Das Ende der Evolution (eBook)
560 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-29369-7 (ISBN)
Das weltweite Artensterben bedroht unsere Lebensgrundlagen und wird so zu einer der wichtigsten Zukunftsfragen der Menschheit. Aufgrund vielfacher Nachfrage legt der angesehene Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht, einer der besten Kenner des Themas Artenvielfalt, nun eine kompakte Fassung seines großen, 2019 erschienenen Werkes »Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten« vor, in dem er zeigte, wie sich das Netz des Lebens im Lauf von Jahrmillionen entwickelte und warum es zerreißen könnte. Die kompakte Ausgabe präsentiert die wichtigsten Erkenntnisse und Fakten des Bestellers in anschaulicher, zugänglicher Form für ein breites Publikum und enthält zudem eine Reihe informativer farbiger Grafiken.
Für seine Bücher wurde Matthias Glaubrecht 2023 mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa ausgezeichnet.
Der Evolutionsbiologe und Biosystematiker Matthias Glaubrecht, Jahrgang 1962, ist Professor für Biodiversität der Tiere an der Universität Hamburg und wissenschaftlicher Leiter des Projekts Evolutioneum/Neues Naturkundemuseum Hamburg am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels. Er war zuvor Gründungsdirektor des Centrums für Naturkunde der Universität Hamburg und Leiter der Abteilung Forschung am Museum für Naturkunde Berlin. Glaubrecht schreibt regelmäßig für Zeitungen und Zeitschriften wie »Die Zeit«, »Die Welt« und »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, war an TV-Produktionen beteiligt und hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter »Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten« (2019). Für seine Arbeit erhielt er 1996 den Werner und Inge Grüter-Preis für Wissenschaftsvermittlung, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zeichnete ihn 2023 mit dem renommierten Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa aus.
Einleitung – Der Mensch als Evolutionsfaktor
Es gehört zu den Paradoxien unserer Gegenwart, dass wir zwar den Weltraum erreicht und unseren Erdtrabanten erkundet haben, tatsächlich aber auf einem in biologischer Hinsicht noch weitgehend unbekannten Planeten leben. Denn noch immer ist der Großteil der irdischen Tier- und Pflanzenarten unentdeckt und unerforscht, wissenschaftlich weder benannt noch beschrieben. Das gilt zwar kaum mehr für die auffälligeren, aber weitaus weniger artenreichen Wirbeltiere, wie etwa Vögel oder Säugetiere, umso mehr aber für das namenlose Heer unscheinbarer Wirbelloser – also insbesondere für Gliedertiere wie Insekten, aber auch Spinnen, Krebse oder Schnecken. In erster Näherung sei beinahe jedes Tier ein Insekt, sagen Wissenschaftler, die sich mit Biosystematik beschäftigen, gerne mit einem Augenzwinkern angesichts der tatsächlichen Artenfülle just jener Arthropoden. Aktuelle Schätzungen gehen von insgesamt mehr als 8 Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit aus. Nicht einmal ein Viertel dieser ungeheuren biologischen Vielfalt dürfte bislang erfasst worden sein. Aber die gesamte biologische Vielfalt, die Biodiversität mit all ihren Facetten, steht gegenwärtig auf dem Spiel.
Fokussiert auf die jeweils gerade aktuellen Krisen – sei es die Corona-Pandemie oder der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die sich verschärfende Energiekrise – verlieren wir immer wieder aus dem Blick, welche Gefahren die gesamte Menschheit tatsächlich am stärksten bedrohen. Angesichts der jüngsten Krisen wurde zeitweilig sogar die Klimakrise aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt. Immer scheint etwas anderes wichtiger zu sein, und wir geben uns leicht der gefährlichen Illusion hin, dass schon alles wieder gut werden wird – etwa, wenn wir nur alle unsere Hände waschen und Masken tragen oder endlich Elektroautos und besser noch Fahrrad fahren. Dabei werden Dimension und Dynamik des Artensterbens aber weiterhin unterschätzt, der Verlust der Biodiversität als weitere große ökologische Krise neben dem Klimawandel ist immer noch nicht wirklich im Bewusstsein der Menschen, und auch nicht der Politik, angekommen.
Schon das Wort »Artensterben« signalisiert für viele eher Normalität. Müssen wir nicht alle irgendwann sterben, und sind Arten nicht immer schon natürlicherweise ausgestorben, während wieder neue entstanden? Müssen nicht sogar die einen erst verschwinden, damit andere nachkommen und sich entfalten können? Bekamen die Säugetiere ihre evolutive Chance nicht erst, nachdem die Dinosaurier ausgestorben waren? Und sterben schließlich nicht – die Evolution bestraft ihre Kinder – immer jene aus, die sich nicht anzupassen vermögen?
Doch sosehr das Thema inmitten der aktuellen Weltkrisen an den Rand rückt, tatsächlich ist die gegenwärtige globale Biodiversitätskrise – der massenhafte Artenschwund und das sich damit abzeichnende Artensterben – die wohl größte Herausforderung für die Menschheit im 21. Jahrhundert. Sie legt fundamentale Fragen unserer Zeit und nach der Existenz zukünftiger Generationen offen. Wie wir die Artenvielfalt bewahren, die Natur schützen und mit ihr unsere Existenz sichern, wird deshalb neben dem Klimawandel nicht nur für Forschung und Politik, sondern für unseren Alltag die zentrale und wichtigste Frage dieses Jahrhunderts werden.
Der Mensch ist, nicht nur durch seine schiere Zahl, zum größten Raubtier dieser Erde geworden. Wir fressen uns bereits jetzt regelrecht durch die Nahrungsketten an Land und in den Meeren; bereits jetzt schon plündern wir die natürlichen Ressourcen überall über Gebühr. Das wirft Fragen nicht nur danach auf, wie der Mensch überhaupt zu diesem weltenprägenden Wesen wurde und wie er die Erde bisher verändert hat; vielmehr auch nach der Zukunft der Menschheit und danach, welche Perspektive es für uns gibt. Obgleich wir nur diese eine Erde haben (und für unabsehbare Zeit haben werden), leben wir längst über unsere ökologischen und ökonomischen Verhältnisse. Und zwar in einer Weise, die befürchten lässt, dass es das Ende der Evolution auf der Erde sein wird – jener Evolution, wie wir Menschen sie kennen; das Ende nicht nur für einen Großteil aller anderen Organismenarten, mit denen wir diese Welt teilen, sondern auch für unsere eigene Evolution.
Das ist die zentrale These dieses Buches.
***
Was lange übersehen wurde: Längst ist der Mensch selbst zu einem entscheidenden Evolutionsfaktor auf der Erde geworden – zu einer in der Natur wirksamen Kraft sui generis. Dabei ist der von ihm verursachte Klimawandel nur eine der vielen Konsequenzen. Wie keine andere Spezies prägen wir – unsere Art Homo sapiens – mittlerweile die Erde, verändern dabei alle Bereiche zwischen der oberen Erdkruste und der unteren Atmosphäre. Damit beeinflussen wir nicht nur die Geosphäre unseres Planeten, sondern auch dessen gesamte Biosphäre. Hier nur drei Fakten: Zum einen nutzen wir mittlerweile drei Viertel der Erdoberfläche für unsere Zwecke, für Städte, Siedlungen, Fabriken und Straßen, vor allem aber für Land- und Forstwirtschaft. Wir hinterlassen dadurch einen gigantischen ökologischen Fußabdruck auf unserem Heimatplaneten, eindrücklich zu erkennen etwa aus der Perspektive erdnaher Satelliten, die des Nachts die Lichtspuren unserer Zivilisation überall auf der Erdoberfläche aufzeichnen. Zum anderen hat die »anthropogene Masse« – also alles vom Menschen erzeugte Material, wie etwa Beton, Zement, Steine und Metall oder auch Plastik – seit dem Jahr 2020 das Gewicht der von sämtlichen Pflanzen, Tieren und anderen Organismen erzeugten Biomasse erreicht. Alle von uns hergestellten Bauwerke und Güter wiegen also sämtliche biologischen Produkte der Natur auf. Und schließlich: Seit Ende 2022 leben mehr als 8 Milliarden Menschen auf der Erde, jährlich kommen viele Millionen hinzu; bis etwa Mitte des 21. Jahrhunderts dürften wir laut aktueller Prognosen knapp 9 Milliarden Menschen sein, und es ist absehbar, dass wir gegen Ende dieses Jahrhunderts 10 oder gar 11 Milliarden Menschen sein werden. Und alle nicht nur mit höchst legitimen, natürlichen Ansprüchen an Wasser und Nahrung, sondern auch mit ökonomischen Forderungen und ökologischen Folgen.[6]
Homo sapiens ist damit zu einem entscheidenden Umweltfaktor geworden, so einflussreich, dass er nicht nur die Zukunft seiner eigenen Art, sondern auch die vieler anderer Tier- und Pflanzenarten aufs Spiel setzt. Daher lautet die Leitfrage dieses Buches: Haben wir das Ende der Evolution erreicht – unserer eigenen Evolution und der vieler anderer Arten? Oder anders gefragt: Haben wir unseren Planeten bereits derart geplündert, dass die Biosphäre sich davon nicht mehr erholen wird? Müssen wir fürchten, dass das Leben und die Arten, wie wir sie heute kennen, bald von ihm verschwunden sein könnten? Wird damit auch der Mensch verschwinden? Schafft sich die Menschheit in ihrer selbstbezogenen Allmachtfantasie, in ihrem irrigen Machbarkeitswahn und ihrer unheilbaren Fortschrittsgläubigkeit also selbst ab?
Diesen Fragen werden wir im Folgenden nachgehen.
Sicher kann man nicht behaupten, die Frage nach dem Überleben des Menschen sei nicht bereits oft gestellt worden; freilich, ohne dass sich etwas verändert hätte. Und auch die Vorhersage, dass der Mensch viele Lebensformen dieser Erde unwiederbringlich vernichten wird, dass er das Aussterben einzelner Arten und ganzer Artengemeinschaften verantwortet und letztlich damit auch sein eigenes Überleben gefährdet – all das ist durchaus nicht neu. Ebenso wenig neu ist, dass sämtliche Mahnungen dazu kaum wirklich ernst genug genommen wurden und weitgehend ungehört verhallten. Nein, an frühen Warnungen hat es durchaus nicht gefehlt. So ist weder der Raubbau des Menschen an der Natur noch dass er damit sein eigenes Überleben gefährdet, eine neue Erkenntnis. Ökonomische Unkenrufe von den Grenzen des Wachstums und ökologische Horrorszenarien haben mittlerweile Tradition. Zwar ist der drohende Kollaps der Erde somit bereits vielfach verkündet worden; eine regelrechte Besorgnisindustrie hat sich etabliert. Gleichwohl haben ökologisch verbrämte Endzeitszenarien keine wirkliche Fangemeinde. Doch während lange niemand vom allgegenwärtigen Artentod sprach, erreichen nun entsprechende Meldungen zunehmend die Abendnachrichten.
Viele nehmen die weit verstreuten Hinweise auf das Verschwinden der Arten wahr; schwerer fällt es, diese nicht nur als isolierte Begebenheiten zu sehen, sondern in ihrer Bedeutung wirklich einzuordnen. Es ist nicht übertrieben: In 20 oder 30 Jahren könnte es sein, dass es weltweit keine größeren Säugetiere mehr in der Wildnis gibt, keine von der Größe und Art eines Elefanten, Nashorns, Tigers oder Jaguars jedenfalls; es könnte sein, dass es gar keine Wildnis mehr gibt. Bis Ende des 21. Jahrhunderts könnte die Hälfte oder gar mehr aller Tier- und Pflanzenarten verloren sein. Jedenfalls wird die Vielfalt an Vögeln und Fröschen, an Schmetterlingen und Samenpflanzen drastisch geschrumpft sein; ganze Areale könnten abgesehen von Allerweltsarten verarmt sein. Der Mensch, der sich zum Beherrscher der Welt aufgeschwungen hat, verprasst das evolutive Erbe dieser Erde. Aus Kurzsichtigkeit und Unkenntnis, sicher; aber auch, weil er es in seiner Evolution nicht anders gelernt hat, den Nutzen von Nachhaltigkeit nicht...
Erscheint lt. Verlag | 15.11.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Naturwissenschaften ► Biologie |
Schlagworte | 2023 • amazonasregenwald • Amazonas Regenwald • artenschutzbericht • Artenschutzkonferenz Montreal • Artenschutzprogramme • Artensterben • Biodiversität • Biologie • Boden Degradation • Boden Verlust • Bund • Club of Rome • cop 28 • Dirk Steffens • eBooks • Elizabeth Kolbert • Evolution • Klimaschutz • Landwirtschaft • Lebensgrundlage • Lebensraumverlust • NABU • Nationalparks • Netz des Lebens • Neuerscheinung • Ökosysteme • pangolin • Schutz der Meere • Schutzgebiete • UN-Artenschutzkonferenz • Weltbiodiversitätsrat • Weltnaturschutzkonferenz Montreal |
ISBN-10 | 3-641-29369-3 / 3641293693 |
ISBN-13 | 978-3-641-29369-7 / 9783641293697 |
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