Mapmatics (eBook)
460 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3640-1 (ISBN)
Ein Buch, das unser Weltbild ins Wanken bringt.
Ob bei Google Maps oder Apple: Täglich verlassen wir uns auf Karten. Aber wir denken selten darüber nach, wie umfangreich sie Einfluss auf unser Leben nehmen. Zum Beispiel durch die Mercator-Projektion aus dem 16. Jahrhundert, die bis heute die Dominanz des Westens unterstreicht, indem sie die Länder des Nordens größer erscheinen lässt. Oder durch Gerrymandering, das den Ausgang von Wahlen beeinflusst.
Paulina Rowi?ska weiht uns ein in die Geheimnisse der Kartenerstellung: Sie zeigt, wie Karten Pandemien bekämpfen und dabei helfen, Serienkiller dingfest zu machen, dass Karten immer politisch sind - und dass wir, wenn wir die Mathematik hinter Karten verstehen, die Welt mit neuen Augen sehen können.
»Dieses Buch hat mich umgehauen, wieder und wieder.« Roma Agrawal.
»Extrem lesenswert!« Ian Stewart.
»Ich liebe Karten. Ich liebe Mathe. Und wie sehr ich dieses Buch liebe!« Ben Orlin.
Paulina Rowi?ska hat am Imperial College London in Mathematik des Planeten Erde promoviert. In ihrem TEDx-Vortrag »Let's Have a Maths Party!« aus dem Jahr 2017 erklärte sie, dass Mathematik überall um uns herum ist. Für ihre Aktivitäten im Bereich der Wissenschaftskommunikation wurde sie 2019 mit dem Imperial College President's Award for Excellence in Societal Engagement ausgezeichnet. Heute erstellt sie interaktive Inhalte für eine führende innovative Bildungswebsite (brilliant.org).
Einleitung
Wie ich meine Liebe zu Karten und Mathematik entdeckte
Als ich vielleicht drei oder vier Jahre alt war, schalteten meine Eltern sämtliche Lichter in unserer kleinen, aber gemütlichen Wohnung aus. Gespannt und ein bisschen nervös beobachtete ich meinen Papa, der eine kleine Schreibtischlampe anknipste und sie auf einen billigen Plastikglobus richtete, so dass der Lichtkegel in etwa auf die amerikanische Ostküste fiel. »Schau«, sagte er, »bei uns in Warschau ist es dunkel, aber unsere Tante in New York wird wohl gleich zu Mittag essen.« Er erklärte mir, dass die Erde rund ist und – anders als die Kreisel, mit denen ich so gerne spielte – nie aufhörte, sich zu drehen. Und dass immer irgendwo Tag ist und irgendwo Nacht.
Nach diesem besonderen Abend avancierte der Globus zu meinem Lieblingsspielzeug. Ich konnte nicht aufhören, ihn zu drehen, und zeigte mit dem Finger auf Orte, die ich besuchen wollte, allein wegen der faszinierenden Namen von Aschgabat bis Sansibar. Ein paar Jahre später spiegelte sich meine wachsende Begeisterung für Geographie auf den Wänden meines Kinderzimmers wieder: Sie waren mit Landkarten gepflastert und ließen nur wenig Platz für ein Foto eines Stars oder Sternchens. Erst sehr viel später fiel mir auf, dass die Weltkarte an der Wand und die auf dem Globus, die ja doch denselben Planeten repräsentieren sollten, zwei verschiedene Geschichten erzählten.
Auf der Wandkarte war Grönland so groß wie ganz Afrika, doch auf dem Globus übertraf die Fläche des afrikanischen Kontinents die der weißen Insel bei Weitem. Ich spürte tief in meinem Inneren, dass da etwas nicht stimmte, doch erst während des Studiums, in einer Vorlesung über Differentialgeometrie,[1] erfuhr ich, woher diese enorme Diskrepanz kam. Selbst eine so einfache Aufgabe, wie das Vergleichen der Flächen von Ländern, erfordert eine gewisse Kenntnis der mathematischen Prinzipien, nach denen die Karte erstellt wurde, die wir dafür benutzen wollen.
Der flämische Kartograph Gerardus Mercator schuf die Landkarte mit dem charakteristischen rechtwinkligen Gittermuster aus Längen- und Breitengraden im 16. Jahrhundert. Obwohl die sogenannte Mercator-Projektion bis heute benutzt wird, ist allgemein bekannt, dass sie nicht der Realität entspricht.1 Die verzerrte Darstellung der Landflächen dieser Karte bestätigt die Bewohner der Nordhalbkugel in dem für sie angenehmen Glauben, größer und damit mächtiger zu sein. Selbst jetzt, fünfhundert Jahre später, stellt diese Karte immer noch den Standardblick auf die Welt dar. Von Kindesbeinen an wird uns diese Weltsicht vermittelt und mit ihr das Gefühl der Überlegenheit der Weltregion, in der wir leben; das wiederum beeinflusst, wie wir unser jeweiliges Heimatland sehen. Karten vermitteln uns nicht nur ein Gefühl für den Raum, sie schaffen auch die Grundlage dafür, wie wir andere Nationen wahrnehmen.
Heute ist die Mercator-Projektion etwas in Verruf geraten, und trotzdem haben wir eine Online-Version davon in unserer Tasche.2 Weil sie die Winkel zwischen den auf der Erdoberfläche verlaufenden gedachten Linien nicht verändert, wissen wir stets, wo Norden ist; dadurch ist diese Kartenprojektion für die Navigation heute noch genauso nützlich wie zur Zeit ihrer Entstehung. Wir sollten uns aber trotzdem immer darüber im Klaren sein, dass sie Flächen verzerrt darstellt – das kartographische Gegenstück zum Warnhinweis im Seitenspiegel amerikanischer Kraftfahrzeuge: »Objekte im Spiegel sind näher als sie scheinen.«
Abb. 0.1 Die Meridiane oder Längengrade sind imaginäre Linien, die über die Erdoberfläche verlaufen und die Pole miteinander verbinden. Die geographische Länge bezeichnet die Lage eines Punktes in Bezug auf den Nullmeridian. Breitenkreise oder Breitenparallele sind imaginäre Linien, die auf der Erdoberfläche parallel zum Äquator verlaufen. Die geographische Breite beschreibt die Lage eines Punktes in Bezug auf den Äquator.
Der Verzerrung geht jedoch weder auf Böswilligkeit noch auf Unfähigkeit ihres Schöpfers Mercator zurück. Im Jahr 1827 erbrachte Carl Friedrich Gauß, ein ebenso mürrischer wie exzentrischer und genialer Universalgelehrter, den mathematischen Beweis, dass es unmöglich ist, einen dreidimensionalen Globus fehlerlos in eine zweidimensionale Landkarte zu überführen. Sein »hervorragender Lehrsatz« (kein Scherz, sondern die Übersetzung des lateinischen Namens Theorema egregium), im Fachjargon geschrieben und voller wissenschaftlicher Prämissen, lässt sich trotzdem kurz und bündig zusammenfassen: Es ist unmöglich, drei Dimensionen fehlerlos in zwei Dimensionen abzubilden. Wir können auf einer ebenen Fläche keine perfekte Erdkarte herstellen.
In diesem Buch geht es um das »hervorragende Theorem« von Gauß und um andere mathematische Entwicklungen, die uns aufzeigen, wie Karten gemacht werden und wie wir dadurch die Welt sehen. Karten sind Repräsentationen der Wirklichkeit, doch wir können diese optischen Hilfsmittel nur dann in vollem Umfang nutzen, wenn wir die Mathematik verstehen, die ihnen zugrunde liegt. Sonst laufen wir Gefahr, falsche Schlüsse zu ziehen und die verzerrten Bilder der Kartenmacher zu übernehmen, unabhängig davon, ob diese mit oder ohne Absicht zustande gekommen sind. In Kapitel 2 zum Beispiel werden wir uns die Verzerrungen ansehen, die sich aus der unterschiedlichen Art und Weise ergeben, die Erdkugel auf einem Blatt Papier abzubilden, und wir werden mathematische Werkzeuge an die Hand bekommen, mit denen wir uns davor schützen können, von solchen Zerrbildern in die Irre geführt zu werden.
Doch wir können Mathematik nicht nur verwenden, um Karten zu interpretieren, sondern auch dafür, mithilfe von Karten Probleme im echten Leben zu lösen. In Kapitel 7 etwa beschäftigen wir uns mit Situationen, in denen die Kombination von Karten und Mathematik Menschen vor Gefahren bewahren kann, seien es nun Krankheiten oder Serienmörder. Mit mathematischen Mitteln und Hintergrundwissen können wir aus einer Karte viel mehr Information herauslesen als mit unseren Augen und Intuition allein. Mathematikgestützte Anwendungen von Karten erhalten immer größere Bedeutung, je besser die Technik und je größer die Rechnerkapazitäten werden.
Wir werden jede Menge Beispiele dafür sehen, wie sich Mathematik und Kartographie gegenseitig beeinflusst haben. Obwohl sie auf den ersten Blick sehr verschieden zu sein scheinen, ähneln sich die Aufgaben von Mathematikern und Kartographen doch in überraschender Weise. Um brauchbare Modelle von Phänomenen des realen Lebens zu schaffen, müssen sowohl Mathematiker als auch Kartographen entscheiden, welche Informationen berücksichtigt werden sollen und welche nicht; je nachdem, wie sie sich entscheiden, kommen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen. Aus diesem Grund müssen wir nicht nur verstehen, was wir sehen, sondern auch, was wir nicht sehen, wenn wir eine Karte oder ein mathematisches Modell vorgelegt bekommen. Wenn wir nicht dazu in der Lage sind, kann das, wie wir noch erfahren werden, Folgen haben, die von längeren Wegstrecken für Pendler bis zu internationalen Konflikten reichen.
Wir werden uns Karten zu den verschiedensten Themen und in den unterschiedlichsten Maßstäben ansehen, von der Weltkarte bis zum Stadtplan, von der kontra-intuitiven Ausrichtung von Moscheen bis zu irreführenden U‑Bahn-Linienplänen. Wir werden den alten Griechen einen Besuch abstatten, um den Erdradius mit unglaublicher Genauigkeit zu berechnen, ganz ohne Satelliten oder Fotografie. Und wir reisen ins alte Königsberg, die preußische Stadt, deren sieben Brücken im 18. Jahrhundert die Entstehung eines neuen Teilgebiets der Mathematik anregten, die Graphentheorie. Aber wir werfen auch einen Blick in die Welt der Fraktale, und während wir noch die überraschend komplexe Natur des gewöhnlichen Blumenkohls bestaunen, werden wir verstehen, warum es schlicht unmöglich ist, die Küstenlinie eines Landes zu messen und welche geopolitischen...
Erscheint lt. Verlag | 13.8.2024 |
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Übersetzer | Susanne Warmuth |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Mapmatics. How we navigate the world through numbers |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Naturwissenschaften ► Geowissenschaften ► Geografie / Kartografie | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Äquator • Fermats letzter Satz • Geographie • Gerrymandering • Google Maps • Karten • Kartenerstellung • Kartenkunde • Kartographie • Mathematik • Mercator-Projektion • Navigation • Öffentlicher Personennahverkehr • Simon Singh • Wahlbezirk • Wahlkreis • Weltsicht • Wissenschaftsgeschichte • Wissensgeschichte |
ISBN-10 | 3-8412-3640-5 / 3841236405 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3640-1 / 9783841236401 |
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Größe: 2,2 MB
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