Sieben Tage Jakobsweg -  Mattis M. Wehlau

Sieben Tage Jakobsweg (eBook)

Mein Camino Inglés
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2024 | 1. Auflage
200 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-1617-0 (ISBN)
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Mattis träumte schon lange vom Jakobsweg. Der Plan geriet fast in Vergessenheit, denn die Möglichkeit zu einer längeren Auszeit ergab sich leider nie. Durch einen Zufall erfährt er vom Camino Inglés, dem Englischen Weg. Die gut 120 km lange Strecke von der Hafenstadt Ferrol bis nach Santiago de Compostela, ist in nur einer Woche gut zu schaffen. Nach durchwachter Nacht bucht er am nächsten Morgen die Flugtickets. Was sieben Tage Pilgern mit ihm machen würden, hätte der sonst so rationale Mattis niemals erwartet. Zunächst freut er sich einfach auf eine Woche Freiheit. Familie, Beruf und alle Verpflichtungen hinter sich lassen und endlich mal wieder für sich sein. Was aber als einsame Wanderung beginnt, wird sehr schnell zu einem wunderbaren Gemeinschaftserlebnis. Er wird Teil einer Gruppe aus sehr verschiedenen Menschen, darunter die charismatische Sängerin Valentina, die den Weg zur Selbstoptimierung nutzt, ein älterer Herr namens Tonio auf der Suche nach seinem verlorenen Glauben oder der Österreicher Johann, der seine spontan abgesagt Hochzeit verarbeiten muss. Bereits nach kurzer Zeit entsteht eine überraschend enge Verbindung zwischen den Weggefährten. In dem Mattis tiefe Einblicke in das Leben der anderen erhält, erfährt er auch sehr viel über sich selbst. Eine unerwartete Erfahrung die für ihn nicht ohne Folgen bleibt. Auf humorvolle und selbstreflektierte Weise nimmt Mattis die Leser mit auf die Reise nach Santiago und macht Lust, eine eigene Pilgergeschichte zu schreiben.

Mattis M.Wehlau, geboren 1974 in der DDR, studierte Medienwissenschaften, Informatik und BWL in Leipzig und arbeitet heute als selbstständiger Unternehmer.

Mittwoch


Ferrol – Pontedeume


Punkt 6 Uhr bin ich putzmunter und springe fröhlich aus dem Bett. So ausgeschlafen ist man nur, wenn man sich richtig auf den Tag freut. Noch mal schnell geduscht, wer weiß, wann ich wieder dazu komme. Meine Sachen hatte ich schon am Abend gepackt und zurechtgelegt. Ich schlüpfe in meine Klamotten, schultere meinen Rucksack und mache mich auf den Weg. Draußen ist es überraschenderweise noch stockdunkel. Nur die Straßenlaternen spenden orangefarbenes Licht. Na klar, in Spanien geht die Sonne deutlich später auf. Das hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Umso besser denke ich, nichts ist schöner als den Tag beim Erwachen zu beobachten und in den Sonnenaufgang zu laufen.

Auf den Straßen ist noch sehr wenig los. Hier und da nutzen die Leute von der Stadtreinigung die Gunst der frühen Stunde, um wenig gestört vom Autoverkehr die Bordsteine zu reinigen. Einige Frühaufsteher sind auf dem Weg zur Arbeit. Die Luft ist herrlich klar und kühl und lässt noch nichts von der staubigen Hitze des Nachmittags erahnen. Meinen Plan, am Hafen zu starten, verwerfe ich schnell. Das wären gut zwei Kilometer, die ich dann wieder auf nahezu dem gleichen Weg zurücklaufen müsste. Das macht einfach keinen Sinn. An einer Häuserecke entdecke ich den ersten Pfeil und bin damit auf dem Camino. Feierlich mache ich die ersten Schritte. Fühlt sich toll an. Seit ewigen Zeiten habe ich mir das nun vorgenommen und jetzt ist es endlich soweit. Ein schöner, kleiner Glücksmoment. Die Orientierung fällt anfangs etwas schwer, aber mit jedem entdeckten Wegweiser ist das Auge mehr geschult und schon bald habe ich ein Gefühl dafür entwickelt, wo der nächste Pfeil zu erwarten ist.

Gewandert bin ich schon häufiger, aber noch nie durch eine Stadt. Liefe ich am frühen Morgen in kompletter Wandermontur allein durch Bitterfeld, würde das sicher für einige Verwunderung sorgen. Freak-Alarm wäre die Folge und Mütter würden mit ihren Kindern die Straßenseite wechseln. Hier gehören Pilger zum normalen Straßenbild. Niemand nimmt wirklich Notiz von mir und wenn doch, wird man gern mit einem Lächeln und einem freundlichen “Bon Camino” gegrüßt.

Im Frachthafen scheint gerade Schichtwechsel zu sein. Während die einen müde das Gelände verlassen, grüßt die Ablösung bei der Einfahrt munter die Kollegen und den Pförtner. Auf dem Gelände herrscht schon rege Betriebsamkeit. Transporter fahren hin und her und es dröhnt fernes Schlagen von Stahl auf Stahl über die Mauer. Aus einer kleinen Bar direkt gegenüber dringt aus dem riesigen Fernseher die Stimme eines Nachrichtensprechers auf die Straße. Das warme Licht und der Duft von frischem Backwerk locken mich hinein. An den Tischen sitzen vereinzelt Leute. Ihrer Kleidung nach zu urteilen, sind es zumeist Hafen - oder Werftarbeiter. Teilnahmslos schlürfen sie ihren Kaffee und starren auf das Fernsehbild. Hin und wieder sagt jemand etwas und dann flammt eine kurze Diskussion zwischen den Gästen auf. Ich bestelle mir einen Kaffee und ein Croissant und setze mich in eine Nische. Die Stimmung in der Bar fasziniert mich. Gäbe es einen solchen Ort bei uns auch, würde ich jeden Morgen dort frühstücken und meine Zeitung lesen. Plötzlich bricht große Heiterkeit im Raum aus und am Tisch gegenüber schaut man mich mit einem “Wassagst-du-dazu-Blick” erwartungsvoll an. Ich lache mit und nicke zustimmend, habe aber nicht die geringste Ahnung, um was es geht. Vielleicht gab es gerade Nachrichten von unserer Fußballnationalmannschaft. Hat mich mein blaues Hütchen als Deutschen enttarnt? Der Sprecher rattert schon die nächste Nachricht herunter und schon schauen wieder alle wie gebannt auf die Mattscheibe. Ich schaue noch ein Weilchen mit und verlasse schließlich gestärkt das Lokal.

Am Horizont über der Bucht kriecht so langsam die Dämmerung in den zart bewölkten Himmel. Etwa hundert Meter hinter mir sehe ich einen weiteren Pilger. Er winkt mir aus der Ferne zu und ich grüße zurück. Es sind also noch weitere Frühaufsteher auf der Strecke. Bin gespannt, wie sich das im Laufe des Tages entwickeln wird. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass sich plötzlich ganze Heerscharen in Richtung Pontedeume aufmachen, aber die wenigen Betten in der Herberge könnten doch recht schnell ausgebucht sein. In dem Fall müsste ich mir irgendwo eine Alternative suchen. Wie schwer oder leicht das sein wird, weiß ich nicht. Ich merke, wie ich langsam schon wieder ins Vorausplanen verfalle. Eigentlich wollte ich ja alles einfach auf mich zukommen lassen. Es wäre aber doch schön, jetzt schon zu wissen, wo man am Abend unterkommt. Man kann eben nicht so einfach aus seiner Haut.

Irgendwann habe ich die Stadt hinter mir gelassen und der Weg führt abseits der Straßen an der Bucht entlang. In dem Moment klettert auch die Sonne über die Berge und so bleibe ich stehen und werfe einen Blick auf die beeindruckende Szenerie. Die großen Hafenkräne, die mit rotem Sonnenlicht beschienene Meeresbucht, die bewaldeten Berge im Hintergrund. Auf der Gegenseite kann man in der Ferne schon Neda erahnen.

Eine große Autobrücke führt über das Wasser, darf allerdings nicht von Fußgängern benutzt werden. Das wird jedoch regelmäßig von den Pilgern ignoriert, da man so gute 5 km Strecke abgekürzt. Ich weiß gar nicht, welchen Sinn das macht, wenn man doch extra zum Laufen hergekommen ist. Ich gehe lieber brav um die gesamte Bucht herum. Vorher krame ich noch mein Wasserfläschchen heraus und genieße entspannt die Aussicht. Plötzlich steht jemand neben mir. Es ist der Pilger, der vorhin schon von weitem gegrüßt hatte. Ein graumelierter Herr um die 60, sehr sportlich für sein Alter. Ausrüstung und Kleidung verraten, dass solche Wanderungen sonst wohl eher nicht auf seinem Urlaubsplan stehen. Alles wirkt recht wild zusammengestellt. Er trägt normale Freizeitkleidung, der Rucksack ist nagelneu. Im Prinzip ich, nur älter. Südländischer Typ mit sorgfältig gerichteter Frisur und Kreuzkette. Italiener würde ich schätzen. “Buongiorno”, sagt er zur Bestätigung mit sonorer Stimme. “Guten Morgen”, erwidere ich, was ihn zu der These verleitet, dass ich Deutscher bin. “Deutsch?” “Ci!”, antworte ich auf Italienisch, um auch gleich mal mit meinen profunden Sprachkenntnissen anzugeben. Mehr reden wir erst einmal nicht. Auch er holt seine Flasche hervor und erfreut sich an der Aussicht.

Als ich schließlich weitergehe, schließt sich der Italiener ungefragt und wie selbstverständlich an. So war das zwar nicht geplant, es stellt sich aber schnell heraus, dass ich es hier mit einem ausgesprochen angenehmen Zeitgenossen zu tun habe. Sein Name ist Tonio und er kommt aus Neapel. Wir spulen den üblichen Smalltalk ab, erzählen von unseren ersten Erlebnissen auf dem Weg, von zu Hause und was wir so tun, wenn wir nicht gerade pilgern. Tonio ist mir sofort sympathisch. Kein Angeber, kein supernetter Allesganztollfinder, kein Schwätzer. Er hat einen herrlich hintergründigen Sinn für Humor und nimmt absolut kein Blatt vor den Mund. Guter Typ. Irgendwann war er auch mal beruflich in Alemania unterwegs und hat ein paar Brocken Deutsch behalten. Die geht er mit mir der Reihe nach durch, was für große Heiterkeit auf beiden Seiten sorgt. Allerdings meine ich hinter der robusten und fröhlichen Fassade auch einen sehr nachdenklichen Menschen zu erkennen. Es gibt bestimmt einen guten Grund, warum er diese Pilgerreise angetreten hat. Ich beschließe lieber erst mal nicht zu fragen.

Nach einer Stunde wandern stellt sich bereits wieder ein gewisser Kaffeedurst ein. Auch ein kleiner Nachschub an Essbaren wäre jetzt nicht verkehrt. Der Energievorrat des leckeren, aber doch recht mageren Croissants ist längst aufgebraucht. Tonio geht es ähnlich. Er hat noch gar nichts gegessen und so beschließen wir, irgendwo einzukehren und es uns gutgehen zu lassen. Die Strecke ist nicht gerade das, was man unter einer idyllischen Wanderumgebung versteht. Von gelegentlichen Passagen am Wasser abgesehen führt sie durch Vorstädte, entlang von Straßen und durch Gewerbegebiete. In einem solchen finden wir schließlich auch eine Bar mit netten Blick auf die Bucht. Es riecht wunderbar nach frischem Kaffee und in der Auslage finden sich einige Schokocroissants. Aja - schon wieder Croissants. Ein frisch gebackenes dunkles Brötchen mit ordentlich Wurst und Käse drauf wäre mir jetzt zwar lieber, aber das wird auch erst mal gehen.

Bisher unterlag ich der irrigen Annahme, dass ich am Morgen als erster die Stadt verlassen hätte. Jetzt wird mir klar, dass das so nicht ganz stimmt. An den Tischen und an der Bar sitzen bereits weitere Pilger und lassen sich ihr Frühstück schmecken. Einige brechen gerade wieder auf. Unterwegs entstand der Eindruck, dass nur sehr wenige Menschen unterwegs sind. Eigentlich ist das ja aber auch nicht verwunderlich, wenn alle in die gleiche Richtung laufen. Kurz überschlage ich die Menge und ziehe diese von den ausgewiesenen Herbergenplätzen in Pontedeume ab. Wird...

Erscheint lt. Verlag 3.4.2024
Sprache deutsch
ISBN-10 3-7597-1617-2 / 3759716172
ISBN-13 978-3-7597-1617-0 / 9783759716170
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