Die Kunst des stilvollen Wanderns – Ein philosophischer Wegweiser (eBook)

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2020 | 1. Auflage
224 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-5036-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Kunst des stilvollen Wanderns – Ein philosophischer Wegweiser - Stephen Graham
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»Wenn das Herz trüb ist, liegt das oft nur an einer zu dünnen Sohle.«
Stephen Graham
Der schottische Schriftsteller Stephen Graham war einer der ersten, der dazu aufrief, die Welt zu Fuß zu entdecken - und sich auf unbekannte Wege vorzuwagen. Fernab der Straßen, allein mit sich und der Natur. In seinem Wanderratgeber aus dem Jahr 1926 nimmt er uns mit in eine Zeit, in der viele die Folgen der Industrialisierung schon spürten, doch unsere High-Tech-Welt noch ferne Zukunft war. Seine tiefsinnigen Gedanken und zeitlosen Ausrüstungstipps haben ihn zum Kultautor gemacht - der uns nicht nur verrät, wie wir den Boden unter den Füßen wieder spüren lernen können, sondern uns mit dem besten Proviantpaket gegen den Überdruss unserer Zeit versorgt.



Stephen Graham (1884-1975) war britischer Journalist, Reiseschriftsteller und Essayist - und gehört zu den Globetrottern der ersten Stunde. Seine bekanntesten Bücher erzählen von seinen Reisen durch das zaristische Russland und nach Jerusalem. Viele seiner Werke sind geprägt durch seine Sympathie für die mittellose Bevölkerung, für Landarbeiter und Herumreisende sowie durch seine offene Abneigung gegenüber der aufkommenden Industrialisierung. »Die stilvolle Art des Wanderns« erschien erstmals 1926 und avancierte unter angelsächsischen Wanderfreunden zum ultimativen Geheimtipp.

4
Die Garderobe

Bekleidung

»Armseliger Messerschleifer«, sprach der Dichter, »dein Hut hat ein Loch, genau wie deine Hosen.«1 Das wäre nicht nötig gewesen. Sie sollten ein Reisenähset (dieses kleine Mäppchen mit Nadel und Faden, das manchmal in Hotels auf der Frisierkommode bereitliegt) dabeihaben und die Löcher flicken. Ich fürchte, der Hut dieses Messerschleifers war aus Filz, vermutlich eine verbeulte Melone, doch wir Wanderer haben mit Filz nichts am Hut. Die Bowler und Derbys und sonstige Filzhüte sind nicht unser Stil. Es gab Zeiten, da waren die Menschen mit Schaufelhüten unterwegs: Ich sehe vor meinem geistigen Auge den Pastor Adams2 daherschlurfen, seine dünnen Strähnen gekrönt von solch einer düsteren Kopfbedeckung. Und Abraham Lincoln trieb mit einem speckigen Zylinder auf dem Kopf sein Unwesen. Wir machen das anders, wir wandern mit Tweedhüten, Kappen oder ganz ohne Hut. Auch wenn wir uns deshalb nicht für jemand Besseren halten, wissen wir doch, dass das bequemer ist.

Wir tragen auch keine Krawatten mehr. Man sollte zwar in einer Tasche des Rucksacks Schlips und Kragen aufbewahren, die man notgedrungen anlegen kann, falls man gezwungen ist, eine Post, eine Bank, einen Geistlichen oder die Polizei aufzusuchen. Ansonsten lassen wir den obersten Hemdknopf bevorzugt offen und sind mit freien Hälsen und Kehlen unterwegs.

Wir wandern auch nicht mit Stulpen oder Gamaschen oder in eleganten Westen. Die Weste ist als Kleidungsstück völlig unerwünscht und daher getrost wegzulassen. Auch Unterjacken sind eher überflüssig. Ein Mann kann auf eine Reihe von Dingen verzichten. Es steht mir nicht an zu sagen, was eine Frau entbehren kann, keinesfalls jedoch braucht sie einen Hut mit Federn oder Hutnadeln. Wenn ich sie mir so in der Wildnis vorstelle, würde ich sagen, dass sie so gut wie alles ablegen kann, was sie gemeinhin trägt (abgesehen vielleicht von einem Haarnetz) und dann auf »vernünftige« Bekleidung zurückgreift. Die grünen und braunen Fräuleins »im hübschen Anzug eines Knaben«3 sind in den Vereinigten Staaten inzwischen ein so vertrauter Anblick, dass es beinahe überflüssig scheint, sie zu beschreiben. Eine Kakibluse und Kniebundhosen, grüne Wickelgamaschen oder Strümpfe sowie ein stabiles Paar Schuhe sind so gut wie ausreichend: ganz einfach, ganz praktisch und – falls jemand beim Wandern das Aussehen nicht außer Acht lassen möchte – auch durchaus kleidsam.

Das Material ist wichtiger als der Schnitt. Handgestricktes, Tweed und Cord sind besser als Flanell, Wollserge oder minderwertige Stoffe. Wandern wirkt sich zerstörerisch auf Materialien aus: Offensichtlich ruinieren Sonne und Regen, die Funken des Lagerfeuers und heißer Rauch das Gewebe sehr schnell. Nach etwa einem Monat zeigt sich eine Art Verrottung, und während man durch den Wald geht, zerrt jeder morsche Ast und jeder winzige Dorn, an dem man versehentlich hängen bleibt, an den Hosen. Das kann sich als enervierend oder auch unterhaltsam erweisen. »Wenn mich der Anblick der Landschaft langweilt, dann blicke ich auf deine Hosen«, teilte mir Lindsay in den Rockies mit – er trug in überlegener Selbstgerechtigkeit grünen Cord, ich einfach alte Stücke, von denen ich dachte, ich könnte sie beim Wandern gut noch auftragen. Das habe ich in der Tat getan: Wir waren irgendwann gezwungen, aus der Wildnis in die Zivilisation zurückzukehren, wo mir der Dichter ein Paar Cowboyhosen von der Stange kaufte.

Doch Arbeiterhosen, befestigt mit Arbeiterhosenträgern, sind das Beste von allem. In den Vereinigten Staaten werden Hosenträger mit der Bezeichnung »für Polizisten und Feuerwehrleute« verkauft, die ohne Zweifel sehr robust sind und auch einer Beanspruchung durch viel Springen standhalten. Die vermitteln Ihnen die Gewissheit, allem gewachsen zu sein, und dieses Gefühl ist vergleichbar mit einem guten Gewissen – sehr erstrebenswert.

Was bleibt noch übrig? Eine Jacke. Die darf auch aus Tweed sein, mit einem halben Dutzend geräumiger Taschen. Auf einem Jahrmarkt sah ich einmal einen Kerl, der behauptete, den Charakter eines Menschen lesen zu können: »Zeig mir deinen Hut, und ich sage dir, wer du bist.« Er hatte jede Menge Anschauungsobjekte. Ich gab ihm meinen, und er sagte: »Sie, Sir, sind ein Denker. Ihre Gedanken quellen unaufhörlich aus Ihrem Kopf und ruinieren so das ausgezeichnete Futter.« Er streckte den Hut in die Höhe, damit die Menge ihn sehen konnte. »Dies ist der Hut eines Mannes, der nur in den besten Geschäften kauft, aber seinen Hut sehr lange trägt. Er ist stolz und sparsam zugleich, vermutlich ein Schotte.«

Hätte ich meine Jacke ausgezogen, hätte er mir vermutlich noch viel mehr erzählen können. Von Büchern ausgebeult, zugleich durchlöchert von den Halterungen der Füllfederhalter, fleckig von Tinte und Wein, gebleicht von der Sonne, verwaschen vom Regen, von den Funken des Lagerfeuers angenagt, von missgünstigen Dornen zerfranst, aber nicht zerrissen; insgesamt gut ausgeleiert, zurechtgeschlafen, eingewandert. Andere Bestandteile der Garderobe nutzen sich ab, sie kommen und gehen, doch die Jacke bleibt, vorausgesetzt es handelt sich um ein gutes, vernünftiges, unzerstörbares Exemplar.

So eine Jacke hält warm. Dabei geht es gar nicht um den frühen Morgen, die Stunden nach Sonnenaufgang, auch nicht um den Abend, die Dämmerung. In der Tageshitze können Sie sie ausziehen, wenn Sie möchten, und sie ordentlich zusammengelegt an Ihrem Rucksack befestigen. Es ist sehr angenehm, wenn kühle Luft auf die schwitzende Brust trifft. Dass die warme Jacke Ihr Freund ist, werden Sie verstehen, sobald Sie zwei Tage mit ihr unterwegs waren. Das robuste Stück steht Ihnen in den Stunden bei, in denen Sie Unterstützung nötig haben. Sie werden sich schnell an ihr Gewicht gewöhnen, und dass sie dick ist, hilft, den Rucksack bequem zwischen die Schultern zu betten.

Thomas Carlyle schrieb ein Buch namens Sartor Resartus4, in dem es um Bekleidung geht, um die Innerlichkeit der Spezies Mensch, dieses umherstreifenden Zweibeiners, der im Garten Eden plötzlich entdeckte, dass er in Wahrheit hässlich und ein beschämender Anblick war, und seither versucht, sich zu verstecken, hinter Feigenblättern und Phrasen, Gebetsriemen und Philosophien. Das soll dem Wanderer als Motto dienen: ein Feigenblatt und eine Phrase! Doch bitte, lieber Sartor, lieber Mr. Mallaby-Deeley5, ein richtig robustes Feigenblatt!

Narrenkleider

»Die Jacke lob ich mir […] Steckt mich in meine Jacke, gebt mich frei, zu reden, wie mir ’s dünkt …«6

Das Privileg des Hofnarren ist es, dem König die reine Wahrheit ins Gesicht sagen zu dürfen, ohne das Leben zu riskieren, selbst dann, wenn der Henker mit dem Beil neben ihm steht. Aber er muss dabei seine Narrenkappe tragen. Wenn er als Höfling gekleidet den gleichen bösen Scherz macht, tritt der Henker vor und befreit ihn von seinem unwerten Denkorgan. Der Grieche, der die Aufgabe hatte, seinem großen Alexander nach jedem glorreichen Sieg mitzuteilen, dass auch er sterblich sei, trug vermutlich auch eine Art Narrenkleid. Solche Dinge lassen sich nicht aussprechen ohne ein Gewand, das einen freispricht. Das Gleiche galt für Diogenes. Er konnte in einem intoleranten Zeitalter nur deshalb so viele unbequeme Wahrheiten zum Besten geben, weil er in einer Tonne lebte. Diese Tonne war seine Narrenkappe. Die Wanderkluft ist unsere.

Es gibt Kleidung, die einem die Freiheit nimmt, und solche, die sie einem zurückgibt. Das als Gesellschaftsanzug bezeichnete düstere Gewand macht einen zum Gefangenen der Zivilisation – in der Kluft des Wanderers dagegen ist es nicht nötig, auf der Hut zu sein. Was für ein Unterschied zwischen dem Mann, der gerade noch eine Anwaltsrobe getragen hat und nun in rauchgeschwängerten Tweed gehüllt in einer Höhle liegt. Natürlich dauert es eine Weile, bis man ihn so weit hat. Noch Wochen, nachdem er die Zivilisation verlassen hat, trägt er einen Phantom-Zylinder und einen unsichtbaren Gehrock. Genau wie die modebewusste Dame, die einen Hut auf ihre Haarpracht setzt, um die ursprüngliche Eva darunter zu verbergen: Sie wird noch lange nach ihrer Verwandlung in eine Waldnymphe an diese falsche Kopfbedeckung denken.

Das Narrenkleid hat einen doppelten Nutzen, der in Shakespeares bewundernswürdigen Hanswurstiaden nicht zum Tragen kommt. Es ermöglicht nicht nur scharfsinnige Witze in Gegenwart des Prinzen – auch der Prinz kann umgekehrt im Narrenkleid völlig ungezwungen dem einfachen armen Mann begegnen. Was dem Ochsen erlaubt ist, ist in diesem Fall auch Jupiter erlaubt.

Die Klassen sind die verwerflichste Erfindung der Zivilisation, denn sie ziehen Mauern zwischen den Menschen. Der Mann aus der Erste-Klasse-Kabine kann sich im Zwischendeck nicht zu Hause fühlen. Er kann mit seinem Mitmenschen da unten reden, aber dieser Mitmensch wird vor ihm strammstehen wie der Gefreite vor dem Offizier oder trotzig wie ein Angeklagter vor dem Strafgericht. Das ist nicht der Fehler des Schwächeren, des Proletariers – er wittert dahinter eine Masche. Das eigene Verhalten kann nicht bis zur Gleichheit angepasst werden. Man steht nicht auf gleicher Stufe, und der Höherstehende wird den jovialen Ton in seiner Stimme nicht los. »Verdammt, tun Sie nicht so nett«, signalisiert der Blick des Dritte-Klasse-Passagiers. Doch diesen absurden, unbeabsichtigt jovialen, diesen »Sagen Sie mal, guter Mann«-Ausdruck im Gesicht wird man nicht los.

»Was ist es, alter Mann?«, sprach ich,

...

Erscheint lt. Verlag 30.4.2020
Übersetzer Andrea Kunstmann
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Original-Titel The Gentle Art of Tramping
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Sport
Reisen Reiseberichte
Reisen Sport- / Aktivreisen
Naturwissenschaften Geowissenschaften Geografie / Kartografie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Backpacking • Geschenk • Geschichte • Klassiker Bücher • Philosophie • Reisen • Wandern • Wandern Buch • wandern england • wandern für anfänger
ISBN-10 3-7499-5036-9 / 3749950369
ISBN-13 978-3-7499-5036-2 / 9783749950362
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