunzehnten Jahrhunderts ein ewiges Wohnrecht, darunter Franz Xaver Gabelsberger, dem Entwickler eines Kurzschriftsystems, Johann Conrad Develey, dem Erfinder des süßen Senfs, und einem Künstler der Spätromantik: Carl Spitzweg.

Der Landschaftsmaler reiste 1850 nach Venedig und las auf seiner Quasi-Alpenüberquerung neue Eindrücke auf. Inspiriert von seinen Ausflügen in die Berge brachte er etwa das Morgengrauen im Karwendel auf Leinwand. Er malte nicht nur eine Bayerische Gebirgslandschaft, sondern warf zum Beispiel einen pittoresken Blick von Fischbachau auf die Schlierseer Berge oder dokumentierte den Aufstieg zum Wendelstein.

Mit dem prominenten Voralpenklassiker nahm meine Liebe zu den Bergen ihren Anfang. Meinen ersten Gipfel nahm ich weder mit der Seilbahn von Osterhofen noch mit der Zahnradbahn von Brannenburg in Angriff. Zu Fuß stieg ich ihm mit sieben Jahren von Bayrischzell aus aufs Haupt. Ich war zum ersten Mal im Leben in den Bergen, und es schien mir unglaublich, dass es derart hohe Erhebungen in der Landschaft überhaupt geben konnte. Meinen Einstand als Bergwanderer feierte ich in Begleitung meiner Mama. Über diese erste Berührung mit den Alpen notierte ich in meinem Tagebuch: »Es war sehr schönes Wetter.«

Vom Südfriedhof geht es weiter zur Wittelsbacherbrücke. In der südöstlichen, überdachten Brüstungsnische lasse ich mich auf einem Steinsitz nieder. Minuten des Wartens vergehen. Derweil profitiere ich von den Vorzügen meines ehrwürdigen Aufenthaltsortes: Der separierte Raum auf der Brücke schützt vor Motorenlärm, ein wenig zumindest, und schottet den Besucher vom Strom passierender Fahrzeuge und Fußgänger ab. Die schmale Nische schafft Privatheit auf dieser viel befahrenen und oft begangenen Flussüberführung. Gleichzeitig gibt ein Fenster den Blick auf die südlichen Isarauen frei. Dass dieser Mauerwinkel zudem Schatten spendet, ist für mich an diesem Tag seine allerwichtigste Funktion.

Ich, eins achtzig hoch bei einer Masse von unter sechzig Kilo, genieße die letzten unbeschwerten Momente. Nicht aus Geheimniskrämerei bleibt das Gewicht meines Rucksacks rätselhaft. Vierzig plus zehn Liter beträgt sein Fassungsvermögen, doch konnte ich mangels Waage nicht ermitteln, ob ich nun zehn, zwölf oder mehr Kilo über die Alpen schleppen werde.

Neben meiner Ausrüstung, in erster Linie Kleidung, Landkarten und Proviant, sind auch nichtmaterielle Dinge darin enthalten: eine große Portion Entdeckerfreude, Zähheit und Kondition, ferner Geduld, Entschlossenheit und ein Bündel latenter Ängste, das von einer Dosis Selbstdisziplin in Schach gehalten wird. Fest steht: Die Kombination aus ungewohnter Last, weiten Wegstrecken und Hitze wird meine Leidensfähigkeit an den ersten Tagen auf die Probe stellen.

Gut dreißig Kilometer sind auf der gebirgslosen Startetappe von München nach Puppling bei Wolfratshausen zu bewältigen. Am Ende werde ich sie fast als Tortur empfinden, was nicht zuletzt meinem späten Aufbruch geschuldet ist. Der kleine Zeiger am Hauptturm der Sankt-Pauls-Kirche hatte die Elf-Uhr-Marke bereits überschritten, als ich vorhin die Theresienwiese passierte. Dieses und jenes wollte vor dem Aufbruch nach einer Nacht mit zu wenig Schlaf noch erledigt sein. Nach der ersten Etappe gilt es, einen Rhythmus zu finden. Um elf Uhr morgens loszulaufen darf unmöglich zur Regel werden.

Ein Nörgler würde sich an meiner Stelle fragen, ob die Bedingungen nicht angenehmer sein könnten. Ich selbst habe mir diese Frage zu keinem Zeitpunkt ernsthaft gestellt. Unweigerlich würde sie eine Gegenfrage aufwerfen: Wäre es dem Nörgler lieber, im Dauerregen nach Grünwald und, schon völlig durchnässt, nach Mühlthal, zum Gasthof Aumühle und weiter durch die dann weniger reizende Pupplinger Au zu laufen? Ich sehe es positiv: Die Hitze bietet beste Voraussetzungen für eine Abkühlung in der Isar.

Der Anfang ist also gemacht und alles Reden über Eventualitäten und Risiken beendet. Die Zeit des Handelns, die nun anbricht, sollte die Frage nach dem Sinn einer solchen Unternehmung und aufkeimende Zweifel in den Hintergrund drängen. Mit den Alpen hat sich immerhin ein Berg von Fragezeichen vor mir aufgetürmt: Wie weit mögen mich meine Füße tragen? Werde ich die Strapazen durchstehen? Wie wird es in der Brenta sein, am Klettersteig – und mit den Bären? Hoffentlich bleiben sie friedfertig und zahm! Ob es das Wetter gut mit mir meint? Und was, wenn mir irgendwo ein Gewitter blüht? Etliche Bedenken waren mir gekommen, welche die Aussicht auf eine entspannte Zeit verfinstern.

Wäre es in Anbetracht all der Unwägbarkeiten nicht schöner, jetzt fünf herrliche Urlaubswochen lang tagtäglich ein Bad zu nehmen? An einem der unzähligen Gewässer in und um München zu relaxen und sich dabei manch verführerischem Anblick von nackter Haut hinzugeben? Verlockend und zugleich trügerisch ist dieser Gedanke – und irgendwie langweilig.

Insgeheim habe ich der Tour das Motto Begegnungen verpasst, wobei die einzig verabredete hier auf der Wittelsbacherbrücke stattfindet. Mein Freund Horst, ein sportiver Mann mit hoher Alpenaffinität, wollte es sich nicht nehmen lassen, mich persönlich aus München zu verabschieden und auf einem geschätzten Promill der gesamten Weglänge zu begleiten. Über seine Absicht war ich nicht nur deshalb erfreut, weil er anbot, auf dieser Passage meinen Rucksack zu tragen. Horst, der inzwischen eingetroffen ist, wird mich in den nächsten Wochen per SMS mit Wetternews versorgen und falls nötig als Trostspender und Mutmacher fungieren.

Auf der Brücke werden wechselseitig letzte Fotos gemacht – für den Vorher-Nachher-Vergleich irgendwann im Herbst. Im Schritttempo radelt Horst bis zum Flaucher neben mir her. Es ist alles gesagt. Noch ein Abschiedsgruß, eine herzliche Umarmung, dann bleibt er zurück. Von nun an marschiere ich allein weiter. In gemütlichem Tempo, aber bestimmt stiefele ich davon. Ich drehe mich um, winke meinem Weggefährten ein letztes Mal, ehe er hinter einer Biegung aus meinem Sichtfeld verschwindet.

Mit einem exotischen Ziel vor Augen folge ich dem Isarlauf bis Grünwald. Ich kenne den Weg, bin ihn oft mit dem Rad abgefahren und entlangspaziert. Spätestens am Abend kehrte ich stets heim in meine Stadt. Das soll heute anders sein – ein so schnelles Comeback wird es hoffentlich nicht geben. Ich treffe auf Jogger und Radler, passiere Wasser- und Sonnenbadende, die ich nur momentan beneide.

Die Sonne brennt satt. Eine grasgrün gemusterte Chaskee Cap, eine Schirmmütze mit schwarzem Neoprenschild, schützt meinen Kopf vor den intensiven Strahlen. Ich muss mich eincremen, um nicht schon am ersten Tag ein glühendes Andenken davonzutragen. Auf einer Bank südlich der Großhesseloher Brücke, einer Eisenbahnbrücke der Strecke von München nach Holzkirchen, lasse ich mich dazu nieder. Auf einer zweiten Bank daneben...

Erscheint lt. Verlag 30.5.2024
Sprache deutsch
ISBN-10 3-7597-3985-7 / 3759739857
ISBN-13 978-3-7597-3985-8 / 9783759739858
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