Rabenschwarze Intelligenz (eBook)

Was wir von Krähen lernen können
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
288 Seiten
LangenMüller (Verlag)
978-3-7844-8400-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rabenschwarze Intelligenz -  Josef H. Reichholf
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Kolkraben und ihre Verwandten, die Raben-, Nebel- und Saatkrähen, Dohlen, Elstern und Eichelhäher, sind so intelligent, dass sie es mitunter sogar mit der Intelligenz von Primaten aufnehmen können. Reichholfs Studien über freilebende und von Hand aufgezogene Rabenvögel belegen, dass die ungeliebten Vögel fähig sind, ihre tierischen und menschlichen Partner sowie alle anderen Vögel im Schwarm genau zu erkennen, unfreundliche Lebewesen zu bestrafen, ihre Konkurrenz beim Verstecken von Aas zu täuschen oder Wölfe gekonnt in Schach zu halten. Im Boden versteckte Walnüsse finden Rabenkrähen auch nach Monaten mühelos wieder. In Japan kann man sogar beobachten, dass Krähen Nüsse bei Rot an Ampelanlagen vor Autos platzieren, um sie in der nächsten Rotphase frisch geknackt wieder abzuholen. Kaum ein Mensch hätte dem ungeliebten 'schwarzen Gesellen' solche Findigkeiten zugetraut. Tut sich der Mensch mit den Rabenvögeln vielleicht gerade wegen ihrer unglaublichen Intelligenz so schwer? Der Erfolgsautor Josef H. Reichholf hat auch auf diese Frage überzeugende Antworten gefunden.

Von Krähen und Menschen

Und schnell betritt er, angstbeflügelt,
Die Wäsche, welche frischgebügelt.

© Wilhelm Busch »Hans Huckebein«, 1867

Die Rabenkrähe Tommy

Mit Dohlen fing alles an

Mit meiner ersten Dohle ging alles gut und schief zugleich. Gut, weil sie, kaum richtig erwachsen und voll flugfähig, aus meiner Obhut davonflog und sich ihren Artgenossen am Kirchturm wieder anschloss. Hätte ich ihr wenigstens ein Stoffbändchen am Bein befestigt, das sie sich mit der Zeit selbst abgenommen hätte, wüsste ich, wie und ob überhaupt die Rückkehr in den Dohlenschwarm gelang. Denn damals, Mitte der 1950er-Jahre, gab es rund ums Dorf noch ausgedehnte Obstwiesen und Viehweiden. Darauf suchten die Dohlen, die im Kirchturm lebten, ihre Nahrung. Man verfolgte sie nicht. Deshalb waren sie auch nicht sonderlich scheu, sondern vorsichtig und wachsam, wie Dohlen so sind. Auch ohne Fernglas, ein solches bekam ich erst Jahre später, hätte ich die markierte Dohle erkennen können. Sie selbst schien manchmal zu zögern, ob sie zu mir fliegen sollte, wenn ich »Hansi« rief. Aber ihr »da, da« blieb aus. Nur der Kopf bewegte sich, so als ob sie den Zuruf genau hören wollte.

Mein Fehler, den ich zum Glück machte, war es, ein Dohlenjunges ausgewählt zu haben, das die Augen schon offen hatte. Richtig munter und unerschrocken, so meinte ich, schaute mich die Kleine an, als ich sie in der engen Turmspitze aus dem Nest holte. Mit dem merkwürdigen Ding, das da aus der Dunkelheit von unten her auf sie zukam, konnte sie vermutlich nichts anfangen. Dass sie danach unter dem Hemd erbärmlich schrie, ist mir noch in Erinnerung, weil ich deswegen, und nicht, weil es verboten war, auf den Turm zu steigen, ein schlechtes Gewissen hatte. Nachdem sie weg war, holte ich mir keine junge Dohle mehr.

Es dauerte bis in die Zeit kurz vor dem Abitur, bis ich wieder mit einer Dohle konfrontiert wurde. Ein Freund hatte sie bekommen und großgezogen. Bei einem heftigen Sommergewittersturm waren sie und weitere Jungdohlen irgendwie mitsamt den Nestern aus einem Kirchturm in einer nahen Stadt gefegt worden. Dass einige den Sturz aus über 70 Metern Höhe überhaupt überlebt hatten, war verwunderlich genug. Eine dieser Überlebenden erhielt der Freund. Sie hatte die Augen noch geschlossen. Jungdohlen sind leicht großzuziehen. Sie haben einfach fast immer Hunger. Nach kurzer Zeit lernen sie, den Schnabel weit aufzureißen und zu »sperren«, wie man sagt. Der rote Schlund signalisiert unmissverständlich, wo das Futter hin soll. Sie wachsen auch schnell heran. Der um fast zwei Jahrzehnte ältere Freund Carlo wusste aus reicher Erfahrung mit der Haltung von Vögeln auch genau, wie man es machte. Seine Dohle gedieh prächtig. Sie wurde, was sich rasch zeigte, als sie flügge war, menschengeprägt. Andere Dohlen interessierten sie nicht, außer um eine Runde mit ihnen zu fliegen, denn dieses natürliche Dohlenbedürfnis können Menschen als Partner natürlich nicht befriedigen. »Flori«, so hieß die Dohle, betrachtete sich selbst als der Menschenwelt zugehörig. Zumindest verband sie ihr normales Leben mit dem Betreuer gerade so, als ob dieser ein Artgenosse gewesen wäre. Stets hielt sie möglichst engen Kontakt mit ihm, akzeptierte aber auch die Umgebung, lernte die Menschen darin persönlich kennen und von Fremden zu unterscheiden. Am liebsten saß sie auf der Schulter, weil das, was von der Menschengestalt offenbar für die Dohle zählte, der Kopf war. Bei normaler Fortbewegung passte dies bestens. Mit der Dohle auf der Schulter ließ sich gut spazieren gehen. Wenn sie wollte, konnte sie wegfliegen und jederzeit auch wieder dort landen. Am Ohr knabberte sie gern und ausgiebig herum, steckte auch schon mal neugierig den Schnabel ins Ohr, aber so vorsichtig, dass es nicht schmerzte. Sie kam ganz selbstverständlich mit in die Wohnung, flog darin mit mehr Freiheit als ihre Artgenossen im Kirchturm herum und nahm es hin, weil sie das von klein an so gewöhnt war, dass man nicht nach Dohlenart mit dem Partner, Körper an Körper, schlafend die Nacht verbringt. Eine Gardinenstange und die vertraute Sicherheit der Wohnung taten es auch.

Mit derselben Selbstverständlichkeit folgte sie ihrem Partner Carlo ins Auto und machte es sich auf einer Sitzlehne bequem. Auch so ein (beweglicher) Innenraum kontrastierte offenbar nicht allzu sehr mit den Höhlen, in denen Dohlen gern nisten. Die Bereitschaft, mit dem Auto ohne Angst mitzufahren, erleichterte es sehr, die Dohle aus der für sie gefährlichen Stadt hinaus aufs für das Freifliegen günstigere Land zu bringen. Dort konnten wir mit ihr auf Heuschreckenfang gehen. Geschickt nutzte sie unsere Körpergröße und Übersicht, um die vor unseren Füßen wegspringenden Heuschrecken zu fangen oder von uns gefangene unter Flügelschlagen bettelnd von den Fingern zu nehmen. Nur eines war klar: Anfassen oder gar packen wollte sie sich bei aller Vertrautheit mit den Menschen nicht lassen. Da schrie sie furchtbar, als würde sie umgebracht.

Unter natürlichen Bedingungen wären ihr sogleich die Mitglieder des Schwarms zu Hilfe geeilt – an einer Dohlenkolonie kann es reichen, einen schwarzen Lappen in die Faust zu nehmen und zu schütteln, dass der Schwarm blitzartig angreift. Kommt das klagende Geschrei dazu, wird der gemeinsame Angriff praktisch mit Sicherheit ausgelöst.

Flog sie frei, hatte die Dohle keinerlei Hemmungen, auf Carlos Kopf zu landen. Manchmal zupfte sie ihm dabei in den Haaren herum, als ob sie nach Läusen suchte. Ein kurzer Ruf brachte sie sogleich zurück auf die Schulter. Von dort aus konnte sie gleichsam von Gesicht zu Gesicht mit dem Partner kommunizieren.

An einem heißen Hochsommertag schwammen wir gemeinsam über den Inn. Der Fluss ist in diesem Bereich zwar gestaut und beinahe einen Kilometer breit, aber er strömt noch so stark in den eigentlichen Stausee hinein, dass man weit abgetrieben wird. Der Dohle war das Schwimmen sichtlich nicht geheuer. Erregt umflatterte sie Carlos Kopf, gab ununterbrochen Warnrufe von sich und landete schließlich darauf. Für uns, die wir daneben schwammen, sah das höchst komisch aus. Der schwarze Vogel mit dem grauen Kopf schrie ununterbrochen mit entsprechenden Verbeugungen auf Carlo hinab. Bei jeder stärkeren Schwimmbewegung knickste er, um die Balance zu halten, und gab dabei einen Klecks von sich. Als wir am Ufer ankamen, war Carlos Kopf voller solcher weißlicher Kleckse – und die Dohle konnte kaum aufhören, vor Erleichterung ihr Gefieder zu schütteln. Während des Schwimmens ließ sie sich nicht dazu bewegen, auf einem ausgestreckten, zum Sitzen sicherlich bequemeren Arm zu landen. Nur Carlos Kopf zählte. Tauchte ein Arm ihres Pflegers auf, erschrak sie. Den Zusammenhang der Körperteile erfasste sie nicht.

Ganz anders beim Autofahren: Hier meisterte Flori sehr schnell die Situation. Das Auto als geräumige »Höhle« mit Aussicht, die zwar durch Fenster verschlossen, aber durchsichtig war, begriff der Vogel nach einigen wenigen Versuchen, durch ein Fenster direkt nach draußen zu fliegen. Bei seiner geringen Startgeschwindigkeit schlug er nicht einmal nennenswert mit dem Schnabel an das Glas. Umso erstaunlicher war es, dass er beinahe auf Anhieb das geöffnete vom geschlossenen Fenster unterscheiden konnte. Drehte man ihm ein Fenster herunter, flog er, wenn er Lust zum Fliegen hatte, nach draußen. Nach einer Weile kam er zurück. Dazu landete er zunächst vor der Frontscheibe und schaute hindurch, bis er sah, dass ein Seitenfenster heruntergedreht wurde. Dann flog er in kurzem, elegantem Bogen hinein. Wie das bei fahrendem Auto geht, brachte er sich selbst bei. Carlo war irgendwo draußen auf einem Feldweg ein Stück weitergefahren. Die Dohle flog über dem Auto dahin, drehte Kreise, schaute im Flug am Auto vorbei und versuchte schließlich vor der Frontscheibe zu landen. Da dies beim fahrenden Auto nicht ging, drehte Carlo das Seitenfenster hinunter, streckte seinen Arm aus und sogleich landete Flori darauf. Von nun an funktionierte dies perfekt.

Wir bestaunten dieses zirkusreife Können begeistert, bis eines Tages ein anderes Auto bei einer als solche gar nicht beabsichtigten »Vorstellung« hinter uns in den Straßengraben fuhr. Zum Glück ohne Schaden. Die Verblüffung des Fahrers war ja irgendwie auch begreiflich. Da fährt vor ihm ein Auto, ein alter klappriger VW Käfer. Plötzlich kommt ein schwarzer Vogel geflogen. Aus dem Auto wird ein Arm herausgereckt. Der Vogel landet und verschwindet im Auto. Da hält man schon lieber an und reibt sich die Augen.

Von da an achtete Carlo natürlich sehr genau darauf, ob hinter ihm jemand fuhr, wenn er mit seiner Dohle unterwegs war. Sie nahm bald darauf ein höchst trauriges Ende. Beim Tanken wollte Carlo nicht, dass sie – in der Stadt – nach draußen flog. Er gab ihr ein Stück Futter, mit dem sich die Dohle auch gleich auf der Rückenlehne beschäftigte. Als er beim Aussteigen hinter sich schnell die Türe zuschlug, wurde Flori regelrecht geköpft. Die Bindung an den Partner hatte über das Futter die Oberhand gewonnen und ihr ein jähes Ende gebracht.

Diese Facetten aus dem an Erlebnissen so reichhaltigen Leben der Dohle hatte ich noch im Kopf, als ich wieder einige Jahre danach selbst die Möglichkeit bekam, eine Rabenkrähe großzuziehen. Die Umstände passten. Das Studium war abgeschlossen. Ich hatte Zeit. Die kleine Krähe war von einem Sturm aus dem Nest geworfen worden. Ihre Augen waren noch geschlossen und sie war unverletzt. Immer wieder wunderte ich mich, wie es möglich ist, dass Jungvögel tiefe Stürze aus den Nestern unbeschadet überleben. Nichts war an dieser kleinen Krähe gebrochen. Nirgendwo blutete sie. Und so wollte ich den zweiten Versuch...

Erscheint lt. Verlag 12.5.2022
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Naturwissenschaften Biologie Zoologie
Schlagworte Evolutionsbiologie • Forschung Tiere • Forschung Vögel • krähen • Ornithologie • Raben • Rabenvögel • Wissenschaftprosa • Wissenschaftsbuch
ISBN-10 3-7844-8400-X / 378448400X
ISBN-13 978-3-7844-8400-6 / 9783784484006
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