Unlearn CO2 (eBook)
304 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3236-9 (ISBN)
Das fossile System bröckelt. Ein Klima ohne Krise ist in Reichweite. Was es jetzt braucht: dass wir endlich unsere Abhängigkeit von CO2 verlernen - und zwar in allen Bereichen unseres Lebens. Denn das Treibhausgas steckt nicht nur in Gasheizungen und den Tanks unserer Autos. Es hat sich fest in unseren Vorstellungen von einem guten Leben eingenistet und bestimmt unseren Alltag: was wir morgens anziehen, warum wir arbeiten und wie wir abends essen. Die gute Nachricht: Die Lösungen für ein Zusammenleben ohne Ausbeutung von Mensch und Planet liegen längst auf dem Tisch, darunter: kürzere Arbeitszeiten, Klagen gegen fossile Konzerne, Empowerment von Frauen und das Zulassen von Klimagefühlen. In diesem prominent besetzten Sammelband präsentieren Beitragende aus Wissenschaft und Praxis, Journalismus und Aktivismus vielfältige Lösungen, mit denen wir das fossile System überwinden können. In konstruktiven und fachlich fundierten Essays zeigen sie Wege in eine klimagerechte Zukunft.
Katharina van Bronswijk über Psychologie - Katja Diehl über Mobilität - Julien Gupta und Manuel Kronenberg über Medien - Eckart von Hirschhausen über Gesundheit - Sophia Hoffmann über Ernährung - Claudia Kemfert über Wachstum - Nina Lorenzen über Mode - Kristina Lunz und Sheena Anderson über Patriarchat - Stefan Rahmstorf über Wissen - Andreas Schmitz über Energie - Andrea Schöne über Inklusion - Özden Terli über Klimafolgen - Roda Verheyen und Alexandra Endres über Recht - Sara Weber über Arbeit
unlearn verdrängung – Katharina van Bronswijk
Wäre es nicht entlastend, wenn wir den Klimawandel einfach leugnen könnten?
Dann müssten wir uns mit all den komplexen Zusammenhängen, all der Verantwortung und Schuld, all den Transformationsanforderungen, all den Wertedebatten und der globalen Ungerechtigkeit nicht mehr beschäftigen.
Ich weiß, wie gut es sich anfühlen kann, wenn man vom Klimawandel erfährt und dann doch entlastende Verschwörungserzählungen angeboten bekommt. Mit 17 Jahren hörte ich das erste Mal so richtig vom Klimawandel, als wir Al Gores Dokumentarfilm Eine unbequeme Wahrheit im Englischunterricht sahen. Damals, im Jahr 2007, freute ich mich über die willkommene Ablenkung, einen Film zu sehen, statt normalen Unterricht zu machen. Doch danach war ich geschockt, habe meine Mutter um Antworten auf all die Fragen und Herausforderungen gebeten. Sie hatte keine Lösung für mich, wie auch? Ich war alarmiert, beschäftigte mich mit den drohenden Folgen des Klimawandels und was dagegen getan werden kann. Ansätze fand ich in Newslettern von NGOs und der Beschäftigung mit Tier- und Umweltschutz.
Heute verstehe ich, wie wichtig und gleichzeitig besonders es war, dass meine Englischlehrerin diesen Film mit uns angeschaut hat. Damals ist (m)eine Traumblase geplatzt, und mir wurde klar: Die Welt ist ungerecht, und im Gegensatz zu all den Disneyerzählungen meiner Kindheit wird es keine einzelne Held*in geben, die die Welt rettet. Und es gibt auch keine magische oder technische Wunderlösung.
Als ich dann fürs Abitur lernte, habe ich mir eine Lern-CD aus der Bibliothek ausgeliehen, in der Verschwörungserzählungen von der »kalten Sonne«1 als alternative Erklärungen für den Klimawandel herangezogen wurden – tatsächlich widerspricht das aber den messbaren Daten, wie ich heute weiß. Für einen sehr kurzen Zeitraum fühlte ich mich damals erleichtert: Es gibt ihn vielleicht doch nicht, den katastrophalen Klimawandel. Und ihr könnt euch nicht vorstellen, was für ein schönes Gefühl das war! Das hat mich gelehrt, wie stark motivierend, aber auch belastend Klimaemotionen sein können. Die Mechanismen der Verdrängung und Leugnung, mit denen unsere Psyche versucht, diese unangenehmen Realitäten und die damit einhergehenden Gefühle von uns wegzuhalten, sind mächtig und wirkungsvoll.
Was steckt hinter Klimaleugnung?
Klimaleugnung ist tatsächlich in Deutschland gar nicht so weit verbreitet, wie wir vielleicht denken. Den Klimawandel selbst leugnen tatsächlich nur wenige Prozent der Deutschen.2 Fairerweise muss man noch dazu sagen, dass es verschiedene Ebenen der Klimaleugnung gibt. Wenn man danach schaut, ob die Leute nicht nur den Klimawandel leugnen, sondern auch, dass er von Menschen verursacht wurde, dass sie selbst betroffen davon sind, für die Lösungen (mit-)verantwortlich oder dass bestimmte Maßnahmen notwendig sind, dann sehen die Zahlen schon wieder etwas anders aus.3 Klimaleugnung ist in Deutschland in der Tiefe noch gar nicht so gut erforscht, und Studien aus den USA oder anderen Ländern lassen sich nur begrenzt auf Klimaleugnung hierzulande übertragen. Das liegt an den kulturellen und politischen Einflüssen auf die Psyche, wir haben zum Beispiel ein viel breiteres Parteienspektrum und damit diversere politische Einstellungen zur Wahl als in den USA. Was wir aus der Forschung der Umweltpsycholog*innen Marlis Wullenkord und Gerhard Reese, die zusammen in einer Forschungsgruppe an der Uni in Koblenz-Landau arbeiteten, wissen, ist allerdings: Klimaleugnung in Deutschland ist weiter verbreitet unter männlichen Personen mit (rechts-)konservativem Weltbild.4 Das klingt, wie viele Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung, jetzt womöglich nicht so arg überraschend, es ist aber super spannend, wenn man weiterfragt: Warum ist das so?
Die Antwort ist – kurz gesagt – die Angst vor Status- und Privilegienverlust. Es sind nun mal (weiße) Männer, die in unserer Gesellschaft noch die meisten Privilegien genießen, und deswegen haben sie auch am meisten zu verlieren. Die nötige Veränderung unserer Lebensweise und auch die Umwälzungen der letzten Jahrzehnte bedrohen diese Privilegien. Bisherige Lebensentwürfe stehen auf dem Prüfstand: Wir hinterfragen die Rolle von »Männern«, wir hinterfragen gesellschaftliche Narrative von Überlegenheit durch Geschlecht, durch akademische Bildung, durch beruflichen Erfolg, durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe (zum Beispiel in Sportwagen und Privatjets), durch Überkonsum von Luxusgütern. Das ist nachvollziehbarerweise verunsichernd und kann Gefühle von Wut bis Bedrohungserleben auslösen – so viel Mitgefühl sollten wir uns leisten – für diejenigen, die künftig auf ihre Privilegien verzichten müssten.
Denn wenn ich auf Privilegien verzichten muss, dann ist das ja nicht nur unbequem, sondern es erfordert auch eine ganze Menge emotionale Arbeit und sogar Identitätsarbeit. Muss ich für mich neu definieren, was ich als besonders »männlich« erachte? Worüber identifiziere ich mich, wenn nicht über mein dickes Auto? Bisher leben wir eben in einer Gesellschaft mit den oben genannten Narrativen von Statussymbolen als Zeichen für ein gelungenes Leben. Diese polieren den Selbstwert auf und sind identitätsstiftend.5 Sie sind die gesellschaftlichen Leitplanken für uns als Individuum, unser Selbstbild und unsere Verortung in der Welt und für unser Weltbild. Wenn das wegbricht – womit ersetze ich das?
Immer wenn wir ein »weg von« anstreben, dann ist auf der anderen Seite eine gähnende Leere, was stattdessen sein könnte, aber noch nicht ist. Das »hin zu« als Gegenentwurf zum aktuellen Status quo wird aktuell noch gesellschaftlich ausgehandelt; verschiedene gesellschaftliche Milieus haben sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie »die« Alternative aussehen soll. Und das erzeugt Unsicherheit. Hinter der Klimaleugnung – und damit korreliert geringerer Klimaangst6 – steckt also eine andere Angst. Ich würde sagen: Transformationsangst.
Wozu all die Gefühle?
Jetzt fragen sich vielleicht einige von euch: Ja, aber die Leute sind doch gar nicht ängstlich, die sind doch eher wütend. Das stimmt. Menschen haben nicht immer nur eine Emotion (auch wenn wir ständig irgendeine emotionale Regung haben), wir erleben einen ständigen Fluss von Emotionswellen, die kommen und gehen. Wir können mehrere Emotionen gleichzeitig haben, auch scheinbar widersprüchliche. Das liegt daran, dass Emotionen Bedürfnisanzeiger sind. Und meistens berührt, befriedigt oder frustriert das Leben verschiedene unserer Bedürfnisse.
Es ist sogar noch etwas komplexer: Manchmal führt unsere biografische Prägung dazu, dass wir bestimmte Emotionen eher wegschieben und mit anderen Emotionen überkompensieren. Am Beispiel von Wutbürgern (also Menschen, die große politisch-polarisierte Wut in sich tragen) könnte das sein: Ich will meine Unsicherheit nicht fühlen müssen, weil ich Angst nicht zeigen kann, darf oder will – und deswegen kompensiere ich sie mit dem Ausdruck und der Empfindung von Wut. Wut auf die Grünen, auf Menschen, die sich vegan ernähren, die in großen Städten leben, jung sind, Menschen mit Fluchtgeschichte oder, oder … Da sind wir wieder bei gesellschaftlichen Narrativen und Erwartungen daran, was »männlich« ist oder wie »rational« wir als Menschen sein sollten. Außerdem ist Wut für viele Menschen angenehmer als Angst oder Trauer, weil Angst und Trauer häufig mit einem Ohnmachtserleben verbunden sind. Sie führen zu einem Impuls des Rückzugs oder der Flucht, während wir uns in der Wut als Akteur*in fühlen können und in den Angriff gehen. Dieses wütende Überkompensieren von Angst und Trauer führt allerdings oft dazu, dass die hinter den ursprünglichen Gefühlen liegenden psychischen Bedürfnisse unbefriedigt bleiben – und damit torpedieren wir uns langfristig selbst.
Bei Bedürfnissen denken viele an etwas wie Essen oder Schlafen, allerdings haben alle Menschen auch bestimmte psychische Grundbedürfnisse. Dazu wird viel geforscht. Und unterschiedliche Forschungsgruppen identifizieren ähnliche, aber etwas anders benannte psychische Grundbedürfnisse. Ich beziehe mich jetzt auf die Arbeit von Klaus Grawe,7 demzufolge es vier psychische Grundbedürfnisse gibt:
- Orientierung & Kontrolle (dazu gehören auch Sicherheit, Selbstbestimmung, Autonomie)
- Bindung & Zugehörigkeit (also Nähe, Intimität, Beziehungen, soziale Kontakte)
- Lustgewinn & Unlustvermeidung (also so etwas wie Spaß haben, unangenehme Dinge aufschieben)
- Selbstwertschutz & Selbstwerterhöhung (Anerkennung, Wertschätzung bekommen, sich kompetent fühlen)
Wenn diese Bedürfnisse frustriert werden, geht auf der psychischen Ebene eine Warnlampe an, und diese Warnlampe sind bildlich gesprochen unsere unangenehmen Gefühle. Klimaangst ist ein solches Gefühl.
Was unsere Gefühle mit der Klimakrise zu tun haben
Schauen wir uns die verschiedenen Gefühle einmal mit Bezug auf das Klima an.
Angst: Klimaangst warnt...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2024 |
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Reihe/Serie | Reihe: Wie wir leben wollen |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Naturwissenschaften ► Physik / Astronomie | |
Schlagworte | Anthropozän • Best Practice • Emission • Erderwärmung • Fossil • Klima • Klimakatastrophe • Klimawandel • Kohlendioxid • Krise • Transformation • Treibhausgase • Wandel |
ISBN-10 | 3-8437-3236-1 / 3843732361 |
ISBN-13 | 978-3-8437-3236-9 / 9783843732369 |
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