Wildes Land (eBook)

Die Rückkehr der Natur auf unser Landgut
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2022 | 1. Auflage
416 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-7132-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wildes Land -  Isabella Tree
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Ein einzigartiges britisches Renaturierungsexperiment als Blaupause für Projekte in ganz Europa An stillen Junitagen kann man auf dem Landgut Knepp in West Sussex wieder das unverkennbare Gurren der selten gewordenen Turteltauben hören. Ein wahres Wunder für das ehemals intensiv bewirtschaftete Agrar- und Weideland, das nur 70 Kilometer vom Londoner Stadtzentrum entfernt liegt. Auch die in Großbritannien bedrohten Waldohreulen und Wanderfalken sowie zahlreiche Tagfalter- und Pflanzenarten siedeln sich nun in Knepp an, und jedes Jahr kommen neue hinzu. Als Isabella Tree mit ihrem Mann das wegweisende Renaturierungsprojekt initiierte, ahnte sie noch nichts von der Geschwindigkeit, mit der sich die Natur erholen kann. Trees persönlich geschriebene, faszinierende Geschichte handelt von der Schönheit und Kraft der Natur und gibt Hoffnung. »Diese spannende Geschichte erzählt, wie aus ausgelaugtem Land wieder ein reiches Ökosystem wird, und zwingt uns damit, Landwirtschaft neu zu denken.« THE TIMES

ISABELLA TREE, geboren 1964, ist eine britische Autorin und Reisejournalistin. Von 1993 bis 1995 war sie Reisekorrespondentin beim Evening Standard. Seit 2016 schreibt sie zudem für die Sunday Times, den Observer, History Today und Condé Nast Traveller. Gemeinsam mit ihrem Mann Charlie Burrell lebt sie auf Gut Knepp Castle in West Sussex. Auf YouTube erreicht sie Zehntausende mit ihren Vorträgen zum Knepp-Renaturierungsprojekt.

VORWORT

Die Blumen sind hervorgekommen im Lande, der Lenz ist herbeigekommen, und die Turteltaube lässt sich hören in unserm Lande.

Hohelied Salomos 2,12

Ein stiller Junitag auf unserem Landgut Knepp in West Sussex. Allmählich können wir von »Sommer« sprechen. Auf genau diesen Moment haben wir gewartet, unschlüssig, ob wir auf ihn hoffen sollten oder nicht. Aber er ist da – aus dem Dickicht, das einst eine Hecke war, ertönt ein unverkennbares Gurren: tröstlich, einladend, sanft melancholisch. Wir gehen leise an einer Eruption von Eichen- und Erlenschösslingen vorbei, unter denen sich Wolken von Schlehen, Weißdorn, Hundsrosen und Brombeeren bauschen. In die Begeisterung des Wiedererkennens mischen sich Erleichterung und – obwohl wir das beide nicht zugeben, um das Schicksal nicht herauszufordern – ein Hauch von Triumph. Unsere Turteltauben sind zurück.

Meinen Mann Charlie versetzt ihr sanftes Gurgeln zurück in seine Kindheit, auf die Farm seiner Eltern in Afrika. Von dort kommen die Tauben: Ihre winzigen Flugmuskeln haben sie 4000 Kilometer weit vorangepumpt, von westafrikanischen Ländern wie Mali, Niger oder Senegal über die epischen Weiten der Sahara, das Atlasgebirge und den Golf von Cádiz, die Iberische Halbinsel hinauf, über Frankreich und den Ärmelkanal. Meist fliegen sie im Schutz der Dunkelheit und legen jede Nacht 500 bis 700 Kilometer zurück, mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 60 Stundenkilometern, bis sie, gewöhnlich im Mai oder Anfang Juni, in England landen. Wie die Nachtigallen, ebenfalls Zugvögel aus Afrika, sind sie berüchtigt scheu. Nur ihr Ruf sagt uns, dass sie da sind. Nachtigall und Kuckuck sind meist die Ersten; auch sie kommen zum Brüten her, um ihre Jungen fern der Rivalen und Raubtiere Afrikas großzuziehen und bei der Futtersuche von den langen, hellen Sommertagen Europas zu profitieren.

Für die meisten Menschen unserer Generation, die in den 1960ern geboren und auf dem Land aufgewachsen sind, gehören Turteltauben zum Klang englischer Sommer. Ihr geselliges Gurren hat sich für immer tief in meinem Unterbewusstsein festgesetzt. Aber diese Nostalgie ist verloren gegangen; ich stelle fest, dass die jüngeren Generationen sie nicht kennen. In den 1960er-Jahren gab es in Großbritannien geschätzte 250 000 Turteltauben. Heute sind es weniger als 5000. Wenn der Rückgang sich in diesem Tempo fortsetzen sollte, wird es 2050 keine 50 britischen Brutpaare mehr geben – dann steht die Turteltaube am Rand des Aussterbens. Schon jetzt ist die Bedeutung ihres Namens für uns kaum noch nachvollziehbar: Er leitet sich von dem reizenden lateinischen Wort turtur ab, mit dem das verführerische Gurren nachgeahmt wird. Die Symbolik des »Turtelns«, ihre enge Paarbindung als Allegorie ehelicher Zärtlichkeit und Zuneigung, ihr trauernder Gesang als Lied der verlorenen Liebe – Stoff für Dichter wie Chaucer, Shakespeare und Spenser –, verschwindet ins Fabelreich der Phönixe und Einhörner.

Das Elend der britischen Turteltauben hängt mit der fast vollständigen Verwandlung unserer ländlichen Gegenden zusammen, die in einem Zeitraum von nur fünfzig Jahren stattfand. Neue Formen der Landnutzung und vor allem die intensive Agrarwirtschaft haben die Landschaft so stark umgestaltet, dass unsere Urgroßeltern sie nicht wiedererkennen würden. Die Veränderungen haben auf allen möglichen Ebenen stattgefunden – von der Größe der Felder, die inzwischen ganze Täler und Hügel bedecken, bis zum fast vollständigen Verschwinden einheimischer Wildblumen und Gräser von unserem Agrarland. Kunstdünger und Unkrautvernichtungsmittel haben alltägliche Pflanzen wie Erdrauch oder Acker-Gauchheil ausgerottet, von deren winzigen, kalorienreichen Samen sich Turteltauben ernähren; das Umpflügen von Wildblumenwiesen und die Trockenlegung oder Verschmutzung natürlicher Gewässer haben ihren Lebensraum zerstört.

Aber ist der Verlust dieser Vögel, so liebenswert sie auch sein mögen, ein Grund zur Sorge? Natürlich wären Charlie und ich furchtbar traurig, wenn wir oder unsere Kinder nie wieder den Gesang einer Nachtigall oder einer Turteltaube auf englischem Boden hören würden. Aber ihr Niedergang steht für etwas viel Wichtigeres. Unsere vertrauten Vögel am Himmel wie in der Landschaft sind eine ganz reale Version der Kanarienvögel in den Bergwerken – wenn sie sterben, steht das für ein viel größeres, aber weniger sichtbares Problem. Früher oder später teilen sämtliche anderen Arten ihr Schicksal – darunter auch weniger prächtige Lebensformen wie Insekten, Pflanzen, Pilze, Flechten und Bakterien. Wie der US-Biologe E. O. Wilson vor nur dreißig Jahren erklärte, hängt die Vielfalt des Lebens von einem komplexen Netzwerk aus natürlichen Ressourcen und Beziehungen zwischen verschiedenen Spezies ab. Generell gilt: Je mehr Arten in einem Ökosystem leben, desto produktiver und widerstandsfähiger wird es – das ist das Wunder des Lebens. Je größer die Biodiversität ist, desto mehr Masse an lebenden Wesen kann ein Ökosystem ernähren. Wenn die Biodiversität reduziert wird, kann die Biomasse exponentiell abnehmen; anfälligere Einzelarten gehen dann zugrunde. In seinem Buch Der Gesang des Dodo vergleicht David Quammen ein Ökosystem mit einem Perserteppich: Wenn er in kleine Stücke zerschnitten wird, kommen nicht winzige Teppiche dabei heraus, sondern lauter nutzlose Schnipsel, die an den Rändern ausfransen. Wenn Bestände zusammenbrechen oder Arten aussterben, sind das Anzeichen eines sich auflösenden Ökosystems.

Der bahnbrechende Bericht State of Nature, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 25 verschiedenen britischen Naturschutzverbänden 2013 zusammenstellten, zeichnet ein düsteres Bild der letzten fünfzig Jahre britischer Naturgeschichte. Die Zahlen der am stärksten gefährdeten Arten sind seit den 1970er-Jahren um mehr als die Hälfte gesunken, und jede zehnte Spezies auf unserer Insel ist vom Aussterben bedroht. Die Vorkommen sämtlicher Wildtiere sind dramatisch zurückgegangen. Besonders stark sind Insekten und andere wirbellose Tiere betroffen, deren Zahlen sich seit 1970 mehr als halbiert haben. Die Nachtfalterbestände haben sich um 88 Prozent verringert, die der Laufkäfer um 72 Prozent und die der Tagfalter um 76 Prozent. Bienen und andere Bestäuber sind in Not. Unsere Flora leidet ebenfalls. Samentragende »Unkräuter« – von denen Turteltauben und zahllose andere Arten leben – haben sich seit Beginn der Bestandsaufnahmen in den 1940er-Jahren bis zur Jahrhundertwende jedes Jahr um ein Prozent reduziert. Laut dem Bericht Our Vanishing Flora von 2012 verschwinden unsere Blühpflanzen so schnell, dass in einigen britischen Grafschaften fast jedes Jahr eine Wildblumenart ausstirbt. Und das sind nur die Arten, die identifiziert und überwacht werden können. Zahllose Insekten, Wasserpflanzen, Flechten, Moose und Pilze sind nicht einmal auf dem Radar.

Vor dem Hintergrund dieser fast unvorstellbaren Verluste grenzt das Auftauchen der Turteltauben in Knepp an ein Wunder. Unser Stück wildes Land – 1400 Hektar ehemals intensiv bewirtschaftetes Agrar- und Weideland, nur 70 Kilometer vom Londoner Stadtzentrum entfernt – widersetzt sich dem Trend. Die Turteltauben sind hier, weil wir ein bahnbrechendes Renaturierungsprojekt gestartet haben, das erste seiner Art in Großbritannien. Ihre Rückkehr kam für uns und alle, die mit dem Projekt zu tun haben, vollkommen überraschend.

Schon ein, zwei Jahre nach Beginn des Projekts hörten wir die ersten Turteltauben; vorher waren sie allenfalls vereinzelt gesichtet worden. 2005 waren es drei, 2008 vier, 2013 sieben, und im Jahr 2014 meinten wir elf Männchen singen zu hören. Im Sommer 2017 zählten wir sechzehn. In den letzten Jahren stießen wir sogar manchmal auf Taubenpärchen, die gut sichtbar auf Telefondrähten oder staubigen Feldwegen saßen, ihre rosigen Brustfedern von der Abendsonne vergolden ließen und mit den winzigen Zebrastreifen am Hals einen Hauch von Afrika verströmten – eine Erinnerung daran, dass diese Vögel nur wenige Wochen zuvor über Elefanten hinweggeflogen waren. Ihre Rückkehr nach Knepp ist in Großbritannien eine der wenigen Gegenbewegungen auf ihrem Kurs in Richtung Aussterben – möglicherweise der einzige Anlass für Optimismus.

Aber die Turteltauben sind nicht die Einzigen, die zu uns gefunden haben. Andere in Großbritannien bedrohte Vogelarten – Zugvögel wie Nachtigallen, Kuckucke, Grauschnäpper, Wacholderdrosseln oder Baumfalken und einheimische Arten wie Heide- und Feldlerchen, Kiebitze, Hausspatzen, Kleinspechte, Goldammern oder Waldschnepfen – wurden seit Projektbeginn zahlreich beobachtet oder brüten inzwischen in Knepp. Das Gleiche gilt für Kolkraben, Rote Milane und Sperber, die Fürsten an der Spitze der Nahrungskette. Jedes Jahr kommen neue Arten an. 2015 galt die große Aufregung den Waldohreulen, und 2016 brütete das erste Wanderfalkenpaar. Auch die Bestände häufigerer Vögel explodieren, und Gelegenheitsgäste wie Fischadler, Waldwasserläufer und Seidenreiher tauchen immer öfter auf.

Und es geht nicht nur um Vögel. Andere seltene Lebewesen sind ebenfalls zurück, etwa die Bechstein- und Mopsfledermäuse, Haselmäuse, Blindschleichen, Ringelnattern und Tagfalter wie der Große Schillerfalter, der Nierenfleck-Zipfelfalter und der Ulmen-Zipfelfalter. Die Geschwindigkeit, mit der all dies stattfindet, versetzt Beobachter – und nicht zuletzt uns selbst – in Erstaunen, vor allem...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2022
Übersetzer Sofia Blind
Sprache deutsch
Original-Titel Wilding. The Return of Nature to a British Farm
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Naturwissenschaften Biologie
Naturwissenschaften Geowissenschaften Geografie / Kartografie
Wirtschaft
Schlagworte Artensterben • Artenvielfalt • back to the roots • Bäume • Biber • Biodiversität • Biologie • Blaupause • buch wie lewis-stempel • buch wie wohlleben • burrell • Eiche • England • erhaltung von lebensraum • Fauna • Flora • Geschenk • Geschenkbuch • Großbritannien • John Lewis-Stempel • Klimawandel • klimawandel hoffnung • Knepp Castle • Kultivierung • Landleben • Landschaft • Landwirtschaft • langhornrinder • leben in natur • lewis-stempel • nachhaltige Landwirtschaft • Nachhaltigkeit • Nachtigall • Natur • Naturbuch • Nature writing • Naturliebe • Naturschutz • Ökologie • Peter Wohlleben • Renaturierung • Schmetterlinge • Schönheit der Natur • seltene Tierarten • Südengland • Tiere • Tierwelt • Turteltaube • UK • Umwelt • Umweltschutz • Ursprünglichkeit • Weidehaltung • Weißer Storch • West Sussex • Wild • wilde Natur • Wildpferde • Zerstörung der Natur
ISBN-10 3-8321-7132-0 / 3832171320
ISBN-13 978-3-8321-7132-2 / 9783832171322
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