Geschichte der Sintflut -  Harald Haarmann

Geschichte der Sintflut (eBook)

Auf den Spuren der frühen Zivilisationen
eBook Download: EPUB
2023 | 4. Auflage
226 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-80620-9 (ISBN)
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Um 6800 v.Chr. zerstörte der dramatische Durchbruch des Mittelmeers in das tiefer gelegene Schwarze Meer die Landbrücke zwischen Europa und Asien und ließ den Wasserspiegel des einstigen Süßwassersees um 150 Meter steigen. Harald Haarmann erklärt, wie Geologen und Archäologen diese 'Sintflut' rekonstruiert haben und welche weitreichenden Auswirkungen sie auf die frühen Kulturen an der Donau und in Mesopotamien hatte. Geologen konnten vor zwanzig Jahren mit einer sensationellen Entdeckung aufwarten: Das Schwarze Meer war die längste Zeit ein Süßwassersee, an dessen Küsten frühe Zivilisationen entstanden. Doch um 6800 v.Chr. bahnte sich das Mittelmeer einen Weg durch den heutigen Bosporus. Jahrelang ergoss sich ein tosender Wasserfall in das Schwarze Meer und überschwemmte große Gebiete. Harald Haarmann beschreibt auf der Grundlage der neuesten Erkenntnisse Ursachen und Verlauf dieser Sintflut. Von hier aus geht er den Folgen der Flut für die Kulturentwicklung in der Schwarzmeerregion nach. Er stößt dabei auf die Spuren einer der ältesten Hochkulturen und verfolgt anhand archäologischer Funde, vor allem aber anhand der Sprach- und Schriftgeschichte deren Ausstrahlung bis hin nach Mesopotamien.

Harald Haarmann gehört zu den weltweit bekanntesten Sprach- und Kulturwissenschaftlern. Er wurde u.a. mit dem Prix Logos der Association européenne des linguistes, Paris, sowie dem Premio Jean Monnet ausgezeichnet. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Bei C.H.Beck erschienen u.a. "Geschichte der Schrift" (2021), "Das Rätsel der Donauzivilisation" (2020), "Auf den Spuren der Indoeuropäer" (2023) sowie zuletzt "Die Erfindung des Rades" (2023).

II

Die Zeitzeugen und ihre Nachkommen


Das südliche Europa war während der letzten Eiszeit eisfrei. Bevor der Euxinos-See entstand, zog um die riesige Schluchtlandschaft Großwild wie das Mammuth über die weite Tundra, und die Menschen des Jungpaläolithikums, die in Sippen zusammenlebten, jagten diese Tiere in kleinen Gruppen. Als das Eis der Inlandgletscher zu schmelzen begann, die tiefe Senke zum See wurde und sich die Landschaft allmählich bewaldete, kamen immer mehr Jäger von Asien herüber nach Europa, wo sie von der Jagd auf Kleintiere lebten. Denn das Großwild hatte sich nach Sibirien zurückgezogen. Die Sippenverbände der Wildbeuter hatten nun mehr Auswahl an Nahrung. In den Flüssen und im neu entstandenen Euxinos-See gab es Fische, an den Ufern und in den Niederungen nisteten Wasservögel, der Wald bot vielerlei Fleischnahrung wie Hasen, Rotwild oder Wildschweine.

Zwischen Europa und Asien gab es damals noch die Landbrücke, über die Menschen herüber und hinüber wanderten. Größere Migrationen lassen sich nicht ausmachen, aber es muss doch einen regelmäßigen Austausch an Ideen und Gütern gegeben haben. Denn nicht nur die materielle Hinterlassenschaft, auch die Mythologie und die religiösen Vorstellungen der Menschen beiderseits der alten Landbrücke waren ähnlich. Es sind sehr alte Siedlungsplätze dieser mesolithischen Jäger und Sammler gefunden worden. Ein besonders gut erforschter Platz ist die Franchthi-Höhle im Nordosten der Peloponnesischen Halbinsel, die bereits seit etwa 10.000v.u.Z. bewohnt war (Whittle 1994: 137f.). Am Siedlungsplatz in der Franchthi-Höhle sind unter anderem Werkzeuge aus Obsidian gefunden worden. Der wichtigste Fundplatz dieses schwarzen Steins, dessen behauene Kanten rasiermesserscharf sind, ist die Kykladeninsel Melos. Die Obsidianfunde auf dem Festland könnten also auf frühe Handelsverbindungen über das offene Meer hindeuten.

Frühe Populationen in der Schwarzmeerregion: Genetische und sprachliche Spuren


Wer waren diese mesolithischen Wildbeuter, die in vorsintflutlicher Zeit die Schwarzmeerregion und den ägäischen Inselarchipel bewohnten und die auch schon früh mit Booten küstennahe Gewässer befuhren? Noch vor wenigen Jahren tappten Archäologen und Anthropologen weitgehend im Dunkeln, was die ethnische Identität jener Menschen betrifft. Erst die humangenetische Forschung hat in den 1990er Jahren einen entscheidenden Durchbruch erzielt. Als Teilergebnis des internationalen Human Genome Project, des bislang größten und kostspieligsten Forschungsprojekts der Wissenschaftsgeschichte, sind die genetischen Strukturen der Weltbevölkerung katalogisiert und kartiert worden (Cavalli-Sforza et al. 1994). Die genetischen Informationen sind wie ein Fingerabdruck, der es ermöglicht, die Herkunft und die Konzentration von Genkombinationen (Genomen) Jahrtausende in der Evolutionsgeschichte zurückzuverfolgen.

Die genetischen Strukturen der Populationen in Europa und Westasien zeichnen sich durch fünf Hauptkomponenten aus, die in unterschiedlicher Konzentration in den verschiedenen Regionen vertreten sind. Jede dieser Hauptkomponenten entspricht einer Bündelung von insgesamt fünfundneunzig Einzelgenen, deren Kombinatorik bestimmte Grundmuster, eben die Hauptkomponenten, zeigt. Die räumliche Konzentration der Hauptkomponenten kann kartographisch illustriert werden. Für unser Thema von besonderem Interesse ist die Karte, auf der die geographische Verbreitung einer Genkonstellation dargestellt ist, die von den Humangenetikern der «mediterrane Genotyp» genannt wird.

Abb. 3:  Der mediterrane Genotyp (nach Cavalli-Sforza 1996: 63).
Das dunkle Feld kennzeichnet die höchste Konzentration (Bündelung) genomischer Merkmale

Auf den ersten Blick fällt auf, dass die Populationen, für die dieser Genotyp charakteristisch ist, rings um das Ägäische Meer und in einem weiten Bogen um das Schwarze Meer herum verbreitet sind. Eine hohe Konzentration für den mediterranen Genotyp ist sowohl für Südosteuropa als auch für das westliche Asien ausgewiesen. Wir haben es hier mit «augenfälligen» Übereinstimmungen zu tun, die nur den einen Schluss zulassen: Im Genotyp der Bevölkerung auf beiden Seiten der Ägäis und in der südlichen Schwarzmeerregion finden wir die genetischen Spuren (gleichsam Fragmente eines genetischen Fingerabdrucks) einer alten Population mit gemeinsamen ethnischen Wurzeln.

Darüber, woher diese Menschen kamen, ist schon eifrig spekuliert worden, allerdings sind die Genetiker dabei in einer Sackgasse steckengeblieben. War die Bevölkerung rings um die Ägäis im Altertum genetisch homogen? Und mit welchem Volk der Antike ließe sich dieser Genotyp assoziieren? Die Beantwortung der ersten Frage ist Aufgabe der Genetiker, zur Beantwortung der zweiten sind Kulturwissenschaftler und Anthropologen herausgefordert. Auch Genetiker haben sich um eine Identifizierung des alten Volkes bemüht, aber erfolglos.

Der Genetiker Cavalli-Sforza und sein Team nehmen an, das Volk, das den mediterranen Genotyp vertritt, seien die antiken Griechen gewesen. Die Ausbildung dieses Genotyps stünde demnach in Zusammenhang mit der frühen Geschichte der griechischen Kolonisation an der ionischen Küste (heute westliche Türkei) und in Süditalien. Als zeitlicher Rahmen kämen hierbei die ersten Jahrhunderte des 1. Jahrtausends v.u.Z. in Betracht.

Die geographische Ausdehnung der Radianten des mediterranen Genotyps, die eine hohe Konzentration anzeigen, schließt aber Gebiete ein, wo Griechen zu keiner Zeit Kolonien gegründet haben, wo sie nie gesiedelt haben und wo es auch keine griechischen Enklaven gegeben hat. Der mediterrane Genotyp ist schwerpunktmäßig auch in Mittelitalien verbreitet; Kroatien, Serbien, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Rumänien in Südosteuropa sowie Moldova und die Ukraine gehören ebenfalls dazu. Auf asiatischer Seite dehnt sich das Kerngebiet des Genotyps bis nach Zentralanatolien hin aus. Griechen haben aber nur den Küstensaum bewohnt, und es gab keine griechischen Städte auf der anatolischen Hochebene. Das was wir auf der Genkarte sehen, ist also nicht der genetische Fingerabdruck der antiken Griechen.

Es ist viel sinnvoller, nach den Spuren der alten Bevölkerung in noch älterer Zeit zu suchen. Nichts spricht dagegen, dass wir auf der Genkarte die Spuren der Populationen sehen, die vor der Flutkatastrophe in der Schwarzmeerregion und rings um die Ägäis siedelten. Der mediterrane Genotyp zeigt uns also die ursprüngliche Verbreitung jener Bevölkerung an, die dort seit dem Ende der Eiszeit vor etwa dreizehntausend Jahren siedelte, falls nicht schon vor dieser Zeit. Denn eine Siedlungskontinuität vom Mesolithikum bis ins Neolithikum kann an vielen Plätzen archäologisch nachgewiesen werden.

Wenn man nun weiß, dass die vorsintflutliche Bevölkerung der Region genetisch einheitlich war, kann man dann auch irgendetwas über ihre Sprache sagen? Ist nicht alles an Sprachgut durch die Völker, die später in die Schwarzmeerregion kamen – wie Griechen und Thraker, später Slawen und Türken – überlagert oder verschüttet worden? Tatsächlich sind ganz alte sprachliche Spuren erhalten geblieben. Um diese aber sichtbar zu machen, bedarf es einiger Rekonstruktionsarbeit. Die Spurensuche führt uns in die Welt der wichtigsten vorrömischen Kultursprache Europas, des Griechischen.

Die frühesten Hinweise auf die Besiedlung Griechenlands durch die Bevölkerung, die dem Land seinen Namen gab (Hellas), stammen aus der Zeit um 2200v.u.Z. Damals wanderten helladische Stämme nach Griechenland ein. Ihre Sprache gehörte zur indoeuropäischen Sprachfamilie. Als die Griechen in ihre neue Heimat kamen, trafen sie auf eine Bevölkerung, die schon lange vor ihnen dort gewohnt hatte. Die Griechen nannten sie «Pelasger». Auch als sich die Mykener später an der Küste Ioniens niederließen – Milet ist eine mykenische Gründung –, Kreta besetzten und Handelsstützpunkte in Süditalien einrichteten, gab es dort überall eine ältere Bevölkerung. Das vorgriechische Volk auf Kreta hat man nach dem legendären König Minos die Minoer genannt. Wie sie sich selbst nannten, ist nicht bekannt. Auf Sizilien lebten zur Zeit der Ankunft der Griechen die Elymer, die sich spätestens im Verlauf des 5. Jahrhunderts v.u.Z. ans Griechentum der Magna Graecia – wie die griechischen Kolonien in Süditalien genannt wurden – assimilierten.

So, wie sich die Griechen in ihrer neuen Heimat mit der bodenständigen Bevölkerung vermischten, blieb auch ihre Sprache nicht rein indoeuropäisch. Aus der viel älteren Sprache der vorgriechischen Bevölkerung übernahmen...

Erscheint lt. Verlag 24.8.2023
Reihe/Serie Beck Paperback
Zusatzinfo mit 19 Abbildungen und Karten
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Vor- und Frühgeschichte / Antike
Reisen
Geisteswissenschaften Archäologie
Geschichte Allgemeine Geschichte Altertum / Antike
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Naturwissenschaften Geowissenschaften Geologie
Schlagworte Archäologie • Bosporus • Flut • Geologie • Geschichte • Kulturentwicklung • Landbrücke • Mesopotamien • Mittelmeer • Schwarzes Meer • Sintflut • Süßwassersee • Wasserspiegel
ISBN-10 3-406-80620-1 / 3406806201
ISBN-13 978-3-406-80620-9 / 9783406806209
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