Das hässliche Universum (eBook)
368 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490283-8 (ISBN)
Sabine Hossenfelder, geb. 1976, studierte Physik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo sie auch mit Auszeichnung promovierte. Nach Forschungsaufenthalten in den USA, Kanada und Schweden ist sie gegenwärtig Research Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Studies. Neben ihren zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen schreibt sie auch regelmäßig für Magazine wie u.a. »Spektrum der Wissenschaft«, »Scientific American« oder »New Scientist«. Darüber hinaus betreibt sie einen Blog zu allgemeinen wissenschaftlichen Fragen. Auf Youtube hat sie einen eigenen Kanal mit u.a. eigenen Musikvideos.
Sabine Hossenfelder, geb. 1976, studierte Physik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo sie auch mit Auszeichnung promovierte. Nach Forschungsaufenthalten in den USA, Kanada und Schweden ist sie gegenwärtig Research Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Studies. Neben ihren zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen schreibt sie auch regelmäßig für Magazine wie u.a. »Spektrum der Wissenschaft«, »Scientific American« oder »New Scientist«. Darüber hinaus betreibt sie einen Blog zu allgemeinen wissenschaftlichen Fragen. Auf Youtube hat sie einen eigenen Kanal mit u.a. eigenen Musikvideos.
viel geistreicher und leichtfüßiger [...], als das Thema vermuten lässt.
Mit kritischem Reflexionsvermögen, das die Autorin von der aktuellen Forschung einfordert, wird man dieses gut geschriebene Buch mit großem Gewinn lesen.
Mutig und frech
Sabine Hossenfelder ist ein aufrüttelndes, nachhallendes und sehr zugängliches Buch gelungen.
ein äußerst informatives, kluges und unterhaltsames Stimmungsbild.
Unsichtbare Freunde
Die Umzugsleute haben meine Kisten weggetragen, von denen ich die meisten erst gar nicht ausgepackt hatte, weil ich wusste, dass ich hier nicht bleiben würde. Aus den leeren Schränken weht mich die Erinnerung an frühere Umzüge an. Ich rufe meinen Freund und Kollegen Michael Krämer an, Physikprofessor in Aachen.
Michael arbeitet im Bereich der Supersymmetrie, kurz »Susy«. Susy sagt eine Vielzahl noch unentdeckter Elementarteilchen voraus, jeweils einen Partner für die bereits bekannten Teilchen und noch einige mehr. Von den vorgeschlagenen neuen Naturgesetzen ist Susy gegenwärtig das beliebteste. Tausende meiner Kollegen setzten bei der Wahl ihrer Laufbahn darauf. Doch bislang konnte man keins dieser zusätzlichen Teilchen ausfindig machen.
»Ich glaube, anfangs habe ich an Susy gearbeitet, weil sich während meiner Studienzeit Mitte bis Ende der 1990er Jahre alle Welt darauf stürzte«, sagt Michael.
Die Mathematik bei Susy sieht ganz ähnlich aus wie bei den bereits etablierten Theorien, und der Standardlehrplan für Physikstudenten ist eine gute Vorbereitung für die Arbeit an Susy. »Es war ein klar umrissener Rahmen; daher war es leicht«, erklärt Michael. Er hatte eine gute Wahl getroffen. Michael erhielt 2004 eine Anstellung und ist heute Leiter der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Forschungsgruppe »New Physics« am Large Hadron Collider.
»Außerdem gefallen mir Symmetrien. Deshalb war die Sache attraktiv für mich.«
Wie bereits erwähnt, haben wir bei unserer Suche nach einer Antwort auf die Frage, woraus die Welt besteht, 25 verschiedene Elementarteilchen gefunden. Die Supersymmetrie ergänzt diese Sammlung durch eine Reihe noch unentdeckter Partnerteilchen, eins für jedes der bereits bekannten sowie einige zusätzliche Teilchen. Diese supersymmetrische Vervollständigung ist verlockend, weil die bekannten Teilchen in zwei verschiedene Kategorien fallen, die Fermionen und die Bosonen (benannt nach Enrico Fermi und Satyendranath Bose), und die Supersymmetrie erklärt, wie diese beiden Kategorien zusammengehören.
Fermionen sind extreme Individualisten. Sosehr man es auch versucht, man wird nie zwei von ihnen dazu bringen, sich am selben Ort in derselben Weise zu verhalten – es muss stets einen Unterschied zwischen ihnen geben. Bosonen hingegen haben diesen Anspruch nicht und kommen gern zu einem gemeinsamen Tanz zusammen. Deshalb sitzen Elektronen, die Fermionen sind, auf getrennten Schalen um einen Atomkern. Wären sie Bosonen, würden sie stattdessen auf derselben Schale zusammensitzen, so dass das Universum keine Chemie hätte – und keine Chemiker, da unsere eigene Existenz auf der Weigerung der kleinen Fermionen beruht, ihren Platz mit anderen zu teilen.
Der Theorie der Supersymmetrie zufolge bleiben die Naturgesetze unverändert, wenn Bosonen gegen Fermionen ausgetauscht werden. Das bedeutet, dass jedes bekannte Boson einen fermionischen und jedes bekannte Fermion einen bosonischen Partner haben muss. Doch abgesehen von dieser unterschiedlichen Zugehörigkeit müssen die Partnerteilchen identisch sein.
Da keines der bereits bekannten Teilchen diesen Anspruch erfüllt, wurde gefolgert, dass sie keine supersymmetrischen Paare bilden. Also muss es Teilchen geben, die noch ihrer Entdeckung harren. Es ist, als hätten wir eine Sammlung nicht zusammenpassender Töpfe und Deckel und wären überzeugt, dass die passenden Teile irgendwo zu finden sein müssen.
Doch leider lässt sich aus den Gleichungen der Supersymmetrie nicht die Masse der jeweiligen Susy-Partner ablesen. Da für die Erzeugung von Teilchen umso mehr Energie nötig ist, je schwerer sie sind, lässt sich ein Teilchen mit größerer Masse nicht so leicht auffinden wie ein leichteres Exemplar. Bislang wissen wir nur, dass die Superpartner, wenn sie denn existieren, so schwer sind, dass die Energie in unseren Experimenten bislang nicht ausreicht, um sie zu erzeugen.
Es spricht vieles für die Supersymmetrie. Abgesehen von der durch sie gewonnenen Erkenntnis, dass Bosonen und Fermionen zwei Seiten ein und derselben Medaille sind, trägt Susy auch zur Vereinigung elementarer Kräfte bei und könnte mehrere numerische Koinzidenzen erklären. Darüber hinaus besitzen manche supersymmetrischen Teilchen genau die richtigen Eigenschaften für Dunkle Materie. Mehr dazu werde ich in den späteren Kapiteln darlegen.
Die Hypothese der Supersymmetrie fügt sich so genau in die bestehenden Theorien, dass zahlreiche Physiker von ihrer Richtigkeit überzeugt sind. »Trotz der Bemühungen vieler hundert Physiker, die auf der Suche nach diesen Teilchen Experimente durchgeführt haben, konnten keine Superpartner beobachtet oder entdeckt werden«, schreibt der Physiker Dan Hooper vom Forschungszentrum für Teilchenphysik Fermilab bei Chicago. Doch »dies schreckte die theoretischen Physiker nicht ab, die leidenschaftlich daran festhalten, dass die Natur so beschrieben werden kann – als supersymmetrisch. Für viele dieser Wissenschaftler ist die Supersymmetrie einfach zu schön und zu elegant, als dass sie nicht Teil unseres Universums sein könnte. Sie löst zu viele Probleme und passt allzu natürlich in unsere Welt. Für diese wahren Gläubigen müssen die Superpartnerteilchen einfach existieren.«[2]
Hooper ist nicht der Einzige, der darauf hinweist, wie ausgeprägt diese Überzeugung ist. »Vielen theoretischen Physikern fällt es schwer zu glauben, dass die Supersymmetrie nicht irgendwo in der Natur eine Rolle spielt«, stellt der Physiker Jeff Forshaw fest.[3] Und in einer Ausgabe des Scientific American von 2014 stützen die Teilchenphysiker Maria Spiropulu und Joseph Lykken ihre Hoffnung, dass der Beweis eines Tages erbracht wird, mit der Aussage, es sei »nicht übertrieben zu sagen, dass die meisten Teilchenphysiker der Welt glauben, die Supersymmetrie müsse richtig sein« (Hervorhebung durch die Autoren).[4] Noch attraktiver wird Susy durch die Tatsache, dass eine Symmetrie zwischen Bosonen und Fermionen lange als unmöglich galt, weil ein mathematischer Beweis dies auszuschließen schien.[5] Doch kein Beweis ist besser als seine Voraussetzungen. Wie sich herausstellte, ist die Supersymmetrie, lockert man die Voraussetzungen, die größtmögliche Symmetrie, die in existierende Theorien eingebaut werden kann.[6] Und wie könnte die Natur eine so schöne Idee nicht umsetzen?
»Für mich war der schönste Aspekt von Susy stets der, dass sie die größtmögliche Symmetrie darstellte«, erinnert sich Michael. »Ich fand das faszinierend. Als ich von dieser Ausnahme erfuhr, dachte ich: ›Oh das ist interessant‹, weil mir dieser Gedanke – man geht von Symmetrien aus und findet die richtigen Naturgesetze, selbst wenn man nicht genau weiß, warum es funktioniert – als ein starkes Prinzip erschien. Deshalb hielt ich es für lohnend, die Sache weiterzuverfolgen.«
Als ich Ende der 1990er Jahre studierte, standen die einfachsten Susy-Modelle bereits im Widerspruch zu den vorhandenen Daten, und der Prozess der Bildung komplexerer und dennoch handhabbarer Modelle hatte begonnen.[7] Ich sah darin ein Arbeitsgebiet, in dem man nichts Neues formulieren konnte, solange man die vorausgesagten Teilchen noch nicht entdeckt hatte. So beschloss ich, mich von Susy fernzuhalten, bis dieser Fall eingetreten war.
Aber er trat nicht ein. Mit dem Großen Elektron-Positron-Speicherring (LEP, Large Electron Positron Collider), der bis 2000 in Betrieb war, wurde kein Beweis für Susy erbracht. Und auch im Tetravon, einem Speicherring, der höhere Energien erreichte als der LEP und bis 2011 lief, wurde man nicht fündig. Der noch stärkere LHC, bei dem der alte Tunnel des LEP benutzt wurde, läuft seit 2008, aber auch hier hat sich Susy bislang nicht blicken lassen.
Dennoch befürchte ich, es könnte vielleicht ein schwerer Fehler gewesen sein, dass ich nicht in das Arbeitsgebiet eingestiegen bin, das nicht wenige meiner Kollegen als so vielversprechend ansahen und von dem sie nach wie vor überzeugt sind.
Jahrelang ging man davon aus, dass im LHC etwas Neues passieren muss, da sonst die beste existierende Beschreibung der Teilchenphysik – das Standardmodell – nach den Maßstäben, wie sie unter anderem von Gian Francesco Giudice eingeführt wurden, nicht natürlich wäre. Die mathematischen Formeln zur Messung der Natürlichkeit basieren auf dem Glauben, dass eine Theorie mit sehr großen oder sehr kleinen Zahlen nicht schön ist.
Wir werden in diesem Buch der Frage nachgehen, ob dieser Glaube berechtigt ist. Vorerst genügt es zu sagen, dass er weite Verbreitung gefunden hat. Giudice erklärte in einem Artikel von 2008: »Der Gedanke der Natürlichkeit … entwickelte sich durch eine ›kollektive Bewegung‹ der Wissenschaftsgemeinde«, die dessen »Bedeutung für die Existenz der Physik jenseits des Standardmodells zunehmend betonte«.[8] Und je gründlicher sie die Natürlichkeit untersuchten, desto überzeugter waren sie, dass baldmöglichst neue Erkenntnisse nötig seien, um hässliche numerische Koinzidenzen zu vermeiden.
»Im Rückblick überrascht es, wie stark dieses Natürlichkeitsargument hervorgehoben wurde«, sagt Michael. »Die Leute wiederholten nur immer wieder dasselbe Argument, ohne wirklich darüber nachzudenken. Sie...
Erscheint lt. Verlag | 26.9.2018 |
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Übersetzer | Sonja Schuhmacher, Gabriele Gockel |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Naturwissenschaften ► Physik / Astronomie | |
Technik | |
Schlagworte | Albert Einstein • Beobachtung • Beschleuniger • CERN • Chad Orzel • Dan Hooper • Dunkle Materie • Einfachheit • Einstein • Elektrodynamik • Fabricius • Frank Wilczek • Galilei • Garrett Lisi • Gell-Mann • Grundlagenforschung • Grundlagenphysik • Hawkins • Heisenberg • Hermann Weyl • Higgs-Boson • Inflation • Kosmos • Lemaitre • Michael Krämer • Milchstraße • Multiversum • Nathan Seiberg • Naturgesetze • Natürlichkeit • Newton • Paul Dirac • Physik-Dogma • Quantentheorie • Quantum Loop Gravity • Relativitäts-Theorie • Richard Dawid • Schwarze Löcher • Standard-Modell • Steven Weinberg • Stringtheorie • Supersymmetrie • Teilchenbeschleuniger • Teilchenphysik • Teilchen-Physik • Theorie • Universum • Weinberg • Wilczek • Wissenschaft • Wissenschafts-Kritik |
ISBN-10 | 3-10-490283-6 / 3104902836 |
ISBN-13 | 978-3-10-490283-8 / 9783104902838 |
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