Die Entstehung des AlliiertenMuseum Berlin (eBook)
508 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-7415-5 (ISBN)
Helmut Trotnow, Jahrgang 1946, wuchs in Bad Segeberg, Schleswig-Holstein auf. Seine Eltern, geboren im zaristischen Rußland, hatten bis zum Hitler-Stalin-Pakt 1939 in einer der deutschen Kolonien im Westen der Ukraine gelebt. Nach dem Studium der Anglistik und Geschichte an den Universitäten Kiel und Stuttgart ging Trotnow auf Vermittlung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) nach Großbritannien, wo er an der Universität Lancaster und später am Polytechnic of Central London im Bereich der 'German Studies' unterrichtete. Gleichzeitig promovierte er an der London School of Economics and Political Science in 'International History'. 1980 verlieh ihm die University of London den 'Doctor of Philosophy'. Die Rückkehr in die Bundesrepublik führte Trotnow nach Bonn, wo er zunächst beim DAAD und später im Wissenschaftszentrum des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft tätig wurde. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit war die Nachwuchs- und Hochbegabtenförderung an den Schulen der Sekundarstufe zwei. 1982 übernahm er die Geschäftsführung im Verein Bildung und Begabung. Der Wechsel nach Berlin erfolgte 1987 und führte Trotnow zurück in die Welt der Geschichte. Als Mitglied im Aufbaustab des Deutschen Historischen Museums war er maßgeblich im Bereich der historischen Erinnerung tätig. Höhepunkt dieser Aktivitäten war die Entwicklung des AlliiertenMuseum.
Einleitung
Das AlliiertenMuseum zählte von Anfang an zu den Attraktionen in der Berliner Museumslandschaft. Allein die erste Ausstellung, die im September 1994 beim Abschied der Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich eröffnet wurde, hatte in den knapp drei Monaten ihrer Laufzeit mehr als 70.000 Besucher. Eine erstaunliche Zahl, wenn man bedenkt, dass der Standort der Ausstellung in der Clayallee nicht gerade zu den beliebtesten Treffpunkten der Stadt gehörte. Das große Interesse war verständlich, denn ein solches Museumsvorhaben hatte es weltweit noch nicht gegeben. Mit Deutschland einerseits und den USA, Großbritannien und Frankreich auf der anderen Seite hatten sich vier Nationen zusammengetan und ein Museum gegründet mit dem Ziel, die gemeinsame Geschichte der Westmächte und Berlin in der Zeit von 1945 bis 1994 zu erzählen. Die Partnerschaft war alles andere als selbstverständlich.
Im Zweiten Weltkrieg standen sich die Partner als Feinde gegenüber. Der französische Botschafter François Scheer brachte es auf den Punkt, als er seine Rede zur Eröffnung der Ausstellung mit den Worten einleitete: »Ein außergewöhnliches Ereignis führt uns heute hier zusammen: Fünfzig Jahre nach dem Krieg, in dem es besiegt worden ist, eröffnet ein Land ein Museum zur Erinnerung an diese 50 Jahre und zum Dank an die ehemaligen Sieger- und Besatzungsmächte.« In der Tat. Nach dem militärischen Sieg über Hitler-Deutschland blieben die Truppen der Westmächte fast ein halbes Jahrhundert in Berlin. Der Grund für die lange Anwesenheit war die Sowjetunion, die ebenfalls zum Kreis der Siegermächte gehörte. Ihre Truppen marschierten im April 1945 sogar als erste in die zerstörte Reichshauptstadt ein. Bei den Beratungen zum Wiederaufbau des besiegten Deutschlands kam es zum Streit. Die Sowjetunion wollte die deutsche Gesellschaft entsprechend ihrer sowjetisch-kommunistischen Weltanschauung umgestalten. Die Westmächte erhoben jedoch Einspruch, denn sie sahen in den Grundwerten von Freiheit und Demokratie das Fundament für den deutschen Wiederaufbau. In der ehemaligen Reichshauptstadt prallten die Gegensätze hart aufeinander.
Mehrfach versuchte die sowjetische Seite, die Westmächte aus der Stadt herauszudrängen. Erinnert sei nur an die Berlin-Blockade von 1948/49 oder den Mauerbau von 1961. Die Vorteile lagen eindeutig bei der Sowjetunion, denn Berlin lag mitten in der sowjetischen Besatzungszone. Trotzdem gelang es der kommunistischen Führungsmacht nicht, den Widerstandswillen sowohl der Westmächte als auch der Berliner Bevölkerung im Westen der Stadt zu brechen. Die »deutsche Frage« wurde das zentrale Thema in der deutschen und internationalen Nachkriegsgeschichte und konnte erst mit einem internationalen Vertragswerk zur deutschen Einheit geregelt werden. Als die Truppen der Westmächte Berlin verließen, konnte man in der Stadt immer wieder ein Lied hören, dessen Refrain nicht treffender hätte sein können. »Good bye my friends, good bye«. Die Feinde des Krieges waren zu Freunden im Frieden geworden. Diesen grundlegenden Wandel anhand konkreter Beispiele aufzuzeigen und zu erklären, wurde eine zentrale Aufgabe in der Arbeit des AlliiertenMuseum.
In der Anfangsphase wurde ich oft von Besuchern auf die komplexe und auch komplizierte Entstehungsgeschichte des Museums angesprochen. Vier Nationen bei der Betrachtung der gemeinsamen Geschichte unter ein Dach zu bekommen, war keine leichte Aufgabe. In den Gesprächen wurde ich daher immer wieder ermuntert, die Entstehungsgeschichte des einzigartigen Museums unbedingt aufzuschreiben. Um mir die Arbeit schmackhaft zu machen, fügten einige Besucher manchmal scherzhaft hinzu: Der Gründungsdirektor würde die Geschichte des Museums doch sowieso am besten kennen. Die Bitte der Besucher freute mich natürlich und ich habe sie bis zum Ende meiner Amtszeit auch nicht vergessen.
Trotzdem gab es während der aktiven Zeit keine Möglichkeit, die Arbeit in Angriff zu nehmen. Der Aufbau eines Museums von nationaler Bedeutung auf der Grundlage internationaler Zusammenarbeit erforderte ein hohes Maß an Zeit, Konzentration und Engagement. Es war kein Job, den man gleichsam nebenbei »von neun bis fünf« erledigen konnte. Außerdem stand ich von Beginn bis zum Ende meiner Amtszeit im Dezember 2009 unter konstant hohem Zeitdruck. Bundeskanzler Helmut Kohl betonte in seiner Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung die »drängende Eile« ausdrücklich. Es war eine echte Herausforderung, den Wunsch der Bundesregierung zu erfüllen, die Eröffnung der Ausstellung mit dem Abschied der Westmächte zu verknüpfen. Innerhalb von gerade einmal neun Monaten musste eine Ausstellung von enormer historischer Bedeutung nicht nur entwickelt, sondern auch präsentiert werden. Neben der Ständigen Ausstellung gab es regelmäßig Sonderausstellungen, die alljährlich geplant und fristgerecht umgesetzt werden mussten. Weitere Veranstaltungen kamen hinzu, vor allem mit den Zeitzeugen. Für andere Aktivitäten blieb da keine Zeit. An dieser Stelle möchte ich den Mitarbeitern des kleinen Arbeitsstabes im Museum ein großes Kompliment machen. Gemeinsam mit den Mitgliedern der Internationalen Expertenkommission haben sie viel zum Aufbau des einzigartigen Museums beigetragen.
(Von l. n. r. Bernd von Kostka, Norma Tschersich, Uta Birkemeyer,
Florian Weiß
Auf deutscher Seite wurde schon bei der Maueröffnung unisono die Meinung vertreten, dass die Anwesenheit der Westmächte in Berlin entscheidend zur deutschen Einheit beigetragen hatte. Es ist daher eines der wichtigsten Ziele meines Rückblicks, die Erinnerung an die internationale Dimension der deutschen Einigungsgeschichte lebendig zu halten. Insgesamt war ich fünfzehn Jahre mit dem Aufbau des AlliiertenMuseum beschäftigt. Als Ideengeber der ersten Ausstellung, die 1996 zur Gründung des Museums führte, habe ich die Entwicklung von Anfang an miterlebt und zum Teil auch mitgestaltet.
Die Zusammenarbeit mit den Menschen auf Seiten der Westmächte war von zentraler Bedeutung. Ganz besonders gilt dies für die Kontakte mit den Veteranen. Sie erklärten sich stets bereit, ihre Erinnerungen und privaten Souvenirs mit uns zu teilen. So konnten wir Ausstellungen präsentieren, die nicht nur informativ, sondern auch farbenfroh und lebendig waren. Besonders hervorheben möchte ich diesbezüglich die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Veteranen der Berliner Luftbrücke. Ihr Engagement sorgte dafür, dass wir heute über ein sehr detailliertes Bild dieser Aktion verfügen.
Die Luftbrücke war eine gigantische Unternehmung, die weit über Berlin und Deutschland hinausreichte. Entgegen allen Befürchtungen konnte sie die militärische Konfrontation mit der Sowjetunion verhindern und dabei mehr als zwei Millionen Menschen aus der Luft versorgen. Für die Zeitgenossen war diese Aktion damals schlicht unvorstellbar. Der Erfolg der Luftbrücke veränderte das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zu den Westmächten grundlegend. Er stellte sicher, dass die gesellschaftliche Entwicklung im sogenannten Westen auf der Grundlage von Freiheit und Demokratie stattfand. Die Erzählung von der Luftbrücke stand denn auch von Anfang an im Mittelpunkt in der Ausstellungstätigkeit des Museums. Nicht umsonst fand die feierliche Eröffnung des Museums im Rahmen der nationalen Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Berliner Luftbrücke statt.
Ich wollte ursprünglich meinen Ruhestand abwarten, um danach die Arbeit an der Geschichte des AlliiertenMuseum aufzunehmen. Hindernisse konnte ich mir damals nicht vorstellen. Doch da hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Wenige Tage vor dem offiziellen Ende meiner Amtszeit wurden meine Planungen durch einen Vorfall über den Haufen geworfen, der mich schwer enttäuschte. Ort des Geschehens war die Mitgliederversammlung des Trägervereins für das Museum. Wie immer fand sie zum Jahresende statt. Zu den Mitgliedern gehörten neben der Bundesregierung und dem Senat von Berlin auch die Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich. Da das AlliiertenMuseum zu hundert Prozent vom Bund gefördert wurde, verfügte die Bundesregierung über zwei Stimmen. Sie wurden vom Amt des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) sowie vom Auswärtigen Amt (AA) wahrgenommen.
Das AA trat im Verein leider nie wirklich in Erscheinung, was mich etwas verwunderte. Immerhin handelte es sich bei den Westmächten um drei der wichtigsten Verbündeten Deutschlands. Der Bundeskanzler machte die aktive Mitwirkung der Westmächte nicht umsonst zur Voraussetzung für die Förderung des Museumsprojektes. Die entscheidende Rolle in der Mitgliederversammlung spielte das BKM. Das Amt wurde 1998 im Bundeskanzleramt eingerichtet, um die Fördermaßnahmen des Bundes im Kulturbereich zusammenzuführen und gemeinsam zu verwalten.
Dass mein Abschied eine Zäsur in der Entwicklung des AlliiertenMuseum war, lag auf der Hand. Elf Jahre lang war ich für die Leitung des Museums verantwortlich gewesen. Grund genug, Bilanz zu ziehen und Perspektiven für die künftige Entwicklung aufzuzeigen. Die Frage nach dem...
Erscheint lt. Verlag | 20.6.2023 |
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Sprache | deutsch |
ISBN-10 | 3-7578-7415-3 / 3757874153 |
ISBN-13 | 978-3-7578-7415-5 / 9783757874155 |
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