Glücksmomente einer Schatzsuche -  Peter Levin

Glücksmomente einer Schatzsuche (eBook)

Andrew Taylor Still und die göttliche Ordnung in der osteopathischen Medizin. Texte zur Osteopathie 2002 -2022

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
320 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-9372-0 (ISBN)
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Texte zur Osteopathie aus 20 Jahren: - zu akuten Krisen und aktuellen Fragen der Osteopathie - zu klinischen Anwendungsgebieten von der Organ- bis zur Kinderbehandlung - zur Sprache und Geschichte der Osteopathie seit Andrew Taylor Still - zur Bedeutung der Spiritualität und Universität in der Osteopathie

Peter Levin D.O. Osteopath, internationaler Dozent und Autor zahlreicher Sach- und Fachbücher. Studium der Soziologie und Religionswissenschaft. Ausbildung zum Osteopathen und Heilpraktiker.

Autonomie und Freiheit –
Autoregulation der inneren Organe
1.


Die Forschungsarbeiten der letzten dreißig Jahre haben viele Details über die neuronale Autonomie des enterischen Nervensystems (ENS) zu Tage gebracht. Die Ergebnisse dieser Veröffentlichungen ergeben folgendes Bild: Die lokale neuronale Regulation des gesamten gastrointestinalen Traktes, - im Weiteren auch Darmrohr genannt -, ist abhängig von den submukosalen und myenterischen Nervengeflechten. Diese autonomen Plexus steuern Wandmuskulatur, Mukosafunktionen und lokale Durchblutung. Das Netzwerk der afferenten, efferenten und Inter-Neurone im ENS ist so komplex, daß eine lokale Steuerung der Darmfunktion möglich ist.

Zentrale Einflüße des vegetativen Nervensystems über den Para- und Orthosympatikus wirken modulierend. Die neuronale Steuerung des Darmes erfolgt teilweise unabhängig vom zentralen Nervensystem (ZNS). Werden die übergeordneten, zentrale Mechanismen erst wirksam, wenn die lokalen nicht ausreichen, müßte dies in der viszeralen Diagnostik und Therapie berücksichtigt werden. Das überwiegen einer zentralen Regulation wäre ein Zeichen der Kompensation. Ist die Viszera autonom, müßte das im Konzept einer viszeralen Osteopathie Berücksichtigung finden. Eine manuelle Beeinflußung über gewebliche Techniken auf dem Darmrohr ist hier möglich.

Autonomie – eine wissenschaftstheoretische Reflexion


Wir beginnen mit einer Geschichte, die in der indisch-rationalen Philosophie oft erzählt wurde, und die eine Reflexion über Autonomie und das osteopathische Prinzip des `the body as a whole' erlaubt:

„Ein sehr alter Guru war gerade dabei die Geheimlehren, in die er einen fortgeschrittenen Schüler eingeführt hatte, abzuschließen. `Alles ist Gott' sagt der weise Lehrer, `das Unendliche, rein und wirklich, grenzenlose und jenseits der Gegensatzpaare, bar aller unterschiedenen Eigenschaften......

Der Schüler vernahm es und begriff: Gott ist die einzige Wirklichkeit. In allen Dingen webt das Göttliche leidlos und unangreifbar, alle Gestalten, alle Ich und Du der Welt sind nur der Schleier der Maya. Ein ungeheures Gefühl befiel ihn. Er kam sich wie eine lichte Wolke vor......

In erhabener Alleinsamkeit hielt er die Mitte der Straße - da kam ihm ein Elefant entgegen. Der Treiber, der oben dem Tier auf dem Nacken saß, rief herunter: `Platz da! Platz da!' und die Schellen am Leibe des Riesen umspielten seinen lautlosen Gang mit silbernem Klang. Der Schüler hört und sah ihn wohl trotz seiner Verzückung, aber er wich ihm nicht aus. Er sprach bei sich selbst:

`Warum soll ich Platz machen? Ich bin Gott und der Elefant ist Gott. Soll Gott sich vor sich selbst fürchten?' Furchtlos ging er dem Tier geradewegs entgegen - da packte ihn der Elefant im letzten Augenblick, umschlang ihn mit seinem Rüssel, schwang ihn beiseite und setzte ihn unsanft am Straßenrand in den Staub. Zerschlagen und bestaubt kam der Schüler zu seinem Lehrer und erzählte ihm die Begegnung. Der Guru sagte: ` Du hast ganz recht, du bist Gott und der Elefant ist Gott - aber warum hast du nicht auf Gottes Stimme gehört, die oben vom Elefanten herunter zu dir sprach?' “ (Zimmer 1973).

Abb.1: In den Erzählungen der indischen Mytholgie stehen Elefanten oft für Realitätsbezug

Wenn wir mit der Behauptung der neuronalen Autonomie nicht ebenso im staubigen Straßenrand landen wollen, müssen wir uns fragen, was ist die Stimme Gottes, was sagt sie, warum prallen die verschiedenen Elemente die doch eine Einheit sind zusammen? Wenn alles Göttlich ist, wie kann das Göttliche in gegensätzlichen Ausdrücken so kollidieren? Wenn der Körper eine integrierte Einheit ist, wie kann eine einzelne Funktion autonom sein? Die ironische Erklärung des Gurus hilft hier nicht weiter, obwohl sie die rationalste Vermittlung im Konflikt zwischen Schüler-Gott und Elefant-Gott war.

Die logische Mindestanforderung an eine wissenschaftliche Theorie- und Hypothesenbildung ist Karl Poppers Falsifikationskriterium: eine These muß so formuliert sein, daß sie auch wiederlegt, falsifiziert, werden kann (Popper 1982). Die Einheit des Göttlichen in der obigen Geschichte kann unmöglich widerlegt werden. Die rationalistische Erklärung des Guru wird alle möglichen Gegenbeweise integrieren und als Bestätigung für die Durchdringung des Göttlichen benützen: das Göttliche ist das Gesamte und zugleich in allen Einzelteilen anwesend. Das Gegenteil zu erweisen ist logisch nicht möglich.

Wie könnte die These, daß der Körper eine Einheit ist widerlegt werden? Indem nachgewiesen wird , daß einzelne Teile aus dieser Einheit herausfallen. Aber dieser Nachweis ist nicht möglich - oder schon immer erbracht. Schon immer erbracht, weil mit jedem in vitro Versuch, wobei Zellen oder Organe ihre Funktion ohne den Gesamtorganismus ausüben, impliziert ist, daß die Gesamtheit in einzelnen Einheiten weiterbesteht. Sind die in vitro funktionierenden Untereinheiten autonom, oder repräsentieren sie die Gesamtheit selbst.

Damit wären wir wieder beim Problem des Schülers in der Geschichte: `wenn ich Gott bin warum soll ich mich vor dem Elefanten-Gott fürchten, ich bin doch die Gesamtheit, wo ist der kollidierende Widerspruch zur Untereinheit Elephant?'.

Was ist mit der Einheit des Körpers gemeint? Daß die Einzelteile von einem übergeordneten Plan organisiert sind, oder daß in jedem Einzelteil die Gesamtheit steckt? Die alte Frage nachdem was zuerst ist: die Henne oder das Ei. Die Biowissenschaften haben diese Frage in den letzten Jahren eindeutig beantwortet, indem sie sich auf ein Drittes konzentriert haben: Information (Küppers 1990.).

Widerspricht die Autonomie einzelner Einheiten, dem Prinzip des `Body as a whole'? Nein, da ein intergrierter Gesamtorganismus immer noch aus autonomen Untereinheiten bestehen kann. Für lebendige Organismen gilt, daß das Gesamte mehr ist, komplexer ist, als die bloße Addition seiner Anteile. Wodurch diese Einheit der autonomen Anteile hergestellt wird kann im Moment nicht empirisch-wissenschaftlich beantwortet werden. Wissenschaften, die sich zur Zeit mit Fragen der Integration komplexer Funktionen beschäftigen (`Neuroscience'), rekurrieren auf Modelle und Computersimulationen (Baev 1998, Arbib et al 1998). Darin wird versucht der Komplexität der empirischen Daten der Gesamtorganisation gerecht zu werden. Experimente, die den großen Plan (die Information, die göttliche Stimme) als organisierendes Prinzip erweisen sind (im Moment) logisch und praktisch nicht möglich.

Die `Einheit des Körpers' ist eine Behauptung, die nicht falsifiziert werden kann. Ich schlage vor sie als Postulat zu sehen, die der osteopathischen Praxis einen Rahmen gibt. Da dieses Postulat der osteopathischen Erfahrung entspricht, aber nicht durch wissenschaftliches Experimentieren bestätigt/falsifiziert werden kann, würde ich es mit einem therapeutischen Ur-Vertrauen vergleichen. Für eine erfahrungsorientierte Wissenschaft, wie sie die Osteopathie darstellt, ist es sicherlich notwendig. Als Anfangspunkt einer klinischen Forschung oder grundlegenden Fragestellung ist dieses Postulat hemmend, da es Antworten gibt anstatt Fragen zu stellen.

Autonomie und Heteronomie


Der Gegenbegriff zu Autonomie ist nicht Einheit, sondern Heteronomie, also Abhängigkeit oder der Verlust von Freiheit. Wenn die einzelnen Funktionen voneinander abhängen sind sie nicht autonom. Sie sind dem Gesetz der Anderen (hetero-nomos) unterworfen.

Zu klären wäre einerseits worin die gegenseitige Anhängigkeit besteht und andererseits ob es Hierarchien in dieser Gegenseitigkeit gibt. Die Annahme, daß die zentralen System die peripheren dominieren ist mit den Belegen der neuronalen Autonomie des ENS nicht vereinbar. Die theoretische und praktische Fragestellung müßte sich dahin entwickeln Modelle zu prüfen, die ein nicht-hierarchisches System der gegenseitigen Beeinflußung und Regulation unterstellen. Die Neurowissenschaften der letzten Jahrzehnte bieten viele Belege dafür, daß das Nervensystem als dynamisches anzusehen ist und wie mögliche nicht-hierarchische Modelle aussehen könnten (Edelman 1987). Dabei ist die Alternative Autonomie versus Heteronomie zu begrenzend.

Um eine Vorstellung der Heteronomie - besser wäre zu sagen, der Einbettung der neuronalen Autonomie - zu bekommen ist es notwendig die neuronale Autonomie des Darmes im Kontext der umgebenden Strukturen zusehen. Ein Teil des Körpers kann genausowenig isoliert für sich autonom sein wie der Schüler für sich Gott ohne auf Gottes Stimme zu hören und dem Elefant die Straßenmitte zu überlassen. Nur als integrierter Organismus im Austausch mit der Umwelt ist Autonomie möglich.

Abb.2: Enterisches Nervensystem (14.10)2

Für eine praktische Wissenschaft, wie die Osteopathie es sein will, ist die Bestimmung einer `Normalität' von zentraler Bedeutung. Daß alles mit allem zusammenhängt ist unbestritten; selbst die Autonomie einzelner Einheiten widerspricht dem nicht. Erst wenn wir lebenserhaltende Funktionen...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2022
Sprache deutsch
ISBN-10 3-7568-9372-3 / 3756893723
ISBN-13 978-3-7568-9372-0 / 9783756893720
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