Die Fitness-Lüge (eBook)

Wie wir die Kraft der Faszie nutzen und ein Leben lang schmerzfrei und geschmeidig bleiben | Warum Muskeln nicht vor Schmerzen schützen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-7558-1050-6 (ISBN)

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Die Fitness-Lüge -  Arvid Neumann
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Die Fitness-Industrie prosperiert seit Jahren. Gleichzeitig haben zwei Drittel der Menschen in Deutschland Rückenschmerzen, die Zahl der Hüft- und Knieoperationen steigt, künstliche Gelenke werden vermehrt eingesetzt. Dr. med. Neumann zeigt, dass uns der Breitensport, wie er heute praktiziert wird, oft krank macht. Einseitige Belastungen, monotone Bewegungsabläufe, ungünstige Körperhaltungen schaden der Faszie. Gestützt auf aktuelle Forschungsergebnisse erzählt er in seinem Buch von der jahrzehntelangen Überschätzung des Muskelapparats und der lange übersehenen, immensen Bedeutung der Faszie. Zudem erläutert Dr. med. Neumann, wie wir die Faszie sorgsam behandeln und im Alltag trainieren können, einfach indem wir richtig stehen, liegen, laufen, hocken und sitzen. Bei Menschen mit Schmerzen, aber auch zur Prävention und Leistungssteigerung kann man die Faszie manuell bearbeiten. Fehlhaltungen und falsche Bewegungsabläufe müssen zudem umgelernt werden, um langfristig schmerzfrei zu werden oder zu bleiben.

DR. MED ARVID NEUMANN ist zweifacher Sportwissenschaftler (Diplom-Leistungssport, Master of Science-Rehabilitation/Prävention) und Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Er war Chefarzt in einer Rehaklinik und ist als Deutschlands erster Faszien-Orthopäde in eigener Praxis in Oberursel (Taunus) tätig

Kapitel 1


Wer braucht Waschbrettbäuche? Muskeln sind überbewertet


Der Fitness-Industrie geht es bestens. Doch die Deutschen leiden trotzdem an Rückenschmerzen und bekommen künstliche Gelenke. Viele trainierte Personen kommen mit Schmerzen in meine Praxis. Wie kann das sein? Falsche Versprechen der Fitness-Anbieter verstellen den Blick auf das Wesentliche. Wir brauchen ein neues Verständnis von Schmerzen und ihren Ursachen – die Faszie ist dafür viel entscheidender als die Muskulatur.

Wenn ich durch deutsche Innenstädte fahre, muss ich an Laufbänder, Hanteln und Bauchmuskeln denken. Denn die Werbung für Sport und Fitness ist nicht zu übersehen im Stadtbild. Ich sehe die großen Tempel der Fitness-Studios, mal heißt der Slogan »einfach gut aussehen«, mal lautet er »Muskeln stärken, Schmerzen lindern«, mitunter auch nur schlicht »hier auf 2400 Quadratmetern trainieren«. Letzteres ist immerhin so viel wie die Fläche eines halben Fußballfelds. In manchen Studios schwitzen die Menschen direkt hinter dem Schaufenster, gut sichtbar für alle, die vorbeigehen. An Häuserwänden prangen meterhohe Werbebilder von Marken-Sportschuhen, und irgendwo ist an einer Fassade der bekannte Spruch »Just do it!« plakatiert. Hotels werben damit, dass sie auch ein Fitness-Studio haben. Und in bester Lage hat ein Geschäft neu eröffnet, es verspricht auf riesigen Video-Leinwänden ein »Sport-Einkaufserlebnis« auf drei Etagen. Die großen Stores von Nike und Adidas liegen nur ein paar Schritte weiter.

Die Ware Fitness ist omnipräsent. Und mit dem Wunsch nach Fitness wird viel Geld verdient. So viel wie noch nie zuvor. Mehr als zehn Millionen Menschen gehen in Deutschland regelmäßig ins Fitness-Studio. Rund 32 Prozent der Männer und etwa 26 Prozent der Frauen. Ein gigantischer Markt. Selbst die finanziellen Einbußen durch die Schließungen in den Corona-Jahren sind wieder ausgeglichen. Eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte ergab, dass der deutsche Fitness-Markt nach dem Corona-Einbruch sofort wieder ungefähr das Niveau von 2019 erreicht hat und nun weiter wächst. Es gibt heute rund 10.000 Studios im Land, die mehr als fünf Milliarden Euro Umsatz machen. Gewichte, Stepper und Laufband passen gut zum Zeitgeist. Denn wir wollen uns gesund, jung und fit fühlen. Der Anteil der Raucher sinkt seit Jahren, gerade bei Menschen unter 25, die zudem auch immer weniger Alkohol trinken. Rund 84 Prozent der Deutschen sagen, dass für sie die Gesundheit das Wichtigste im Leben sei. Das Frankfurter Zukunftsinstitut spricht von einem »Megatrend Gesundheit«. Und zur Gesundheit gehört im heutigen Denken eben auch der Sport. Knapp die Hälfte der Deutschen wollen laut einer Umfrage mehr Sport treiben – das war gemeinsam mit Geldsparen der Top-Neujahrsvorsatz für das Jahr 2024. Fitness ist gesund – davon sind heute alle überzeugt. Und wer trainiert, fühlt sich modern und als besserer Mensch. Um sich selbst etwas Gutes zu tun, den Schönheitsidealen zu entsprechen oder die eigene Diziplin zu demonstrieren, nehmen viele die Quälerei im Sportstudio in Kauf. Und die Fitness-Industrie weiß das zu nutzen. Sie hat unseren allgemeinen Wunsch nach Gesundheit geschickt mit dem verbunden, was sie eben ihren Kunden anbietet. Der Besuch im Fitness-Studio ist dabei vom Nischen- zum Massenphänomen geworden. Die Muckibuden der Neunziger waren oft noch Keller für Kerle, heute dominieren moderne Fitness-Ketten für alle den Markt. Das Publikum ist dabei auch weiblicher geworden. Weltweit machen Frauen schon 57 Prozent der Fitness-Studio-Kunden aus, in Deutschland sind es etwas weniger. Aber auch hier liegt der Frauenanteil bei etwa 45 Prozent. Vor allem aber trainieren sehr viel mehr Menschen. Vor zwanzig Jahren waren es nicht einmal halb so viele. Naheliegend wäre nun die Folgerung: Die Deutschen müssen in diesen Jahren fitter geworden sein. Aber stimmt das wirklich? Leben wir in einem Land der trainierten und orthopädisch gesunden Menschen? Der Eindruck, den ich als Arzt täglich bekomme, ist leider ein ganz anderer. Die medizinischen Statistiken sprechen nicht dafür. Rückenschmerzen gehören nach Angaben der Interessenvertretung der Innungskrankenkassen zu den Hauptgründen für Krankschreibungen. So entstehen jährlich 53 Milliarden Euro Kosten durch Arztbesuche, Physiotherapie, Reha und Arbeitsunfähigkeit. Mehr als 80 Prozent der Menschen haben mindestens einmal im Leben mit Rückenschmerzen zu tun, ein Drittel sogar jeden Monat. Pro Tag werden rund 2.000 operative Eingriffe am Rücken durchgeführt. Pro Jahr erhalten etwa 250.000 Deutsche ein künstliches Hüftgelenk. Auch künstliche Kniegelenke werden immer häufiger eingesetzt, allein von 2013 bis 2016 ist die Zahl dieser Operationen von 143.000 auf fast 170.000 gestiegen. Auch wenn die Werbung der Fitness-Ketten es verspricht: Menschen, die trainieren, sind weder von Schmerzen noch von orthopädischen Leiden ausgenommen. In den USA zeigte eine Studie im Jahr 2023, dass rund ein Fünftel der Leute, die ins Fitness-Studio gehen, über wiederkehrende Schmerzen klagen. In einer deutschen Studie über Hobby-Langstreckenläufer gaben etwas mehr als die Hälfte an, Schmerzmittel wie Diclofenac, Ibuprofen oder Indometacin einzunehmen. Das bedeutet, dass auch Freizeitsportler zu einem erschreckend hohen Anteil an Schmerzen leiden. Wegen oder trotz des Sportes? Das ist die Frage, die sich kaum einer zu stellen scheint.

Kennt ein starker Rücken wirklich keinen Schmerz?


Die Fitness-Industrie suggeriert uns, wer ihre Angebote nutzt, werde mit hohem Wohlbefinden entlohnt. Doch so einfach ist das nicht. Erinnern Sie sich an den Slogan »Ein starker Rücken kennt keinen Schmerz«? Das Problem ist: Diese Aussage stimmt nicht. Sie ist nicht mehr als ein weitverbreiteter Irrglaube. Viele Forscher widersprechen ihr, der Sportwissenschaftler Martin Brink nannte sie in einem Zeitungsinterview sogar einmal »Volksverdummung«. Zwar ist körperliche Aktivität gut und wichtig für den Menschen, aber es muss die richtige sein. Viele Menschen zwingen sich heute beim Sport, sie belasten sich zu sehr und verschärfen manchmal ihre Schwachpunkte. In der Fitness-Industrie geht es immer um »Kraft und Ausdauer«, also letztlich um Muskelaufbau – Krafttraining stärkt die großen Muskeln, Ausdauertraining den Herzmuskel. Und starke Muskeln schützen uns vor Krankheiten. Das ist das Versprechen der Fitness-Industrie. Und die Menschen glauben so unhinterfragt daran, dass es zum Dogma geworden ist. Darin liegt die Fitness-Lüge. Über diese Lüge möchte ich sprechen.

Dabei schaue ich nicht nur von außen auf die Welt der Fitness-Studios – im Gegenteil, ich war lange mittendrin. Schon im Studium an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig wählte ich den Schwerpunkt Leistungssport. Fußball, Handball und Kraftsport waren mein Leben. Bankdrücken, Langhantel-Kniebeuge, einarmiger Liegestütz – das alles ist mir wohl bekannt, ich habe eifrig trainiert. Bald hatte ich die sogenannte A-Lizenz der Deutschen Fitness-Lehrer-Vereinigung in der Tasche. Ich weiß genau, warum ich Fitness-Training heute nicht mehr praktiziere. Ich möchte das an einem willkürlich gewählten Beispiel erklären: am Liegestütz. Er steht auf eigentlich jedem Fitness-Plan, und außerdem ist eine Modifikation, der Unterarmstütz, heute unter dem Namen »Plank« (englisch ausgesprochen) sehr in Mode. Ich habe in meinem Leben wohl schon Zehntausende Wiederholungen dieser Übung gemacht. Als Teenager war ich auch Ringer. Ich gewann nicht durch Technik, sondern durch Muskelkraft. Fünfzig bis hundert Liegestütze habe ich ganz locker zur Aufwärmung gemacht, auch »Klatsch-Liegestütze«. Dabei drückt man sich ab, klatscht in der Luft in die Hände und landet wieder auf beiden Händen und geht sofort in eine tiefe Liegestütz-Position, so nah wie möglich zum Boden, ohne diesen zu berühren. Davon hatte ich bald ordentliche Brustmuskeln, das sah super aus im Ringerkostüm beim Wettkampf. Und erfolgreich war ich auch. Oft endeten meine Kämpfe schnell durch einen sogenannten Schultersieg. Dabei muss man beide Schultern des Gegners auf dem Boden fixieren.

Ich galt als stark und war stolz darauf. Aber eigentlich waren meine Muskeln funktionell extrem angespannt. Kinder und Jugendliche haben weiches Gewebe, also merkt man das am Anfang nicht. Doch als junger Erwachsener war meine Schulterbeweglichkeit bereits eingeschränkt. Mit fünfunddreißig Jahren hatte ich chronische Schulter- und Knieschmerzen. Zuerst dachte ich: Mehr hilft mehr, besonders beim Trainieren. Also trainierte ich immer weiter. Im Liebscher und Bracht Gesundheitszentrum in Bad Homburg, wo ich fast zwei Jahre als ärztlicher Leiter der Schmerztherapie arbeitete, konnten wir einmal pro Woche in der Arbeitszeit sechzig Minuten lang trainieren. Dort gab es mal kurzfristig ein Spiel: Wir gingen in die Plank-Position, und dann ging es darum: Wer hält am längsten durch? Im Plank hält man den Körper steif wie ein Brett. Bald zittern die Muskeln, und irgendwann kann man nicht mehr und muss zu Boden gehen. Beim ersten Mal war ich schlecht, ich glaube sogar der Schlechteste unserer Trainingsrunde. Was tat ich natürlich? Üben! Und bei einem der nächsten Treffen war ich der Beste, schaffte mehr als sieben Minuten. Das ist eine beachtliche Zeit. Aber was habe ich da gemacht? Was hat mein Körper gelernt, was konnte ich nun? Eigentlich nur dies: Ich war in der Lage, meinen Körper komplett steif zu halten, anzuspannen und diese Position ohne Bewegung festzuhalten. Und wo konnte ich diese erworbene Fertigkeit im Alltag gewinnbringend einsetzen? Nirgends. Zusätzlich habe ich durch Anspannung der Bauchmuskulatur dafür gesorgt, dass diese sehr fest wird. Genau wie die ganze Oberkörpervorderseite, die so an Flexibilität...

Erscheint lt. Verlag 14.10.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Krankheiten / Heilverfahren
Sachbuch/Ratgeber Sport Fitness / Aerobic / Bodybuilding
Medizin / Pharmazie Allgemeines / Lexika
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Allgemeinmedizin
Medizin / Pharmazie Naturheilkunde
Studium 2. Studienabschnitt (Klinik) Anamnese / Körperliche Untersuchung
Naturwissenschaften Biologie
Schlagworte Arthrose • Beweglichkeit • Bewegung • Bindegewebe • Carsten Jasner • Die Fitness Fibel • Entspannung • Faszienrolle • Fitnessstudio • Haltung • Heilung • Hüfte • Jean-Claude Guimberteau • Knie • Laufen • Leistungssport • Liegen • Medizin • Muskelaufbau • Muskeln • Osteopathie • Ratgeber Gesundheit • Ratgeber Sport • Rheuma • Rücken • Schmerz • Schmerzfreiheit • Schönheitsideale • Sitzen • Sport • Thomas Lindemann • Wohlbefinden
ISBN-10 3-7558-1050-6 / 3755810506
ISBN-13 978-3-7558-1050-6 / 9783755810506
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