Der Ruf der Sirene -  Jan Jacob Slauerhoff

Der Ruf der Sirene (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
192 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7494-1104-7 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Berufsbedingt blickte Jacob Slauerhoff nicht nur in manche Abgründe der Reisenden an Bord. Daneben hatte er auch häufig Gelegenheit, sich in den Häfen ein wenig die Füße zu vertreten und sich in der Fremde umzusehen, um die Leser daheim durch seine Artikel mit ihr bekannt zu machen. Anders als die meisten Reiseberichte sind die Eindrücke dieses Skeptikers indes nur bedingt geeignet, in jenen Fernweh zu wecken und Lust auf das Reisen zu machen. Denn wer wäre besser geeignet, einem die Zumutungen der Tropen näher zu bringen, als ein an Atembeschwerden leidender, auf einem Postschiff beschäftigter Dermatologe.

Jan Jacob Slauerhoff (1898-1936) nahm nach seinem Studium der Medizin eine Stelle als Schiffsarzt an, die ihn zunächst nach Niederländisch-Indien, später nach Afrika, China und Südamerika führte. Während seine schwache gesundheitliche Konstitution ihn immer wieder dazu zwang, seine Laufbahn als Arzt zu unterbrechen, erwarb er sich mit Gedichten und den Romanen Het verboden rijk [Das Verbotene Reich] (1932) und Het leven op aarde (1934) Ruhm als Schriftsteller über seinen frühen Tod hinaus.

BESUCH IN MUKALLA


Schon seit Tagen folgt unser Schiff in respektvollem Abstand der südarabischen Küste. Das All ist hier noch wahrhaft wüst und leer. Am letzten Morgen im Roten Meer sahen wir die öden, unbewohnten Apostel-Inseln2 bizarr nebeneinander liegen und weiter entfernt, aber weniger unnahbar, Mokka, kleine weiße Blöcke neben der hohen, glänzenden Säule seines Leuchtturms auf einer dunstigen Küstenebene. An der blütenlosen aschgrauen Steinkohleninsel Perim fuhren wir dicht genug vorbei, um die großen schwarzen Lagerhäuser auszumachen. Die beiden Festländer von Afrika und Asien blieben lange in Sicht, nähern einander mehr und mehr an, bis zur Straße von Bab-el-Mandeb, und haben sich danach weit und endgültig zurückgezogen. Begegnungen mit Schiffen werden seltener und hören bald gänzlich auf. Vögel und Küstenfahrzeuge sind nicht zu erkennen.

Nur die Sonne ist eine treue Gesellin, wohltuend am Morgen, quälend des Mittags, hinreißend beim Untergang. Oft ist das Maschinengedröhn das einzige Geräusch, das den ganzen Raum zu erfüllen scheint. Leider erschallt öfters das Grammophon, die letzte Zuflucht der empfindungs- und lustlosen Passagiere. Das Küstengebirge hält man schon lange keiner Aufmerksamkeit für würdig. Durch die Entfernung sind keine Unterschiede mehr auszumachen in dieser imposanten Brustwehr, die jedes Durchdringen in das geheimnisvolle Binnenland abwehrt.1 Nur die größten Felsformationen und die tiefsten Schluchten, vor denen imposante Schlagschatten hängen, die ihre Tiefe verbergen, sind auf dieser Respekt einflößenden Entfernung sichtbar. Beinahe nirgends ist die See so matt und kraftlos, die Küste des Festlands so übermächtig. Nur an einer Stelle hat man denselben Eindruck: vor Gibraltar, als Herkulessäule Endpunkt der klassischen Welt, später als Dschebel-al-Tarik der weiteste westliche Vorposten des Weltreichs des Islam, das seither so zerbröselt und geschrumpft ist.

Endlich steht wieder ein Segel auf dem Meeresspiegel, aber so klein und weit weg, daß es gegen die graue Felswand unbeweglich scheint, wie ein treibender, toter Vogel. Danach kommen andere, näher, sodaß man den plumpen Rumpf in einem schmalen, schrägen Streifen langsam vorwärtsschieben sieht. Diese ungeschlachten Schiffe legen bisweilen ebenso weite Entfernungen zurück, wie die stählernen Seeburgen und befuhren den Indischen Ozean Jahrhunderte, bevor diese existierten. Eine Seefahrtkunde ohne Hilfe von Instrumenten und wasserdichten Schotten nötigt noch immer Ehrfurcht ab.

Die Mitreisenden finden mit Erleichterung, daß die Reise inzwischen wieder ‚abwechselnd’ wird, sie haben jetzt jedes Mal eine Beute vor ihren Ferngläsern: Küsten- und Fischerfahrzeuge, Fliegende Fische, Treibholz, Vögel. Noch keine Dampfschiffe.

Eine gelbgrüne Küstenebene beginnt, langsam breiter werdend, sich zwischen See und Küstengebirge zu schieben. Mittendrin steht ein kleines, rechteckiges, weißversengtes Gebäude von rätselhaftem Zweck. Der Landstrich ist vollkommen unbewohnt. Wurde es über einer Grube errichtet, ist es ein Denkmal einer mit dem Erdboden gleichgemachten Stadt? Dann und wann schweben graue Vogelschwärme über der Ebene.

Dicht bei See öffnet sich ein Kratermaul, zum Wasser hin eingestürzt. In einer Orkannacht sind die Wellen erstmals eingefallen, eine Rauchsäule ist gen Himmel gestürmt, wie der Geist aus der Flasche, die der Fischer aus Tausendundeinenacht unvorsichtigerweise öffnete. Aber der Geist wurde in seine Flasche zurückgedrängt, das inwendige Feuer verbirgt sich im Innersten der Erde, die See ist ruhig und eben; wo sich eine der erschütterndsten Schauspiele des jahrhundertealten Dramas der Erdbildung abgespielt hat, herrscht jetzt Totenstille.

Gegen Abend, am Ende eines großen Bogens, halb hinter einem vorspringenden Felsenkap versteckt, liegt in der Ferne, als kleines weißes Nest zwischen den Felsen, Mukalla. Gleichzeitig tritt der Mond hervor, von der Felsklinge über der Stadt halbiert. Einzelne helle Sterne beginnen, im schnell sich verdunkelnden Azur zu flackern. Man spitzt schon auf einige orientalische märchenhafte Erscheinungen.

Enttäuschung und Überraschung! Als die letzte Felsspitze umfahren ist, wird der freie Blick auf die weiße Stadt von einem großen schwarzen Dampfschiff versperrt, bei näherem Hinsehen die B…, unser Schwesterschiff.2 Der brüllende Gruß der Dampfsirenen erzeugt ein vielfach zurückgeworfenes Echo zwischen den Felswänden; es scheint sehr lange zu dauern, ehe wieder Stille einkehrt. Erst dann hört man den leisen Lärm der Stadt, wie das ferne Rauschen eines Bachs. Und endlich labt man sich an der ungebrochenen Kühle und Stille dieses wenig besuchten, abgelegenen Flecks.

Die Stadt scheint nur aus Palästen zu bestehen, weißen, großen Ungetümen mit schmalen Fenstern, dazwischen einzelne Spitzen von Minaretten und im Vordergrund der Leuchtturm, eine glatte Säule auf hoher Basis. Die Bergkette steigt furchterregend dicht hinter dem Gedränge auf, hundertmal höher, so daß sich die Stadt auf einer schmalen Schwelle über der See zu drängen scheint, erstaunlich ruhig über dem blauen Abgrund gegen die unverrückbare schwarze Bergwand an.

An Bord gibt es nicht das Getöse, das sonst immer anhebt, sobald der Krach der Fahrt in einem stillen Hafenbecken verklungen ist. Eine große Ladung muß gelöscht werden, und die erwarteten arabischen Deckpassagiere kommen erst morgen an Bord. Man rechnet mit ungefähr fünfzig; die Überfahrt nach Priok beträgt für sie hundertfünfzig Rupien, die allerdings in klingenden und ausschließlich silbernen Münzen entrichtet werden müssen; Goldgeld ist hier sehr rar, Banknoten sind unbekannt. Der Verwalter sieht dem Geldzählen schon mit Schrecken entgegen, was sehr begreiflich ist.

Beim Nachtisch hören wir schrille Rufe. Einige Passagiere eilen sofort an Deck, andere lächeln herablassend über ihre Ungeduld. Aber nach dem Kaffee hängen gleichwohl alle über der Verschanzung.

Das Wasser ist jetzt fast ganz dunkel, vom Mondlicht durchfunkelt. Ein Schwarm dunkelbrauner Kanus liegt am Fallreep festgemacht, darin stehen bunt gekleidete Araber und großenteils nackte Neger, die ihre Waren nach oben feilbieten: bunte geflochtene Körbe, Eier, Obst. Die Neger geben kehlige Laute von sich, ihre breiten weißen Zähne blinken in ihren Raubtiermündern, sie gestikulieren heftig mit Armen und Oberkörper, es ist ein barbarisches Bild, man meint bisweilen, aus der Höhe des Postschiffs in die Nacht der Urzeit hinunterzublicken.

Ein lebendiger Tauschhandel beginnt. Das Verständigungsmittel besteht aus einigen Tauen; die Kaufleute dürfen hier abends nicht an Bord. Man bindet eine Keksdose oder einen Uniformknopf oder etwas anderes, das man loswerden will (Geld ist hier kein gängiges Tauschmittel) an das Tau, läßt es hinunter, wartet eine Minute, holt es auf, und immer hat etwas angebissen. Die Körbe aus geflochtenem Stroh sind bisweilen sehr hübsch in Form und Farbmuster. Auch Muschelketten finden den Weg hinauf. Dieser Fischfang dauert den ganzen Abend, auch die Schiffsmannschaft nimmt eifrig daran teil.

Die Autoritäten von Mukalla lassen auf sich warten. Indes kommen bald einige Offiziere von der B… zu uns an Bord. Es folgt eine herzliche Begrüssung‚ „bien étonnés de se trouver ensemble“. Schon rasch vernehmen wir, den Grund für ihre Anwesenheit: die B… soll auf ihrer Heimreise einige Mekkapilger von hier nach Djeddah bringen. (Später erfahre ich, daß die Karawanenreise durch das Landesinnere vier bis sechs Monate dauert und man mit großer Wahrscheinlichkeit unterwegs riskiert, von den Beduinen ausgeplündert zu werden. Zwischen Djeddah und Mekka ist das allerdings auch nicht ausgeschlossen.)

Die Schiffsführung der B… ist reichlich versorgt, bis auf eine Ausnahme: ihr Biervorrat ist erschöpft, und sie sind sehr erfreut, bei uns nachfüllen zu können. Wir teilen mit ihnen durchaus diese Freude – und auf der Stelle! Nicht die inzwischen eingetroffene Gesellschaft von sechs ehrwürdigen Muselmanen: die Hafenautoritäten. Vor sie stellt man jedem ein Glas mit Limonade hin, aus dem sie hin und wieder vorsichtig ein Schlückchen nehmen, wie wohlerzogene Internatsmädchen. Sie zeigen sich aber weniger geräuschvoll. Einzelne rauchen würdevoll und schweigend eine Zigarre. Die wichtigsten sind: der Handelsagent, der Polizeioberst und der Arzt. Der Agent sieht halb europäisch aus, er trägt ein Jackett aus gestreiftem Flanell, das ihm bis auf die mageren Knie hängt, außerdem trägt er eine große goldene Brille vor seinem schlauen Gesicht. Der Arzt hat als Symptom westlicher Einflüsse ein recht weißes Oberhemd, ein schmutziges Sakko von einem Anzug und einen Füllfederhalter. Der Polizeioberst ist ein reiner Orientale, ein kaffeebraunes Gesicht und große blutunterlaufene Augen unter einem dicken violetten Turban....

Erscheint lt. Verlag 6.3.2019
Sprache deutsch
ISBN-10 3-7494-1104-2 / 3749411042
ISBN-13 978-3-7494-1104-7 / 9783749411047
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)
Größe: 184 KB

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.