Loyal um jeden Preis (eBook)

'Linientreue Dissidenten' im Sozialismus

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
200 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-518-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Loyal um jeden Preis -  Sonia Combe
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DDR-Intellektuelle zwischen Hoffnung und Enttäuschung

Anna Seghers, Bertolt Brecht, Stefan Heym, Jürgen Kuczynski, Paul Dessau, Max Schroeder und viele andere wurden wegen ihrer jüdischen Herkunft oder wegen ihrer kommunistischen
Überzeugung im »Dritten Reich« verfolgt und mussten Deutschland verlassen. Nach dem Exil in England, den USA oder Mexiko wählten sie die Sowjetische Besatzungszone bzw. die DDR als Heimat. Die Konflikte zwischen den Westremigranten und jenen, die aus Moskau in den Ostteil Deutschlands zurückkehrten, gehören zu den zentralen Problemen der DDR-Geschichte. Diesen Intellektuellen schlugen Misstrauen und Verdächtigungen entgegen. Dennoch stützten sie das System und stellten es zugleich infrage. Einzig innerhalb der Partei trugen sie ihre Kritik vor, in der Öffentlichkeit schwiegen sie. Mit dieser Praxis beeinflussten sie auch die Folgegeneration, als deren Repräsentantin Christa Wolf gelten kann. Sonia Combe zeichnet in ihrem Buch die Kämpfe und Gewissenskonflikte dieser kritischen Marxisten nach und fragt, welchen Preis sie für ihre Loyalität zahlten.

»Sonia Combes Buch ist ein Argument gegen eine Historiographie, die die Geschichte der realsozialistischen Gesellschaften auf eine einfache Diktaturgeschichte reduziert. Es leuchtet ein Jahrhundert gelebter Utopien aus, und dies mit ihren Herausforderungen, Widersprüchen und ihrem Scheitern.« Dorothee Röseberg

»Seit Wolfgang Schivelbuschs >Vor dem Vorhang< und Werner Mittenzweis >Die Intellektuellen< und >Zwielicht< hat Sonia Combe den umfassendsten Beitrag zur Intellektuellengeschichte der DDR geschrieben.« The Times Literary Supplement (TLS)



Sonia Combe, geboren 1949 in Pau (Frankreich), war Historikerin am CNRS in Nanterre und ist assoziierte Forscherin am Centre Marc Bloch in Berlin. Sie forscht und schreibt zur Geschichte von kommunistischen und postkommunistischen Gesellschaften Osteuropas, vor allem der DDR.

TEIL I: Die Hoffnung


Die Rückkehr


Während es Max Schroeder gelang, aus den USA nach Deutschland zurückzukehren und Edith Anderson in Paris wartete, saß Bertolt Brecht, der ebenfalls aus Amerika kam, in Zürich fest, wo er für zwei Jahre bleiben sollte. Ermutigt durch Jürgen Kuczynski verließ Anna Seghers ihr Exilland Mexiko. Da sie einen mexikanischen Pass besaß, hatte sie weniger Schwierigkeiten als der staatenlose Bertolt Brecht. Der nationalsozialistische Staat hatte allen, die geflohen waren, die Staatsbürgerschaft aberkannt. Von ihrer Seite schickten die Sowjets sorgfältig ausgesuchte deutsche Antifaschisten in ihr Herkunftsland zurück, damit sie sich am Aufbau der künftigen »Volksdemokratien« in den Gebieten beteiligten, die dieser Siegermacht in Jalta zugesprochen worden waren. Die Rückkehr aus den westlichen Staaten in die Sowjetische Besatzungszone wurde über Prag organisiert, das noch von der Roten Armee besetzt war.

Zahlen, die Auskunft über die deutschsprachige Emigration geben, können nicht präzise angegeben werden. Man schätzt, dass annähernd 500.000 Menschen das Naziregime in Deutschland und Österreich verlassen hatten. Davon gelangten ungefähr 130.000 in die USA.1 Weniger als die Hälfte, so einige Quellen, entschieden sich nach Kriegsende für die Rückkehr, nur vier Prozent davon waren Juden. Aber auch in dieser Hinsicht gibt es – wie für die Zahlen der Emigranten – keine offizielle Statistik. Historiker unterstreichen in beiden Fällen die Probleme der Quellen. Weder in der DDR noch in der Bundesrepublik existierten offizielle Stellen, die sich mit der Identifikation der Emigranten beziehungsweise der Remigranten beschäftigt hätten. Eines aber ist sicher: Anders als die Emigration war die Rückkehr kein massenhaftes Phänomen. Als das Ausmaß der Verbrechen der Nazis bekannt wurde, entschieden sich zahlreiche Flüchtlinge, in ihrem Aufnahmeland zu bleiben. Ein nicht unerheblicher, aber schwer zu quantifizierender Teil der Nazigegner beschloss, in keinen der beiden Teile Deutschlands zurückzukehren. Man weiß dies vor allem von jenen, die eine gewisse Bekanntheit erlangten. Dem Beispiel von Thomas Mann folgend, hatten sich viele in der Schweiz niedergelassen oder es war ihnen nicht gelungen, sich zu integrieren, weder in dem Land ihrer Zuflucht noch in Deutschland. Mitunter machten sie jedoch, wie beispielsweise Hans Sahl,2 das Exil zu ihrer Heimat.

Die Entscheidung für die Rückkehr nach Deutschland hing von mehreren Faktoren ab: von dem Grad der Integration im Zufluchtsland, von ideologischen Überzeugungen und von dem politischen Klima diesseits und jenseits des Atlantik.

Länder wie Mexiko, in das Anna Seghers wie etwa 300 andere Mitbürger geflohen waren, oder wie die Türkei oder auch Shanghai boten weniger Möglichkeiten der Integration als Frankreich, Großbritannien, die Schweiz oder Argentinien und noch weniger als die Vereinigten Staaten. Aus Großbritannien kehrte eine weitestgehend fest zusammenhaltende Gruppe von 200 Familien zurück. Zu ihnen zählten junge Erwachsene, die als Waisen mit den Kindertransporten3 kamen. Für sie war die kommunistische Jugendbewegung eine Ersatzfamilie geworden, und die hier geknüpften Verbindungen blieben meist bestehen.4 Die Frage einer möglichen Rückkehr nach Deutschland stellte sich auf andere Weise für die etwa 80.000 deutschen, deutschsprachigen tschechischen und österreichischen Juden, die Palästina erreicht hatten. Viele waren Zionisten, für andere war Palästina ein erzwungener Zufluchtsort.5 Die meisten stellten sich darauf ein, dort zu bleiben.

Von den Emigranten, die in die Vereinigten Staaten gekommen waren, beabsichtigte eine Mehrheit zu bleiben und sich zu integrieren.6 Wissenschaftler wie Albert Einstein, der vom Institute for Advanced Study in Princeton eingeladen worden war, fanden dort – wie andere weniger Berühmte – zufriedenstellende Arbeitsbedingungen vor und nahmen wieder Positionen als Gelehrte ein. In New York bildete sich an der New School for Social Research eine Oase für zahlreiche Intellektuelle, denen man Visa ausstellte, um in die Vereinigten Staaten fliehen zu können. Auf dem Gebiet der Künste, insbesondere des Kinofilms, machten Fritz Lang und der aus Österreich stammende Billy Wilder ihren Weg in Hollywood, während Kurt Weill, Komponist der ersten Brecht-Opern, den Broadway bevorzugte, dessen musikalische Komödien seiner Vorstellung von einer Volksoper entgegenkamen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Nur die Kommunisten hatten bis 1947 nahezu komplett die Vereinigten Staaten verlassen, um in die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands zu gehen.7 Mit Sicherheit war diese Entscheidung ihrer politischen Überzeugung geschuldet, dennoch mögen sich Zweifel und Zögern eingestellt haben, denn der Kalte Krieg zog bereits am Horizont auf. Doch die heute oftmals verwendete Rede von einer »Falle«, in die sie geraten seien, entspringt einer teleologischen Sicht der Geschichte. Bis zum Ende der McCarthy-Ära gab es für deutsche Antifaschisten, die Sympathien für die Kommunisten hatten, reale Gründe, sich auf amerikanischem Boden in Gefahr zu sehen.

Die »communazis«


Ein Klima der Gefahr stellte sich nach der berühmten Rede Winston Churchills vom 5. März 1946 ein, in der er erklärt hatte, von Stettin an der Ostsee bis Triest an der Adria habe sich ein Eiserner Vorhang auf den europäischen Kontinent herabgesenkt. Diese Rede beflügelte die Paranoia und führte zu einer Intensivierung der Überwachung von Flüchtlingen. Kaum hatten sie ihren Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt, wurden diejenigen unter ihnen, die als Sympathisanten des Kommunismus oder einfach nur als Linke bekannt waren, unter Beobachtung gestellt und abgehört, ihr Briefverkehr – unter Verletzung des Postgeheimnisses – kontrolliert, Papierkörbe inspiziert und Maßnahmen ergriffen, um ihre Psyche zu destabilisieren. Das Zurückhalten von Briefen, über das Edith Anderson im Falle von Max Schroeder berichtete, gehörte dazu.

Die Neigung des Federal Bureau of Investigation (FBI), in jeder Person mit einer Sensibilität für »links« einen Kommunisten oder einen Sympathisanten der Kommunisten zu sehen, trug dazu bei, dass sich in jener Zeit das Feld der Beobachtung ungemein erweiterte. So enthielt zum Beispiel allein die Akte des Komponisten Leonard Bernstein, der niemals auch nur im Entferntesten ein Freund oder Anhänger des Kommunismus war, 666 Seiten.8 Nazigegner standen besonders im Visier, und die Agenten des FBI zögerten nicht, eine zweifelhafte Verkürzung zu kreieren und sie »communazis«9 (Nazikommunisten) zu nennen. Die Akte von Thomas Mann und seiner Familie umfasste mehr als 1.000 Seiten, die von Brecht nicht weniger als 400 Seiten. Auch Anna Seghers’ Akte war mit 1.500 Seiten sehr umfangreich. Ihr hatte man das Asyl in den Vereinigten Staaten verweigert, als sie 1941 aus Marseille ankam. Sie musste deshalb mit einem Schiff zurück nach Mexiko reisen. Das Office of Strategic Services (OSS), die Vorläuferorganisation der Central Intelligence Agency (CIA), stellte sie in Mexiko weiter unter Beobachtung.10

Das House Committee on Un-American Activities (HUAC) hatte 1938 noch vor dem FBI die Untersuchungskommission zu unamerikanischen Aktivitäten aufgebaut. Mit dem Ende des Krieges bestand die vordringliche Aufgabe dieses Ausschusses darin, die Rückkehr von Kommunisten nach Deutschland zu verhindern. Der Antikommunismus war die virulente offizielle Ideologie in den Vereinigten Staaten bis zum Sturz von Joseph McCarthy im Jahre 1954, als der Senator den Verdacht äußerte, Kommunisten und sowjetische Spione seien bis in die höchsten Sphären der amerikanischen Regierung vorgedrungen. Aber zwischenzeitlich hatte er Unterstützung durch Exkommunisten bekommen, die Hannah Arendt, die nach New York geflüchtet war, als Antikommunisten »von Berufs wegen« bezeichnete. Diese Besessenen, vor denen man sich in Acht nehmen solle, hätten im Kontext einer Mission gehandelt, die darin bestand, Amerika amerikanischer zu machen. Hannah Arendt prägte dafür die berühmt gewordene Wendung, es handele sich um »auf den Kopf gestellte Kommunisten«.11 So meinte der Philosoph Sidney Hook, früher Marxist, dass ein Kommunist nicht an einer Universität lehren dürfe, weil er kein freier Denker sei, und forderte dessen Entlassung. Die Arbeit für das FBI war nach Meinung von Sidney Hook eine staatsbürgerliche Pflicht. In einigen Universitäten verlangte man sogar, einen patriotischen Eid zu leisten. Sicherlich gab es wenige Kommunisten unter den Universitätsangehörigen, hingegen zahlreiche Sympathisanten, die ebenso gefährdet waren. Diejenigen, die wegen einer Sympathie für Kommunisten verdächtigt wurden, mussten sich vor demütigenden Kommissionen des Kongresses verantworten, wo man eine »Denunziation...

Erscheint lt. Verlag 17.5.2022
Übersetzer Dorothee Röseberg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Naturwissenschaften Geowissenschaften Geografie / Kartografie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Anna Seghers • Arnold Zweig • Aufbau Verlag • Bertolt Brecht • Cheflektor • Christa Wolf • Diktatur • Emigration • Ernst Bloch • Exil • Franz Fühmann • Georg Lukacs • Gruppe Ulbricht • Hanns Eisler • Heiner Müller • Horst Brasch • Intellektuelle • Intelligenzsiedlung • Johannes R. Becher • Juden • Jürgen Kuczynski • kritische Marxisten • Kulturbund • Louis Fürnberg • Max Schroeder • Niederschönhausen • Paul Dessau • Remigranten • Sowjetische Besatzungszone • Stalin • Stalinismus • Stefan Heym • Stephan Hermlin • Thomas Brasch • Ungarn
ISBN-10 3-86284-518-4 / 3862845184
ISBN-13 978-3-86284-518-7 / 9783862845187
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