Einfach laufen. Tagebuch-Roman eines Hundes auf dem Jakobsweg (eBook)
406 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-0210-4 (ISBN)
Klaus Grimm, geboren 1947, war jahrelang als selbständiger Apotheker für Klinische Pharmazie tätig. Nach zwei Monaten auf dem Jakobsweg und dem teilweisen Rückzug aus dem Berufsleben, erfüllte er sich den langgehegten Wunsch, die Welt der Literatur und Philosophie zu entdecken. So entstand dieses Buch und mit ihm eine große Lebensfreude beim Schreiben. - Inzwischen lebt er mit seiner Frau in Köln, sie haben einen Sohn und eine Tochter.
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2008 – Wandertraining in Andalusien
Mich traf es völlig unvorbereitet, als sich plötzlich das Familienleben komplett änderte. Ein Schuljahr im Ausland wurde zum abendlichen Thema, erst hieß es, nur für Bine, doch plötzlich war der gesamte Nachwuchs in Spanien, genauer gesagt, in der Nähe von Málaga. Die Zeit des Loslassens, die Erkenntnis, dass Kinder irgendwann ihr eigenes Leben führen müssen, Eri verstand das alles gut; trotzdem blickte sie mich traurig an, wenn wir alleine waren, und meine Augen konnten sie nicht trösten. Das blieb auch so, als beide Kinder ihr Studium in Köln begannen. Nun wohnen sie dort, der P hatte es geahnt:
– Erst quengeln und drängen die Kinder ohne Ende. Ist endlich der Hund da und gerade richtig heimisch geworden, dann zieht es sie von dannen. Und wer darf dann morgens und abends das arme Tier auf die Wiese führen?
So ist es im Haus sehr ruhig geworden. An den Apothekentagen kommt vormittags der Heinz und nimmt mich zum Glück ein weiteres Mal mit auf die Wiese. Edit und Heinz sind liebe Freunde. Der Heinz mag keine Hunde, ich bin seine einzige Ausnahme. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie es dazu kam, aber man erzählt, bei ihnen wurde ein runder Geburtstag gefeiert, wenige Tage nachdem ich als winziges, schwarzes Wollknäuel angekommen war. Die beiden wohnen zwar nur ein paar Straßen weiter, aber weil ich das nicht wissen konnte und allein gelassen wohl Angst bekommen hätte, so wurde ich einfach mitgenommen. Das Wetter meinte es gut, die feiernden Gäste saßen bis spät in der Nacht draußen und ich am Ende bei Heinz auf dem Schoß.
Als wir Mattis und Bine erstmals in Spanien besuchten, musste ich in eine Box. Ein paar Tage vor der Abreise hatte ich mich über das seltsame Hundehäuschen im Wohnzimmer gewundert. Meine Decke lag plötzlich darin und Eri und der P saßen auf dem Boden, was sie übrigens sonst nie tun, und haben sich jedes Mal ganz toll gefreut, wenn ich durch die Tür hineingegangen bin.
Ein paar Tage später wurde es sehr aufregend. Zusammen mit vielen Leuten standen wir in einer langen Schlange, alle mit Koffer. Mein neues Häuschen durfte mitkommen, es erweckte viel Aufmerksamkeit. Als ich darin einstieg, fand ich zu meiner Überraschung ein verschwitztes T-Shirt vor, das der P noch am Morgen beim Joggen auf der Haut getragen hatte. Neben einem Stapel von Koffern wurde ich auf einem Wagen kutschiert, sah Flugzeuge aus der Nähe, staunte, wie groß die sind, und traf schließlich in einem kleinen Raum auf zwei weitere Hunde. Ihre Boxen waren etwas größer als meine, jedoch hatten sie eher weniger Platz darin. Zu meiner großen Enttäuschung war mit den beiden Kollegen nichts anzufangen. Sie ignorierten meine Begrüßung und gaben auf meine Fragen keine Antwort. Sie lagen da und schliefen mit offenen Augen. Dann heulten die Motoren.
Es wurde ein schöner Urlaub, alle vier hatten viel Zeit für mich, vor allem, weil wir die Apotheken nicht mitgenommen hatten. Inzwischen bin ich öfter mit der Box unterwegs. Zur Überraschung der herumstehenden Leute hüpfe ich gerne hinein, weil anschließend eine schöne Zeit beginnt, und wenn es in der Box wieder nach Hause geht, freue ich mich schon auf die große Wiese.
Seit ich denken kann, spricht der P vom Jakobsweg. Viele Bücher liegen im Wohnzimmer oder an seinem Bett, manchmal gesellen sich noch Hör-CDs, Zeitungsausschnitte und Kopfhörer auf Couch und Sessel dazu. Eri sorgt dann und wann für Ordnung, indem sie alles zusammenträgt und sorgfältig auf verschiedene Stapel teilt. Erstaunlicherweise klingt es fast entschuldigend, wenn sie ihm am Abend erklärt, wie sie alles sortiert hat. Bei mir ist das komplett anders. Meine im Haus verteilten Stofftiere und Kissen soll ich selber an meinen Platz zurücktragen:
– Frodo, auch ein Hund muss seine Siebensachen zusammenhalten!
Manchmal waren es nur vier oder fünf Teile, gut, da hat sie sich eben verzählt, aber das Wörtchen »auch« finde ich nicht angebracht.
Eri will den langen Weg nicht laufen. Sie meint, sie schaffe das nicht, außerdem habe sie gelesen, dass Freunde, Partner und Ehepaare, auch oder insbesondere wenn sie lange verheiratet sind, den Weg nicht gemeinsam laufen sollten (übrigens, Eri und P sind nach Hundezeitrechnung bereits mehr als zwei Leben lang verheiratet). Und angeblich endet der unterschiedliche Laufrhythmus zweier Menschen zwangsläufig in Zank und Streit.
– Nimm doch den Frodo mit!
Ich schrecke hoch, stehe auf und laufe schwanzwedelnd auf beide zu.
– Eri meint nicht jetzt sofort, Frodo, außerdem, ein so langer Weg will gut geplant sein. Vielleicht ist das eine gute Idee mit uns beiden. Laufen kannst du gut und vorher könnten wir noch etwas trainieren.
– Ich helfe bei der Organisation, auch später, wenn ihr unterwegs seid.
P nimmt Eri lange in die Arme und ich trotte von ihnen unbemerkt auf meine Decke zurück. In diesem Moment bin ich schon etwas verstimmt. Beide beachten mich nicht, sie erklären mir nichts, wie soll ich mir diesen Weg vorstellen? Warum will der P gerade diese Strecke laufen, einen Pilgerweg, wo er doch selten in die Kirche geht? Warum will er nicht mehr in die Apotheke fahren, wie seit mehr als dreißig Jahren, er hat sich doch daran gewöhnt. Warum jetzt dieses Abenteuer, es geht ihnen doch gut, sie können sich schöne Dinge kaufen und ich bekomme regelmäßig gut zu fressen?
Ich spüre wohlige Wärme, sinne der Frage nach: Warum und wozu?
– Aber Anthony, als kleiner Hund musst du nicht alles wissen.
Wer spricht da?
– Quäl dich nicht, vieles verstehst du am Ende des Tages besser. Du fragst nach etwas, das ich nicht beantworten kann, es lässt sich nicht aussprechen, deshalb kann ich nichts sagen.
In vielen Nächten träume ich von einem Faden inmitten eines wirren Wollknäuels, vom Woher und Wohin, solch rätselhafte Dinge gehen in meinem Kopf spazieren; was für eine Reise mag da auf mich zukommen?
Wieder bin ich mit meiner Box im Flugzeug geflogen, inzwischen kenne ich Andalusien sehr gut. Der P meinte, wenn es mit dem Jakobsweg ernst werden soll, dann müssten wir mindestens ein Jahr vor dem geplanten Start mit dem Training beginnen. Der Mai sei ein geeigneter Monat für erste Tests, um mehrere Tage hintereinander zu wandern.
– Die Fußballer des FC Bayern München trainierten im Januar hier, letztes Jahr die Bundesligaspieler von Borussia Dortmund und Berlins Hertha BSC, es scheint also ein gutes Pflaster zu sein.
Falls Sie sich für Wanderwege dort unten gar nicht interessieren, dann überlesen, überschlagen oder überspringen Sie die folgenden Seiten. Sollten Sie allerdings in dieser wunderbaren Landschaft eines Tages nicht nur faul am Strand liegen wollen, dann empfehle ich Ihnen, unseren Spuren zu folgen. Nebenbei bemerkt, auf einem Handtuch in der prallen Sonne zu liegen wäre für mich eine schlimme Bestrafung, auch wenn ich wegen meines dichten Fells keine knallrote Haut bekäme, wie jene Menschen, deren Sprache hier jeder Taxifahrer versteht. Besonders die jungen Männer trinken pausenlos Bier aus Dosen, reden und singen sich in Stimmung, was sie nur noch durstiger werden lässt …, aber sorry, ich schweife ab.
Der Berg La Concha ist zwar nicht der höchste, aber der markanteste Gipfel in der Gegend von Marbella. Auf fast allen Bildern des Yachthafens Porto Banús bildet er den malerischen Hintergrund. P meint, der Name bedeute eigentlich Muschelschale, aber er würde obszön Empfindliches verunglimpfen und zusätzlich für fiese Beschimpfungen malträtiert. Er findet, der obere Felsen des Berges sehe aus, als ob sich ein großer Hundekopf auf der Bergkette ausruhe und die dahinterliegende Stadt Ojen von oben betrachte. Na ja, ob Hund oder Katze, ob Löwe oder Tiger, es braucht menschliche Fantasie, die den Namensgebern anscheinend fehlte. Wir fahren in Richtung Coín bis zum Hotel »Refugio de Juanar« und parken nebenan das Auto. Vor vielen Jahren schrieb General de Gaulle in diesem Haus an seinen Memoiren, deshalb nahm P seinen französischen Freund Jean-Pierre vor einigen Monaten mit hierher und glaubte, ihm damit eine Freude bereiten zu können. Aber die Erinnerung an de Gaulle machte diesen ganz ärgerlich, fast wütend, weil er ihm Verrat an den Algerier-Franzosen vorwarf. Seine Familie stammt aus Algier und er musste als Junge zurück ins Mutterland, das aber gar nicht mehr das Land seiner Mutter war. So fühlte er sich viele Jahre fremd und einsam, traurig und ohne Heimat. Um des lieben Friedens willen vermied der P, mit Jean-Pierre über die Menschen zu sprechen, die Algerien als ihr Vaterland betrachteten und dort für die Freiheit gekämpft hatten. Kinder verloren in diesem Krieg ihre Väter, Mütter ihre Söhne und die Überlebenden, die Nachkommen, hassen bis zum heutigen Tag das Mutterland.
Wir folgen den Schildern in Richtung eines »Mirador« und steigen durch den Wald auf einem schmaler werdenden Pfad bergauf. Ich renne vorweg, den Berg hoch und wieder runter, immer bis zu P. Seitlich des Cruz de Juanar geraten wir in die...
Erscheint lt. Verlag | 7.1.2021 |
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Sprache | deutsch |
ISBN-10 | 3-7526-0210-4 / 3752602104 |
ISBN-13 | 978-3-7526-0210-4 / 9783752602104 |
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