Menschen mit Demenz am Lebensende begleiten (eBook)

Praxisleitfaden für Pflege, Betreuung und Management
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
170 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61049-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Menschen mit Demenz am Lebensende begleiten -  Tamara Gehring-Vorbeck
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Gibt es Besonderheiten, wenn Menschen mit Demenz sterben? Wie sieht eine gute Sterbebegleitung aus? Wie können professionell Pflegende sowie Angehörige bei dieser schweren Aufgabe Entlastung finden? Welche Rahmenbedingungen sollte das Einrichtungsmanagement schaffen? Die Autorin informiert über den Sterbeprozess bei Demenz. Sie gibt Anregungen, wie Pflege in verschiedenen Institutionen (Heim, Klinik etc.) und ambulant organisiert werden kann, um eine würdevolle Sterbekultur zu etablieren. Anschaulich und einfühlsam zeigt sie, wie man den Betroffenen noch in den letzten Lebenstagen Sicherheit und Geborgenheit vermitteln kann.

Dr. Tamara Gehring-Vorbeck, Krankenschwester mit Weiterbildung zur Pflegedienst- und Heimleitung, Studium Pflegemanagement , ist Dozentin und Referentin zum Themenbereich Demenz und Management-/Führungskräftecoaching.

Dr. Tamara Gehring-Vorbeck, Krankenschwester mit Weiterbildung zur Pflegedienst- und Heimleitung, Studium Pflegemanagement , ist Dozentin und Referentin zum Themenbereich Demenz und Management-/Führungskräftecoaching.

Auftakt

Menschen mit Demenz zu pflegen und zu betreuen bedeutet, mit Empathie, Emotionen und unterschiedlichsten Gefühlen umzugehen. Wenn jemand im privaten Umfeld pflegt, oder seinen Beruf im Umfeld der Kranken- und Gesundheitspflege oder in der Altenhilfe wählt, so hat er dafür eine bestimmte Motivation. Nämlich Menschen zu helfen, sie zu unterstützen oder in ihrer Situation zu begleiten. Aktuelle demographische Zahlen sagen aus, dass aufgrund einer immer höher werdenden Lebenserwartung und der stetigen Erhöhung des Altersdurchschnittes die Zahl älterer und auch multimorbider Menschen konsequent zunehmen werden.

Prognosen für die Zukunft unserer Weltgesellschaft lassen weltweit einen stetigen Anstieg der aktuell geschätzten Anzahl von Demenzerkrankungen von 35,6 Millionen auf 115 Millionen erwarten (Wallesch & Förstl, 2017, S. 18). In Deutschland und allen anderen Industrienationen hat – wie schon oben kurz erwähnt – der demographische Wandel, die stetige medizinische Weiterentwicklung und die dadurch folgende höhere Lebenserwartung nicht nur eine gesellschaftliche Entwicklung, sondern auch einen Anstieg der Anzahl von Menschen mit Demenz bewirkt. So wird es auch zu größeren Herausforderungen im Gesundheits- und Pflegewesen kommen.

Dies überträgt sich in der Folge nicht nur auf das professionelle, sondern auch das Laienpflegewesen der Angehörigenpflege.

Pflege ist im weitesten Sinne ein Dienst an Menschen, deren Körper und auch deren Seele. Sowohl unter professionell Pflegenden als auch unter Angehörigen ist ein aktives Auseinandersetzen mit dem dementiellen Syndrom unerlässlich, um sich rechtzeitig mit dem auf sie zukommenden Wandel auseinanderzusetzen und sich – zumindest als Angehörige – auf veränderte Lebenssituationen einstellen zu können.

Professionell Pflegende, wie auch pflegende Angehörige haben im Prinzip ein Doppelmandat, welches sie zu vertreten haben. Sie sorgen für und betreuen den Menschen in diesem Zusammenhang. Ganz speziell auch dementiell veränderten Menschen im Sterbeprozess geben sie nicht nur körperlich, sondern auch durch ihre Zuwendung und Empathie im seelischen Bereich Sicherheit und Orientierung. Gerade hier sind hohe Anforderungen an sie gestellt.

Gleichzeitig besteht noch eine weitere Doppelaufgabe, zumindest wird es in vielen Fällen als solche verstanden: Zum einen haben Pflegende die Aufgabe, selbstständig und eigenständig alle pflegerischen Maßnahmen – dazu gehören auch die vorherige Planung und eine eventuelle Beratung – durchzuführen. Zum anderen gehört es zu den Aufgaben professionell Pflegender oder auch Angehöriger, nach Anweisung und Delegation ärztliche Anordnungen auszuführen und medizinische Hilfeleistungen zu übernehmen. Dies kann in bestimmten Fällen zu einem Spannungsfeld führen. Kommunikative Fähigkeiten sind hier sehr gefragt. Da aber beide Gruppen im gemeinsamen Interesse für den Betroffenen handeln, sind sie gegenseitig aufeinander angewiesen.

Menschen mit Demenz sind orientierungsbedürftig, sicherheitssuchend, fordernd oder zurückhaltend, verletzlich oder aggressiv, agil oder regungslos verharrend. Pflegende sind immer „nah am Ball des Geschehens“, viel näher als dies jemals ein Arzt sein kann.

Zu Beginn sei noch ein Punkt vorangestellt und um Verständnis gebeten: In diesem Praxisleitfaden wird häufiger von Pflegenden und Betreuenden gesprochen, dies kann in Verbindung und auch als Synonym angesehen werden. Professionell Pflegende sorgen, pflegen und betreuen die Menschen mit Demenz am Lebensende pflegerisch. Betreuungskräfte nach §§ 87b/53c tun dies in den ihnen eigenen Belangen ebenfalls. Sie betreuen, beschäftigen und pflegen diese Menschen sozial sowie lebensumweltlich und in so manchen kleinen Dingen vielleicht auch körperlich. Deswegen werden die Begriffe in beiden Bedeutungen synonym verwendet.

Die Menschheit hat seit Beginn ihrer Geschichte mit Alter und Altern in ihrer Gesellschaft zu tun. Altern, Gebrechlichkeit und Senilität, ein normaler Prozess im Verlauf des Lebens, wurde bereits in Texten der alten Ägypter beschrieben.

„Oh König, mein Herr! Gebrechlichkeit ist mir beschieden, das Greisenalter ist eingetreten, die Altersbeschwerden sind gekommen, und Hilflosigkeit ist erneut da. Die Kraft schwindet dahin für den mit ermattetem Herzen. Der Mund schweigt, er kann nicht (mehr) sprechen, die Augen sind schwach, die Ohren taub, man liegt unbequem da allezeit. Das Herz ist vergeßlich und kann sich an gestern nicht erinnern, die Knochen leiden durch das Alter“ (Hornung, 1995).

Der zitierte Textausschnitt entstand gegen Ende des Alten Reiches (ca. 2500–2200 v. Chr.) und wurde einem Wesir Ptahhotep in den Mund gelegt, der unter Pharao Asosi, einem der letzten Herrscher der 5. Dynastie gewirkt haben soll.

In der heutigen Zeit erlebt die Weltbevölkerung insgesamt also eine Steigerung des Lebensalters hin zur Hochaltrigkeit. So haben Gesellschaften die Sorge und Versorgung einer stark anwachsenden Zahl älter werdender, vermehrt seniler, dementiell veränderter und multimorbider Menschen anzunehmen.

In Deutschland werden nach neueren Zahlen ca. 60 Millionen Euro jährlich in die Pharmaforschung investiert, knapp 10 Prozent – also sechs Millionen Euro – betragen die Forschungsgelder für Pflegeforschung. Wäre es hier nicht sozialer – im Sinne von innovativem Handeln –, einen Teil der Finanzen umzuschichten und vermehrt in Praxisansätzen zu forschen, was Menschen mit Demenz wirklich benötigen?

Annähernd jeder, der mit solchen Menschen in Kontakt ist, weiß, dass sie weder Zeitdruck, noch Spannung ertragen. Dass Stress gerade bei diesen Menschen zu Widerstand, Antipathie und Rückzug führt (Bode, 2014). Gerade am Ende des Lebenswegs sollten Menschen solche Situationen weitgehend erspart bleiben. Unsere Gesellschaft braucht, neben fundiert ausgebildeten Fachkräften, Menschen mit Mut und Visionen, die Alternativen in der Demenzpflege und -betreuung aufzeigen und neue Wege gehen. Unsere Gemeinschaft benötigt ein ausdrucksstarkes Engagement aus seiner Mitte heraus, Bürgersinn, oder bürgerliches Engagement wäre hier vielleicht der richtigere Ausdruck.

Ein Netzwerk der Versorgung und Betreuung wäre aufzustellen, welches sich umfassend – mit genügend zeitlichen und finanziellen Ressourcen ausgestattet – um die Menschen mit Demenz während des Fortschreitens ihrer Symptomatik kümmert, sie begleitet, fördert und fordert, sie umfängt, umsorgt und betreut.

Abbildung 1 zeigt, in welchen Versorgungsnetzwerken Menschen mit Demenz optimalerweise eingebettet sein können. Daraus ergeben sich die Herausforderungen für die Gesamtspanne des Lebensweges bis zur letzten Lebensphase: dem Sterben. Unsere Gesellschaft im Allgemeinen, professionell Pflegende, Betreuende und pflegende Angehörige im Speziellen, müssen sich den verschiedensten Aspekten und Herausforderungen stellen und diese annehmen. Dies sollte mithilfe dieses Buches leichter möglich sein können.

Abb. 1: Netzwerker in der Betreuung und Pflege dementiell veränderter Menschen (nach Isfort, 2012)

Sterben an sich ist etwas sehr Individuelles. So ist auch die Besonderheit des letzten Lebensweges bei Demenz zu erklären, denn: Es ist nicht selbstverständlich, dass Menschen mit Demenz so sterben wie Nichtdemente, schließlich verändert Demenz den Menschen schon im Leben, so ist dies im Sterben wohl auch anzunehmen (Gehring-Vorbeck, 2011).

Es stellt sich auch die Frage, inwieweit ein sterbender Mensch mit Demenz seinen letzten Lebensweg selbst beeinflussen kann und dies damit als eine kognitive Leistung bezeichnet werden muss, welche diesen Menschen in weiten Teilen abgesprochen wird. Auch auf diesen Bereich soll in diesem Buch eingegangen werden. Das Buch ist folgendermaßen aufgebaut:

Zuerst werden zu den verschiedenen Themenbereichen die wichtigsten theoretischen Grundlagen gelegt, um gemeinsam von einem ähnlichen Wissensstand ausgehen zu können. Dann folgen – sofern möglich –

BEISPIEL

Fallbeispiele: In diesem Format werden Einzelfälle aus der Praxis und Alltagsbeobachtung beschrieben.

Und:

!

Merksätze im Sinne von: Was kann getan werden, oder was ist gut zu tun oder Anregungen zum eigenen Handeln.

Und

wenn möglich und notwendig, Ansätze zum Nachdenken und Reflektieren des eigenen Denkens und Handelns, eine Einladung zum Perspektivenwechsel.

Und

ab und an wird es auch notwendig sein, mit einem Exkurs bestimmte Aspekte und Zusammenhänge zu verdeutlichen. Diese Texte werden in diesem Format gekennzeichnet sein.

So kann der Lesende sich leichter im Buch zurechtfinden und auf schnelle Art und Weise von der Theorie zu den Praxisansätzen, Merksätzen, oder Anregungen zu weiterführenden Gedanken gelangen.

Der dementiell veränderte Mensch benötigt große menschliche Zuwendung, Geduld und Verständnis sowie das Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit. Eine menschliche, respektvolle Haltung und Fachwissen sind bei der Versorgung der Betroffenen unabdingbar. Die Umwelt muss an die Bedürfnisse und Fähigkeiten der veränderten Menschen angepasst werden, nicht anders herum. Auch eine gute Unterstützung der Angehörigen stärkt die Bedürfnisse der Betroffenen. Eine Weiterentwicklung der Qualität in den Versorgungsstrukturen und den staatlichen Förderungen, von dementiell veränderten Menschen, gehört ebenfalls zu ihren Bedürfnissen (Lützau-Hohlbein, 2007, o.S.) Deswegen nun: In...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2018
Reihe/Serie Reinhardts Gerontologische Reihe
Reinhardts Gerontologische Reihe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Pflege
Naturwissenschaften Biologie
Schlagworte Demenz • Pflege • Pflegedienst • Sterbebegleitung • Sterbekultur
ISBN-10 3-497-61049-6 / 3497610496
ISBN-13 978-3-497-61049-5 / 9783497610495
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