Der Elefant im Universum -  Govert Schilling

Der Elefant im Universum (eBook)

Das große Rätsel der Dunklen Materie. 'Ein fesselnder Wissenschaftskrimi' -- BBC Sky at Night
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
400 Seiten
Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
978-3-440-50890-9 (ISBN)
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Der renommierte Wissenschaftsjournalist Govert Schilling trägt in 'Der Elefant im Universum' das aktuelle Wissen rund um die Dunkle Materie zusammen und erzählt sehr authentisch von persönlichen Begegnungen mit Forschenden auf der ganzen Welt. Leicht verständlich beschreibt er die wissenschaftlichen Hintergründe und zeigt, was Astronomen und Physiker auf aller Welt antreibt, ihr Leben der Suche nach dieser geheimnisvollen Substanz zu widmen.

Teil I

Das Ohr

1. MATERIE, ABER NICHT WIE WIR SIE KENNEN

Phillip James Edwin Peebles, der im Jahr 2000 emeritierte Inhaber der Albert-Einstein-Professur für Naturwissenschaften an der Princeton University, Mitglied der American Physical Society und der Royal Society, Nobelpreisträger für Physik 2019 und Pate der Theorie der kalten Dunklen Materie, erhebt sich langsam von seinem Schreibtisch und geht zu einem Bücherregal an der gegenüberliegenden Wand. Dort nimmt er zwei leere Plastikflaschen zur Hand.1

Er bläst Luft über die Öffnung der größeren Flasche. Ein leises, flirrendes Geräusch erfüllt den Raum. Dann setzt er die kleinere Flasche an seine Lippen. Ein weiteres Geräusch in einer viel höheren Tonlage erklingt. „Es ist dasselbe Prinzip“, sagt Peebles mit dem für ihn typischen sanften Lächeln auf den Lippen. „Jede Größe bevorzugt ihre eigene Frequenz und umgekehrt.“

Moment mal! Für etwas so Einfaches bekommt man doch keinen Nobelpreis, oder? Nun, man bekommt ihn doch, wenn man das Prinzip erfolgreich auf Schallwellen im neugeborenen Universum überträgt. Wenn man nachweisen kann, dass Galaxien ohne eine große Menge mysteriöser Dunkler Materie nicht stabil sein können. Und wenn man damit dann den Grundstein für unser derzeitiges Standardmodell der Kosmologie legt.

Und so erhielt Peebles am Dienstag, den 8. Oktober 2019, um 5 Uhr morgens den magischen Anruf von der Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Er teilte sich den Preis – „für theoretische Entdeckungen in der physikalischen Kosmologie“ – mit zwei anderen, erhielt jedoch die Hälfte des Preisgeldes von insgesamt 910.000 Dollar. „Großer Gott!“, sagte seine Frau Alison, als sie die Neuigkeiten hörte. Anschließend machte sich Peebles auf seinen täglichen, eine Meile langen Weg von seinem Haus zu seinem Büro im zweiten Stock von Jadwin Hall, und sein 84-jähriger Kopf war voll von Gedanken.

Dabei hatte es sich James Peebles eigentlich nie vorstellen können, Kosmologe zu werden. Der kleine Jimmy, geboren 1935 in der kanadischen Stadt Saint Boniface (heute gehört sie zum Großraum Winnipeg), war ein Tüftler – ein Daniel Düsentrieb, der die Seiten von Mechanics Illustrated genau studierte, elektrische Apparate baute, mit Schießpulver experimentierte und sich in Dampflokomotiven verliebte. Klar, er ging hinaus, wenn die Nordlichter am Winterhimmel von Manitoba ihren stillen Tanz aufführten, und natürlich wusste er, wie man den Polarstern findet. Aber wirklich erobert hatte die Astronomie seinen technikversessenen Geist eigentlich nie. Als er als Doktorand dann zum ersten Mal etwas über Kosmologie lernte, fand er es „äußerst langweilig, unüberlegt und unglaubwürdig“, wie er dem Astronomen Martin Harwit einmal sagte.2

Doch das sollte sich ändern, nachdem er im Herbst 1958 in Princeton ankam. Peebles war Doktorand in der Forschungsgruppe des brillanten Physikers Robert Dicke. Jeden Freitagabend organisierte Dicke Seminare, in denen Studenten, Postdocs und Professoren frei über jedes wissenschaftliche Thema diskutieren konnten, das ihr Interesse weckte. Anfangs eingeschüchtert durch die Kenntnisse der anderen über Quantenphysik oder die Allgemeine Relativitätstheorie, lernte Peebles diese informellen Treffen mit der Zeit immer mehr zu schätzen – und das nicht nur wegen des gelegentlichen Biertrinkens danach. Robert Dickes Begeisterung für die Kosmologie erwies sich als ansteckend.

1962 beendete Peebles seine Dissertation über die Frage, ob die Stärke der elektromagnetischen Kraft mit der Zeit variierte. Er blieb in Princeton und arbeitete als Postdoc mit Dicke und zwei weiteren Postdocs, David Wilkinson und Peter Roll, zusammen. Auf einem verwaschenen Foto aus den 1960er-Jahren, das er während seines Nobelvortrags zeigte, sieht man Peebles groß und schlank, mit dunklem, glattem Haar, einer Brille und einem isländischen Pullover. Doch nicht nur optisch lag ein weiter Weg zwischen der Hochschule und der Nobelpreis-Gala in Stockholm.

Abb. 1: David Wilkinson (links), James Peebles (Mitte) und Robert Dicke (rechts) in den frühen 1960er-Jahren mit dem Empfangsgerät, das sie zur Untersuchung des kosmischen Mikrowellenhintergrunds gebaut hatten.

Peebles’ Karriere als physikalischer Kosmologe begann an einem schwülen Tag im Sommer 1964. Auf dem stickigen Dachboden des Palmer Physical Laboratory in Princeton entfaltete Dicke seine ehrgeizigen Pläne zur Suche nach der Strahlung, die vom neugeborenen Universum übriggeblieben war – eine primordiale Feuersbrunst, die Millionen von Grad heißer war als jeder Dachboden. Die Wissenschaftler waren sich sicher, dass die Strahlung dieses lang zurückliegenden Ereignisses da draußen war – man müsste sie nur finden. Und so wurden Wilkinson und Roll damit beauftragt, die für den Nachweis der Strahlung erforderliche Ausrüstung zu bauen. „Also, Jim“, sagte Dicke, „warum beschäftigst du dich nicht mit der Theorie, die hinter all dem steckt?“

Und so berechnete Peebles, wie das heiße Plasma des frühen expandierenden Universums – ein Durcheinander aus elektrisch geladenen Teilchen – mit der energiereichen Strahlung interagiert haben musste, um eine dichte, zähe Ursuppe zu bilden, die mit niederfrequenten Schallwellen schwappt und vibriert. Später, etwa 380.000 Jahre nach dem Urknall, als die Temperaturen so weit gesunken waren, dass sich neutrale Atome bilden konnten, „entkoppelten“ Materie und Strahlung voneinander: Die Eigenschaften des einen beherrschten nicht mehr das Verhalten des anderen. Und während sich die Strahlung nun ungehindert im Universum ausbreiten konnte – und zu dem schwachen kosmischen Hintergrundglühen abkühlte, nach dem Dicke suchte –, blieb die Materie mit einem Muster von Verdichtungen und aufgelockerten Gebieten zurück: Regionen, in denen die Dichte nur ein klein wenig höher oder niedriger als der Durchschnitt war, und mit Ausmaßen, die von den Frequenzen der ursprünglichen Schallwellen bestimmt wurden.

Die Größe hängt also mit der Frequenz zusammen und umgekehrt, wie Peebles mit seinen zu Musikinstrumenten umfunktionierten Plastikflaschen demonstriert hatte. Das gleiche Prinzip gilt für das Universum als Ganzes und erzeugt dieses verräterische Muster, das die Physiker als baryonische akustische Oszillationen bezeichnen. Im Laufe der Zeit sollte sich die Materie in überdichten Regionen dann weiter zu Galaxien zusammenballen. Das ist der Grund dafür, warum Galaxien nicht zufällig im dreidimensionalen Raum verteilt sind: Sie neigen dazu, dort aufzutauchen, wo die frühen akustischen Wellen die dichtesten Materieanhäufungen hinterlassen haben. Mit anderen Worten: Die derzeitige großräumige Struktur des Universums ist auf Ereignisse zurückzuführen, die kurz nach dem Urknall stattfanden.

Doch das ist eine komplizierte Angelegenheit, die Sie vielleicht erst einmal wieder vergessen sollten – wir werden in Kapitel 17 auf die baryonischen akustischen Schwingungen zurückkommen. Im Moment genügt es zu sagen, dass Jim Peebles um seinen 30. Geburtstag herum ein Talent dafür entwickelte, die gewaltigsten Überlegungen anzustellen – zwar nicht unbedingt über das Leben, dafür aber über das Universum und den ganzen Rest. Dafür muss man nicht erst 42 werden.

Peebles war noch nicht einmal beunruhigt davon, dass die Radioingenieure Arno Penzias und Robert Wilson der Princeton-Gruppe mit der Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung zuvorgekommen waren. In den Bell Laboratories im nahegelegenen Holmdel, New Jersey, machten Penzias und Wilson die Entdeckung nämlich bereits im Jahr 1964, nur wenige Monate nachdem Dicke sein Team einberufen hatte. „Nun, Jungs, ich glaube, wir wurden überholt“, sagte ein enttäuschter Dicke zu ihnen, nachdem er den Anruf über die Entdeckung erhalten hatte. Aber Peebles erinnert sich, dass er aufgeregt war. Die Entdeckung bedeutete, dass er und seine Kollegen sich nicht nur mit bloßen Spekulationen beschäftigten, sondern dass es da draußen tatsächlich etwas gab, das untersucht werden konnte.Und so war Peebles vom Kosmologie-Fieber gepackt worden, das ihn seither nicht mehr losgelassen hat. Schon bald hielt er sogar Vorträge über ein Thema, das ihm zuvor außerordentlich langweilig und unglaubwürdig erschienen war. Sein Buch Physical Cosmology wurde im Herbst 1971 veröffentlicht, ein Jahr bevor er zum ordentlichen Professor ernannt wurde.3 Die erste Ausgabe steht im Bücherregal neben seinem Schreibtisch – in der Nähe einer Albert-Einstein-Actionfigur.

Physical Cosmology – Physikalische Kosmologie. Seit Jahrhunderten, nein, seit Jahrtausenden wurde die Entstehung und Entwicklung des Universums im Ganzen als etwas Metaphysisches betrachtet. Ein Universum, das auf dem Rücken von Elefanten und Riesenschildkröten ruht, ein göttlicher Schöpfungsakt in nicht allzu ferner Vergangenheit. Doch schließlich begannen sich die mythologischen Nebel zu lichten; die sakralen Geschichten machten Platz für wissenschaftliche Untersuchungen und physikalische Erkundungen. Die Kosmologie wurde zu etwas, das man anfassen, auseinandernehmen, verstehen und bestaunen konnte. Und man konnte sich sogar in sie verlieben – wie in eine Dampflokomotive.

Ein halbes Jahrhundert später beugt sich der Nobelpreisträger Phillip James Edwin Peebles, ein hochgewachsener Mann in blauen Jeans und einem moosgrünen Pullover, über seinen Computermonitor und nimmt seine Brille ab, um die winzigen Zeichen auf dem Bildschirm zu erkennen. Er sucht in archivierten wissenschaftlichen Abhandlungen und verliert sich in historischen Details....

Erscheint lt. Verlag 18.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Naturwissenschaften Physik / Astronomie Astronomie / Astrophysik
ISBN-10 3-440-50890-0 / 3440508900
ISBN-13 978-3-440-50890-9 / 9783440508909
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